Liebe Charlotte,
mir gefällt (wie immer) die Melancholie, die Sehnsucht, die Tonalität deines Gedichts, nur mit dem Inhalt hadere ich diesmal. Es klingt nach Dysphorie ohne Lösung, nach Entfremdung und Abwehr, nach Unstimmigkeit zwischen Innen und Außen – nach dem Unbehagen im eigenen Bezugsrahmen.
Ich möchte keineswegs einen reaktionären Patriotismus vertreten, wohl aber das Gefühl von und Bedürfnis nach Verbundenheit, Zugehörigkeit, nach Heimat.
Hier klingt es endgültig und resignativ – nach Flucht vor der inneren Entfremdung, durch die starre Rolle eines Erwartungsapparates.
Keine Ambivalenz, keine Möglichkeit der Wandlung – die Flucht, der Übergang setzt ein Verlassen, ein Aufgeben voraus. Wo es mir nach Transformation wäre: einer Wandlung, die das Äußere durch das Innere wandelt, gestaltet und sich zueigen macht.
Doch der Riss, der Übergang von hier nach dort, schafft eine Dualität, die die Entfremdung und Vereinzelung erst konstituiert. Eine grenzenlose Identität ist eine zerfallende Identität. Ein Verlassen, ein Entkommen, eine Flucht ist nie ein Werden, sondern immer ein Gewesen-Sein. Kein Hinwenden, immer ein Abwenden. Kein Wir, ein Ich gegen das Vaterland.
Aber diesen einen Funken:
als gäb es einen anspruch
dass ich an deinen wintern
leide
den finde ich – in Breite wie Tiefe – einfach großartig. Es ist dieses Momentum, diese Möglichkeit, nach der ich mich sehnte – vielleicht nur ich persönlich, gerade eben –, doch wird sie nicht eingelöst.
Wie immer bringen mich deine Worte sehr zum Nachdenken
Liebe Grüße
Rufus