Den Schmerz gepachtet

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Alexis sah sein Abbild auf der Wasseroberfläche schimmern. Er zwinkerte und dachte über die Situation nach. Das Dunkel der riesigen Halle mit dem stillen Brunnen in dessen Zentrum färbte sich auf sein Gemüt ab. Er fühlte sich einsam, verlassen, am Ende seiner Zeit, tot.
Wollte er überhaupt an diesen Ort kommen? Obwohl es ihm unheimlich vorkam, verspürte er dennoch keinerlei Angst oder Mißtrauen. Es war, als wäre sein Vorhaben von der Bestimmung gezeichnet. Genau diese Eingebung hatte er erfahren. Es mußte passieren, deshalb würde er es machen.
Im hinteren Bereich des Saals stand ein alter, seit viele Jahre unbenutzter Königsthron auf einem brüchigen Podest, das eher einer Theaterbühne glich. Alexis umschlich die verstaubte Garnitur verträumt und nachdenklich.

Als das Verderben noch über dem Land lag, regierte hier ein fürchterlicher Kaiser, der sein Volk mit jedem Atemzug leiden ließ. Es war die dunkle Zeit des Wahnsinns und der Ursprung des Menschen, der die Gestalten der Hölle zurück in ihre Welt verbannen konnte. Doch vertrieben waren sie damit noch lange nicht. Der Mensch wurde zu dem Lieblingsspielzeug dieser Wesen.
Das war also der Weg, den er bestreiten sollte. Verbannt als Opfer für den Gott der Schmerzen, als Besucher und Auskundschafter der Hölle. Alles aus eigener Entscheidung heraus. Niemand zwang ihn dazu. Niemand wußte gar von dieser Möglichkeit, dem Menschen ein wenig mehr Frieden zu bringen. Er gab sich einfach dafür hin. Denn für ihn war es wie eine Pflicht, sich als Urkind der Menschen dem Chaos und der Verdammnis zu stellen. Er hatte bereits Bekanntschaft mit diesen Gestalten gemacht. Mehr als man sich als lebendes und denkendes Wesen vorstellen mag. Er trug diese Gefühle immer mit sich. Angst, Gewalt, Schmerz.

Verbissen und entschlossen riß Alexis den schweren Thron aus seiner Verankerung im dreckigen Steinboden. Zurück blieb ein rechteckiges, schwarzes Loch unter ihm, das spürbar kühle Luft hervorbrachte. Es war der Eingang zu einer Welt, die sich niemand wirklich vorstellen konnte. Ein Ort der Grausamkeit, ein Mausoleum der toten Engel und des Fürsten der Dunkelheit. Hier lag die Qual und das Leid begraben, das den Menschen im Traum und vor allem im Wachzustand ein Leben lang peinigte.
Es würde kein Märtyrertod sein, sondern eine Märtyrerodyssee, für die sich Alexis bereitstellte. Also sah er sich ein letztes Mal die beruhigende Dunkelheit dieser Welt an, indem er die alten Bemalungen an der Kuppeldecke der Halle begutachtete. Dort waren schwarze, unmenschlich anmutende Gestalten zu erkennen, die von Speeren von allen Seiten in einem blutroten Feuer zusammengepfercht wurden.
Alexis sprang durch das Loch und kam wieder in dem selben Saal zum Vorschein. Allerdings kam er dabei nicht durch das schwarze Loch oder zur Tür herein, sondern krachte durch die bemalte Decke und knallte hart auf dem leeren, dreckigen Steinboden auf. Es tat ihm furchtbar weh, er fügte sich aber offenbar keine ärgeren Verletzungen zu und stand mit einem schmerzverzerrten Gesicht wieder auf.
Er sah nach oben und erkannte, dass die bemalte Stelle der Decke zerstört war und dort statt dessen ein dunkles, aufgerissenes Loch lag, in dem kleine, helle Lichtpunkte zirkulierten. Ebenso war auffällig, das in dieser parallelen Halle zwar ebenso ein Podest war, es jedoch weder Thron noch Brunnen gab.
Auch die Atmosphäre, das Gefühl, das hier lag, unterschied sich von dem Saal der Menschenwelt. Alles kam Alexis belebter, bedrohlicher und lebendiger vor. Es war als würde dieser Ort leben - in einem negativen Sinne.
Er trat an den Ausgang der Stätte. Was würde ihn erwarten, wenn er das Tor öffnet? Doch er dachte nicht lange darüber nach. Er wußte, er war vorbereitet und hatte keine Angst. Sein bisheriges Leid trieb ihn bis hierher und er hatte es auch von diesem Ort bekommen. Jeglicher Pein kommt aus dieser Hölle. Er trat seinen Verursachern jetzt nur direkt gegenüber.
Also zog er die beiden Tore mit seinen starken Gliedern auf und empfing sofort, ehe er hinaus sehen konnte, einen Schwall an grausam ekelhaften, geisteslähmenden und nervenzerreißenden Empfindungen und Gedanken, die ihn so gewaltig trafen, dass er schreiend auf seine Knie fiel und sich anschließend zuckend auf den Boden herab kauerte. Er konnte spüren, dass sich das Lebendige in dieser Welt überlegen fühlte. Es sah auf ihn herab und erwartete seinen Untergang. Seine seelische und geistige Vernichtung.
Doch er richtete sich auf. Ihn durchfuhren weitere unglaublich hasserfüllte Salven an Qual und innerer Zersetzung, dass er jegliche Wahrnehmungen in einem einzigen Zustand aufnahm. Doch auch danach blieb er in Besitz seiner geistigen Gewalt. Also öffnete er die Augen und nahm angsterfüllt eine Welt voller endloser Schluchten aus flüssigem Feuer und bebende und blutende Felswände, die schreiende Laute von sich gaben, wahr. In der aufbrechenden Glut die sich aus allen Richtungen erhob, lagen schwarze, unmenschliche Gestalten und brannten heulend in ihr. Bei genauerem Betrachten erkannte Alexis diese Wesen auch in den Felsen und Wänden und verstand, dass sie diejenigen waren, die die schmerzvollen Laute von sich gaben.
Jeder Gedanke, den der Besucher fassen wollte, endete in irgend einer schmerzvollen Erinnerung aus seiner Vergangenheit. Er streifte alles ab. Er konnte es abwehren. Er blieb bei Sinnen. Bis sich mehrere helle Lichtexplosionen in dieser Welt auftaten, der eine noch viel stärkere folgte. Aus den kleinen Lichtblitzen formten sich unbeschreibliche Gestalten mit noch unbeschreiblicheren Fratzen, die den Eindringling wütend und ängstlich ansahen. An dem großen Lichtpunkt änderte sich nichts, er blieb in seinem Zustand, doch es war, als spräche er im Geiste zu Alexis.
Wieder durchfuhren ihn heftige Stöße an schlechten und grausamen Gedanken und Vorstellungen, als er die Botschaft des Lichtwesens empfing.
„Dein Geist für die Menschheit.“
Alexis konzentrierte seine Kräfte auf das bilden eines geistigen Satzes und antwortete.
„Mein Geist für den Frieden der Menschheit.“
Wild und aufgeregt durchfuhren die kleinen Geister mit den grausigen Fratzen die Gegend. Das Licht sprach wieder.
„Dein Geist wird zerstört, der Geist der Menschheit wird auch zerstört. Alles wird in Hass zerstört.“
Der Antwort folgte der bisher stärkste Stoß an Brutalität, Hass und Qual, dass es Alexis die Gedankenstruktur und Auffassungsgabe verbog und unter tiefen geistigen Schmerzen eine klaffende Wunde in die Seele riß. Er fiel regungslos zu Boden.
Das Licht und seine hässlichen Begleiter schwieg. Es wieder schien zu verblassen, die Geister verschwanden in den blutverschmierten Felswänden. Es war als wäre der Kampf zu ende. Als hätte die Hölle ihren Sieg davongetragen.

Eine innere Form des Lebens ließ den toten Alexis ein Gefühl spüren. Er nahm wieder die Wärme war. Er fühlte es, obwohl er verendet schien. Diese Wärme, sie kam seiner Seele so bekannt vor.
Jetzt erkannte er und er warf seine Augen auf. Es war dieselbe Wärme, die er bei seiner Geburt verspürt hatte. Das gleiche Gefühl, das ihn in das Leben trug. Das ihm den Geist, das Bewußte und das Unterbewußte gab. Alexis wart neu geboren. In der Hölle. Im Schlund der Vernichtung.

Das Lichtwesen wurde schlagartig gleißend hell. Und es verspürte Angst. Das wußte Alexis. Denn er verursachte diese Angst. Er hatte jetzt die Kontrolle. Er war Gott. Der Gott des Schmerzes und die Heilung der Qual.
Die Geister kamen zurück aus den Felsen und versuchten ihn anzugreifen. Er stand bereits wieder auf beiden Beinen und ließ ihre Fratzen noch in der Luft verbrennen.
Der ehemalige Herrscher dieser Welt, das Licht, versuchte erneut seine stärksten Angriffe auf Alexis loszulassen, doch diese verfehlten ihre Wirkung. Sie waren nutzlos gegen ihn. Er war zu stark.
Und so ließ er diese Welt erbeben. Alles sollte sich auf ihn richten. Er vereinnahmte alle Gefühle und Gedanken dieses Ortes und ließ sie in seiner Seele vernichten. Alle Wesen und Materie zersetzte sich in einem gewaltigen Feuer, dessen Entfacher er war. Die Hölle verbrannte und verschwand in einem hellen Punkt, der noch immer der alte König dieser Welt war, im Geiste Alexis.

Als er seine Augen wieder schloß, war alles vorbei. Die Menschen war nun die Wesen, die sie immer sein wollten. Sie waren frei, erlöst und die einzigen Herren des Schmerzes.
 



 
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