Denkmal für einen Hausfreund

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Kapitano

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Denkmal für Egon Glomp
Egon Glomp war Gastronom, durch und durch. Jahr für Jahr arbeitete der hochgewachsene, behäbige, aber durchaus elegante Egon in den verschiedenen deutschsprachigen Ferienregionen in denen man sowohl im Winter als auch im Sommer Urlaub machen kann.
In Südtirol, der Schweiz, in Österreich, in Süddeutschland und gelegentlich sogar im Harz verdingte er sich als Commis de Bar.
In Hunderten verschiedener Hotels, Restaurants und Bars stand er hinter dem Tresen und bereitete kalte und warme Getränke zu, damit die Kellner und die Servierinnen den Gästen aus aller Welt ihre Cocktails und Kaffes bringen konnten. All die Gäste in dieser Zeit waren wohlhabend, gut erholt und von der Sonne gebräunt.
Egon hingegen war immer blass, er mied die Sonne. Seine kräftige Statue, seine gepflegte Erscheinung und sein ganzes Auftreten ließen ihn aussehen, als wäre er persönlich der Eigentümer der Häuser, in denen er arbeitete.
Privat trug er meist feine, graue Anzüge und einen schwarzen Rollkragenpullover.
Während der Arbeit hinter dem Tresen trug er eine weiße Kellnerjacke, vermutlich mit silbernen oder goldenen Knöpfen und ein paar Kugelschreibern in der aufgesetzten Brusttasche.
Ob im Meran, in St.Moritz oder in St.Andreasberg, überall verweilte Egon Glomp nur ein paar Monate.In den Zeiten zwischen der Winter- und der Sommersaison pausierte er. Dann ging er zurück in seine Heimatstadt Bremen. Da er selten zu Hause war, hatte er kaum Freunde, außer meinem Vater.
Egon war sehr sparsam und hatte eine kleine Wohnung in der Nähe der kleinen Weser in Bremen. Er hatte weder Telefon noch einen Fernseher. Er las viel und um nicht zu vereinsamen, besuchte er in diesen freie Monaten regelmäßig meinen Vater und somit unsere ganze Familie.
In seiner Vorstellung war Kaffee nach wie vor etwas Kostbares und so brachte er jedes Mal, wenn er uns besuchte, eine Packung Eduscho Kaffee mit. Für uns Kinder gab es immer eine Tafel Zartbitterschokolade, sie war ebenfalls von Eduscho und hieß Meisterklasse.
Wir Kinder hätten jedoch lieber die Schokolade von Sprengel gehabt, denn die enthielt die Sammelbilder der Olympiasportler von 1972. In meiner Erinnerung kam er in diesen Monaten täglich zu uns, vom nachmittäglichen Kaffetrinken bis zum Abendbrot. Ein gelungenes gutes Essen lobte er mit den Worten: „das Essen war ein Gedicht“ .Meist blieb er dann noch bis zum Ende des abendlichen Spielfilms.
Gegen 22 Uhr stand er auf, verabschiedete sich ohne viel Aufheben, und ging zu Fuß den weiten Weg nach Hause, denn er hatte weder Auto noch Fahrrad und das Fahrgeld für den Bus wollte er auch sparen. Er war geschieden und hatte eine Tochter, der er trotz seiner Sparsamkeit jeden Monat 500 DM überwies. Er erzählte tolle Geschichten von ihr und war sichtlich stolz auf sie. Sie studierte im Ausland und sollte es später mal so gut haben wie die Gäste, die er seit Jahren bediente.
Sie war ihm wirklich wichtig, für sie verzichtete er auf fast alles. Wir Kinder hatten weder sie noch seine geschiedene Frau jemals gesehen. Und als Kind hielt ich die Geschichten von seiner erfolgreichen Tochter immer für frei erfunden.
Irgendwann tauchte er nicht mehr auf und erst als mein Vater starb, traf ich ihn auf der Beerdigung wieder. Ausgerechnet hier machte er meiner Mutter einen versteckten Antrag mit den trockenen Worten: „ Renate, Fritz meinte, ich solle mich um Dich kümmern!“ „ Danke, ich kann mich um mich selbst kümmern!“ antwortete meine Mutter ungewöhnlich schlagfertig.
Jahre später traf meine Mutter Egon Glomp zufällig auf der Straße und erkannte ihn kaum wieder, ganz dürr und gar nicht mehr stattlich kam er daher. Er sei Vegetarier geworden und habe zu laufen begonnen. Als mir meine Mutter von dieser Veränderung erzählte, verflüchtigte sich mein inneres Bild von einem kräftigen stattlichen Mann, der früher auf unserem Sofa saß.
Kurze Zeit später starb er.
Er hinterließ seiner Tochter, die in London als erfolgreiche Juristin lebt, ein Vermögen in ungenannter Höhe.
Dem Internet nach zu urteilen gab es ihn nie, deswegen dieses Denkmal!
 

rotkehlchen

Mitglied
Hallo Kapitano,

ich mag diese ruhige Erzählweise, trotzdem ein paar Kleinigkeiten.

Zitat
und gelegentlich sogar im Harz

warum sogar?

Zitat
Seine kräftige Statue

Statur

Zitat
weiße Kellnerjacke, vermutlich mit silbernen

wenn du weißt, dass die Jacke weiß war, dass weißt du auch wie die Knöpfe aussahen

Zitat
eine Packung Eduscho Kaffee

Bist du mit der Firma E. liiert oder warum machst du für sie Reklame?

Zitat
ganz dürr und gar nicht mehr stattlich kam er daher. Er sei Vegetarier geworden und habe zu laufen begonnen

Was ist da passiert? Da wüsste ich gerne mehr, vielleicht eine persönliche Tragödige? Bis jetzt war alles für meinen Geschmack ziemlich trivial.

LG
Rotkehlchen
 

Kapitano

Mitglied
Denkmal für Egon Glomp
Egon Glomp war Gastronom, durch und durch. Jahr für Jahr arbeitete der hochgewachsene, behäbige, aber durchaus elegante Egon in den verschiedenen deutschsprachigen Ferienregionen in denen man sowohl im Winter als auch im Sommer Urlaub machen kann.
In Südtirol, der Schweiz, in Österreich, in Süddeutschland und gelegentlich auch im Harz verdingte er sich als Commis de Bar.
In Hunderten verschiedener Hotels, Restaurants und Bars stand er hinter dem Tresen und bereitete kalte und warme Getränke zu, damit die Kellner und die Servierinnen den Gästen aus aller Welt ihre Cocktails und Kaffes bringen konnten. All die Gäste in dieser Zeit waren wohlhabend, gut erholt und von der Sonne gebräunt.
Egon hingegen war immer blass, er mied die Sonne. Seine kräftige Statur, seine gepflegte Erscheinung und sein ganzes Auftreten ließen ihn aussehen, als wäre er persönlich der Eigentümer der Häuser, in denen er arbeitete.
Privat trug er meist feine, graue Anzüge und einen schwarzen Rollkragenpullover.
Während der Arbeit hinter dem Tresen trug er eine weiße Kellnerjacke mit silbernen Knöpfen und ein paar Kugelschreibern in der aufgesetzten Brusttasche.
Ob im Meran, in St.Moritz oder in St.Andreasberg, überall verweilte Egon Glomp nur ein paar Monate.In den Zeiten zwischen der Winter- und der Sommersaison pausierte er. Dann ging er zurück in seine Heimatstadt Bremen. Da er selten zu Hause war, hatte er kaum Freunde, außer meinem Vater.
Egon war sehr sparsam und hatte eine kleine Wohnung in der Nähe der kleinen Weser in Bremen. Er hatte weder Telefon noch einen Fernseher. Er las viel und um nicht zu vereinsamen, besuchte er in diesen freien Monaten regelmäßig meinen Vater und somit unsere ganze Familie.
In seiner Vorstellung war Kaffee nach wie vor etwas Kostbares und so brachte er jedes Mal, wenn er uns besuchte, eine Packung Eduscho Kaffee mit. Für uns Kinder gab es immer eine Tafel Zartbitterschokolade aus dem selben Sortiment, sie hieß Meisterklasse.
Wir Kinder hätten jedoch viel lieber die Schokolade von Sprengel gehabt, denn die enthielt die Sammelbilder der Olympiasportler von 1972. In meiner Erinnerung kam er in diesen Monaten täglich zu uns, vom nachmittäglichen Kaffetrinken bis zum Abendbrot. Ein gelungenes gutes Essen lobte er mit den Worten: „das Essen war ein Gedicht“ .Meist blieb er dann noch bis zum Ende des abendlichen Spielfilms.
Gegen 22 Uhr stand er auf, verabschiedete sich ohne viel Aufheben und ging zu Fuß den weiten Weg nach Hause, denn er hatte weder Auto noch Fahrrad und das Fahrgeld für den Bus wollte er auch sparen. Er war geschieden und hatte eine Tochter, der er trotz seiner Sparsamkeit jeden Monat 500 DM überwies. Er erzählte tolle Geschichten von ihr und war sichtlich stolz auf sie. Sie studierte im Ausland und sollte es später mal so gut haben wie die Gäste, die er seit Jahren bediente.
Sie war ihm wirklich wichtig, für sie verzichtete er auf fast alles. Wir Kinder hatten weder sie noch seine geschiedene Frau jemals gesehen. Und als Kind hielt ich die Geschichten von seiner erfolgreichen Tochter immer für frei erfunden.
Irgendwann tauchte er nicht mehr auf und erst als mein Vater starb, traf ich ihn auf der Beerdigung wieder. Ausgerechnet hier machte er meiner Mutter einen versteckten Antrag mit den trockenen Worten: „ Renate, Fritz meinte, ich solle mich um Dich kümmern!“ „ Danke, ich kann mich um mich selbst kümmern!“ antwortete meine Mutter ungewöhnlich schlagfertig.
Jahre später traf meine Mutter Egon Glomp zufällig auf der Straße und erkannte ihn kaum wieder, ganz dürr und gar nicht mehr stattlich kam er daher. Er sei Vegetarier geworden und habe zu laufen begonnen. Als mir meine Mutter von dieser Veränderung erzählte, verflüchtigte sich mein inneres Bild von einem kräftigen stattlichen Mann, der früher auf unserem Sofa saß.
Kurze Zeit später starb er.
Er hinterließ seiner Tochter, die in London als erfolgreiche Juristin lebt, ein Vermögen in ungenannter Höhe.
Dem Internet nach zu urteilen gab es ihn nie, deswegen dieses Denkmal!
 

Kapitano

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Hallo Rotkehlchen,
vielen Dank für die wirklich sinnvollen und logisch richtigen Hinweise bzw. Korrekturvorschläge. Gerne habe ich diese umgesetzt. Der letzte Hinweis bzw. Deine Frage bzgl. Egons Veränderung wollte ich jedoch offenlassen und dem Leser Freiraum für eigene Fantasien lassen-..

Schönen Sonntag noch

A. Kochanek
 

rotkehlchen

Mitglied
Ich kannte mal einen Kneipenwirt, der sich mit folgender Begrüngung vorzeitig zur Ruhe setzte: Er habe nicht mehr bis stät in die Nacht freundlich lächeln können...
 



 
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