Der Abendzug

Juncker

Mitglied
Draußen der Himmel, während wir fliegen,
durch einen Tag, durch sein allmählich Vergehn,
färbt sich so edel, so schön, dass wir schwiegen,
in ein Rot, in ein Lieben, wie Wiedersehn.

Wie verzaubert, ganz klar, wie ein Schein
Von jenem Verzehren, von weichen Lippen,
die sich treffen in Dein und in Mein
fröhlich, wie wenn sie auf Wolken wippen.

Es strahlt so leuchtend, wie nur aus Träumen her,
und in Farben, deren Tiefe man selten misst.
Man sieht, man denkt und man atmet schwer,
dieses Große erblickend, das Leben ist.

Doch wir rauschen nur, von fern in die Ferne,
wie Kometen gehen und wie Adler schweben;
und draußen, am scheidenden Rot, sind schon Sterne,
die vor Freuen sich golden ein Leuchten geben.

Der Zug, dieses Rasende, das niemand hält,
stürzt nur und rauscht, dass keiner sein Innres sieht,
bis das Rot, das von Glor so zaubernde, fällt
und der Himmel mit Würde ins Feuer zieht.

Dieses Leuchtende, das Lichterwerk sieht man kaum,
wenn im Fahren man stumm an die Wände blickt,
nicht das Rot, nicht das Feuer, den Traum,
dass der Himmel jetzt seine Engel schickt.

Die Nacht, die bald graut, sieht man bloß,
dieses Dunkelnde, Trübe, das wie ein Schauer weht,
und das Schwarz, die Finsternis, die ganz ausdruckslos
irgendwann wie blind an den Scheiben steht.

Und im Bahnhof – der Abend ist lange verfallen -,
wo Menschen stehn und die Pläne lesen,
sagt man zu Reisenden, beinahe zu allen,
die Fahrt sei »wie immer« gewesen.
 
A

Architheutis

Gast
Hallo Juncker,

ein Herzliches Willkommen von mir. :)


Insegsamt eine sehr einfühlsame Schreibe. ;-)

Einige spontane Anregungen von mir; ich beschränke mich auf die ersten drei Strophen:

Draußen der Himmel, während wir fliegen,
durch einen Tag, durch sein allmählich Vergehn,
färbt sich so edel, so schön, dass wir schwiegen,
in ein Rot, in ein Lieben, wie Wiedersehn.
Gegenwart und Vergangeheit im selben Satz geht selbst in einem Gedicht nicht.

[red]Wie[/red] verzaubert, ganz klar, [red]wie[/red] ein Schein
Von jenem Verzehren, von weichen Lippen,
die sich treffen in Dein und in Mein
fröhlich, [red]wie[/red] wenn sie auf Wolken wippen.
3 Wie-Vergleiche in einer Strophe...? Irgendeine profunde Stimme sagte mal, man dürfe in der Lyrik grundsätzlich keine Wie-Vergleiche bringen, da sie den eigenen Gedanken den Raum zum atmen nehmen. Die Ausnahme hiervon dürfe sich nur Rilke erlauben; oder so ähnlich.


[red]Es[/red] strahlt so leuchtend, wie nur aus Träumen her,
und in Farben, deren Tiefe man selten misst.
Man sieht, man denkt und man atmet schwer,
dieses Große erblickend, das Leben ist.
Was ist dieses ominöse "ES"? Das klärst du weder in den vorherigen, noch in den folgenden Strophen auf.
"Es" bleibt schwammig.

Soweit meine ersten Eindrücke.

Gruß,
Archi
 

laudabilis

Mitglied
Hallo Juncker,
auch von mir ein herzliches Willkommen.
Einige Anmerkungen zu deinem Werk hat ja Architheutis schon gemacht. Denen schliße ich mich prinzipiell an, da muss ich nichts wiederholen. Nur Archis Verweis auf die Unbestimmtheit des Es möchte ich doch auch noch einmal unterstreichen.

Ich möchte mich auf die letzte Strophe konzentieren, denn in deren letztem Vers stimmt das Metrum nicht. Aber das lässt sich leicht beheben. Mein Vorschlag:

die Fahrt sei "so wie immer" gewesen

Gruß,
laudabilis
 
F

Fettauge

Gast
Ich kann mir nicht verkneifen zu bemerken, dass die abendliche Zugfahrt die reinste Höllenfahrt in die Farbe gewesen sein muss.

Da sitzt einer im Zug und sieht nach draußen, und weil es dunkel wird, sieht er nur den Himmel, der "mitfährt", und der zeigt alle seine Farben, die du mit wahrhaftiger Wortgewalt beschreibst. Ein bisschen zu dick, finde ich. Das Gedicht ist so bunt wie der abendliche Himmel, aber mit Zugfahrt hat es ansonsten wenig zu tun, ich "höre" die Schienen nicht, du gibst eher eine Himmelsbeschreibung, aber die kann man genausogut aus dem 12. Stock eines Hochhauses beobachten. Wäre da nicht die letzte Strophe, der Bahnhof, und die fällt aus dem Rhythmus, der Zug steht nun, vorbei die ganze Himmelsträumerei, und dass sie aus dem Rhythmus fällt, gefällt mir nun aber wirklich gut, könnte, nebenbeigesagt, noch stärker betont werden. Metrisch haut sie noch nicht ganz hin.

Apropos Vergleiche: Natürlich sind Vergleiche im Gedicht "erlaubt" und die beginnen selbstverständlich immer mit einem "wie", ohne "wie" können es Metaphern sein.
Aber vielleicht sind hier ein bisschen zu viele "wie" benutzt worden.

Gruß, Fettauge
 



 
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