Der abenteuerliche Einkauf

4,00 Stern(e) 2 Bewertungen

KB

Mitglied
Ich fahre zur größten Filiale des weltgrößten Möbelhauses, das den Ruf hat „alles“ zu haben

Wenn ich mir schon keine von diesen stylischen, robotergesteuerten Einbauküchen leisten kann, so will ich doch wenigstens mit einer handwerklich perfekten Restaurierung meiner mittlerweile 40 Jahre alten Einbauküche glänzen. Leider scheitert es bisher an einer entsprechenden Ersatzteilbeschaffung, genauer gesagt an den Türscharnieren. Da die hier ansässigen Fachhändler für mein Anliegen nur ein mitleidiges Lächeln anzubieten haben, bleibt mir nur noch der Besuch des Möbelwunderlandes.
Wenig hoffnungsfroh betrete ich den Eingangsbereich des Glaspalastes. Die Dame am Infostand übergibt mir den aktuellen Hauskatalog, einen ca. 10 cm langen, angeknabberten Bleistift und einen mickrigen Notizblock mit unzähligen Eselsohren.
„Bitte denken sie daran“, ermahnt mich eine in die Jahre gekommene Whiskystimme, „die Sachen beim Verlassen des Hauses wieder abzugeben.“ Sie spricht das Wort „Hauses“ als spräche sie von einem Fünfsternehotel.
In Gedanken stelle ich mir alle möglichen Folgen einer Nichtbeachtung dieser Anordnung vor. Getrieben vom Hauspersonal, allesamt athletische Kraftprotze, die einer römischen Arena entkommen waren, weil sie mindesten fünf hungrige Löwen auf einen Streich erlegt hatten, sehe ich mich durch meterhohe Regale hetzen. Aber, soweit ist es Gott sei Dank noch nicht.
Noch schaudernd über diese Vorstellung hat sich inzwischen die Eingangsschranke zur Verkaufshalle ruckelnd geöffnet, und ich werde von den nachdrängenden Kunden, die offensichtlich schon aufgrund ihres jugendlichen Alters ohne diese Empfangsprozedur für den Einlass legitimiert sind, weitergeschoben.
Der Strom der Kunden spuckt mich jedoch schon nach wenigen Metern wieder aus und ich lande außerhalb des markierten Rundweges direkt vor die Füße einer übelgelaunten Hausangestellten.
„Sie haben noch Fragen zu unseren Produkten“, diagnostiziert sie meine momentane Situation.
„Ich suche“, versuche ich zu antworten, doch die riesige Pranke der Dame versperrt mir mein Blickfeld und damit jeden Fluchtweg. Der Anblick der langen krallenartigen Fingernägel versetzt mich in einen Schockzustand, der es mir unmöglich macht, mich zu bewegen.
„Gehen sie ohne weitere Umwege zur Küchenabteilung in Halle 3, Gang 4B, Flur 2 und fragen sie dort noch einmal nach. Ist gar nicht zu verfehlen. Sie schlingt ihre Krallen in meine Oberarmmuskulatur und schiebt mich energisch, keine weiteren Fragen zulassend, weiter. Gottergeben trottete ich den von der Decke projizierten Richtungspfeilen folgend Richtung Halle 3. Nach einem endlos erscheinenden Marsch durch Dekorationen moderner Inneneinrichtungen höre ich psychedelische Töne und sehe Farben nie gekannter Intensität. Die Droge muss über die Lüftungsanlage in die Verkaufshalle gelangt sein.
Staunend über den Ideenreichtum der eingesetzten Werbeaktion lasse ich mich im Strom der Masse treiben.
Irgendwann, ich spüre meine schmerzenden Füße mittlerweile nicht mehr, erwache ich in einem winzigen himmelblauen Kinderbett. Über mir ein schaukelnder Halbmond unter einem funkelnden Sternenhimmel.
Ich sehe mich außerstande mich zu befreien da sich meine Beine in dem stoffbespannten Himmel des Kinderbettes gnadenlos verfangen haben. Ein Gnom mit einer roten Schlumpfmütze und einer übergroßen verspiegelten Sonnenbrille zappelt an einer dünnen Leine am Halbmond. Irgendwann lässt er sich daran herabgleiten und befreit mich aus meiner misslichen Lage. Freundschaftlich klopft er mir auf die Schulter und wünscht mir noch einen guten Tag.

„Hallo sie, sie können hier nicht liegenbleiben. Dieses Bett ist ein Ausstellungsstück und sollte nicht mit Straßenschuhen benutzt werden.“
Offensichtlich muss ich auf den letzten Metern in einem Boxspringbett eingeschlafen sein. Ich entschuldigte mich für mein Verhalten und machte mich wieder auf den Weg in die Küchenabteilung.
Ich weiß allerdings nicht, ob mein Körper die Strapazen bis zum ersehnten Ziel noch lange aushält.
Auf jeden Fall zwingt mich meine Blase zum nächsten Boxenstop. Eine Nische, voll ausgestattet mit Dusche und WC kommt gerade rechtzeitig. Blöd nur, dass man beim Verrichten seiner Notdurft nicht so ganz unbeobachtet ist. Lediglich ein schmales Regal mit Badeutensilien gewährt eine gewisse Intimsphäre. So sind nun mal die Skandinavier.
Auf jeden Fall ist die Abwassertechnik noch überarbeitungswürdig. Mein Vermächtnis läuft nur recht zögerlich ab und hinterlässt eine unansehnliche Pfütze neben der Keramik.
-Nicht mein Problem-.
Das Ziel scheinbar zum Greifen nah, marschiere ich weiter.

Auf einem riesigen Stapel Wohnzimmerteppiche sitzt direkt unter einer abgehängten Deckenverkleidung, ein kleines, spindeldürres Männchen und fordert wild gestikulierend Aufmerksamkeit. Keiner der Vorbeieilenden nimmt jedoch Notiz von ihm. Ich will mit ihm reden und suche eine Leiter, finde aber keine. Er bemerkt meine Bemühungen und lässt sich heruntergleiten.
„Ich bin Adolf Deutschmannsky“, stellt er sich vor. “Man hat mir versprochen, dass ich hier zum Volk sprechen kann. Und jetzt lässt man mich nicht. Man schichtet immer neue Teppiche auf diesen verdammten Stapel, so dass ich schon mit dem Kopf an die Decke stoße, sodass mich keiner hören kann. Das ist ein eindeutiger Verstoß gegen die freie Meinungsäußerung“, beschwert er sich und gerät dabei völlig außer Kontrolle. Beschämt stelle ich fest, wie er sich einnässt.
„Was ist denn ihre Botschaft“, versuche ich ihn abzulenken.
„Ich bin Reichsbürger und will, dass sich alles ändert“, sagt er. „ Aber niemandem interessiert das. Alle tun so, als ob es mich gar nicht gibt.“
Auch ich lasse ihn rechts liegen und gehe weiter.

Über mir erkenne ich Menschen in dunkler Abendkleidung, die mit einem Glas Champagner in der einen und kleine Häppchen in der anderen Hand das Treiben unter ihren Füßen durch die riesigen Glaskuppeln beobachten. Hin und wieder dringen Wortfetzen durch die Isolierglasscheiben.
„Schau nur, wie putzig. Und guck dir doch den Kleinen an. Gerade saß er noch dicht an der Scheibe und jetzt ist er heruntergerutscht. Wie sie hin und her laufen. Darf man sie auch füttern?“
„Lieber nicht. Nicht ungefährlich, glaube mir. Ich hatte auch mal so einen“.
Allmählich dämmert es draußen und die Abendkleider verschwinden im Dunkel.

Eine Frau mit einem Ceranfeld unter dem Arm kommt mir entgegen. Ich muss kurz vorm Ziel sein. Und tatsächlich: die erste Einbauküche kommt in Sicht. Und die Scharniere der oberen Hängeschränke passen. „Kann ich ihnen helfen“, haucht mir eine Stimme ins Ohr. Umständlich erkläre ich meinen Wunsch und blicke in ein enttäuschtes Gesicht. Es erklärt mir, dass nur eine komplette Küche verkauft werden kann. Einzelteile gäbe es schließlich in jedem Baumarkt. Angewidert macht der Besitzer des Gesichts auf dem Absatz kehrt und überlässt mich meinem unerfüllten Wunsch.
Nach allen Seiten um mich blickend zücke ich den Schraubenzieher, den ich vorsorglich eingesteckt habe und zerlege zwei Fronttüren des Küchenblocks „Marvin.“ Auf den Weg zum Kassenbereich lege ich Geschirrtücher mit den Motiven vom Gnom im Halbmond in den Warenkorb. Meine Beute, die abmontierten Türscharniere, habe ich in einem unbeobachteten Moment in meiner Unterhose verstaut.
Als ich das Haus verlasse, sehe ich, wie ein Sondereinsatzkommando einen Mann abführt. Über seinen Kopf hat man eine schwarze Kappe gestülpt, ansonsten trägt er einen weißen Einmaloverall. Auf seine Rufe: „Nieder mit den Kastraten“ aufmerksam geworden umringen Presseleute die Szenerie und suchen nach einer Erklärung für die Aktion. Genervt erklärt schließlich eine Beamtin mit Pferdeschwanz und süffisantem Lächeln dass es sich bei dem Festgenommenen um einen sogenannten Reichsbürger handelt, der sich nicht als deutscher Staatsbürger ausweisen konnte und jetzt in ein Asylantenheim verbracht wird.
Ungehindert gehe ich meinen Weg als freier Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Zuhause angekommen werde ich meine Küche wieder zusammenbauen und mir ein Ei in die Pfanne hauen.
 

James Blond

Mitglied
Hallo KB!

Die einzelnen Szenen deiner Geschichte fügen sich nicht recht zu einem Gesamtbild. Hinter deiner Schilderung eines "Einkaufsparadieses" unmenschlichen Ausmaßes schimmert nur leicht das Sittenbild einer verirrten Konsumgesellschaft durch. Die Szenen mit dem Reichsbürger und "denen da oben" haben nur wenig Bezug zum Möbelhaus und sind als gesellschaftskritisches Element nicht sehr aussagekräftig.

Gefallen haben mir hingegen die Beschreibung der rigiden Durchorganisation und die Selbsthilfe, die sich geschickt über die Normen hinwegsetzt.

Ich würde versuchen, den Text noch etwas stärker darauf zu konzentrieren.

Grüße
JB
 



 
Oben Unten