Der achtzehnte Zweite Fünfundneunzig

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Hera Klit

Mitglied
Der achtzehnte Zweite Fünfundneunzig

Dort, wo man dich nicht achtet, kannst du nicht bleiben.
Das war unsere späte Erkenntnis.
Du hattest die Kleine im Arm und ich trat dem alten Kadett ins Kreuz.
Warum sind Frauen immer so schön, wenn sie kämpferisch sind?
Unser Auszug aus Ägypten war überfällig gewesen.
Fast hätte ich dich verloren, weil sie Stimmung gegen dich machten.
Wir wurden eine Kleinfamilie ohne Wurzeln in der
Fremde, kaum achtzig Kilometer weg von den Fleischtöpfen,
zu denen wir nie zurückkehrten.
Das sind unumkehrbare Lebensentscheidungen.
Und irgendwann, wenn ihre Kraft nachlässt, flehen
sie dich an, heimzukehren, um sie aus dem Dreck zu ziehen.
Dich, den sie kleinhalten wollten.

Aber du hast neue Wurzeln geschlagen
bist verflochten mit Menschen und Landschaften
und hast Erinnerungen, die nicht bis zu ihnen zurückreichen.
Warum bedenken Machthabende im Großen und im Kleinen
nie die möglichen Konsequenzen ihres Handelns?

Ich fand einen Job in einer Fabrik und arbeitete mich hoch.
Geld ist der Schlüssel zur Freiheit.
Plötzlich war der Sohn, der auf Vaters Firma angewiesen schien,
ein Mann, der im Leben stand.
Einer, den man nicht unterkriegt.

Dann ein Haus, ein Garten und ein Kredit.
Die Bank macht Träume wahr.
Dann funktionierst du, weil du musst.
Möge dein Chef dir gewogen bleiben.

Die Liebe mutiert zur Blutsbrüderschaft.
Die hält auch meist länger.

Aber ich sehe dich immer noch mit unserem Kind im Arm in meinem Kadett.
Dein Blick verriet mir, dass du an uns glaubst
und das war das schönste Geschenk meines Lebens.
 
G

Gelöschtes Mitglied 20513

Gast
Hallo Hera Klit,

eine Geschichte aus deinem persönlichen Leben? "Hocharbeiten", "Geld ist der Schlüssel zur Freiheit" - Dann das Haus, ein Garten und ein Kredit. "Die Bank machte Träume wahr" - wem willst du das erzählen? Die Bank als Freund seiner Kunden? Es dürfte doch kein Geheimnis sein, dass die Bank auf Kosten ihrer Kunden lebt. Selbst ironisch gemeint, zeigt diese Aussage Schiefes auf.

Das Kleinbürger-Ich ordnet sich erwartungsgemäß nun als "ordentlicher", angepasster Mittelstands-Bürger in die vorgefundene Welt, die ihn anfangs aus nichterwähnten Gründen mobbte, ein. Sozusagen vom Tellerwäscher zum Kleinstmillionär. Wie eng der Freiheitsbegriff gefasst ist - Geld! Dass das Leben auch finanziell gesichert sein muss, dürfte klar sein - aber "Schlüssel zur Freiheit?" Für Geld tut man alles - dies ist die Devise einer Raubtier-Gesellschaft. Ein sehr eng gefasster Freiheitsbegriff. Und du beschreibst, dass du "funktionierst", nachdem du Geld erhalten hast. Aber du bangst um den "Job" und die Gewogenheit des Chefs. Doch trotzdem - stolz wird vom "schönsten Geschenk des Lebens" geredet, weil das Du weiß, das Ich gehorsam ist und funktioniert. Es wird auch was von "Blutsbrüderschaft" für die Liebe geredet. Anzunehmen, dass eine Menge Schweinereien nötig waren, um stolzer Firmenbesitzer zu sein.

Wieder ein Text, der unbewusst die westliche Gesellschaft bis aufs Hemd entlarvt. Und das Beispiel das eigene Leben des von Unsicherheiten geplagten BRD-Bürgers, seine daraus resultierende beschränkte Gedankenwelt. Hera Klit, bist du dir dessen bewusst? Wenn der Text auch dazu taugt, als Gedicht taugt der Text meiner Ansicht nach wohl kaum etwas. Aber er erzählt uns die Wahrheit darüber, welche gedanklich angepassten und praktischen Gymnastikübungen unternommen werden müssen, um in dieser Gesellschaft überleben zu können. Das ist sein Plus. Für alle, die es noch nicht begriffen haben.

Lieben Gruß, Hanna
 

Hera Klit

Mitglied
Hallo Hera Klit,

eine Geschichte aus deinem persönlichen Leben? "Hocharbeiten", "Geld ist der Schlüssel zur Freiheit" - Dann das Haus, ein Garten und ein Kredit. "Die Bank machte Träume wahr" - wem willst du das erzählen? Die Bank als Freund seiner Kunden? Es dürfte doch kein Geheimnis sein, dass die Bank auf Kosten ihrer Kunden lebt. Selbst ironisch gemeint, zeigt diese Aussage Schiefes auf.

Das Kleinbürger-Ich ordnet sich erwartungsgemäß nun als "ordentlicher", angepasster Mittelstands-Bürger in die vorgefundene Welt, die ihn anfangs aus nichterwähnten Gründen mobbte, ein. Sozusagen vom Tellerwäscher zum Kleinstmillionär. Wie eng der Freiheitsbegriff gefasst ist - Geld! Dass das Leben auch finanziell gesichert sein muss, dürfte klar sein - aber "Schlüssel zur Freiheit?" Für Geld tut man alles - dies ist die Devise einer Raubtier-Gesellschaft. Ein sehr eng gefasster Freiheitsbegriff. Und du beschreibst, dass du "funktionierst", nachdem du Geld erhalten hast. Aber du bangst um den "Job" und die Gewogenheit des Chefs. Doch trotzdem - stolz wird vom "schönsten Geschenk des Lebens" geredet, weil das Du weiß, das Ich gehorsam ist und funktioniert. Es wird auch was von "Blutsbrüderschaft" für die Liebe geredet. Anzunehmen, dass eine Menge Schweinereien nötig waren, um stolzer Firmenbesitzer zu sein.

Wieder ein Text, der unbewusst die westliche Gesellschaft bis aufs Hemd entlarvt. Und das Beispiel das eigene Leben des von Unsicherheiten geplagten BRD-Bürgers, seine daraus resultierende beschränkte Gedankenwelt. Hera Klit, bist du dir dessen bewusst? Wenn der Text auch dazu taugt, als Gedicht taugt der Text meiner Ansicht nach wohl kaum etwas. Aber er erzählt uns die Wahrheit darüber, welche gedanklich angepassten und praktischen Gymnastikübungen unternommen werden müssen, um in dieser Gesellschaft überleben zu können. Das ist sein Plus. Für alle, die es noch nicht begriffen haben.

Lieben Gruß, Hanna
Vielen Dank, liebe Hanna.


Der Text lebt von seinen Spannungen, so soll es sein.
Und Jede(r) darf das darin finden, was er/sie möchte.
Es geht auch immer um Phasen, nicht um das ganze Leben.

Ich hatte Verwandte drüben, denen schickten wir immer, weil sie es wünschten, Adidas-Schuhe
und -Trainingsanzüge und andere Markensachen. Ich selbst und alle meine Angehörigen trugen und tragen
Noname-Sachen. Als die Mauer fiel, wurde von deren Seite der Kontakt abgebrochen.
Ich erwartete ja auch keine Dankbarkeit. Nach dem Mauerfall fuhr ich mit meiner Frau rüber nach Weimar. Wir kamen bei einem Polizisten unter, dessen Heizung bei minus 22 Grad nicht lief und die Luft lag voller Kohlestaub. Ich konnte fast nicht atmen.
In Leipzig besuchten wir das Haus in dem sie die Briefe ihrer Bürger aufgedampft hatten. Das war alles sehr traurig.
Was die ihren Bürgern antaten geht auf keine Kuhhaut.

Aber womöglich war auch dort nicht alles schlecht.


Liebe Grüße
Hera
 
Zuletzt bearbeitet:
G

Gelöschtes Mitglied 20513

Gast
Hallo, Hera Klit,

das muss ja ganz schrecklich im Osten gewesen sein. Die reinste Hölle! Da verstehe ich, dass die Ostdeutschen endlich mal was Gutes an den Füßen haben wollen, denn so rennt es sich schneller Richtung Goldener Westen. Und nachdem nun alle Deutschen sich in den Armen liegen, dürfen sie die ostdeutschen Schandtaten, von wegen 22 Grad minus, gesamtdeutsch auch einmal erleben, wenn demnächst nicht nur die Heizung ausfällt. Das nenne ich ausgleichende Gerechtigkeit.

Und was die "aufgedampften Briefe" angeht: Weißt du eigentlich, dass die Amis den Deutschen Anfang der siebziger Jahre befohlen haben, sämtliche Post aus der DDR "aufzudampfen"? Dass die DDR erst dann ebenfalls zu dieser Ami-Spezialität gegriffen hat, haben sie euch sicher nicht erzählt. Tja, traurig isses, mehr als das. Und was meinst du, was heute geschieht bei der gesamtdeutschen Post? Erklärungen erübrigen sich wohl. Und was meinst du, was uns, den Gesamtdeutschen, nun alles angetan wird? Noch nichts gemerkt? Du Glückliche.

Natürlich ist für uns Ostdeutsche, seit wir endlich echte Deutsche geworden sind, auch nicht alles schlecht. Die Adidas-Schuhe sollen ja ganz erträglich sein, solange bis man Käsebeene gekriegt hat. Möglich, dass die Weimarer das festgestellt haben und euch nun ihre Undankbarkeit zeigen wollen. Ja, die ostdeutsche Psyche - unerklärlich wie das Weltall vor Einstein.

Aber zum Text: Du meinst, dein Text lebe von Spannungen? Und wir sollen uns auf die Suche begeben und das finden, was wir möchten? Nun, ich habe es gefunden, aber ich habe gar nicht lange suchen müssen, der Text schrie mich ja geradezu an. Die westdeutsche Psyche in Reinkultur. Man möchte mit Tucholsky fragen: Merkt ihr denn nischt?

Nun mache ich den Westdeutschen keinen Vorwurf, dass sie so sind, wie sie sind. Auch wir Ostdeutschen sind so, wie wir sind. Doch wir haben den Westdeutschen etwas voraus: Wir können denken. Was wir wollen. Und wir wollen eine ganze Menge. Jedenfalls ein großer Teil, und der Teil wird immer größer. Bis der Staatsschutz damang geht und wir die Schwänze einziehen - ein Zeichen, dass auch Ostdeutsche echte Deutsche sind.

Ja, bitter ist das Leben. Aber so ist es, das gesamtdeutsche Leben. Nimms leicht.

Liebe Grüße, Hanna
 

Hera Klit

Mitglied
Hallo, Hera Klit,

das muss ja ganz schrecklich im Osten gewesen sein. Die reinste Hölle! Da verstehe ich, dass die Ostdeutschen endlich mal was Gutes an den Füßen haben wollen, denn so rennt es sich schneller Richtung Goldener Westen. Und nachdem nun alle Deutschen sich in den Armen liegen, dürfen sie die ostdeutschen Schandtaten, von wegen 22 Grad minus, gesamtdeutsch auch einmal erleben, wenn demnächst nicht nur die Heizung ausfällt. Das nenne ich ausgleichende Gerechtigkeit.

Und was die "aufgedampften Briefe" angeht: Weißt du eigentlich, dass die Amis den Deutschen Anfang der siebziger Jahre befohlen haben, sämtliche Post aus der DDR "aufzudampfen"? Dass die DDR erst dann ebenfalls zu dieser Ami-Spezialität gegriffen hat, haben sie euch sicher nicht erzählt. Tja, traurig isses, mehr als das. Und was meinst du, was heute geschieht bei der gesamtdeutschen Post? Erklärungen erübrigen sich wohl. Und was meinst du, was uns, den Gesamtdeutschen, nun alles angetan wird? Noch nichts gemerkt? Du Glückliche.

Natürlich ist für uns Ostdeutsche, seit wir endlich echte Deutsche geworden sind, auch nicht alles schlecht. Die Adidas-Schuhe sollen ja ganz erträglich sein, solange bis man Käsebeene gekriegt hat. Möglich, dass die Weimarer das festgestellt haben und euch nun ihre Undankbarkeit zeigen wollen. Ja, die ostdeutsche Psyche - unerklärlich wie das Weltall vor Einstein.

Aber zum Text: Du meinst, dein Text lebe von Spannungen? Und wir sollen uns auf die Suche begeben und das finden, was wir möchten? Nun, ich habe es gefunden, aber ich habe gar nicht lange suchen müssen, der Text schrie mich ja geradezu an. Die westdeutsche Psyche in Reinkultur. Man möchte mit Tucholsky fragen: Merkt ihr denn nischt?

Nun mache ich den Westdeutschen keinen Vorwurf, dass sie so sind, wie sie sind. Auch wir Ostdeutschen sind so, wie wir sind. Doch wir haben den Westdeutschen etwas voraus: Wir können denken. Was wir wollen. Und wir wollen eine ganze Menge. Jedenfalls ein großer Teil, und der Teil wird immer größer. Bis der Staatsschutz damang geht und wir die Schwänze einziehen - ein Zeichen, dass auch Ostdeutsche echte Deutsche sind.

Ja, bitter ist das Leben. Aber so ist es, das gesamtdeutsche Leben. Nimms leicht.

Liebe Grüße, Hanna
Viele Dank, liebe Hanna.

Für mich gibt es heute ein Deutschland und ich liebe alle Deutschen.
Es wuchs wieder zusammen, was immer zusammen gehörte.
An temporäre Konstrukte, die aus der Not geboren waren,
denke ich nicht mehr zurück.

Liebe Grüße
Hera
 



 
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