Der alte Mann lebte sein Leben lang in unserem Dorf. Die Dorfbewohner erzählten sich immer die wunderlichsten Dinge über den alten Bratt. Millionär sei er, aber zu geizig seine dritten Zähne ständig zu tragen.
„Die ziehe ich nur zu besonderen Anlässen an“, soll er gesagt haben.
„Seine Millionen hat er zu Hause unterm Bett liegen. Er vertraut keiner Bank“, munkelten die Dorfler, die nicht begreifen konnten, dass so ein reicher Mann sich nichts gönnte. Der alte Bratt ging am Stock. Gebeugt von den Jahren auf den Feldern. Im Laufe der Zeit konnte er ohne aufzublicken nicht mehr erkennen, wer ihm gegenüber stand. Seine Füße waren ihm Nadir und Zenit. Den Blickwinkel seiner Welt bildete das Fenster, an dem er stundenlang stand und aus dem er von innen nach außen sah. Ungenormt hatte er sich eine eigene Sicht der Dinge erworben und bewahrt.
Mit der Zeit kamen wir uns näher. Aus einem anfänglichem „Hallo“ entwickelten sich zuerst kurze, später längere Gespräche. Zeit war sein Lieblingsthema.
„Schau dir nur diese Ameisen an. Wie sie hetzen und hasten. Sie haben ihre Zeit verloren und versuchen ständig eine neue Zeit zu erfinden. In meiner Jugend war die Zeit gleichfließend. Heute versucht jeder Zeit zu gewinnen. So ein Unsinn. Zeit kann man nur leben oder verlieren. Und die heutige Zeit verliert sich in ihrer Schnelllebigkeit. Es gibt keine Momente mehr. Für nichts mehr. Eine nervöse, unzufriedene Herde von Hammeln. Zeitgeist nennen sie das. Dabei hat die Zeit schon längst ihren Geist aufgegeben. Zum Glück bin ich alt und in mir lebt noch die Langsamkeit der Zeit. Sag mir eins! Ist das Leben tatsächlich ein Fluß?“
„Ja! Kann man so sagen. Das Leben ist ein Fluss von der Quelle bis zur Mündung.“
„So ein Quatsch! Wahres Leben entspringt an der Mündung. Langsam, entgegen dem Zeitenfluss musst du schwimmen. Den Strömungen entgegen. Was bringt es, sich mit Ihnen treiben zu lassen? Treibholz! Ohne Tiefe. Immer schön an der Oberfläche. Nein! Langsam! Gegen den Strom. Bis zur Quelle. Dort angekommen hast du den Ursprung des Meeres gefunden. Und vielleicht noch viel mehr.
Am Ende seiner Zeitreisen setzte er immer sein schiefes Lächeln auf, und beim Anblick seiner Zähne (an denen schon lange der Zahn der Zeit nagte) dachte ich mir immer:
„Heute wäre ein guter Tag für die Dritten gewesen.“
Letzte Woche bist du gestorben. Mein Blick hängt an deinem Fenster. Daran wird sich wohl nichts ändern.
Zeitlos!
„Die ziehe ich nur zu besonderen Anlässen an“, soll er gesagt haben.
„Seine Millionen hat er zu Hause unterm Bett liegen. Er vertraut keiner Bank“, munkelten die Dorfler, die nicht begreifen konnten, dass so ein reicher Mann sich nichts gönnte. Der alte Bratt ging am Stock. Gebeugt von den Jahren auf den Feldern. Im Laufe der Zeit konnte er ohne aufzublicken nicht mehr erkennen, wer ihm gegenüber stand. Seine Füße waren ihm Nadir und Zenit. Den Blickwinkel seiner Welt bildete das Fenster, an dem er stundenlang stand und aus dem er von innen nach außen sah. Ungenormt hatte er sich eine eigene Sicht der Dinge erworben und bewahrt.
Mit der Zeit kamen wir uns näher. Aus einem anfänglichem „Hallo“ entwickelten sich zuerst kurze, später längere Gespräche. Zeit war sein Lieblingsthema.
„Schau dir nur diese Ameisen an. Wie sie hetzen und hasten. Sie haben ihre Zeit verloren und versuchen ständig eine neue Zeit zu erfinden. In meiner Jugend war die Zeit gleichfließend. Heute versucht jeder Zeit zu gewinnen. So ein Unsinn. Zeit kann man nur leben oder verlieren. Und die heutige Zeit verliert sich in ihrer Schnelllebigkeit. Es gibt keine Momente mehr. Für nichts mehr. Eine nervöse, unzufriedene Herde von Hammeln. Zeitgeist nennen sie das. Dabei hat die Zeit schon längst ihren Geist aufgegeben. Zum Glück bin ich alt und in mir lebt noch die Langsamkeit der Zeit. Sag mir eins! Ist das Leben tatsächlich ein Fluß?“
„Ja! Kann man so sagen. Das Leben ist ein Fluss von der Quelle bis zur Mündung.“
„So ein Quatsch! Wahres Leben entspringt an der Mündung. Langsam, entgegen dem Zeitenfluss musst du schwimmen. Den Strömungen entgegen. Was bringt es, sich mit Ihnen treiben zu lassen? Treibholz! Ohne Tiefe. Immer schön an der Oberfläche. Nein! Langsam! Gegen den Strom. Bis zur Quelle. Dort angekommen hast du den Ursprung des Meeres gefunden. Und vielleicht noch viel mehr.
Am Ende seiner Zeitreisen setzte er immer sein schiefes Lächeln auf, und beim Anblick seiner Zähne (an denen schon lange der Zahn der Zeit nagte) dachte ich mir immer:
„Heute wäre ein guter Tag für die Dritten gewesen.“
Letzte Woche bist du gestorben. Mein Blick hängt an deinem Fenster. Daran wird sich wohl nichts ändern.
Zeitlos!