Der alte Kraftfahrer
Da steh ich nun auf einem Industrieparkplatz in Wiesbaden-Biebrich, hab die Beine hochgelegt, mache Feierabend und dann läuft so ein alter Kraftfahrer mit seinen Lieferpapieren in der Hand vorbei. ,Mensch’ denk ich ,der ist doch bestimmt schon 65, sieht jedenfalls so aus. Und wie krumm der geht.’
Ich sehe ihm schräg von hinten nach. Mit seinem Sitzbuckel und den dürren Säbelbeinen in kurzen Hosen könnte er, mal abgesehen von dem namensgebenden Körperteil, den perfekten Zwerg Nase von Wilhelm Hauff geben. Aber plötzlich erkenne ich es.
Den haben die alten Lkw der fünfziger und sechziger Jahre geformt.
Servolenkung war ein Fremdwort, Mensch hat der ein Kreuz.
Seine ausgreifende Armhaltung- als ob ihm gerade das Enkelkind entgegen rennt- daran sind die riesigen Lenkräder schuld, die man mit beiden Händen möglichst ganz außen greifen musste, um den Lastzug auf den holprigen Straßen sicher durch alle Kurven zu kriegen. Das schleppt der nun ein Leben lang mit sich herum.
Der rechte Fuß steht ein wenig nach außen und der Mann schiebt ebendieses Bein beim Laufen etwas vor. Zwischengas war das Zauberwort, wenn so ein unsynchronisiertes Getriebe lange halten sollte. Richtige Drehzahl abpassen, Kupplung, Leerlauf, Zwischengas, richtige Drehzahl, Kupplung, neuer Gang rein.
Kupplung konnte man auch weglassen, wenn man sein Fahrzeug kannte.
Nicht wie heute: Vollgas, Klick, Klick, denn Rest macht der Daumen.
Die Schalthebel waren auch nicht die Kürzesten, das bedeutete lange Schaltwege und dann durchs Gebirge, da kommt man schon ins Schwitzen.
Klimaanlage? Na klar, Fenster auf, frische Luft rein !
Bei offenem Fenster hörte man auch, was der Motor erzählt. Die Alpen hoch wird er wohl mächtig gebrüllt haben mit seinen vielleicht zweihundertfünfzig PS.
,Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr!’
,Ja doch’ quetschte der Fahrer dann durch die zusammengepressten Lippen ,wir sind ja gleich oben. Ich kann die letzte Kurve schon sehen.’
Und dann die langen Ebenen hinab. Der Wagen summte fröhlich vor sich hin und die kleinen Lampen an den Peilstäben vorn auf dem Kotflügel schauten munter in alle Richtungen, wollten ja auch was sehen von dem fremden Land.
Er hat sicher viel Motorengebrüll gehört, der alte Kraftfahrer, da resigniert so ein Ohr schon Mal. Jetzt hält er sich die gekrümmte linke Hand ans linke Ohr, um den Mann vom Wachschutz besser zu verstehen. Sein runder Rücken lässt ihn auf diese Entfernung demütig erscheinen, aber es sind die ungefederten Sitze, die ihm dieses Paket zwischen die Schultern gepackt haben.
Jetzt kommt er zurückgelaufen. Zäh sieht er aus, wie einer der sich durchbeißt.
’Ne Fuhre Fliesen in Italien bei kleinen Dorfklitschen einzusammeln war sicher kein Pappenstiel. Gabelstapler? Hustekuchen!
Kette bilden und aufstapeln. Da gehen sie hin die Kalorien aus Mammas Pasta-Küche im „La Strada“ gestern abend.
,Watt die och alle uff eenmal mitte Fliesen ham in Deutschland. Hulz iss doch ooch janz schön, hamwa doch jenuch von in Deutschland, Bayern, Schwarzwald und so weiter. Sind de Touren ooch nich so weit, biste wenichstens Wochenende zu hause.’wird er vielleicht gedacht haben.
,Aba so, alle vierzehn Tage, wenn’s klappt.’
Und dann entglitt ihm so langsam das ganze Familienleben, rauschte einfach an ihm vorbei, mit Vollgas sozusagen.
Erste Scheidung, zweiter Anfang.
Mal im Nahverkehr versucht, dann wieder raus auf die Bahn.
Neue Firma, neue Aufträge.
Ostblock hieß es nun. Tschechei, Polen, Ungarn, Rumänien (,janz armet Land, pack ma wat Süßet ein, Mutta, für die Kinda anne Straße’) bis nach Russland rein gingen die Fahrten. Von wegen Fratze des Kommunismus, nette Leute gab es überall und die Zöllner sind auch überall gleich bescheuert. Endlich reichte auch das Spesengeld, musste er nicht an den Lohn ran. Davon blieb ja eh nicht viel: Unterhalt für die Geschiedene, Alimente für zwei Kinder, Raten für’s Auto, dass er eigentlich gar nicht braucht. Aber seine Neue, die Helga, die verdiente auch eigenes Geld, langsam dachten sie an ein kleines Häuschen.
Ungefähr fünf Meter vor meinem Lkw strähnt er sich mit den gespreizten Fingern der linken Hand Haare aus dem Gesicht wo keine mehr sind. Sein ansonsten noch voller Schopf lässt über der linken Stirn in Form einer ausgeprägten Geheimratsecke viel sonnengebräunte Kopfhaut sehen. Ein paar vereinzelte Federn vom ehemals blonden Haar wuseln da noch herum. Diesen breiten Scheitel hat der Wind gezogen, der Wind aus ganz Europa und von Werweißwoher.
Seine Mundwinkel sind sehr ausgeprägt und die Augen tief in einem Gewirr kleiner Fältchen versteckt. Man sieht, dass er gern und viel gelacht hat in seinem Leben und das Kneistern der Augen, wenn die Sonne sich in der langgestreckten Motorhaube vor ihm spiegelte, mag auch seinen Teil beigetragen haben.
Man sieht auch, dass er mit sich selbst im Reinen ist. ,Genussfähig’ ist das Wort, das ich gesucht habe.
Er weiß mit Sicherheit einen guten Wein von einem Schlechten zu unterscheiden und einen gelungenen Lammbraten von einem Versauten.
,Junge’ denk ich so zu mir selber als der alte Kraftfahrer vorbei ist ; so’n harter Knochen willste auch mal werden. Sind ja bloß noch siebenundzwanzig Jahre (heilige Scheiße, so lange noch?) bis zur Rente. Ist zwar nicht geplant, bis zum Schluß auf dem Bock zu sitzen, aber wenn der Lottogewinn nicht bald kommt, wird’s wohl darauf hinauslaufen. Bloß so krumm, det willste nicht werden. Nicht vom vielen Sitzen wie er ebend und auch sonst nicht. Krumm wirste dich nie für jemand machen, außer vielleicht zu hause im Bette. Und jetzt wird geschlafen, um Mitternacht geht’s weiter und morgen ist Sonnabend, da gibt’s Frühstück zu hause.’
Da steh ich nun auf einem Industrieparkplatz in Wiesbaden-Biebrich, hab die Beine hochgelegt, mache Feierabend und dann läuft so ein alter Kraftfahrer mit seinen Lieferpapieren in der Hand vorbei. ,Mensch’ denk ich ,der ist doch bestimmt schon 65, sieht jedenfalls so aus. Und wie krumm der geht.’
Ich sehe ihm schräg von hinten nach. Mit seinem Sitzbuckel und den dürren Säbelbeinen in kurzen Hosen könnte er, mal abgesehen von dem namensgebenden Körperteil, den perfekten Zwerg Nase von Wilhelm Hauff geben. Aber plötzlich erkenne ich es.
Den haben die alten Lkw der fünfziger und sechziger Jahre geformt.
Servolenkung war ein Fremdwort, Mensch hat der ein Kreuz.
Seine ausgreifende Armhaltung- als ob ihm gerade das Enkelkind entgegen rennt- daran sind die riesigen Lenkräder schuld, die man mit beiden Händen möglichst ganz außen greifen musste, um den Lastzug auf den holprigen Straßen sicher durch alle Kurven zu kriegen. Das schleppt der nun ein Leben lang mit sich herum.
Der rechte Fuß steht ein wenig nach außen und der Mann schiebt ebendieses Bein beim Laufen etwas vor. Zwischengas war das Zauberwort, wenn so ein unsynchronisiertes Getriebe lange halten sollte. Richtige Drehzahl abpassen, Kupplung, Leerlauf, Zwischengas, richtige Drehzahl, Kupplung, neuer Gang rein.
Kupplung konnte man auch weglassen, wenn man sein Fahrzeug kannte.
Nicht wie heute: Vollgas, Klick, Klick, denn Rest macht der Daumen.
Die Schalthebel waren auch nicht die Kürzesten, das bedeutete lange Schaltwege und dann durchs Gebirge, da kommt man schon ins Schwitzen.
Klimaanlage? Na klar, Fenster auf, frische Luft rein !
Bei offenem Fenster hörte man auch, was der Motor erzählt. Die Alpen hoch wird er wohl mächtig gebrüllt haben mit seinen vielleicht zweihundertfünfzig PS.
,Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr!’
,Ja doch’ quetschte der Fahrer dann durch die zusammengepressten Lippen ,wir sind ja gleich oben. Ich kann die letzte Kurve schon sehen.’
Und dann die langen Ebenen hinab. Der Wagen summte fröhlich vor sich hin und die kleinen Lampen an den Peilstäben vorn auf dem Kotflügel schauten munter in alle Richtungen, wollten ja auch was sehen von dem fremden Land.
Er hat sicher viel Motorengebrüll gehört, der alte Kraftfahrer, da resigniert so ein Ohr schon Mal. Jetzt hält er sich die gekrümmte linke Hand ans linke Ohr, um den Mann vom Wachschutz besser zu verstehen. Sein runder Rücken lässt ihn auf diese Entfernung demütig erscheinen, aber es sind die ungefederten Sitze, die ihm dieses Paket zwischen die Schultern gepackt haben.
Jetzt kommt er zurückgelaufen. Zäh sieht er aus, wie einer der sich durchbeißt.
’Ne Fuhre Fliesen in Italien bei kleinen Dorfklitschen einzusammeln war sicher kein Pappenstiel. Gabelstapler? Hustekuchen!
Kette bilden und aufstapeln. Da gehen sie hin die Kalorien aus Mammas Pasta-Küche im „La Strada“ gestern abend.
,Watt die och alle uff eenmal mitte Fliesen ham in Deutschland. Hulz iss doch ooch janz schön, hamwa doch jenuch von in Deutschland, Bayern, Schwarzwald und so weiter. Sind de Touren ooch nich so weit, biste wenichstens Wochenende zu hause.’wird er vielleicht gedacht haben.
,Aba so, alle vierzehn Tage, wenn’s klappt.’
Und dann entglitt ihm so langsam das ganze Familienleben, rauschte einfach an ihm vorbei, mit Vollgas sozusagen.
Erste Scheidung, zweiter Anfang.
Mal im Nahverkehr versucht, dann wieder raus auf die Bahn.
Neue Firma, neue Aufträge.
Ostblock hieß es nun. Tschechei, Polen, Ungarn, Rumänien (,janz armet Land, pack ma wat Süßet ein, Mutta, für die Kinda anne Straße’) bis nach Russland rein gingen die Fahrten. Von wegen Fratze des Kommunismus, nette Leute gab es überall und die Zöllner sind auch überall gleich bescheuert. Endlich reichte auch das Spesengeld, musste er nicht an den Lohn ran. Davon blieb ja eh nicht viel: Unterhalt für die Geschiedene, Alimente für zwei Kinder, Raten für’s Auto, dass er eigentlich gar nicht braucht. Aber seine Neue, die Helga, die verdiente auch eigenes Geld, langsam dachten sie an ein kleines Häuschen.
Ungefähr fünf Meter vor meinem Lkw strähnt er sich mit den gespreizten Fingern der linken Hand Haare aus dem Gesicht wo keine mehr sind. Sein ansonsten noch voller Schopf lässt über der linken Stirn in Form einer ausgeprägten Geheimratsecke viel sonnengebräunte Kopfhaut sehen. Ein paar vereinzelte Federn vom ehemals blonden Haar wuseln da noch herum. Diesen breiten Scheitel hat der Wind gezogen, der Wind aus ganz Europa und von Werweißwoher.
Seine Mundwinkel sind sehr ausgeprägt und die Augen tief in einem Gewirr kleiner Fältchen versteckt. Man sieht, dass er gern und viel gelacht hat in seinem Leben und das Kneistern der Augen, wenn die Sonne sich in der langgestreckten Motorhaube vor ihm spiegelte, mag auch seinen Teil beigetragen haben.
Man sieht auch, dass er mit sich selbst im Reinen ist. ,Genussfähig’ ist das Wort, das ich gesucht habe.
Er weiß mit Sicherheit einen guten Wein von einem Schlechten zu unterscheiden und einen gelungenen Lammbraten von einem Versauten.
,Junge’ denk ich so zu mir selber als der alte Kraftfahrer vorbei ist ; so’n harter Knochen willste auch mal werden. Sind ja bloß noch siebenundzwanzig Jahre (heilige Scheiße, so lange noch?) bis zur Rente. Ist zwar nicht geplant, bis zum Schluß auf dem Bock zu sitzen, aber wenn der Lottogewinn nicht bald kommt, wird’s wohl darauf hinauslaufen. Bloß so krumm, det willste nicht werden. Nicht vom vielen Sitzen wie er ebend und auch sonst nicht. Krumm wirste dich nie für jemand machen, außer vielleicht zu hause im Bette. Und jetzt wird geschlafen, um Mitternacht geht’s weiter und morgen ist Sonnabend, da gibt’s Frühstück zu hause.’