Der alte Mann im Eiscafe

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Ich zündete eine Zigarette an und steckte sie mit der Glut voran in meine Nase. Ein Ritual, das mir über die Jahre vertraut geworden war – zugleich eine Form der Körperpflege und ein Akt des Genusses Es war eine Methode, die ich perfektioniert hatte, eine Gewohnheit, die sich nahtlos in mein Leben eingefügt hatte, dass ich sie nicht mehr hinterfragte.

. Andere pflegten ihre Nasenhaare mühsam mit Pinzetten oder Trimmern. Ich hingegen kombinierte Rauchen mit Hygiene, Genuss mit Praktikabilität.

Natürlich gab es Unannehmlichkeiten. Die gelegentlichen Verbrennungen etwa. Doch war nicht jedes große Konzept mit gewissen Opfern verbunden? Fortschritt verlangte Einsatz. Die Natur hatte mir Nasenhaare geschenkt, Was war Evolution schon anderes als ein Vorschlag, den man höflich ablehnen konnte?
Die Idee Genussmittel mit lästigen Handlungen der Körperhygiene zu verbinden inspirierte m ich. Ich probierte allerlei Kombinationen aus. Während ich mich rasierte hörte ich Musik und während ich Sex hatte, schnitt ich meine Nägel und wenn ich cannabis rauchte, legte ich mich diszipliniert in die Badewanne.

Doch eines Tages sollte meine Philosophie einer Prüfung unterzogen werden.
Ich saß im Raucherbereich eines Eiscafes und nahm meine Zigarette ins Visier. Aus irgendeinem Grund hatte ich es mir angewöhnt , über anscheinende Belanglosigkeiten nachzudenken. Was ist eigentlich ein Punkt dachte ich bei mir, als sich ein alter,dürrer Herr neben mich setzte aus seinen Augen sprach eine ansprechende Mischung aus Müdigkeit und Aufrichtigkeit. "Ich habe in den letzten 30 Jahren noch nie gesehen, dass sich jemand freiwillig die Nase flambiert. " Ich lächelte überlegen "Es ist eine Frage der Effizienz " erklärte ich.

„Interessant,“ sagte er, ohne mich anzusehen.

„Danke,“ erwiderte ich höflich.

„Du wiederholst eine Handlung, bis sie keinen Ursprung mehr hat.“

Ich nahm einen tiefen Zug, um weiser zu wirken. „Ich habe mich entschieden, sie zu wiederholen.“

„Hast du das?“ Er sah mich jetzt direkt an. „Oder hat sie sich entschieden, von dir wiederholt zu werden?“

Ich spürte eine unangenehme philosophische Falle im Raum.

„Ich kontrolliere meine Handlungen,“ sagte ich vorsichtig.

„Kontrolle?“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Dann hör auf.“

Ich hielt inne. Sah meine Zigarette an. Die Glut war perfekt. Ein kleines, brennendes Monument meiner Entscheidungen.

„Warum sollte ich?“ fragte ich schließlich.

„Weil du es kannst.“

„Aber ich will nicht.“

„Aha.“ Er lehnte sich zurück und streckte sich, als hätte er gerade einen herausragenden Schachzug gemacht.
Dann fragte er weiter: , „und wenn du eine Wahl hast, aber sie nicht nutzt, hast du dann wirklich eine Wahl?“.

Ich spürte, wie sich meine Stirn in Falten legte.

„Natürlich habe ich eine Wahl. Ich entscheide mich aktiv dafür, weiterzumachen.“

„Nein.“ Er nahm einen Zug von seiner eigenen Zigarette. „Du machst weiter, weil du nicht aufgehört hast.“
.

„Sag mir,“ fuhr er fort, „wenn du nicht mehr rauchst, wenn du dein Ritual brichst – was bleibt dann übrig?“

Ich wollte „Ich“ sagen. Ich wusste, dass das die richtige Antwort war. Und doch kam sie nicht heraus.

Er nickte langsam. „Genau das meine ich.“



Ich sah auf meine Zigarette. Die Glut war noch da.

Ich nahm einen Zug.

Es schmeckte ganz gut.

Aber irgendwie fühlte es sich nicht mehr ganz so sicher an.
 
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