Der Anfang

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Somo

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Immer dieses eiskalte Gefühl im ganzen Körper. Das war das Schlimmste an der ganzen Geschichte und Topirol vermied die Sprünge so gut es ging.
Und er hätte sich auch kaum dazu bewegen lassen können, hätte nicht Luzifo selbst verlangt, seinen Bericht zu hören; nach siebzehn Jahren das erste Mal. Dann erhielt er gleich eine neue Aufgabe, eine sehr unangenehme.
Daher war er schon nach kurzer Zeit wieder zurück geschickt worden, obwohl er gerne noch länger geblieben wäre um sich mit Seinesgleichen auszutauschen und einfach mal wieder eine Runde zu fliegen.
Stattdessen musste er sich in Gedanken bereits einen Plan zurechtlegen, obwohl es nicht das erste Mal sein würde.
Doch jede „Abholung“, wie es genannt wurde, war etwas Neues.

Aber noch lag er bewegungslos auf diesem kalten metallenen Tisch und wartete ungeduldig darauf, dass der verfluchte Körper endlich warm wurde und er ohne Schmerzen atmen konnte.
Auch waren seine menschlichen Sinne noch etwas durcheinander, als er hörte, dass eine Tür geöffnet wurde und in dem leeren Raum an den gefliesten Wänden die Schritte von Stöckelschuhen ungewöhnlich laut widerhallten. Ein vertrautes Brillengesicht beugte sich über ihn. Er war nicht unbedingt erfreut über das Wiedersehen und das leicht sadistische Grinsen auf dem Gesicht der Pathologin Gwyn Furgison, oder für Topirol: Fleilin.
Sie war gerade in einem Zwischenleben und einer seiner Schützlinge. Doch da sie bereits stark auf die vierzig zuging, hatte sie eine sehr geringe Priorität. Die Mindestzeit war um, doch anscheinend gefiel ihr die Aufgabe hier, nämlich eine der so genannten Sprungstationen zu verwalten, so gut, dass sie sogar das Menschsein ertrug.
Wenn er genau überlegte war sie in reiner Gestalt auch nicht sonderlich nützlich. Schmetterlingzart und kombiniert aus zu vielen Niederen war ihre Seele, inklusive dem Mensch; schön anzusehen, doch weder stark noch schlau, doch ungefährlich was Verräterei oder sonstiges betraf..
Aber im Grunde war es Topirol gleich, solange er sie nicht allzu oft ertragen musste.

„Na, gute Reise gehabt?“, fragte sie nun spöttisch und reichte ihm den Becher mit der ekelhaften, doch notwendigen Flüssigkeit. Er stürzte sie in einem Zug hinunter, nachdem er sich vorsichtig auf die Ellenbogen gestützt hatte, und verzog dann angewidert das Gesicht.
„Hätte nicht besser sein können“, brachte er mit krächzender Stimme hervor und fühlte endlich ein wenig Wärme in sich aufsteigen.
„Wie viel Zeit ist hier vergangen? So lang kann ich doch nicht weg gewesen sein“, meinte er stirnrunzelnd, als er die steifen Glieder bewegte.
„Du warst sechs Stunden weg, mein Lieber“, bemerkte Fleilin, „da wird halt das ein oder andere etwas…ungelenk.“ Sie grinste wieder, zog ihn aber hilfsbereit in die waagerechte.
„Und was wirst du jetzt tun? Was wollte Luzifo?“, fragte sie.
Er schaute skeptisch zu ihr auf.
„Warum willst du das wissen? Das geht dich nichts an!“, meinte er und stand etwas unbeholfen auf. Sie war einfach zu neugierig. Doch zum Glück hatte er seine Klamotten anbehalten und so hielt ihn hier nichts mehr.
„Gib mir meinen Vorrat für…sagen wir drei Tage und dann bin ich gleich weg.“
Sie schürzte die dunkelroten Lippen und rückte die Brille zurecht.
„Na schön. Aber an deiner Stelle würde ich vorher noch mal in den Spiegel schauen, damit du dich nicht wunderst wenn die Leute schreiend vor dir weglaufen!“, gab sie beleidigt zurück und ging.
Er seufzte. Frauen. Er war noch nie weiblich gewesen.
Sein menschliches Aussehen war ihm eigentlich ziemlich egal. Für ihn sah jeder Mensch schlimm aus und meistens hielt er sich abseits von belebten Straßen sofern er nicht jemanden verfolgte.
Doch heute würde er wohl noch unter Leute gehen und da wollte er nicht auffallen, was ihm im Normalzustand eigentlich immer gelang. Heimlichkeit lag ihm im Blut könnte man sagen.

Nachdem sein Körper also wieder halbwegs beweglich war, ging er in den anliegenden Raum, wo Fleilin etwas von der ekelhaften Flüssigkeit für ihn in eine Flasche abfüllte.
Es war ein kleines Hinterzimmer des Kühlraums eines Leichenhauses. Auf dem Tisch, auf dem er gelegen hatte wurden ab und zu auch Obduktionen vorgenommen. Doch vorwiegend benutzte man ihn für die Sprünge, wenn die Luft rein war. Und wie viele Menschen verirrten sich schon in ein Leichenhaus?
In diesem wurden ungefähr zwanzig Körper für Sprünge aufbewahrt, vorzugsweise die ursprünglichen, der Gewöhnung wegen, und mit ein paar geheimen Kniffen konserviert.
Und in eben diesem Hinterzimmer, wo lauter Papiere auf Tischen und Kommoden verstreut lagen, ganz nach Fleilins Ordnungssinn, und die Wände so kotzgrün gestrichen waren wie es eben ging, hing auch eine schlichte Spiegelfliese über dem mickrigen Waschbecken.
Topirol ging hinüber und wusch sich die Hände, um Fleilin möglichst nicht zu zeigen, dass er ihren Rat annahm. Doch tatsächlich warf er währenddessen immer wieder verstohlene Blicke auf sein Spiegelbild.
Dann schauten ihn ein Paar wache, fast schwarze Augen an, ähnlich denen einer Krähe blickten sie und waren durch seine seelische Kraft auch ähnlich scharf. Dazu passten die dunklen schulterlangen Haare und die Hakennase. Sehr mager schien er jetzt und seine Haut papierdünn. Die Augenringe erinnerten an eine Woche ohne Schlaf oder einen schwer Kranken - oder eben an einen Toten.
Also wusch er sich auch das Gesicht um die Durchblutung zu fördern und kämmte mit nassen Fingern das widerspenstige Haare zurück.
Dann drehte er sich zu der Frau im schmutzigweißen Kittel um.
„Fertig?“, fragte er.
„Steht auf dem Tisch“, meinte sie kühl und fischte beschäftigt in einem Haufen Papiere herum.
Er kümmerte sich nicht darum, nahm die unscheinbare Flasche und war schon im Kühlraum bevor sie ihm noch einen beleidigten Blick zuwerfen konnte.
Mit großen Schritten ging er an den silbernen Fächern vorbei. Der Geruch des Todes hing in der Luft und da dieser Körper gerade erst wieder ins Leben zurückgekehrt war, fürchtete er sich davor. Und so steuerte Topirol ihn schnellstmöglich ins Freie, wo ihm die verhasste, verpestete Stadtluft entgegenströmte. Seine Stimmung verschlechterte sich beim Gedanken an seinen Auftrag.

Drei Straßen weiter, auf einem recht belebten Boulevard, kaufte er sich einen Hotdog mit Senf und machte sich anschließend auf den Weg quer durch die Stadt zu einem kleinen Vorort.
Es war ein diesiger, aber warmer Tag im August und der Nachmittag war schon fortgeschritten als er sein Ziel erreichte.
Große alte Eichen säumten die schläfrig ruhige Straße, sodass ihm eine gewisse Deckung gegeben war, als er, wie schon so oft, von der andren Straßenseite zu dem Haus einer Durchschnittsfamilie herüber sah; und doch wohnte dort ein ganz außergewöhnliches Mädchen. Aber auch aus einem anderen Grund schaute er ab und zu hier oder im nahe gelegenen Park vorbei.
Er wusste, er konnte nicht allzu lange hier stehen, denn ab und zu spähte ein altes Klatschweib durch ihre Gardinen auf die Straße.
Doch er hatte Glück. Da kamen sie gerade aus der Tür: Eine Frau Mitte dreißig, goldblonde Kurzhaarfrisur, mit einem leichten Rucksack auf dem Rücken. Gleich dahinter ein etwas älterer Mann, schon mit grau melierten Strähnen, doch er hüpfte mit Leichtigkeit die wenigen Eingangsstufen hinunter und hob mit einem Knopfdruck die Zentralverriegelung ihres silbernen Kombis auf.
Während die Frau schon einstieg ging er noch einmal zurück und kam schließlich mit einem struppigen Mischling an der Leine wieder heraus, gefolgt von einem Mädchen von ungefähr siebzehn Jahren, mit braunen langen Haaren, recht missmutig dreinblickend. Der Vater lachte, sagte etwas und legte ihr den Arm um die Schultern, doch auch davon schien sie sich offenbar nicht aufmuntern zu lassen.
Als nun alle eingestiegen waren, setzte der Kombi rückwärts aus der Einfahrt und fuhr dann in Richtung Stadtende.
Die Blätter über seinem Kopf rauschten schon herbstlich, als Topirol ein kleines Gerät aus der Tasche seines grauen Mantels zog und einen grünen Knopf drückte. Sogleich ertönte ein Piepton und ein bläuliches Flimmern auf einem schwarzen kleinen Bildschirm verriet ihm die Richtung, in die das Auto fuhr.
Er hatte es eigentlich nicht eilig und wenn sie wirklich aufs Land fuhren konnte er ihnen kaum schnell genug folgen, doch er hatte so eine Ahnung, dass ihr Ziel nicht allzu weit entfernt lag.
An der nächsten Hauptstraße stieg er unbemerkt in den Bus zum Naherholungsgebiet und blickte ab und zu mit einem Lächeln auf sein Gerät, denn er hatte Recht gehabt.
Niemand hier schien ihn wahrzunehmen. Er stand dicht bei der Tür, doch an einem Fleckchen, das kaum betreten wurde und konzentrierte sich. Ein älterer Herr, der zwei Reihen dahinter saß, wunderte sich über den dunklen Schatten dort, doch wurden seine Gedanken in diese Richtung abgelenkt, sodass es ihm bald egal war.

Eine halbe Stunde später stieg Topirol aus und stand auf einem Parkplatz, der zu einem größeren Waldstück gehörte. Erneut schaute er auf das Gerät und entdeckte nun zwei blaue deutliche Punkte, die sich dicht beieinander nach Norden entfernten.
Also konnten sie noch nicht weit weg sein. Vielleicht hatten sie vorher noch einen Kaffee in dem kleinen Restaurant getrunken, dachte er, als er an dem altertümlich wirkenden Fachwerkhaus vorbeiging und in den Waldweg dahinter einbog.
Schnellen Schrittes folgte er der Familie, suchte ab und zu Deckung im seitlichen Gehölz, doch waren nur wenige Leute unterwegs.
Der Wald wurde immer dichter und die Laubbäume wichen dichtem Nadelwald. Vogelrufe hallten durch die angenehm kühle Luft.
Es war ein schönes Fleckchen Natur, fand Topirol, und erlaubte es sich vom Weg abzugehen und ein Stück querfeldein zu wandern. Schön dunkel war es dort und er wünschte sich, einmal hindurch fliegen zu können.
Dann hörte er plötzlich ein lautes Rascheln vor sich und blieb abrupt stehen. Durch die Zweige sah er Licht schimmern, wohl eine Lichtung oder Schneise. Es war, als ob ihn das Geräusch aus einer Art Trance zurückgeholt hatte, denn er hatte keine Ahnung wie weit er tatsächlich gegangen war. Noch einmal spähte er nach vorne, konnte aber nichts sehen und so zog er wieder sein Gerät zu Rate. Und mit einem Lächeln steckte er es weg und trat auf die Lichtung. Sie war nicht sehr groß, er hätte sie wohl mit acht großen Schritten überqueren können. Es standen hauptsächlich Buschgruppen und hohe trockene Gräser in der Umgebung.
„Na, wo bist du denn?“, fragte er leise und reckte den Hals über das dichte Gestrüpp aus dem das Rascheln kam. Mehr Glück konnte er eigentlich nicht mehr erwarten. Es würde nun keine vier Tage dauern.
Und dann, plötzlich, sprang ein Hund hervor, struppiges braun weißes Fell. Der kurze Schwanz ruderte in der Luft herum und du Ohren zuckten vor Freude, als der kleine Mischling an seinem Freund hochsprang.
Er bückte sich und kraulte ihn kurz. Doch dann wurde seine Miene ernster. Nachdem er sich versichert hatte, dass sie wirklich alleine waren, begann von seinem Auftrag zu erzählen, im Geiste. Lange saßen sie sich gegenüber und rührten sich nicht.
 

flammarion

Foren-Redakteur
hm,

fängt spannend an.
gehe ich recht in der annahme, dass er sich am ende mit einem hund unterhält?
üprinx - ne Hackennase hat man am fuß. was du meinst, ist ne Hakennase. (an der stelle, wo dein prot in den spiegel schaut)
lg
 

Somo

Mitglied
oh stimmt, danke, das war ein dummer Denk-Tipp-Fehler
und auch danke das du dir das durchgelesen hast:)
mit dem hund liegst du richtig, es ist der selbe, der mit der familie aus dem haus gekommen ist. vllt sollte ich ihn etwas näher beschreiben, wenn das nicht deutlich ist.
 

Felix

Mitglied
Hi Somo

Schöner, gut geschriebener, Anfang, der bestimmt die Basis zu einer guten Geschichte ist.
Würde da wirklich gerne mehr lesen.
Im übrigen gefällt mir auch der Titel.
 

Somo

Mitglied
hallo Felix,

erstmal danke:)

zum titel ist vllt zu sagen...eigentlich hat die geschichte noch keinen. und ich bin mir auch nicht sicher ob der, den ich letztendlich gewählt habe, nicht falsche assoziationen hervorrufen könnte...wir werden sehen:)
 

jungeAutorin

Mitglied
Nicht schlecht, nicht schlecht. Der Anfang klingt schon mal vielversprechend. Mal sehen, wie es weitergeht... *zum zweiten Teil weiterschaltet*

LG
 



 
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