Der Autor

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anbas

Mitglied
Der Autor

"Lars Melchior" ist ein Pseudonym. Es hört sich seiner Ansicht nach besser an, als "Klaus-Dieter Müller", wie er in Wirklichkeit heißt. Klaus-Dieter ist sich sicher, dass er als "Lars Melchior" berühmt werden wird. Im Grunde fehlt ihm nur noch der richtige Verlag, der ihn groß herausbringt. Schon vor Wochen hat er verschiedenen von ihnen ein Exposé zugeschickt und dabei gleich um einen Vorschuss gebeten. Doch bisher blieben die erwarteten Antworten aus.

Lars Melchior sitzt an seinem Küchentisch. Es ist später Abend. Vor ihm steht der Laptop, der ihn strahlend weiß anleuchtet. Noch hat er kein Wort geschrieben. Die Story seines Erstlingswerkes steht, aber der Einstieg will ihm einfach nicht gelingen.

Lars Melchior hat einen Ortswechsel vorgenommen. In seinem Stammcafé hofft er nun auf eine Inspiration - die richtigen Worte für den Anfang seines epochalen Romans. Den Laptop hat er durch Schreibblock und Kugelschreiber ersetzt. Doch noch hat diese Veränderung nicht das gewünschte Ergebnis erzielt.
Inzwischen hat aber immerhin ein Verlag auf sein Anschreiben reagiert. Es war eine freundlich formulierte Absage.

Lars Melchior besucht seinen Kumpel Berthold Barnabas, um sich inspirieren zu lassen. Auch "Berthold Barnabas" ist ein Pseudonym. Er ist ebenfalls ein aufgehender Star am Schriftsteller-Himmel. Laut Personalausweis heißt er eigentlich "Frank Schmidt".
Berthold hat bereits sein Manuskript fertig. Es umfasst 842 Seiten Lyrik, überwiegend Zweizeiler und experimentelle Lautmalereien. Bisher konnte er noch keinen Verlag von seinem Potential überzeugen. Aber er ist sich sicher, dass die Zukunft ihm gehört. Es ist nur eben sehr schwer, die Borniertheit der etablierten Lektoren und Verlage zu brechen.

Lars Melchior liegt bei Berthold Barnabas auf dem Sofa. Er ist sternhagelvoll. Berthold sitzt kichernd auf dem Fußboden an seinen Wohnzimmerschrank gelehnt und dreht sich den nächsten Joint. Der kollegiale Austausch war sehr fruchtbar und vor allem mental absolut aufbauend. Sie haben beschlossen, weiter an ihren Plänen festzuhalten. Berthold hat außerdem Ideen für weitere Gedichte bekommen – er wird sein Manuskript wohl erweitern müssen. Vielleicht aber sind die neuen Texte auch der Grundstock für einen zweiten Band.

Lars Melchior sitzt wieder zu Hause am Küchentisch vor dem Laptop und überträgt seine handgeschriebenen Entwürfe aus der danebenliegenden Kladde. Seit nun sechs Stunden hat er fast ununterbrochen geschrieben. Seine Finger rasen über die Tastatur. Wie im Rausch hatte er zuvor jeden seiner Gedanken handschriftlich zu Papier gebracht. Und mit jedem Satz, jeder Formulierung stieg sein Wohlgefühl. Nun lächelt er entspannt vor sich hin.

Lars Melchior hat sein Werk beendet. Er druckt es aus, liest noch einmal Korrektur und schickt es dann an seinen Notar. Der Brief enthält ein Testament, eine Patientenverfügung und eine Generalvollmacht.

Jetzt ist sein Kopf garantiert frei für den großen Wurf.
 

Maribu

Mitglied
Hallo Andreas,

originelle Pointe!

Auch sonst gut beschrieben und analysiert.
Zum Glück ersetzt das Pseudonym keinen schlechten Text, obwohl
ein ausgefallener Künstlername vielleicht doch den einen oder
anderen Lektor(in)beflügelt, das Manuskript zumindest mal durchzublättern. - Ohne "Vitamin B" haben unbekannte Autoren
heutzutage bei Verlagen fast keine Chance!
Aber was soll`s? - 'Der Weg ist das Ziel'!

Lieben Gruß
Maribu
 

anbas

Mitglied
Hallo Maribu,

vielen Dank - auch für Deine Wertung!

Ja, als No-Name-Schreiberling hat man es schwer, ins literarische Rampenlicht zu gelangen - soweit man dies überhaupt möchte.

Bisher gibt es ja nur wenige Rückmeldungen. Deine und die Wertung von Patrick lassen aber hoffen, dass das Teil zumindest kein Rohrkrepierer ist.
Ich war mir (und bin es z.T. jetzt noch) unsicher, ob das Konzept funktioniert (z.B. jeden Absatz mit "Lars Melchior" zu beginnen). Auch enthält der Text neben den Schwierigkeiten für unbekannte Autoren noch weitere satirische Seitenhiebe (z.B. die Selbstüberschätzung mancher Autoren oder der Umgang mit Schreibblockaden). Ich hatte die Befürchtung, dass ich hier zu viel Themen in einen Text gepresst habe.

Auf jeden Fall würde ich mich über weitere Rückmeldungen freuen.

Liebe Grüße

Andreas
 
A

aligaga

Gast
Die Befürchtungen sind unbegründet, o @anbas. Der Text und seine Intention sind klar erkennbar, die Übertreibungen hübsch ausgedacht und witzig formuliert.

Ein wenig weit hergeholt scheint lediglich die Pointe - einem Dödel wie dem uns hier vorgestellten traut man eher kein seitenlanges Vermächtnis zu, denn es ist zu vermuthen, das auch sein nicht-schriftstellerisches Dasein ein ziemlich leeres sei. Was gäb's da schon groß zu verfügen?

TTip: Den Protagonisten am Ende etwas viel Banaleres zu Papier bringen lassen - einen Antrag auf Sozialhilfe, eine Beschwerde beim Vermieter über den immer noch leckenden Klosett-Spülkasten oder einen Einkaufszettel.

Dass du bisher so wenig Response bekommen hast, liegt nicht an der Qualität des Stückerls (die ist gut!), sondern daran, dass wir uns alle darin wiederkennen können. Wie peinlich also, diese Satire treffend zu finden!

Die Wirklichkeit ist jedoch noch viel, viel schlimmer, wie uns der kürzlich im Pupanum eröffnete Thread "Honorare für Buchblogger?" beweist. Schon geguckt?

Thränchen lachend

aligaga
 

anbas

Mitglied
Hallo aligaga,

vielen Dank für Deine Rückmeldung.

Die Idee bezüglich einer anderen Pointe werde ich mir noch mal durch den Kopf gehen lassen.
Beim Schreiben gingen meine Gedanken eher in die Richtung, dass der Prot sich selber für so wichtig nimmt, dass er meint, für den Ernstfall möglichst alles regeln und klären zu müssen (vielleicht auch die Rechte für sein bisher noch nicht erschienenes Werk, Vorgaben für mögliche Verfilmungen usw.). Allerdings wollte ich dies im Text nicht weiter ausbauen, da ich die Gefahr sah, die knackig kurze Pointe aufs Spiel zusetzen, sie quasie zu zerreden/zerschreiben.
Aber möglicherweise habe ich hier um zu viele Ecken gedacht, so dass dieser Aspekt nicht deutlich genug wird.

Wie gesagt, ich werde noch mal in mich gehen.

Schöne Grüße

Andreas
 
A

aligaga

Gast
Wie gesagt, ich werde noch mal in mich gehen.
Davon räth der böhse @ali dir ausdrücklich ab, o @anbas. Schrift-Steller sollten nicht in sich gehen, sondern außer sich sein. Dann klappt's* auch mit dem Verlag.

Amüsiert

aligaga

*"klappte es": Konjunktiv zwo ...
 

anbas

Mitglied
Ach, ich gehe bei mir häufiger mal aus und ein - bekommt mir ganz gut ... glaube ich wenigstens :D

Beste Grüße

Andreas
 

Veil

Mitglied
Hi anbas,

ein schöner Text, einer, der mir gefällt, der gut erzählt ist, einer der durch die Wiederholungen des Namens nicht überfordert, sondern mich grinsen lässt. Die Wirkung ist beabsichtigt und gut!
Allein die Pointe oder wie ich gerne schreibe "Pionte" ... Da gefällt mir Alis Vorschlag einen Tick besser.
Ansonsten aber habe ich flüssig vorangelesen, neugierig auf den nächsten Satz, mitgefiebert.

:)

Veil
 

anbas

Mitglied
Hallo Veil,

vielen Dank für Deine Rückmeldung und die Wertung. Ich freue mich, dass der Text ankommt.

Hinsichtlich des Endes bin ich weiterhin am Überlegen, ob überhaupt und wenn ja, wie ;) - wobei ich Alis Vorschläge mit im Kopf habe.

Liebe Grüße

Andreas
 

Tula

Mitglied
Hallo anbas

Stimme in den Beifall gern ein und auchAli's Vorschlag zu.

Berthold hat bereits sein Manuskript fertig. Es umfasst 842 Seiten Lyrik, überwiegend Zweizeiler und experimentelle Lautmalere
ist meine Lieblingsstelle :)

Gern gelesen

LG
Tula
 

anbas

Mitglied
Hallo Tula,

ich danke Dir - auch für Deine Wertung.

Was Alis Vorschlag betrifft, so arbeitet er in mir weiter. Nur sind die von ihm genannten Beispiele noch nicht das, was mir passt.
Und irgendwie finde ich zumindest die Idee eines Testamentes weiterhin reizvoll. - Ein Testament von jemandem, der sich so wichtig nimmt, aber vermutlich nichts zu vererben hat...
Möglichgerweise begrenze ich das Ende ausschgließlich auf diesen letzten Willen.

Liebe Grüße

Andreas
 

Ji Rina

Mitglied
Wunderbare Geschichte, die richtig Spass gemacht hat.
Ja, die Autoren, mit ihrem besten Laptop, mit ihren Büchern "Wie werde ich Autor"?
Und dann sitzt man da und denkt: Mist....Alles ist parat - nur ein Text fällt mir nicht ein.
Wie in der Musik: Das beste Equipment, das teuerste Mikrophon, aber man bringt keinen Ton.

Aligagas Vorschlag kann ich nachvollziehen:
TTip: Den Protagonisten am Ende etwas viel Banaleres zu Papier bringen lassen - einen Antrag auf Sozialhilfe, eine Beschwerde beim Vermieter über den immer noch leckenden Klosett-Spülkasten oder einen Einkaufszettel.
Vielleicht ist nur das mit dem Testament ein bisschen weit hergeholt.
Gern gelesen!
Gruss, Ji
 

anbas

Mitglied
Hallo Ji,

ich freue mich über Deine Rückmeldung, für die mich ebenso bedanke, wie für die fünf Sterne :).

Was den Schluss betrifft, so komme ich immer mehr dazu, vor allem das Testament stehen zu lassen, da die Geschichte so noch mehr ins Groteske abdriftet - zumindest ergibt sich diese Option. Es wird zwar nicht näher angedeutet, aber es stellt sich schon die Frage, was der Prot zu vererben hat. Im Moment eher nichts. Aber ebenso, wie er von seinem Erfolg überzeugt ist, ist er ebenso überzeugt, dass er bald viel zu vererben hat. Mir gefällt diese versteckte "Extra-Pointe".

Liebe Grüße

Andreas
 

Ji Rina

Mitglied
Ich hab sehr gelacht, anbas. Besonders diese Stelle, denn die habe ich schon mehrmals miterlebt (auch in Bezug auf Musiker) :
Der Autor
Lars Melchior liegt bei Berthold Barnabas auf dem Sofa. Er ist sternhagelvoll. Berthold sitzt kichernd auf dem Fußboden an seinen Wohnzimmerschrank gelehnt und dreht sich den nächsten Joint. Der kollegiale Austausch war sehr fruchtbar und vor allem mental absolut aufbauend. Sie haben beschlossen, weiter an ihren Plänen festzuhalten. Berthold hat außerdem Ideen für weitere Gedichte bekommen – er wird sein Manuskript wohl erweitern müssen. Vielleicht aber sind die neuen Texte auch der Grundstock für einen zweiten Band.
;)
Gruss, Ji
 

anbas

Mitglied
Hi Ji,

das beruhigt mich - ich hatte von solchen Szenen bisher nur gehört, sie aber nie miterlebt ... es gibt sie also wirklich ...:D



TDH,

Danke für Deine Wertung!



Liebe Grüße an Euch beide.

Andreas
 



 
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