Der Autoschlüssel

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molly

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Der Autoschlüssel

Am liebsten würde ich mir ein Pappschild mit diesem Text umhängen:

Ja, mir geht es gut

Ja, mein Kleiner kommt bald zur Welt.

Für lange Gespräche mit Nachbarn und Bekannten habe ich zurzeit wenig übrig.
Ich brauche im Moment alle Kraft für ihn, sogar die aus meinem Hirn. Wie sonst könnten mir so unmögliche Dinge passieren. Neulich abends erzählte ich meinem Mann, ich hätte einen Bericht gehört von Eltern, die ihrem Kind einen schrecklichen Namen geben wollten, den ich aber nicht mehr wusste. Mein Mann nickte und sagte dann: „Ich weiß, den Bericht habe ich dir vorgelesen, das Mädchen sollte Tarzelki heißen.“
Tage später feierten wir den Geburtstag meines Vaters. Ich fuhr einen Tag vorher hin, richtete mit meiner Mutter alles für das große Fest und übernachtete in meinem alten Kinderzimmer. Und nichts ging schief. Das Essen klappte wunderbar, die Gäste und vor allem der Jubilar, zeigten sich von ihrer besten Seite. Noch vor Ende des Jubeltages bekam mein Mann einen Anruf und musste aus beruflichen Gründen das Fest verlassen. Vorsorglich waren wir schon mit zwei Autos angekommen und er brauste los. Gleich danach wollte Vater ins Bett. Ich begleitete ihn ins Schlafzimmer. Er umarmte mich beim Abschied und flüsterte: „Hast du großartig organisiert, ich danke dir, mein großes Mädchen.“
Als die Gäste das Haus verlassen hatten, verabschiedete ich mich von Mutter
„Gib auf dich acht und ruf an, wenn es Dir nicht gut geht, zu jeder Zeit“, sagte sie und drückte mich vorsichtig an sich.

Hundemüde schulterte ich meine Taschen und den Rucksack, und ging zum Auto. Mein Cousin Alex stand auf der anderen Straßenseite, trat seine Zigarette aus und gesellte sich zu mir.
„Na, bald wirst du Onkel Alex“, sagte ich. Er lachte los. „Das hat mir noch niemand so angeboten, Onkel Alex, hört sich fast alt an!“

Und schon hatte er meine schwarze Reisetasche in der Hand. "Komm, ich lade deine Sachen ins Auto, mach doch mal den Kofferraum auf.“ Ich nickte, doch leider fand ich meinen Autoschlüssel nicht. Verzweifelt wühlte ich in allen Taschen, erfolglos. Ich lief nochmal in mein altes Zimmer, so leise wie möglich. Die Eltern schliefen sicher schon. Doch auch dort fand ich den Schlüssel nicht.
Meine Lockenpracht hatte sich aufgelöst, Haare fielen mir ins Gesicht, wie vom Winde verweht. Ich eilte wieder zu meinem Auto, vielleicht lag er dort am Boden. Vergebens!
Ich setzte mich auf die Treppe und schlug die Hände vors Gesicht. Alex half mir wieder auf.
„Komm“, sagte er, „ ich, der zukünftige Onkel Alex, bring dich nach Hause, such du dort in aller Ruhe, bestimmt findest du ihn.“
Er legte meine schwarze Reisetasche in seinen Kofferraum. „ Echt schwer“, murmelte er.“ Ich warf den Rucksack auf die hintere Bank, klammerte mich an meiner Handtasche fest und setzte mich neben ihn. Die Fahrt dauerte keine halbe Stunde. Ich packte meine Handtasche und den Rucksack und lief zur Haustür. Zum Glück fand ich den Hausschlüssel sofort und dankbar lud ich Alex zu einem Espresso ein, er musste noch 70 Km weiter, nach Frankfurt. Während ich das Getränk richtete, schaute er sich in meinem Wohnzimmer um, rief mir etwas zu, das ich nicht verstand. Bald stellte ich seinen Espresso auf den Küchentisch.
„Du hast das Fest richtig toll organisiert, aber jetzt wird wohl dein „Akku“ leer sein“, meinte er und grinste mich schief an. Wir unterhielten uns kurz, dann düste er weiter. Erst mal holte ich tief Luft, schüttete den Inhalt meiner Handtasche auf den Tisch, der vielerlei zu Tage brachte, nur keinen Schlüssel. Die Suche im Rucksack war ebenfalls erfolglos. Ich beschloss, in meiner schwarzen Tasche nachzuschauen und stellte mit Entsetzen fest, dass diese Tasche nicht im Hausflur stand, sie musste in Alex Auto sein. Ich wählte seine Handynummer, natürlich sprang die Mailbox an. Gleich darauf rief mich mein Mann an. Am liebsten hätte ich losgeheult.
Erst gestand ich ihm die Sache mit dem Autoschlüssel. Aber er tröstete mich sofort: „Ich habe doch den Ersatzschlüssel, schau noch mal in deiner schwarzen Reisetasche nach“, schlug er mir vor.
„Die ist leider unterwegs nach Frankfurt und da ist meine Wäsche drin, hoffentlich schaut Alex nicht rein. Der uralte, ausgeleierte Schlüpfer meiner Mutter, den sie sicher schon während ihrer Schwangerschaft getragen hat, ist auch dabei, wenn er den sieht, wird er mich für den Rest meines Lebens damit necken.“
“ Du meinst den bunten Sambaschlüpfer?“
„Ja, genau den, wenn ich ihn wiederhabe, zerschneide ich ihn in tausend Stücke.“
„Aber Liebes, da passt unser Kleiner jetzt perfekt hinein, behalte ihn noch eine Weile.“
„Vergiss es!“
„Dito“
Und dann fügte er noch dazu: „Morgen holen wir das Auto bei deinen Eltern ab. Weißt du noch, wer den Ersatzschlüssel hat?“
Ich hörte meinen Mann im Hintergrund glucksen und beendete das Gespräch. Unerhört. Wie kann mein Mann so kichern. Neulich waren wir bei einem befreundeten Ehepaar eingeladen. Ich fragte ihn noch, ob bei mir alles in Ordnung wäre. „ Alles perfekt“, meinte er, „beeil dich, damit wir nicht wieder die letzten sind.“ Wie waren nicht die letzten, hinter uns kamen Heide und Jörg. Heide rief mir zu, einen Moment stehen zu bleiben. Erst dachte ich, sie wollte mich fragen, wann der Kleine denn kam. Aber sie flüsterte mir ins Ohr:“ Du hast hinten am Kopf noch zwei Lockenwickel.“ Wirklich, „perfekt“.
Seit meinem Anruf bei Alex waren nun schon 7 Minuten vergangen. Warum rief der Arsch denn nicht an? Gerade, als ich mir einen Tee aufbrühen wollte, klingelte mein Handy. Endlich, Alex!
„Was ist passiert, hast du den Schlüssel“? fragte er
„Nein. Aber meine schwarze Reisetasche liegt noch in deinem Auto, schau bloß nicht rein, ist nur Wäsche drin.“
„Hm“, die aus dem Kofferraum?“
Ja, genau die.“
„Die habe ich dir in den Abstellraum vor die Waschmaschine gestellt, als du mir den Kaffee gerichtet hast, und ich habe dir das auch zugerufen.“
Mit dem Handy am Ohr lief ich in den kleinen Raum und da stand die schwarze Tasche.
„ Alles in Ordnung, Alex, gute Fahrt“, murmelte ich und sank auf den Hocker.
Natürlich fand sich auch darin nicht mein Autoschlüssel und resigniert legte ich mich ins Bett. Morgen musste ich den Schlüssel finden, doch erst einmal wollte ich nur schlafen.
Kurz nach sieben Uhr am nächsten Morgen rief mein Vater an. „ Sag mal, wie bist du gestern nach Hause gekommen, dein Auto steht noch vor der Tür und“...
„Ja, ich weiß“, unterbrach ich ihn schnell, „ Alex hat mich nach Haus gefahren, ich finde meinen Autoschlüssel nicht.“
„Kann ich mir denken, er liegt hier auf meinem Nachttisch.“
In dem Moment regte sich mein Kleiner. Er übte Purzelbäume, seine Füßchen und Händchen klopften an meinen Bauch, einen wahren Trommelwirbel an kleinen Stößen. Wahrscheinlich lachte er sogar über mich, seine Mutter. ©
 

Maribu

Mitglied
Molly, eine sehr witzige Geschichte!

Ich kann diese Zerstreutheit zwar nicht nachempfinden, erinnere mich aber an die Schwangerschaft meiner Frau, die auch mit ihren Gedanken bei unserem sich im Werden befindlichen Kind war.

Freundliche Grüße
Maribu
 

molly

Mitglied
Hallo Maribu,

herzlichen Dank für Deinen Kommentar und die Bewertung.

"Ich kann diese Zerstreutheit zwar nicht nachempfinden"

Ich kann mich auch nicht erinnern, wie das bei mir war, aber bei einer Verwandten habe ich diese Zerstreutheit erlebt.

Viele Grüße

molly
 



 
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