Der Besucher

Benn

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Die Süßigkeitendose war berstend voll mit buntem Naschwerk für meine kleinen Kobolde. Wie in jedem Jahr um diese Zeit bestürmten mich des Nachts diese Plagegeister. In der Dämmerung würden sie aus ihren Gräbern steigen und Menschen erschrecken. So haben sie es mir erzählt. Die Flüsterpost teilte ihnen mit, dass ich erpressbar sei und jede Menge Zuckergold gebunkert hätte. Ohne Lösegeld würde ich nicht davonkommen. Sonst würden sie mir wieder die Hölle auf Erden bereiten. Es ist besser, Lakritze und Schokolade in das Gewusel der Vampire und Skelette zu werfen, damit diese sich darum streiten. Dann bliebe ich verschont und hätte wieder ein Jahr Frieden mit dem Jenseits geschlossen. Ich freute mich schon auf das : "Süßes oder es gibt Saures" an der Haustüre. War es doch eine kleine Heiterkeit in meiner dunklen Welt. Vor fünf Jahren forderte der Krebs mein linkes Auge. Die Ärzte machten mir Hoffnung, doch einige Monate später musste ich, um mein Leben zu behalte, auch noch das rechte Auge geben. Ein Psychologe versicherte mir, dass sich statistisch mehr taube Menschen das Leben nehmen als Blinde. Welch ein Sarkasmus. Welch ein Trost. Aber dennoch, was hatte ich den noch zu erwarten? Ich ließ mir eine sündhaft teure Stereoanlage installieren und ich lasse mich nun von reinsten Klängen in meine Fantasiewelt tragen. Immer schloss ich die Augen im Konzert, um auf die Stellen der Musikstücke zu warten, die mir besonders nahegingen. Manchmal war es nur ein Ton. Oder ein einziger Geigenstrich. Vielleicht auch nur die Querflöte, die mit meinen Sinnen flirtete. Dann überrollte mich eine mächtige Klangwoge des gesamten Orchesters und ein Schauer des Entzückens kribbelte an meiner Wirbelsäule entlang.
Es war noch Zeit, bevor die Hexen kamen. Also beschloss ich, das Klavierkonzert Nr. Eins von Tschaikowsky anzuhören. Russische Musik ohne Tee war unvorstellbar. Einen Samowar besaß ich nicht, deshalb begnügte ich mich mit einem Teebeutel aus dem Supermarkt. Ich war fast fertig mit den Vorbereitungen für einen schönen Abend. Aber wie ich den Wasserkocher befüllen wollte, spürte ich, dass etwas nicht stimmte. Ohne Augenlicht waren meine Sinne sensibler geworden und ich hatte gelernt, meinem Instinkt zu vertrauen. Mein Bauchgefühl schlug Alarm. Etwas, oder jemand, musste in meiner Wohnung sein. Ich konnte es riechen. Es roch kühl. Wie damals bei der Fotosafari auf Spitzbergen. Es roch nach Gletscher, oder frischem Schnee. Damals erschien der Eisbär wie aus dem Nichts, und wir konnten von Glück sagen, dass wir nur die Schlittenhunde verloren hatten und uns unbeschadet aus dem Staub machen konnten. Wäre die Reisegruppe mit dem Motorschlitten unterwegs gewesen, hätte es uns erwischt. Der Bär war mächtig und hungrig. Nichts wäre von uns übriggeblieben. Ich drehte den Wasserhahn zu und lauschte.
Da.
Obwohl ein dicker Teppich im Wohnzimmer lag, vernahm ich Schritte, die auf mich zu kamen.
Fest umklammerte ich den Plastikgriff des Wasserkochers. Die einzige Waffe zur Selbstverteidigung, die mir geblieben war.
“Wer sind Sie?”
Schweigen.
“Herrgott nochmal, geben Sie Antwort. “ Doch statt Antwort zu bekommen, berührte mich etwas an der Schulter. Ich wirbelte herum und schlug mit aller Kraft zu. Der Wasserkocher traf auf Widerstand und der Inhalt platschte auf den Boden.
“Überhöhtes Aggressionspotential ”, sagte eine monotone Stimme.
“Was wollen sie von mir?", brüllte ich.
“Einstellung des Kommunikators noch ungenau.”
Ein Psychopath, schoss es mir durch den Kopf. Ausgerechnet bei mir bricht ein durchgeknallter Irrer ein.
“Aggression. Level Null. Korrektur von Kommunikation erfolgreich abgeschlossen. Linguee Germany. Sprache Hochdeutsch”, sagte er mit emotionsloser Stimme und der Druck auf meiner Schulter wurde stärker.
“Lass mich los, du verdammter Idiot”, schrie ich verzweifelt und abermals schlug ich mit dem Wasserkocher in die Richtung, aus der die Stimme kam. Aber sein Griff wurde fester und fester. Mein Schlüsselbein knackte. Ich fiel vornüber auf die Knie. Der Schmerz im Brustkorb wurde mörderisch und wie ein Gewichtheber presste ich den Atem in die Lunge. Mir wurde schwindlig. Mein Herzschlag hämmerte wild in den Schläfen und ich übergab mich. Danach brach ich röchelnd zusammen und mein Kopf knallte auf den Fliesenboden. Ich riss meinen Mund auf und rang verzweifelt nach Luft. Doch es half nichts und mein Bewusstsein flüchtete sich in eine wohltuende Ohnmacht.
Als ich wieder zu mir kam, saß ich im Wohnzimmer auf meinem Lieblingssessel. Ein Platz, der mir gewohnte Sicherheit vorgaukelte. Mein Nabel der Welt. Mein Zentrum der Geborgenheit. Hier werde ich in gottgegebener Zeit die Erde verlassen. So dachte ich jedenfalls. Ich hatte keine Schmerzen mehr und ich dachte, all das Schreckliche nur geträumt zu haben. Die Nerven. Halloween. Vollmond.
“ Aggressionspotential null. Willkommensgruß aktiviert. Stufe Eins erreicht zur Kommunikation mit maskuliner Kohlenstoffeinheit bereit. Familienname Schäfer. Heinz Schäfer. Hallo Herr Schäfer, sagen Sie etwas, damit ich Sie individuell verstehen kann. Hören Sie mich?”
Ich zuckte zusammen. Meine Muskeln verspannten sich und ich klapperte vor Aufregung mit den Zähnen. Hilflos. Ich war so hilflos wie ein Baby. Der Alptraum war real. Ich bäumte mich auf und obwohl ich wusste, dass ich nicht entkommen konnte, wollte ich fliehen.
Etwas Schweres schob mich zurück auf den Sessel.
Ich strampelte, schrie und schlug um mich. Aber es nutzte nichts. Meine Fäuste schlugen ins Leere.
“Schäfer Heinz. Steinweg 5. Können Sie mich verstehen?”
“Ja. Das bin ich”, sagte ich reflexartig.
Eine Frage. Warum stellt der Kerl mir eine persönliche Frage, schoss es mir durch den Kopf.
“Schäfer Heinz. Steinweg 5. Artikulieren Sie einen vollständigen Satz. Ich benötige einen Vergleich zum Erweitern meiner Datenbank.”
“Ich möchte, dass Sie meine Wohnung verlassen und mich in Ruhe lassen. Ansonsten rufe ich die Poli...”
“Abgeschlossen. Datenvolumen vollständig.”
“Verdammt nochmal. Was ist hier eigentlich los?”, platzte es aus mir heraus.
“Hallo. Herr Schäfer. Heinz. Steinweg 5 Sie sind auserwählt. Testperson Eins für Terra blau. Blauer Planet.”
“Soll das ein Witz sein?”
“Definition Witz? Unbekannte Information.”
Ich glaube, ich spinne. Der Kerl ist schlimmer dran, als ich gedacht habe. Vielleicht komme ich aus dem Schlammassel heil heraus, wenn ich mitspiele, dachte ich.
“Also gut. Testperson für Planet Blau. Und wie geht es weiter?”, wollte ich wissen und bemerkte mit Erleichterung, dass der Kerl mich losgelassen hatte.
“Herr Schäfer. Heinz. Ich werde Ihnen eine Frage stellen. Sind sie bereit zur Zusammenarbeit?”
“Wenn du es bist?”
“Herr Schäfer Heinz. Gegenfrage inakzeptabel. Antwort. Ja oder Nein.”
“Lass dieses verdammte Heinz Schäfer und sprich nicht so monoton wie eine halbleere Gießkanne.”
“Ansprache wird angepasst. Frage. Du oder Sie?”
“Du natürlich, wenn wir schon Freunde sind”, sagte ich forsch, um mutiger zu wirken.
“Akzeptabel.”
Mein Trick funktioniert, dachte ich und schöpfte etwas Hoffnung.
“Und wenn wir schon dabei sind, mit der Anrede. Wie soll ich dich ansprechen?”
“Irrelevant.”
Verdammt. Ich brauche seinen Namen. Ohne persönliche Ansprache gewinne ich sein Vertrauen nicht.
“Gut, dann mache ich das Spiel nicht mit”, sagte ich und drückte mein Kinn auf die Brust. Eines schmollenden Kindes gleich zog ich die Mundwinkel nach unten, verschränkte die Arme und wartete in stummer Entschlossenheit.
Nach einer Pause sagte er "Nenne mich PRGOST245RM.”
“Wie?”
“PRGOST245RM”, wiederholte er.
“Mensch, das kann sich doch keiner merken. Das hört sich an wie ein Verschlüsselungscode. Das ist doch kein Name.”
Ich überlegte einen Augenblick lang, dann sagte ich: “ Weißt du was? Ich nenne dich Gost, oder Prost. Nein, Gost ist besser. Das ist so ungefähr die Mitte aus deinem Kauderwelsch. Was hältst du davon?”
“Gost?”
“Wieso, gefällt dir der Name nicht?”
“Ich akzeptiere. Neue Bezeichnung für PRGOST245RM ist Gost.”
“Also Gost. Was muss ich tun, um dich wieder loszuwerden?”
Ich hörte, wie Gost aufstand und in die Küche ging. Als er wieder kam, drückte er mir einen kleinen Gegenstand in die Hand. Es fühlte sich an wie eine Billardkugel.
“Toll”, sagte ich, "jetzt fehlt mir nur noch das Queue und wir können Poolbillard spielen.”
Statt eine Antwort zu bekommen, drückte er mir eine Schale in die andere Hand.
“Was soll das werden?”
“Lege die Kugel in die Schale.”
Ich wurde misstrauisch. Sein Ton war schärfer geworden.
“Warum?”, wollte ich wissen.
“Nur so kannst du dein Planet retten.”
“Planet retten? Welchen Planeten retten?”
“Planet Blau. Deine Erde.”
“ Das ist doch Blödsinn. Das ist Irrsinn. Für solch einen scheiß Kinderkram brichst du bei mir ein und schlägst mich zu Boden? Hier nimm deinen Krempel und hau endlich ab.”
Ich warf Kugel und Schale in seine Richtung.
“Du verstehst nicht. Wenn du die Kugel nicht in die Schale befördern kannst, ist diese Zivilisation verloren.”
"Heute ist Halloween und es tummeln sich viele Idioten auf der Straße herum. Ich möchte verdammt nochmal wissen, warum ich, ausgerechnet ich den größten ...”, ich stockte erschrocken. Ich hätte mir eine Ohrfeige geben können. Ein Wutausbruch würde mich noch in größere Schwierigkeiten bringen. Deshalb atmete ich kräftig durch und sagte: "Du lügst mich an.”
“Es ist real.”
“Dann beweise es.”
“Was für einen Beweis verlangst du?”
“Nun, Gost, wenn es um nichts Geringeres als um die Welt geht, ein Wunder natürlich”, sagte ich und war gespannt auf die Antwort.
“Neue Anordnung. Außerordentlicher Befehl. Oberste Priorität. Dringlichkeit Level Eins. Behebung von Koordinationproblem der Kohlenstoffeinheit Schäfer Heinz. Steinweg 5.”
Ich zuckte zusammen. Ein handwarmes, feuchtes Tuch berührte meine Stirn und breitete sich bis zur Kinnspitze aus. Diese Berührung war angenehm und behinderte meine Atmung nicht. Plötzlich kribbelte es an meiner Nasenwurzel. Dann über den Augenbrauen. Schließlich an den Schläfen. Es fühlte sich wie eine Gesichtsmassage im Kosmetikstudio an. Ich wäre beinahe eingeschlafen, doch ein Klaps auf die Wange brachte mich in die Wirklichkeit zurück.
“Toll”, sagte ich. “Es hat gutgetan. Aber ein Wunder sieht anders aus.”
“Mache die Augen auf”, sagte er und schob das, was ich für ein feuchtes Tuch gehalten hatte, vorsichtig über meine Stirn.
Ich öffnete die Augen. Mich traf fast der Schlag. Ich sah Umrisse von Möbeln. Meine Möbel. Meine Lider zitterten vor Erregung. Mit den Fingerspitzen suchte ich meine Augäpfel und da, wo vorher ein totes Loch im Schädel war, fühlte es sich wieder lebendig an. Ich fing an zu weinen. Die Mauern meines bis an den Rand gefüllten Staudammes brachen und die Tränen, angesammelt in jahrelanger Trauer und Verzweiflung, ergossen sich hemmungslos über beide Wangen.
Ich heulte in meine Handflächen hinein und der Rotz zog Fäden. Durch eine Tränenwand hindurch sah ich diese Schlien und kein Anblick konnte schöner für mich sein. Ich stand auf und einer alten Gewohnheit folgend, die kein Denken erforderte, wankte ich in das Badezimmer. Über dem Waschbecken war ein Spiegel angebracht, den ich aus Eitelkeit noch besaß. Aus meiner gebückten Haltung richtete ich mich langsam auf und starrte in den Spiegel. Und wirklich, ich konnte wieder sehen.
“Es wird Zeit”, befahl Gost mit erhobener Stimme.
Ich missachtete die Aufforderung und hielt den Kopf unter den Wasserhahn. Das kühle Nass belebte meine Lebensgeister und ich konnte wieder klar denken. Eilig trocknete ich mein Gesicht, kämmte mich und verließ das Badezimmer.
Im Wohnzimmer war es dunkel. Genauso wie in der ganzen Wohnung. Nur die Lichter der Stereoanlage verbreitete ein spärliches blaues Licht.
“Wir haben nicht mehr viel Zeit”, sagte Gost.
“Wo bist du?”, fragte ich in die Richtung, aus der die Stimme kam.
“Na hier”, sagte er und eine schlanke, hochgewachsene Gestalt schälte sich aus dem Schatten der Wohnzimmerecke.
“Du bist Gost?”
“Ich bin ein Teil von Gost”, sagte er.
“Und wo ist der andere Teil von dir?”
“Auf Planet Grün.”
“Wir sind hier auf Planet Blau. Richtig?”
“Korrekt.”
Scheiße, dachte ich. Langsam drehe ich durch. Ich ließ mich auf meinen Sessel fallen und massierte mir den Hinterkopf. Ich hatte ein Ziehen im Nacken. Es waren die Vorboten von Kopfschmerzen. Der Stress war einfach zu viel. Mein Körper schlug Alarm.
“Wir müssen uns beeilen”, sagte er und beugte sich über mich.
“Warum?”
“Wenn dein Kontrahent seine Schale schneller füllt als du, gewinnt er das Spiel und alle Kohlenstoffeinheiten auf deiner Erde werden ausgelöscht.”
“Und ich. Was ist mit mir?”
“Du hörst auf zu existieren.”
“Aber wenn ich schneller bin als er, was passiert dann?”
“Dann ist Planet Grün der Verlierer.”
“Also, wenn es weiter nichts ist, schmeiße ich das verdammte Ding in die Schale.”
Gost reichte mir die Kugel und seine Mandelaugen wechselten die Farbe und leuchteten rot auf.
“Wie viel Bewohner leben auf dem Grünen Planeten eigentlich?”, wollte ich wissen.
“ Neun Milliarden.”
Ich zögerte. “Ich kann das nicht tun. Ich kann nicht einmal einen Hund töten und nun soll ich Neun Milliarden Menschen das Leben nehmen”, sagte ich kopfschüttelnd und gab ihm die Kugel zurück.
Gosts Augen wurden gelb. “Das sind keine Menschen”, sagte er nahe an meinem Ohr und drückte mir die Kugel wieder in die Hand.
“Hör mal, Gost”, versuchte ich es erneut,” ich bin dir überaus dankbar, dass du mich geheilt hast und würde für dich mein Leben aufs Spiel setzen. Aber was du jetzt von mir verlangst, kann ich nicht tun. Ich kann es nicht mit dem Gewissen vereinbaren, nicht mit meinem Glauben und nicht mit Gott.”
“Gott existiert nicht”, sagte er und seine Augen wurden schwarz.
“Für mich schon.”
“Du hast keine Zeit mehr.”
“Warum wirfst du die Kugel nicht selbst in deine Schale?”
“Ich bin nicht autorisiert. Ich darf nur den Sieger ermitteln. Nur die Starken sollen überlebe.”
“Wozu tötet ihr so viele Menschen. Auf der Erde leben acht Milliarden. Acht Milliarden, verstehst du.”
“Wir atomisieren niemand. Das machen die Auserwählten.”
“Also ich?”
“Oder dein Gegenspieler.”
“Gibt es keine Hoffnung?”
“Gott. Glaube. Hoffnung. Hoffnung ist eine irrationale Gefühlsprojektion in die Zukunft, um die gegenwärtige Misere zu ertragen.”
“Menschlich,” sagte ich. “Auch Gott braucht Zeit für ein Wunder.”
“Es gibt keine Wunder und keinen Gott. Ich habe dich geheilt. Kein Gott. Es war meine Mathematik. Eine Erforschung meiner Zivilisation. Es ist Quantenphysik.”
“Ah. Schrödingers Katze. Sie kommt mir gerade recht. Elektronen, die sich bei Beobachtung von Wellen in Teilchen verwandeln. Fußspuren im Sand, die beweisen, dass da ein Mensch entlanggegangen ist. Sie beweisen, dass Menschen existieren, ohne dass diese gesehen wurden. Es ist also nicht nötig Gott zu sehen. Lediglich seine Werke. Seine Fußspuren. Das Leben selbst dient als Fußspur. Als Beweis. Es ist der Glaube, der die Teilchen verändert. Gott existiert nur im Glauben. Dieser macht ihn lebendig und deine Mathematik ist auch nur eine Spur im Sand.”
“Dann müsste dein Gott alles können, oder etwa nicht?”
Ich nickte und seine Augen blitzten, als er sagte: "Kann dein Gott einen Stein erschaffen, der so groß ist, dass er ihn selbst nicht heben kann?”
“Ein Paradox. Du beschreibst ein Paradox. Ein Paradox ist unlösbar.”
“Ich sagte dir bereits, Gott ist Mathematik.”
“Nein. Er ist Glaube.”
Aus Gosts Augen stieg schwarzer Rauch. Dann sagte er:“Lege die Kugel in die Schale. Die Zeit läuft ab. Du hast nur noch wenige Minuten.”
Ich drückte den Rücken in die Lehne des Sessels. Meine Kopfschmerzen hämmerten im Nacken und schwarze Kreise schwirrten durch mein Gesichtsfeld. Aufkommende Magensäure brannte in meiner Kehle und ich wagte Gost nicht anzusehen. Die Kugel presste ich mit beiden Händen an meinen Bauch. Ich war fest entschlossen.
“Noch eine Minute”, sagte er.
“Ich mache es nicht verdammt noch mal. Ich gebe mich nicht auf. Nie...Nie...Nie...”
Ich schloss die Augen und presste die Lippen zusammen.
“Noch zehn Sekunden.”
Ein Erschießungskommando. Ich stehe vor einem Erschießungskommando, dachte ich.
“Noch sechs Sekunden.”
Vater unser.
“Noch Fünf.”
Der du bist im Himmel.
“Noch Vier.”
Geheiligt werde dein Name.
“Noch Drei.”
Dein Reich komme.
“Zwei.”
Wie im Himmel so auch auf Erden.
“Eins.”
Dein Wille geschehe.
“Null.”
Ich bäumte mich auf und brüllte meine Todesangst heraus. Dann keuchte ich wie ein Tier und öffnete die Augen. Ich hielt den Atem an und es war still.
Gost stand vor mir und seine Augen leuchteten wie Gold.
“Bin ich tot?”, fragte ich.
“Nein”, sagte er.
“Warum nicht?”
“Du hast gewonnen.”
“Aber wie...wie ist das möglich?”
“Dein Gegenspieler hat das Elektron in die Schale geworfen", sagte er.
Ich wollte aufstehen, doch meine Beine knickten weg. Meine Nase blutete und es war nass in meiner Hose.
“Wie geht es nun weiter?”, wollte ich wissen.
Gost nahm die Schale und die Kugel an sich. Seine Augen waren wie Quecksilber und er sagte:”Wir werden uns nicht mehr sehen. Meine Mission ist erfüllt. Ich bedanke mich bei dir.”
Gost wurde transparent und war im nächsten Augenblick verschwunden.
Ich wankte ins Badezimmer. Zum ersten Mal seit fünf Jahren benutzte ich wieder den Lichtschalter. Nach dem Duschen wechselte ich die Wäsche. Mein Magen rebellierte und ich machte mich über die Süßigkeiten meiner Vampire her. Aus Gewohnheit ertastete ich die Zeit an meiner Armbanduhr, von der man den Deckel aufklappen konnte.
Es war kurz nach acht Uhr und dunkel. An der Haustüre klingelte es. Ich zitterte immer noch. Dann knipste ich das Licht an und öffnete. Eine Horde Geister stand vor mir.
“Süßes oder es gibt Saures”, riefen die Dämonen durcheinander und hielten mir halbgefüllte Tüten entgegen.
Ich warf eine Handvoll Süßigkeiten unter die Kinder und während diese sich um die Beute rauften, schloss ich die Haustüre.
Ich nahm das Telefon und tippte eine Nummer.
“Hallo Frau Messner. Ich bin es Heinz. ...Nein, es ist nichts passiert. ...Ich habe mich entschlossen zu verreise... Ja, der Schlüssel liegt wie immer unter dem Blumentopf, der auf dem Fenstersims steht. Ich melde mich wieder, wenn ich angekommen bin, damit sie sich keine Sorgen machen müssen...Wohin? Nach Island oder Spitzbergen dort riecht es kühl nach frischem Schnee.”
 
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Sonja59

Mitglied
Hallo Benn,

ich habe die Geschichte sehr gern gelesen.
Hier nur ein paar Kleinigkeiten, über die ich beim Lesen gestolpert bin.



Die Süßigkeiten Dose Süßigkeitendose war berstend voll mit buntem Naschwerk für meine kleinen Kobolde. Wie in jedem Jahr um diese Zeit,kein Komma bestürmten mich des Nachts diese Plagegeister.

Ohne Lösegeld würden ich nicht davonkommen.

Ich freute mich schon auf das Doppelpunkt 'Süßes oder es gibt Saures' an der Haustüre. War es doch eine kleine Heiterkeit in meiner dunklen Welt. Vor fünf Jahren forderte der Krebs mein linkes Auge. Die Ärzte machten mir Hoffnung, doch einige Monate später, kein Komma musste ich Komma um mein Leben zu behalten, auch noch das rechte Auge geben.

Immer schloss ich die Augen im Konzert, um auf die Stellen der Musikstücke zu warten, die mir besonders nahe gingen nahegingen. Manchmal war es nur ein Ton.

Dann überrollte mich eine mächtige Klangwoge des gesamten Orchesters und ein Schauer des Entzückens kribbelte an meiner Wirbelsäule entlang. Neue Zeile Es war noch Zeit, bevor die Hexen kamen. Also beschloss ichKomma das Klavierkonzert Nr. Eins von Tschaikowsky anzuhören.

Mein Bauchgefühl schlug Alarm. Etwas, oder jemand Komma musste in meiner Wohnung sein. Ich konnte es riechen. Es roch kühl. Wie damals bei der Fotosafari auf Spitzbergen. Es roch nach Gletscher,kein komma oder frischem Schnee. Damals erschien der Eisbär wie aus dem Nichts komma und wir konnten von Glück sagen, dass wir nur die Schlittenhunde verloren hatten und uns unbeschadet aus dem Staub machen konnten.

“Wer sind Sie! Fragezeichen

Ein Psychopath Komma schoss es mir durch den Kopf. Ausgerechnet bei mir bricht ein durchgeknallter Irrer ein.

“ Aggressionspotential null. Willkommensgruß aktiviert. Stufe Eins erreicht zur Kommunikation mit maskuliner Kohlenstoffeinheit bereit.

Aber es nutze nutzte nichts.

“Herr Schäfer Heinz. Gegenfrage iInakzeptabel. Antwort. Ja oder Nein.”

“Und wenn wir schon dabei sind Komma mit der Anrede. Wie soll ich dich ansprechen?”

Verdammt. Ich brauche seinen Namen. Ohne persönliche Ansprache gewinne ich sein Vertrauen nicht.
“Gut, dann mache ich das Spiel nicht mit”, sagte ich und drückte mein Kinn auf die Brust. Eines schmollenden Kindes gleich zog ich die Mundwinkel nach unten, verschränkte die Arme und wartete in stummer Entschlossenheit.
Nach einer Pause sagte er "Nenne mich PRGOST245RM.”
“Wie?”
“PRGOST245RM”, wiederholte er.
“Mensch, das kann sich doch keiner merken. Das hört sich an wie ein Verschlüsselungscode. Das ist doch kein Name.”
Ich überlegte einen Augenblick lang, und dann sagte ich: “ Weißt du was?

Deshalb atmete ich kräftig durch und sagte: "du Du lügst mich an.”

“Nun, Gost, wenn es um nichts Geringeres als um die Welt geht Komma ein Wunder natürlich”, sagte ich und war gespannt auf die Antwort.

Dringlichkeit Level Eins. Behebung von Koordination Problemen Koordinationsproblem der Kohlenstoffeinheit Schäfer Heinz. Steinweg 5.”
Ich zuckte zusammen. Ein handwarmes Komma feuchtes Tuch berührte meine Stirn und breitete sich bis zur Kinnspitze aus.

Ich wäre beinahe eingeschlafen, doch ein Klapps auf die Wange brachte mich in die Wirklichkeit zurück.

Ich fing an zu weinen. Die Mauern meines bis an den Rand gefüllten Staudammes brachen und die Tränen Komma angesammelt in jahrelanger Trauer und Verzweiflung Komma ergossen sich hemmungslos über beide Wangen.

Über dem Waschbecken war ein Spiegel angebracht, den ich aus Eitelkeit noch besaß. Aus meiner gebückten Haltung richtete ich mich langsam auf und starrte in den Spiegel Punkt und wirklich. Ich konnte wieder sehen Und wirklich, ich konnte wieder sehen.

Scheiße Komma dachte ich. Langsam drehe ich durch.

Wieviel Wie viele Bewohner leben auf dem Grünen Planeten eigentlich Fragezeichen”, wollte ich wissen.

“Hör mal Komma Gost”, versuchte ich es erneut,” ich bin dir überaus dankbar, dass du mich geheilt hast und würde für dich mein Leben aufs Spiel setzen.

“Wir A atomisieren niemand. Das machen die Auserwählten.”

“Menschlich”Komma sagte ich. “Auch Gott braucht Zeit für ein Wunder.”

“Es gibt keine Wunder und keinen Gott. Ich habe dich geheilt.

“Ah. Schrödingers Katze. Sie kommt mir gerade Recht recht. Elektronen, die sich bei Beobachtung von Wellen in Teilchen verwandeln.

Aus Gosts Augen stieg schwarzer Rauch. Dann sagte er:Leerzeichenkein LeerzeichenLege die Kugel in die Schale. Die Zeit läuft ab. Du hast nur noch wenige Minuten.”

“Noch Sechs sechs Sekunden.”

Gost nahm die Schale und die Kugel zu an sich. Seine Augen waren wie Quecksilber und er sagte:Leerzeichenkein Leerzeichen Wir werden uns nicht mehr sehen.

“Süßes oder es gibt Saures”, riefen die Dämonen durcheinander und hielten mir halbgefüllte Tüten entgegen.
Ich warf eine Hand voll Handvoll Süßigkeiten unter die Kinder und während diese sich um die Beute rauften, schloss ich die Haustüre.

Ich melde mich wieder, wann wenn ich angekommen bin, damit sie sich keine Sorgen machen müssen...Wohin? Nach Island oder Spitzbergen,kein Komma dort riecht es kühl nach frischem Schnee.”

Viele liebe Grüße
Sonja
 

Benn

Mitglied
Hallo Sonja 59. Danke dir fürs Verbessern. Bin auch gleich drübergegangen. Ohne Fehler macht ein Text einfach mehr Spaß. Merci nochmal und nen schönen Abend wünscht dir Benn.
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Benn,
ich finde den Text gut erzählt. Besonders die zahlreichen Dialoge lesen sich flüssig, ohne die Handlung auszubremsen.

Meiner Meinung nach willst du aber zu viele Ideen auf einmal unterbringen. Die stehen sich gegenseitig im Wege. Zum Beispiel würde die wundersame Heilung des Blinden locker eine eigene Geschichte füllen. Hier poppt sie aber nur kurz auf und bleibt für die Handlung letzten Endes nebensächlich. Andersherum stellt sich der Blinde am Ende plötzlich als tief gläubig heraus. Das kommt für mich zu unverhofft.
Ich finde auch, dass der Ton der Geschichte zu sehr schwankt. Du fängst mit krassem Drama an: Mann verliert beide Augen durch Krebs. Der Anfang des Gesprächs mit Ghost liest es sich dann fast wie ein Comedy Sketch und später geht es in Richtung philosophisches Lehrstück.

dort riecht es kühl nach frischem Schnee.
Bei diesem Ende konnte ich dir nicht folgen. Am Anfang hattest du die Kühle bei seiner Foto-Safari erwähnt. Dann hast du Ghost mit dieser Kühle verknüpft. Aber ich verstehe nicht, warum der Erzähler am Ende dann das Bedürfnis nach Kühle verspürt. Es scheint als Twist gemeint zu sein, aber ich verstehe ihn nicht.
Auch scheint die Frau Messer ganz am Schluss mehr oder weniger aus dem Nichts aufzutauchen. Oder habe ich da was überlesen?
Beim Lesen hat mir eine schlüssige Idee gefehlt, wer oder was "Ghost" ist und vor allem, welche Motivation er haben könnte. So konnte ich mich auf ihn, auf die Kugel und die Schale nicht richtig einlassen.

Ich habe das Gefühl, dass du für diese Fragen beim Schreiben Antworten im Hinterkopf hattest. Aber du solltest die einfachen Leser wie mich hier besser abholen.

Es gäbe sicher noch einige Kleinigkeiten zu bemosern. Aber trotzdem hat der Text beim Lesen Spaß gemacht.

Viele Grüße
lietzensee
 

Benn

Mitglied
Hi. lietzensee. Danke für deine Gedanken. Ja, Spaß machen soll eine Geschichte. Das ist am wichtigsten. Nun, das Symbol frischer Schnee, der alte Spuren unter sich begräbt, soll eine Aufarbeitung des Erlebten symbolisieren und auch die kühle, frische Luft. Er wagt einen Neuanfang und meldet sich bei seiner Haushälterin Frau Messner für unbestimmte Zeit ab. Bei der Motivation handelt es sich um eine Prüfung humaner Standhaftigkeit. Der Glaube ist mir wichtig, weil an der Schwelle des Todes die Auseinandersetzung mit Gott eine wichtige Rolle spielt. Die wundersame Heilung beweist die Macht des Außerirdischen. Er lügt nicht und schafft reale Tatsachen. Jetzt geht es für den Prota ums Ganze. Nun, ich habe versucht, den Spannungsbogen aufrecht zu halten und mit dem Neuanfang auf Spitzbergen die Geschichte abzurunden. Hier beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Ein neues Denken, aber das ist wieder eine andere Geschichte. Liebe Grüße Benn.
 



 
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