Mumpf Lunse
Mitglied
Der Bucklige
"Das wird ein Problem", sagte Koschi und schüttelte den Kopf.
"Komm!" Mit einer kurzen Handbewegung forderte er mich auf die Füße zu nehmen. Er packte die Leiche an den Schultern. Wir hoben sie in den Sarg. Der Buckel des Toten war so stark, dass es aussah, als würde er halb aufgerichtet sitzen. Er ließ sich nicht flach hinlegen.
"Wir bekommen den Deckel nie drauf" Koschi klang resigniert.
Halbherzig versuchten wir ihn tiefer in die Kiste zu pressen. Ohne Erfolg.
"Wenn er auftaut, legt er sich vielleicht etwas flacher", sagte ich.
Koschi schüttelte langsam den Kopf: "Das ist ein Problem."
"Wir müssen die Kiste nur irgendwie zukriegen", sagte ich "wie ist doch egal. Oder soll er aufgebahrt werden?"
Koschi seufzte und der Bucklige, wie er da in seinem Sarg saß, wirkte irgendwie schadenfroh.
"Komm!" er deutete mit dem Kopf zu den Füßen und griff entschlossen unter die Achseln. Wir hoben die Leiche zurück auf die Bahre.
Ich hielt Koschi die Zigarettenschachtel hin. Er griff, den Blick nicht von dem Toten lassend zu und wir rauchten schweigend. Dann setzte er sich mit einem tiefen Seufzer in Bewegung.
"Ich hol den Chef", sagte er, bereits auf dem Weg nach draußen.
"Das gibt es doch nicht!", dröhnte es näherkommend. "Ich habe genug zu tun!"
Jetzt betraten Koschi und der Chef den Raum.
"Könnt ihr denn nichts allein? Denkt doch e i n m a l mit!"
Wir standen zu dritt um die Leiche.
"Na los!", der Chef machte ungeduldige Armbewegungen.
Diesmal nahm ich die Schultern und Koschi die Beine. Dann, als er wieder im Sarg war, traten wir zurück. Der Chef stutzte einen Moment beim Anblick der halb aufgerichteten Leiche und begann auf den Körper des Toten zu drücken.
"Das haben wir schon versucht", sagte Koschi.
"Steht nicht rum! Drückt mal mit!"
Zu dritt drückten wir auf den Körper. Koschi und ich eher symbolisch um guten Willen zu zeigen, der Chef ungeduldig und mit aller Kraft. Nichts passierte.
Ich war der Neuling und hätte mich besser rausgehalten, versuchte aber zu zeigen, dass ich mitdachte.
"Vielleicht kann man so eine Art Aufsatz im Kopfbereich an den Sarg bauen."
Koschi drehte sich zum Fenster und am Zucken seiner Schultern und den glucksenden Geräuschen, die er von sich gab, merkte ich, dass er versuchte ein Lachen zu unterdrücken.
"Was denn!?", sagte ich aufgebracht und sah zum Chef. Der starrte mich schweigend an und hatte die Augenlider ein wenig zusammengekniffen.
Selbst der Bucklige, der sich mittlerweile ein wenig der Raumtemperatur angepasst zu haben schien, sah aus, als ob er grinste. Ich zuckte mit den Schultern und beschloss beleidigt mich an der Lösung des Problems nicht weiter zu beteiligen.
"Legt mal den Deckel drauf."
"Das hat doch keinen Sinn", sagte Koschi, "man sieht doch, dass das nichts wird."
"Quatsch nicht!", der Chef gestikulierte ungeduldig.
Wir legten den Deckel auf den Sarg und der Chef versuchte mit Einsatz des ganzen Körpers die Kiste zu schließen.
Sowas kennt man vom Kofferpacken. In unserem Fall gab es aber nichts, das man auspacken konnte.
Als wir den Deckel wieder abgenommen hatten, war am Kopf des Toten eine deutliche Druckstelle zu sehen.
Die Tür öffnete sich einen Spalt und für einen kurzen Moment erschien Josephs Gesicht.
Joseph war der Totengräber. Ein großer grobschlächtiger Kerl, der fast nie sprach, und eine stoische Ruhe ausstrahlte. Er war am längsten hier beschäftigt. "Schon immer", war seine Antwort, als ich ihn mal fragte, wie lange er diese Arbeit bereits machte.
Er stand praktisch ständig 'unter Strom', wie Koschi es nannte, auch wenn man es nicht gleich bemerkte. Dabei war er nicht wählerisch aber die Klaren waren ihm die liebsten. Wein trank er nie.
Einem Monat zuvor, im April, zogen wir mit einem Trauerzug von der Kapelle zur Beisetzung. Der Sarg lag auf einem, mit schwarzen Tüchern verhüllten Karren, der von Koschi und dem Chef gezogen und von mir und einigen Trauergästen geschoben wurde.
Die zahlreichen Angehörigen und Gäste liefen schweigend, mit Blumen und Kränzen, in einem langen Zug hinterher.
Es war mein zweiter Arbeitstag auf dem Friedhof und meine erste Beisetzung.
Der Weg schien mir lang, aber ich hielt das für normal. Erst als Koschi und der Chef besorgte Blicke wechselten, begann ich zu ahnen, dass irgendwas nicht stimmte. Wir änderten immer öfter die Richtung und unter der Verwandtschaft des Toten, die bedächtig hinter dem Karren mit dem Sarg herschritt, breitete sich Unruhe aus.
Bei manchen Gräbern, den alten, auffälligen, mit den prunkvollen Statuen, war ich mir sicher, dass wir sie mehrmals passierten.
Es entwickelten sich, anfangs zögernd und verhalten, dann immer lebhafter und lauter, Diskussionen.
Als der Trauerzug nach 40 Minuten wieder vor der Kapelle ankam, versuchte der Chef mit ernstem Gesicht und einer betont ruhigen Stimme, die Angehörigen zu beruhigen. Ein bedauerliches, aber in Moment nicht näher zu erklärendes Versehen sei dafür verantwortlich, dass versäumt wurde die Grabstätte auszuheben.
Die Witwe des Verstorbenen wurde ohnmächtig und der Bruder streckte den Chef mit einem Faustschlag ins Gesicht zu Boden.
Joseph hatte im Suff 'vergessen' das Loch zu buddeln.
Der Fall war damit natürlich nicht ausgestanden. Der Chef wurde zu seinem Vorgesetzten bestellt und noch am Abend muss er Joseph aufgesucht haben. Was genau dabei passierte, haben wir nie erfahren, aber seitdem machten sie einen großen Bogen umeinander.
Joseph verdankte seinen Verbleib auf dem Friedhof wohl lediglich der Tatsache, dass sich niemand fand der seine Arbeit machte. Auf einigen Friedhöfen der Umgebung mussten die Angehörigen das Ausheben der Gräber teilweise schon selbst übernehmen.
Als er jetzt den Kopf durch den Türspalt steckte und den Chef sah, wollte er die Tür schnell wieder schließen - zu spät.
"Joseph!" brüllte der Chef und als nichts passierte nochmal "Joseph!"
Zögerlich schob der sich, ohne die Tür ganz zu öffnen, den Blick auf den Boden gerichtet, seitlich in den Raum.
Der Chef deutete mit der Hand auf den Toten, der in seinem Sarg saß.
"Hast du sowas schon mal erlebt?"
Joseph starrte den Buckligen an, verzog aber keine Miene, dann nickte er bedächtig mit dem Kopf.
Gespannte Stille, wir sahen Joseph an, aber der hatte beschlossen, sich nicht weiter zu äußern.
"Ja und?" der Chef klang gereizt.
Joseph sah ihn nur an.
Nach einer Ewigkeit begann er den Kopf mit der gleichen Bedächtigkeit hin und her zu wiegen, mit der er zuvor genickt hatte. Der Chef machte ungeduldige Bewegungen mit den Händen und schnaufte wie eine alte Maschine, die kurz davor ist zu explodieren.
Joseph deutete mit dem ausgestreckten Arm auf den wuchtigen Tisch am Fenster.
"Legt ihn auf den Bauch."
Wir sahen den Chef an.
"Na macht schon!", sagte der.
Als die Leiche lag, sah Joseph sich suchend im Raum um, nahm den schweren Hammer und trat an den Tisch.
"Oh nein ..." sagte Koschi.
Joseph wandte sich zum Chef um - der nickte entschlossen.
Als Joseph ausholte, drehte Koschi sich weg und der Chef schloss die Augen.
Ich sah, wie der schwere Hammer einen Moment in der Luft schwebte. Hörte das hölzerne Krachen der brechenden Wirbelsäule, dann ein dumpfes Schmatzen, als Joseph den Hammer aus dem Rücken des Toten zog.
Krach, schmatz, krach, schmatz.
An dieser Stelle seiner Erzählung war Amigo aufgesprungen und schlug wie ein Wilder mit der Faust auf den Tisch ein.
Brüllendes Gelächter.
Man wusste bei seinen Geschichten nie, woran man war. Das würde sich auch im späteren Verlauf unserer Bekanntschaft nicht ändern.
"Das wird ein Problem", sagte Koschi und schüttelte den Kopf.
"Komm!" Mit einer kurzen Handbewegung forderte er mich auf die Füße zu nehmen. Er packte die Leiche an den Schultern. Wir hoben sie in den Sarg. Der Buckel des Toten war so stark, dass es aussah, als würde er halb aufgerichtet sitzen. Er ließ sich nicht flach hinlegen.
"Wir bekommen den Deckel nie drauf" Koschi klang resigniert.
Halbherzig versuchten wir ihn tiefer in die Kiste zu pressen. Ohne Erfolg.
"Wenn er auftaut, legt er sich vielleicht etwas flacher", sagte ich.
Koschi schüttelte langsam den Kopf: "Das ist ein Problem."
"Wir müssen die Kiste nur irgendwie zukriegen", sagte ich "wie ist doch egal. Oder soll er aufgebahrt werden?"
Koschi seufzte und der Bucklige, wie er da in seinem Sarg saß, wirkte irgendwie schadenfroh.
"Komm!" er deutete mit dem Kopf zu den Füßen und griff entschlossen unter die Achseln. Wir hoben die Leiche zurück auf die Bahre.
Ich hielt Koschi die Zigarettenschachtel hin. Er griff, den Blick nicht von dem Toten lassend zu und wir rauchten schweigend. Dann setzte er sich mit einem tiefen Seufzer in Bewegung.
"Ich hol den Chef", sagte er, bereits auf dem Weg nach draußen.
"Das gibt es doch nicht!", dröhnte es näherkommend. "Ich habe genug zu tun!"
Jetzt betraten Koschi und der Chef den Raum.
"Könnt ihr denn nichts allein? Denkt doch e i n m a l mit!"
Wir standen zu dritt um die Leiche.
"Na los!", der Chef machte ungeduldige Armbewegungen.
Diesmal nahm ich die Schultern und Koschi die Beine. Dann, als er wieder im Sarg war, traten wir zurück. Der Chef stutzte einen Moment beim Anblick der halb aufgerichteten Leiche und begann auf den Körper des Toten zu drücken.
"Das haben wir schon versucht", sagte Koschi.
"Steht nicht rum! Drückt mal mit!"
Zu dritt drückten wir auf den Körper. Koschi und ich eher symbolisch um guten Willen zu zeigen, der Chef ungeduldig und mit aller Kraft. Nichts passierte.
Ich war der Neuling und hätte mich besser rausgehalten, versuchte aber zu zeigen, dass ich mitdachte.
"Vielleicht kann man so eine Art Aufsatz im Kopfbereich an den Sarg bauen."
Koschi drehte sich zum Fenster und am Zucken seiner Schultern und den glucksenden Geräuschen, die er von sich gab, merkte ich, dass er versuchte ein Lachen zu unterdrücken.
"Was denn!?", sagte ich aufgebracht und sah zum Chef. Der starrte mich schweigend an und hatte die Augenlider ein wenig zusammengekniffen.
Selbst der Bucklige, der sich mittlerweile ein wenig der Raumtemperatur angepasst zu haben schien, sah aus, als ob er grinste. Ich zuckte mit den Schultern und beschloss beleidigt mich an der Lösung des Problems nicht weiter zu beteiligen.
"Legt mal den Deckel drauf."
"Das hat doch keinen Sinn", sagte Koschi, "man sieht doch, dass das nichts wird."
"Quatsch nicht!", der Chef gestikulierte ungeduldig.
Wir legten den Deckel auf den Sarg und der Chef versuchte mit Einsatz des ganzen Körpers die Kiste zu schließen.
Sowas kennt man vom Kofferpacken. In unserem Fall gab es aber nichts, das man auspacken konnte.
Als wir den Deckel wieder abgenommen hatten, war am Kopf des Toten eine deutliche Druckstelle zu sehen.
Die Tür öffnete sich einen Spalt und für einen kurzen Moment erschien Josephs Gesicht.
Joseph war der Totengräber. Ein großer grobschlächtiger Kerl, der fast nie sprach, und eine stoische Ruhe ausstrahlte. Er war am längsten hier beschäftigt. "Schon immer", war seine Antwort, als ich ihn mal fragte, wie lange er diese Arbeit bereits machte.
Er stand praktisch ständig 'unter Strom', wie Koschi es nannte, auch wenn man es nicht gleich bemerkte. Dabei war er nicht wählerisch aber die Klaren waren ihm die liebsten. Wein trank er nie.
Einem Monat zuvor, im April, zogen wir mit einem Trauerzug von der Kapelle zur Beisetzung. Der Sarg lag auf einem, mit schwarzen Tüchern verhüllten Karren, der von Koschi und dem Chef gezogen und von mir und einigen Trauergästen geschoben wurde.
Die zahlreichen Angehörigen und Gäste liefen schweigend, mit Blumen und Kränzen, in einem langen Zug hinterher.
Es war mein zweiter Arbeitstag auf dem Friedhof und meine erste Beisetzung.
Der Weg schien mir lang, aber ich hielt das für normal. Erst als Koschi und der Chef besorgte Blicke wechselten, begann ich zu ahnen, dass irgendwas nicht stimmte. Wir änderten immer öfter die Richtung und unter der Verwandtschaft des Toten, die bedächtig hinter dem Karren mit dem Sarg herschritt, breitete sich Unruhe aus.
Bei manchen Gräbern, den alten, auffälligen, mit den prunkvollen Statuen, war ich mir sicher, dass wir sie mehrmals passierten.
Es entwickelten sich, anfangs zögernd und verhalten, dann immer lebhafter und lauter, Diskussionen.
Als der Trauerzug nach 40 Minuten wieder vor der Kapelle ankam, versuchte der Chef mit ernstem Gesicht und einer betont ruhigen Stimme, die Angehörigen zu beruhigen. Ein bedauerliches, aber in Moment nicht näher zu erklärendes Versehen sei dafür verantwortlich, dass versäumt wurde die Grabstätte auszuheben.
Die Witwe des Verstorbenen wurde ohnmächtig und der Bruder streckte den Chef mit einem Faustschlag ins Gesicht zu Boden.
Joseph hatte im Suff 'vergessen' das Loch zu buddeln.
Der Fall war damit natürlich nicht ausgestanden. Der Chef wurde zu seinem Vorgesetzten bestellt und noch am Abend muss er Joseph aufgesucht haben. Was genau dabei passierte, haben wir nie erfahren, aber seitdem machten sie einen großen Bogen umeinander.
Joseph verdankte seinen Verbleib auf dem Friedhof wohl lediglich der Tatsache, dass sich niemand fand der seine Arbeit machte. Auf einigen Friedhöfen der Umgebung mussten die Angehörigen das Ausheben der Gräber teilweise schon selbst übernehmen.
Als er jetzt den Kopf durch den Türspalt steckte und den Chef sah, wollte er die Tür schnell wieder schließen - zu spät.
"Joseph!" brüllte der Chef und als nichts passierte nochmal "Joseph!"
Zögerlich schob der sich, ohne die Tür ganz zu öffnen, den Blick auf den Boden gerichtet, seitlich in den Raum.
Der Chef deutete mit der Hand auf den Toten, der in seinem Sarg saß.
"Hast du sowas schon mal erlebt?"
Joseph starrte den Buckligen an, verzog aber keine Miene, dann nickte er bedächtig mit dem Kopf.
Gespannte Stille, wir sahen Joseph an, aber der hatte beschlossen, sich nicht weiter zu äußern.
"Ja und?" der Chef klang gereizt.
Joseph sah ihn nur an.
Nach einer Ewigkeit begann er den Kopf mit der gleichen Bedächtigkeit hin und her zu wiegen, mit der er zuvor genickt hatte. Der Chef machte ungeduldige Bewegungen mit den Händen und schnaufte wie eine alte Maschine, die kurz davor ist zu explodieren.
Joseph deutete mit dem ausgestreckten Arm auf den wuchtigen Tisch am Fenster.
"Legt ihn auf den Bauch."
Wir sahen den Chef an.
"Na macht schon!", sagte der.
Als die Leiche lag, sah Joseph sich suchend im Raum um, nahm den schweren Hammer und trat an den Tisch.
"Oh nein ..." sagte Koschi.
Joseph wandte sich zum Chef um - der nickte entschlossen.
Als Joseph ausholte, drehte Koschi sich weg und der Chef schloss die Augen.
Ich sah, wie der schwere Hammer einen Moment in der Luft schwebte. Hörte das hölzerne Krachen der brechenden Wirbelsäule, dann ein dumpfes Schmatzen, als Joseph den Hammer aus dem Rücken des Toten zog.
Krach, schmatz, krach, schmatz.
An dieser Stelle seiner Erzählung war Amigo aufgesprungen und schlug wie ein Wilder mit der Faust auf den Tisch ein.
Brüllendes Gelächter.
Man wusste bei seinen Geschichten nie, woran man war. Das würde sich auch im späteren Verlauf unserer Bekanntschaft nicht ändern.