Der Busfahrer

Der Busfahrer

Der Busfahrer wohnt im dritten Stock eines Reihenhauses. Das Haus ist nicht kleiner als die anderen Häuser in seiner Straße, aber auch nicht größer. Die Wohnung des Busfahrers besteht aus zwei Zimmern, Küche und Bad. Der Busfahrer hat auch eine Ehefrau. Die dreht sich zur Seite, wenn er früh am Morgen aufsteht und dreht sich wieder auf die andere Seite, wenn er die Tür hinter sich schließt. Niemals macht sich der Busfahrer zu spät auf den Weg zum Bus. Am Himmel sieht er Mond und Sterne. Er bleibt kurz stehen und atmet tief ein. Früher sagte er dabei immer den Namen seiner Frau. „Eva“, sagte er und wunderte sich, wie schön seine Stimme ihren Namen aussprach und die Sterne lächelten ihm zu.
Der Bus des Busfahrers ist nicht älter als die anderen Busse, aber auch nicht jünger. Der Busfahrer streicht über den Rückspiegel und entfernt mit seinen Händen etwas Dreck, bevor er ihn aufschließt. Er betritt seinen Bus sehr langsam. Dabei zieht er den Geruch des Busses in sich ein. Dann lächelt der Busfahrer.
Er läuft bis zur hintersten Bank und seine Hände streichen über alle Sitze, die der Bus hat. Manchmal stößt er noch auf angeklebtes Kaugummi oder Brotkrümel. Das entfernt er mit größter Sorgfalt. Danach streicht er noch einmal über den Sitz. Ist aller Schmutz beseitigt, wendet er sich dem nächsten zu. Brotkrümel, Kaugummis und all die anderen Dinge sammelt er in einer großen Tüte, die er zu anderen großen Tüten unter seinen Sitz legt.
Der Busfahrer startet seine Fahrt, wenn Mond und Sterne verschwunden sind. Es sind Schulkinder, die er von den Bushaltestellen verschiedener Dörfer zur Stadt bringt. Sie kreischen und ziehen sich an den Haaren. Sie kauen Kaugummi, während sie sich darum streiten, wer in der hintersten Reihe sitzen darf. Der Busfahrer richtet seinen Blick geradeaus auf den Verkehr. Dann liefert er die Kinder in ihrer Schule ab. Zur Mittagszeit muss er sie von dort abholen. Zuerst die Kleinen. Sie zanken sich um ihre Sitzplätze und ziehen sich an den Haaren und wenn die Scheiben beschlagen sind, schreiben sie „hallo“ und ihren Namen dahin. Sind sie alle ausgestiegen, fährt der Busfahrer mit dem leeren Bus wieder zur Schule. Er fährt dieses Stück immer sehr langsam und es kommt vor, dass er beginnt zu reden. „Lieber Bus“, sagt er, „lass uns diese Fahrt genießen. Mein Freund, das ist die schönste Fahrt an diesem Tag und wir müssen tapfer sein, wir beide, du weißt schon, doch wir werden es überstehen.“ Manchmal zündet er sich dann eine Zigarette an. Doch niemals raucht er mehr als eine Zigarette und er hat sie schon längst zu Ende geraucht, wenn er wieder bei der Schule angelangt ist. Viele andere Busfahrer stehen an der Buswende. Sie lesen in Zeitungen, die sie auf ihren Lenkrädern ausgebreitet haben und trinken Kaffee aus Thermoskannen. Andere sitzen zu mehreren in einem Bus, während manche Busse ganz leer sind. Der Busfahrer nickt ihnen zu und sie nicken ihm zu. Es dauert dann nicht mehr lange, bis die großen Schulkinder kommen. Der Busfahrer öffnet ihnen nur die vordere Tür und verlangt ihre Fahrkarte. Es ist ein guter Tag, denn einige Kinder müssen vor der geschlossenen Tür stehen bleiben. Dann fährt der Busfahrer ziemlich schnell los. Seine Zähne sind fest zusammengebissen. Diese Kinder sind nicht so laut wie die anderen, doch der Busfahrer fürchtet ihre wasserfesten Stifte, mit denen sie Liebeserklärungen und verbotene Wörter auf die Sitze schreiben. Wenn sie aus dem Bus gestiegen sind, legt er eine Pause ein. Die verwendet er zu einem Kontrollgang durch seinen Bus. Die Spuren der Schulkinder lassen sich vollständig entfernen. Bei den Nachmittagsfahrten ist er freundlich und zuvorkommend und sagt „Auf Wiedersehen“, wenn die Fahrgäste an ihrem Ziel angekommen sind.
Mittlerweile hat der Busfahrer nur noch vier Fahrgäste zur Stadt zu befördern. Er schaut auf die Uhr und denkt, dass er in einer Minute die nächste Bushaltestelle erreichen muss. Plötzlich steht eine Gestalt mitten auf der Fahrbahn. Es ist eines der kleinen Schulkinder. Der Busfahrer muss sich beeilen, um die Bushaltestelle pünktlich zu erreichen. Mindestens 70 fahren. Da hört er einen Aufschrei. Er drückt auf das Bremspedal und schaut wieder auf die Uhr. Noch 30 Sekunden. Auf einmal wackelt alles. Der Busfahrer hält an. Er läuft nach draußen. Ein Auto ist auf ihn gefahren. Der Busfahrer streicht über die zerkratzen Stellen am Bus und küsst die, die zerdrückt worden sind. Dann kommt ein Mann und zieht ihn weg. Der Busfahrer versucht zu protestieren, doch der Mann ist viel stärker als der Busfahrer und seine Stimme ist laut. Sie stellt ihm viele Fragen. Immer wieder schaut der Busfahrer auf die Uhr. Soviel Verspätung hat er noch nie gehabt. Irgendwann kommt ein Notarztwagen und dann ein Rettungshubschrauber. Das Kind ist überall rot, als es in den Hubschrauber getragen wird. Der Busfahrer spuckt auf dem Boden aus.
Es dauert noch lange, bis er den Ort verlassen kann. Der Bus ist noch fahrtüchtig. Mehrmals fährt der Busfahrer zu der Schule, dreht ruhig und erfahren an der Buswende, fährt durch die verschiedenen Dörfer und dann wieder zur Schule. Er zündet eine Zigarette an und als er sie zu Ende geraucht hat, drückt er sie auf dem Boden des Busses aus. Dann raucht er die nächste Zigarette und auch sie zerstampft er am Boden. Als die Schachtel leer ist, fährt er zur Autobahn. Er fährt bis es hell wird und fährt noch immer, als es wieder dunkel wird. An diesem Abend sind keine Sterne am Himmel und der Busfahrer verlässt die Autobahn. Er fährt noch eine Weile über die Landstraße, dann mach er Halt. In jeden Sitz schneidet er Löcher. Er holt die Tüten unter seinem Sitz hervor. Alle sind voll, nur die letzte ist bloß bis zur Hälfte gefüllt. Sorgfältig verteilt er den Inhalt der Tüten auf den Sitzen. Als er damit fertig ist, schlägt er die Scheiben im Bus ein. Danach geht er nach draußen und zerkratzt den Bus an allen Stellen, die er erreichen kann. Er ist fertig, als es dämmert.
Sehr langsam verlässt der Busfahrer zu Fuß seinen Bus. Er dreht sich kein einziges Mal um. Als er den Bus nicht mehr sehen kann, schaut er in den Himmel. Vögel fliegen. Jetzt spürt der Busfahrer, wie erschöpft er ist.
Er atmet tief ein und aus. Er reibt sich die Augen und ist auf einmal sehr wach. Er läuft los. Der Busfahrer kann sehr schnell laufen und dann sieht er das Meer. Es ist tiefblau und an einer Stelle sind viele Schiffe. Der Busfahrer wird immer schneller. Dann bleibt er vor einem Schiff stehen. Es ist nicht größer als die anderen Schiffe, aber auch nicht kleiner. Doch es scheint, als wolle es ablegen. „Halt“, ruft der Busfahrer und lächelt, weil ihm seine Stimme gefällt.
 



 
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