Hagen
Mitglied
Um die Weltöffentlichkeit auf die Existenz der Detektei ERAU, das heißt ‘Ermitteln und Aufklären‘ - ein genialer Gedankenblitz von mir - aufmerksam zu machen, ging ich bei der Zeitung Inserate schalten. Kitty kümmerte sich inzwischen darum, dass wir ins Internet kamen und erledigte auch die Sache mit der Telefongesellschaft.
An meiner Tür prangte bereits ein Messingschild mit der Aufschrift
Detektei ERAU
und das war’s auch schon.
Hatte sich was mit Detektiv!
Es passierte gar nichts.
Kitty trug sich sogar mit dem Gedanken, das gestohlene Geld aus dem Bankraub zurückzugeben und sich mit der Belohnung zufrieden zu geben, aber das sah ich anders.
Aus meinem Erfahrungsbereich heraus wusste ich, dass das mit den Belohnungen in etwa so lange dauert, wie eine Eiche mit einer Laubsäge zu fällen; - wenn man der Kuh nicht von vorn herein hinten reinguckt, was Kitty zunächst nicht glauben wollte, dann aber schließlich doch einsah, als wir uns drauf einigten, die Bösen zu sein und das Geld zu behalten, um keine unnötigen bürokratische Wirrnisse zu erzeugen; - außerdem mussten wir das tun, was das Leben von uns fordert, und überhaupt ist das Leben viel zu hart um ein guter Mensch zu sein!
Wir hatten auch keinem geschadet; - zumindest im pekuniären Sinne.
Und dann saßen wir nur noch rum, tranken Kaffee, aßen Kittys wunderbare Heidelbeer-Sahnetorte, die sie mittlerweile in der Küche meines Büros buk und besprachen, was in der Detektei ERAU in der nächsten Zeit so alles abgehen sollte … könnte … musste … kurz: Wir langweilten uns und tranken nach der Torte Irish Coffee. So richtig schön mit von Kitty gekochtem Kaffee, viel Whisky, echtem Rohrzucker und einem Häublein Sahne oben drauf.
„Kann ich dir denn irgendwas Gutes tun?“, fragte ich mal so zwischen zwei Schlucken, und in Anbetracht von Kittys wunderbarer Heidelbeer-Sahnetorte, „soll ich dir eine Tätowierung schenken? Vielleicht einen Totenkopf, aus dessen linker Augenhöhle sich eine Klapperschlange windet …“
"Lass doch den Quatsch! Ich werd` mich doch in meinem Alter nicht mehr tätowieren lassen, und sowas schon gar nicht!"
"Nicht? - Ein Piercing vielleicht? Durch die Zunge oder die Augenbraue?"
"Ach Hagen. Manchmal fällt es mir wirklich schwer, dich ernst zu nehmen." Kitty lächelte ein bezauberndes Lächeln; - unwiderstehlich, aber sie schüttelte den Kopf dabei.
Ich wagte nicht weiter zu fragen, so mit Piercing an den Schamlippen, aber naja, es würde auch zu sehr ins Erotische abgleiten und soweit waren wir noch lange nicht.
"Na gut", lenkte ich ein, "da wir jetzt gerade einen konstruktiven Dialog führen; - wollen wir denn wohl heute Abend mal zusammen essen gehen? - So richtig edel?“
"Och nö, heute passt es mir nicht.“
Kitty betrachtete gelangweilt ihre Fingernägel. Sie wollte noch etwas sagen, aber das Telefon klingelte. Ich wollte schon rangehen, aber Kitty wehrte ab.
„Das ist mein Job!“
Sie ließ das Telefon nochmal klingeln, nahm dann schließlich ab und drückte auf Lautsprecher: „Detektei ERAU. Katrin Hoppe. Was können wir für sie tun?“
„Gronau“, meldete sich eine Frauenstimme, „ja, mein Mann ist wieder mal verschwunden. Kann der Detektiv denn rauskriegen wo der immer ist?“
“Wie? Immer?“
„Naja, jedes Jahr im Sommer verschwindet der und kommt vier Wochen später wieder. Putzmunter und gut gelaunt. Ich will endlich wissen, wo der immer steckt und was der die vier Wochen macht. Verstehen sie? Kann der Detektiv das rauskriegen?“
„Ich denke doch. Leider ist Herr von Wegen im Moment wegen laufender Ermittlungen nicht da. Er wird sie aber umgehend zurückrufen, Frau Gronau. Danke für den Anruf.“
Kitty legte auf und notierte die Nummer, die auf dem Telefon stand.
„Schon haben wir den ersten Auftrag!“, sagte sie, „jetzt würde ich etwa eine Stunde warten und zurückrufen. Das wirkt professioneller! – Wie wär’s wenn wir inzwischen eine Runde Flippern?“
Genau das taten wir, dann rief ich Frau Gronau zurück und die bat mich zu ihr nach Hause. Ich trat an den Flipper und holte ein paar Tausender heraus.
„Wir müssen langsam mal anfangen, das Geld zu waschen“, sagte ich, „vielleicht kann ich das unterwegs tun.“
„Wie? Waschen?“, fragte Kitty und machte große Kulleraugen.
„Naja, die Beute aus dem Bankraub besteht größtenteils aus Tausendern. Wir können mit diesen nicht in den Supermarkt gehen und bezahlen, das fällt auf! Besonders hier in der Gegend. Wir müssen die Scheine also irgendwo anders wechseln, am besten in einer anderen Stadt. Du verstehst?“
Kitty nickte.
„Wenn ich also Herrn Gronau suchen soll, wird es mich möglicherweise in eine fremde Stadt führen. Da kann ich ein paar Scheine waschen, das ist ein Stück weg und fällt demnach nicht so auf.“
„Ah, ja“, sagte Kitty.
Während ich mit dem Fahrstuhl runter fuhr um an mein Auto zu gelangen, überlegte ich, Männe den Flipper unauffällig abzukaufen, sollte er auftauchen und ihn abholen wollen. Natürlich mit gewaschenen Scheinen.
Dann machte ich mich auf zu Frau Gronau; - ein wenig lustlos allerdings.
Bei der zuhause saß ein Kerl rum, der aus einem dieser schönen alten Filme rausgecastet zu sein schien, in denen die Welt nur aus Revuen und Amüsement bestand, und die Frauen jung und nach einigen Gläsern Champagner zu allem bereit waren. Sie hatten den Kamin im Wohnzimmer an und den zum Ambiente passenden Champagnerkühler neben dem Tisch stehen.
Ich begrüßte Frau Gronau artig, sie stellte mir den Champagnerfuzzi als Herrn Bruno vor und bat mich in ihr Büro. Dort kam sie gleich zur Sache: "Mein Mann ist wieder mal verschwunden", sagte sie, "nicht, dass ich unbedingt will, dass er wieder da ist, aber ich möchte schon wissen, wo er steckt."
"Das kann ich verstehen", nickte ich, "aber bisher war es doch immer so, dass er von selber wiedergekommen ist."
"Ich weiß aber nicht, wann er wiederkommt. Und wenn wirklich mal was Wichtiges anliegt, möchte ich ihn erreichen können. Wir sind nämlich Steuerberater, alle beide."
"Na, gut, wenn sie meinen! Haben sie es schon mal mit Handyortung versucht?“
Sie grinste und hob ein Handy in die Höhe.
„Sein Handy lässt er grundsätzlich hier. Wahrscheinlich hat er noch eins, aber ich weiß die Nummer nicht.“
„Haben sie denn irgendeinen Anhaltspunkt, wo er sein könnte?"
"Hier, das hat Erich mir aus Rosenheim geschickt", sagte sie und zeigte mir ein Foto, "der Brief ist auch in Rosenheim abgestempelt worden."
Das Bild zeigte Herrn Gronau, aus der Froschperspektive aufgenommen. 'Herzliche Grüße aus Rosenheim, Dein Erich', lautete der Gruß auf dem Bild. Der Mann stützte sich auf etwas Gelbes, offensichtlich ein Ortsschild in der rechten unteren Ecke des Bildes. Der Ortsname war nicht mit auf dem Bild, nur die Anfangsbuchstaben des Namens; - es musste ein langer Name sein, zweizeilig. Auf der oberen Zeile war 'Pad' zu lesen, auf der unteren nur ein 'A‘. Im Hintergrund war natürlich nur Himmel mit einem einzelnen Vogel zu sehen, und ganz links oben im weiten Hintergrund ein Stück eines Eisengeländers. Das Geländer musste zu einem sehr hohen Gebäude gehören und der Vogel sah mir nicht gerade nach einem Steinadler aus, er war fast weiß; - eine Seemöwe!
Was hatte die Möwe in Rosenheim zu suchen?
Ein normales Urlaubsfoto aus Bayern hatte bestimmt ein Gebirgsmassiv oder zumindest eine Almhütte im Hintergrund gezeigt. Die Vermutung lag nahe, dass sich der Bursche nicht in Bayern aufhielt, und er damit einen eventuellen Schnüffler auf eine falsche Fährte locken wollte. Irgendjemand musste den Brief allerdings in Rosenheim aufgegeben haben. Das hatte sicherlich ein Kumpel gemacht.
"Na, was halten sie davon?“, fragte Frau Gronau.
"Sehr interessant", antwortete ich, "kann ich das Bild haben, wenn ich ihren Mann suchen soll? Allerdings kann ich ihnen nichts versprechen. - Ach ja, und ein Bild oder zwei ihres Mannes hätte ich auch gerne."
Frau Gronau nickte und gab mir fünf Bilder: "Kriegen sie raus, was meinen Mann in Rosenheim treibt und wie ich ihn dort erreichen kann!"
Der Mann auf den Bildern machte einen sympathischen Eindruck, ein ganz normaler Steuerberater eben, wie 1000 andere auch. Hätte auch mein Onkel aus Bielefeld sein können, das ist auch so ein Durchschnittstyp.
Ich nickte und verabschiedete mich, Herr Gronau war niemals in Rosenheim; - eher irgendwo an der See.
Ich fuhr erst mal wieder zurück und zu meiner Stammtankstelle. Dort stand Kurt unter einem Auto auf der Hebebühne und schraubte lieblos an des Autos Auspuffhalterung herum.
"Hay, Kurt! Was machst'n so spät noch hier?"
"Mmmm. Der Wagen muss noch fertich."
Kurts Schraubenschlüssel klirrte zu Boden.
"Haste mal 'ne Straßenkarte und ein bisschen Sprit für mich?"
"Klar." Kurt trat unter dem Auto hervor und ins Tageslicht. "Mein Gott", murmelte er, "muss das immer so hell sein? – Was willst du? Eine Karte?"
Ich nickte.
"Naja, sonen Autoatlas mitt‘n Ortsverzeichnis."
"Geh' mah rein, ich komm' gleich."
Das tat ich auch, griff mir einen Autoatlas und schlug im Verzeichnis unter 'P' nach. Es waren nicht viele Doppelnamen da. Ziemlich am Anfang stieß ich auf Padingbütteler Altendeich. Ich stellte mir diese beiden Worte untereinander geschrieben vor und zählte die Buchstaben ab; - konnte hinkommen mit 'Pad' und 'A' untereinander.
Ich entschloss mich hinzufahren und mich dort ein Wenig umzusehen.
Ich kaufte den Atlas, tankte nochmal voll und steckte mir einige Schokoladenriegel als Wegzehrung ein.
"Kurt, ich muss los, hau rein!"
Ich fuhr los, in Richtung Padingbütteler Altendeich, gelegentlich sollte ich mir mal ein Navi anschaffen.
Unterwegs nahm ich eine Anhalterin mit, Studentin der Dramaturgie oder sowas. Sie arbeitete bei einer Pinterinszenierung mit; - lauter kaputte Typen, die das Leben vor sich hertrieb, menschliche Konflikte, Eruptionen der Gefühle; - und sie erzählte mit glühenden Wangen.
Wir tranken irgendwo auf einer Raststatte Kaffee, rauchten eine Zigarette, und sie blieb da. Sie wollte in eine andere Richtung und nicht mit mir essen gehen; - ich fragte sie nicht nach ihrem Namen.
Nachdenklich fuhr ich weiter und als ich schließlich in Padingbütteler Altendeich ankam, hatte sich die Erkenntnis in mir breit gemacht, dass es auch noch andere Frauen gab, als die, die ich bisher kennengelernt hatte. Neben dem Ortsschild ‘Padingbütteler Altendeichs‘ schmiegte sich ein kleines Gasthaus an eine Düne, gegenüber der Strand und ein Stück im Meer ein Leuchtturm mit rostigem Gitter an dem Freigang um die Laterne. Der Ort dämmerte vor sich hin, und die Tür des Gasthauses knarrte leise, als ich eintrat.
Was hätte ich auch sonst tun sollen?
Einige Männer mit zerklüfteten Gesichtern saßen vor der Theke, gemeinsam mit ein paar wohlbeleibten Herren, die aussahen wie Familienväter, die sich mal kurz auf ein Bier von Frau und Kindern abgesondert hatten, und hinter der Theke lehnte Herr Gronau!
'Bingo‘, dachte ich, ging zur Theke und bestellte ein Bier, ‚so einfach geht das also‘.
“Sind sie Herr Gronau?“, fragte ich, „ihre Frau hat mich beauftragt, sie zu finden. Das habe ich ja nun."
"Scheiße!"
Er ließ resigniert seine Schultern fallen und stellte ein Glas unter den Zapfhahn.
"Wissen sie, im Grunde ist meine Frau ja ganz in Ordnung, aber hin und wieder muss ich mal für ein paar Wochen raus, weg von Zuhause - mich hier mal ausspannen, Urlaub machen. Wir hängen ja sonst den lieben, langen Tag dicht beieinander, im gleichen Steuerberaterbüro."
"Ich kann sie verstehen", sagte ich.
Der Mann wirkte erleichtert.
"Wissen sie, ich habe mir hier dieses Gasthaus kürzlich gekauft und es verpachtet. Aber der Pächter muss ja auch mal Urlaub machen, und da springe ich eben ein. Das ist mein Urlaub hier, und es macht mir Spaß."
"Kann ich auch verstehen. Ich hatte auch gerne solch eine Dependance - ehrlich."
"Da lässt sich was machen."
Er stellte das Bierglas auf den Deckel vor mir.
"Ich habe noch ein Zimmer frei. Zwar nur ein kleines unter dem Dach, aber sie können es jederzeit haben - wenn sie meiner Frau nichts verraten. Ich zahle ihnen natürlich auch das, was sie von meiner Frau gekriegt hätten."
"Das lässt sich hören", sagte ich, "ihr Auftrag lautete, sie in Rosenheim zu finden. Ist hier Rosenheim?"
"Nicht direkt", Herr Gronau grinste wie eine Kanalratte und legte einen Schlüssel vor mich hin, "dann will ich mal sehen, was ich ihnen sonst noch so Gutes antun kann.“
„Naja“, nickte ich und kritzelte meinen Namen und Telefonnummer auf einen Bierdeckel, „wenn ich ihnen auch mal was Gutes antun kann …“
„Bestimmt“, sagte Herr Gronau und steckte den Bierdeckel in seine Hemdentasche.
Wenige Augenblicke später hatte ich das Zimmerchen besichtigt, saß wieder an der Theke und trank Bier. Eigentlich hatte ich sowas viel zu oft getan; - gesessen und gewartet, dass sich das Leben ändert, dass die ganz große Chance ebenso zielsicher zur Tür herein schwirren würde, wie eine Klofliege um sich auf mir niederzulassen wie auf einem braunen Haufen.
Irgendwie durfte es so nicht weiter gehen; - ich war Detektiv geworden weil ich keine Stempelkarte mehr in keine Stechuhr stecken wollte; - mir nicht mehr von irgendwelchen Typen sagen lassen wollte, wann ich was zu tun und zu denken hatte, und jetzt ärgerte ich mich darüber, dass ich hier saß.
Ich hätte wieder umkehren und Frau Gronau den Aufenthaltsort ihres Mannes mitteilen, oder diesen verdammten Auftrag von vorn herein ablehnen müssen; - aber ich saß wieder mal an einer Theke und trank Bier; - und ich trank alleine, gefangen in einer ethischen Zwickmühle; - aber was zur Hölle ist eigentlich Ethik?
Welchen Stellenwert nahm sie in meinem Leben ein?
Ich hätte mich jetzt gerne mit jemandem über Ethik unterhalten; - seltsam, dass die richtigen Detektive in guten Filmen nie in derartige Situationen kamen; - da waren sie immer 'der Gute', brachten 'die Bösen' zur Strecke, und anschließend eine schöne Frau nach Hause und so weiter.
Im Moment kam ich mir eher wie ein wenig zur Strecke gebracht vor, obwohl ich mir die Beute eines Bankraubes erarbeitet hatte; - aber wer alleine an der Theke sitzt, ist stets der Verlierer!
Nicht wie die anderen, die sich unterhielten, über ihre Familien, ihre Arbeit, ihre Autos; - aber die gingen auch bald, zurück zu ihren Familien.
Etwas später die, die die Nachtruhe brauchten, um am nächsten Tag Leistung zu bringen. Zurück blieben die mit den traurigen Augen und dem resignierten Zug um die Mundwinkel. Einer stand am Geldspielgerat, beobachtete vergeblich die Gewinnanzeige und warf regelmäßig Münzen ein.
Das Gerät hing genau richtig; - Geldeinwurfschlitz in Augenhöhe. Die Gespräche der Übriggebliebenen wurden flacher; - es ging nicht mehr um die eigenen Familien, es ging um Sport den andere trieben, nach Regeln, die wiederum andere aufgestellt hatten, wie irgendwelche Vereine gespielt hatten, wer wen zur Sau gemacht oder eine Packung verabreicht hatte … Die Juke-Box schwieg auch, Herr Gronau lehnte schläfrig am Gläserschrank, hin und wieder stellte er ein Glas unter den Zapfhahn und ließ Bier nachlaufen.
Ich spürte, wie die Zeit nutzlos verstrich, und als ich irgendwann mal wieder vom Klo kam, saß eine Frau auf dem Hocker neben meinem und hatte einen Piccolo vor sich. Es mochte Zufall gewesen sein, weil viele Plätze frei waren; - aber sie hätte das halbvolle Bierglas sehen müssen.
"Nabend", sagte ich, "Guten Abend", sie, als ich mich wieder hinsetzte, und dann beschäftigte sich die Zeit weiter damit, sinnlos zu verstreichen und ich mich damit, eine Zigarette zu drehen, weil man dabei so gut denken und verstohlen zur Seite gucken kann.
Die Frau neben mir hatte große dunkelblonde Locken, gehalten von einer goldenen Spange und eine beige, breit gerippte Strickjacke mit geöffnetem oberen Knopf an, sodass die Spitzen eines BHs sichtbar waren; - jedenfalls hin und wieder. Und schöne Beine hatte sie, gewissermaßen bis zum Hals.
Nur seltsam, dass sie nach nichts duftete. Eine Ehefrau, die sich ein bisschen mit ihrem Mann gezofft hatte, so am Anfang des Urlaubs, weil die Realität weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben war, weil er sich gleich am zweiten Urlaubstag bei einer Dünenwanderung überanstrengt und zudem noch den Magen mit der Edelfischplatte verdorben hatte, hätte sicherlich ein dezentes Parfum aufgelegt, wenn sie sich mal eben - natürlich nur auf ein Gläschen Sekt - in die Wirtschaft abgesetzt hätte.
Ich zündete mir die Zigarette an, zog daran, blies den Rauch aus, sah dabei wie aus Versehen zur Seite und fing ihren Blick auf.
Ich lächelte kurz, sie auch, und sah wieder zu meinem Bier.
“Entschuldigen sie“, die Frau neben mir, "würden sie mir auch mal eine Zigarette drehen? Ich kann das nicht."
Ich nickte und gab ihr meine angezündete. Recht jung war sie noch und nicht geschminkt, "sind Sie im Urlaub hier?" fragte sie, zog an der Zigarette und hustete.
"Naja, oooch, gewissermaßen. Ich wollte mich eigentlich nur ein bisschen betrinken und dann schlafen gehen."
Ich begann eine neue Zigarette zu drehen und dachte dabei an Kitty. Ich sollte sie eigentlich anrufen, aber sicher war sie schon nach Hause gegangen.
"Ah ja“, die Frau neben mir wirkte etwas irritiert und zupfte an ihrem recht kurzen Rock herum, "und warum das?"
"Nur so.“
Die Frau trug Straps unter ihrem kurzen Rock, und sie saß nicht von Ungefähr neben mir rum, bestimmt hatte Herr Gronau eine Hostess oder sowas geordert, weil er mir etwas Gutes antun wollte. Schade eigentlich, aber ich war absolut nicht ihr Typ.
Sie lächelte zwar, aber sie lächelte nicht mit den Augen, obwohl diese noch nicht die Fähigkeit verloren hatten, zu lächeln, und der Arm mit der Hand, die die Zigarette hielt, war wie eine Barriere zwischen uns; - nein, nein, so betrunken war ich noch nicht, und ich wollte mich auch nicht weiter betrinken, ich hatte es schon zu oft getan in diesem Leben.
Verdammt, ich schob das leere Bierglas von mir, Herr Gronau stellte mir sofort ein Neues unter den Zapfhahn, grinste mich an und bewegte seine Handflächen ruckartig einige Male nach oben, 'nun mal ran, an die Frau!'
"Gibt's denn noch einen Kaffee?" fragte ich.
Herr Gronau stutzte, nickte dann aber mit dem Kopf.
"Ich dachte, sie wollen sich betrinken", sagte die Frau neben mir.
"Muss ja nicht sein; - jedenfalls nicht in Anwesenheit einer schönen Frau.“
“Ist auch sinnvoller."
"Tja", sagte ich langsam, "ich möchte mehr von dem erfassen, was wirklich und möglich ist; - betrunken geht das nicht so gut …“
Um ihre Augen erschien kleine Fältchen, der Ansatz eines Lächelns, und sie sagte: "Ja, ja. Jedes Seinsmoment, welches der Vervollkommnung fähig ist und jedes Seinsmoment, welches ein ‘Sein‘ vollständiger macht, es verlängert oder bestimmt, führt zum Begriff des ‘actus purus‘, des reinen, mit keiner Potentialität behafteten Akts, sowie zum Begriff der reinen Potenz, welche Vollkommenheiten nur aufzunehmen und Wirkungen nur zu erleiden vermag."
Jetzt lächelte sie richtig, sah mir endlich ins Gesicht.
"Hej, ich bin mir der Zweideutigkeit dessen, was Sie eben gesagt haben, bewusst; - glücklicherweise habe ich noch nicht allzu viel getrunken, aber das Gefühl, dass ich von ihnen noch was lernen kann! Woher wissen sie das?"
"Ich hab' mal angefangen, Theologie zu studieren …“, sie machte eine wegwerfende Handbewegung, "aber als Frau …“
"Ja, kann ich verstehen; - aber ist das nicht auch eine Perspektive der Existenz? Erfüllt nicht die Existenz das Wesen, macht es vollständig und setzt es in das wirkliche ‘Sein‘?"
Sie merkte auf.
"Ja", lächelte sie, "daraus folgt, dass das potentielle Wesen seine Verwirklichung bloß der äußeren, aktuellen, über die Existenz verfügenden Ursache verdankt. Unter den Existierenden muss eines sein, welches seine Existenz keinem anderen verdankt, sondern sie von seinem Wesen her besitzt; - nämlich Gott."
"Aus dieser Perspektive habe ich den Gottesbegriff noch nie gesehen", sagte ich.
Herr Gronau stellte mir einen Pott Kaffee hin, verdrehte die Augen nach oben und atmete hörbar aus. Irgendwas von unserem Gespräch musste er mitbekommen haben.
"Ja, ich habe auch ein etwas anderes Gottesbild", sagte die Frau neben mir, als Herr Gronau am anderen Ende der Theke rumbierdeckelte und ich einen Schluck Kaffee trank, "aber nach Thomas von Aquin liegt die Wurzel der wahren Kenntnisse über die Welt im göttlichen Wesen, dessen sowohl die Welt, wie auch die Vernunft teilhaftig ist.“
"Das ist richtig; - aber bedeutet das nicht, dass die Vernunft als geistige Wirklichkeit erkannt werden muss?"
Sie nickte.
"Ja, die größte Leistung der menschlichen Vernunft besteht demnach darin, dass sie aus eigener Kraft imstande ist, Gott zu erkennen. Thomas von Aquin hat das Dasein Gottes sogar in seiner ‘Summatheologiae‘ bewiesen."
"Den Beweis wurde ich gerne hören“, sagte ich, und weil sich Herr Gronau wieder näherte, fügte ich noch, "wollen wir nicht auf mein Zimmerchen gehen?", hinzu.
"Ja, gerne", nickte die Frau neben mir.
"Können wir denn", fragte ich Herrn Gronau, "noch zweimal Kaffee aufs Zimmer haben?“
"Was? Kaffee? Ich habe auch Prosecco."
"Nein, Kaffee!"
"Na, gut. Ich bring's ihnen gleich hoch."
Herr Gronau schüttelte den Kopf, ich glaube, er schüttelte ihn immer noch als er uns eine Weile später im Bett erwischte; - nur etwas anders als er es sich vorgestellt hatte; - die Frau erklärte mir gerade den dritten Gottesbeweis nach Thomas von Aquin: "Das Zufällige hängt vom Notwendigen ab, dieses wiederum von anderem Notwendigem oder - schließlich - von sich selbst; - wie Gott, der die Ursache seiner Notwendigkeit nicht in anderem hat, sondern für anderes Ursache in der Notwendigkeit ist!“
Sowas Ähnliches hatte ich auch schon gedacht; - als man mich aus der Untersuchungshaft entließ. Nur nicht so schön formuliert.
Es war nicht das erste Mal, dass ich neben einer fremden Frau aufwachte, hin und wieder war ich schon neben Lady-Horror erwacht; - einer Frau, die ich am Vorabend mühsam schöngetrunken hatte, und fühlte mich auch am Morgen entsprechend; - aber noch nie begann ich den Tag neben einer Frau, mit der ich des Nachts, wenn andere schlafen und lieben, nur Kaffee getrunken und philosophiert hatte.
Wir duschten gemeinsam und frühstückten zusammen, und dann verließ sie mich; - ich wusste noch nicht einmal ihren Namen, ich wusste nicht, was sie sonst tat. Ob sie nur aus Versehen, oder warum sie dieser Tätigkeit nachging, wie sie dazu gekommen war, wie sie sich ihr weiteres Leben vorstellte; - ob sie überhaupt das war, wofür ich sie hielt, und als sie in den Tag hinaustrat, verschmolz sie mit der Helligkeit.
Ich konnte das Grinsen des Herrn Gronau nicht ertragen, als er sich zu mir setzte nachdem sie gegangen war; - ich hätte eigentlich niemanden ertragen; - außer Kitty vielleicht, aber die war weit weg, und Herr Gronau steckte mir einige Geldscheine in die Hemdentasche; - als ob es mir darauf ankäme!
Ich rauchte eine Verdauungszigarette und fragte mich, ob mein Tun moralisch verwerflich war; - in der Nacht hatte ich mit der Frau, die sich soeben in der Helligkeit aufgelöst hatte, eine Antwort darauf zu finden versucht.
Aber da auch die einzelne Tat, die eine bedingende Tat ist; - da die Begriffe, die den einzelnen Begriff bestimmen, selber bestimmte sind, droht die Gefahr, dass wir uns in der Unendlichkeit der Modifikation verlieren und die gestellte Aufgabe, eine der als konstant angenommene menschliche Natur entsprechenden Natur entsprechende Moral zu begründen unlösbar wird!
Was also sollte es?
Ich gab Herrn Gronau das Versprechen, seiner Frau nichts zu verraten von seiner Dependance.
Ich blieb sitzen, eine neue Zahnbürste wollte ich mir noch besorgen, aber das hatte noch etwas Zeit, trank noch mehr Kaffee, rauchte noch mehr Verdauungszigaretten und las in der Zeitung, zuerst die heitere Seite, und als ich gerade bei der Kurzgeschichte war, wollte ein Ehepaar, so ungefähr in meinem Alter, wissen, ob an meinem Tisch noch Platz wäre. Sie setzten sich ohne Umschweife und die Frau maulte rum, weil es hier zum Frühstück keinen Hagebuttentee gab, der Mann deutete auf die Titelseite der Zeitung und wollte von mir wissen, warum die irgendwo im Kaukasus wieder angefangen hatten.
Ich wusste nicht, womit die wieder angefangen hatten, wer überhaupt was, wann, wo, wie, womit und warum angefangen hatte, es war mir auch egal, und das sagte ich ihm, und er war der Ansicht, dass man bei einer Zeitung zuerst den politischen Teil lesen müsse, und dieses Käseblatt wurde viel zu wenig objektiv berichten.
Ich kam nicht dazu, die Kurzgeschichte zu genießen, den die Frau wollte wissen, warum ich mitten im Sommer schwarz angezogen war, und ich sollte mir doch was Helles und Freundliches anziehen, und ob ich denn heute auch an der Wattwanderung teilnehmen wurde.
"Ich wandere nie", sagte ich während ich aufstand, "außerdem muss ich gleich eine Fuhre Schweine nach Gummersbach bringen. - Die Witze sind aber gut in dieser Zeitung."
Ich fuhr in den nächsten Ort und dort mit meinem Auto durch die Waschstraße nachdem ich mich davon überzeugt hatte, dass die da keine Videoüberwachung hatten, reinigte das Auto auch mal wieder von innen und tankte voll. Bezahlen tat ich total cool mit einem Tausender aus dem Bankraub. Das ging glatt durch und im nächsten Ort suchte ich den Supermarkt auf und legte zwei Zahnbürsten, eine schwarz und die andere rot, für den Fall dass Kitty mal bei mir übernachten würde, Zahnpasta eine Flasche Mineralwasser, zwei Steaks, eine Dose Bohnen, Schokoriegel und Zigaretten in den Einkaufswagen. An der Kasse hielt ich der Kassiererin einen weiteren Tausender hin.
"Ich hab's leider nicht kleiner."
"Ich weiß nicht, ob ich den annehmen kann", sagte die Kassiererin.
"Das ist keine Blüte, garantiert nicht", ich versuchte ein zuckersüßes Lächeln, "sie haben doch sicher so ein Prüfgerät.“
"Oh, haben sie noch mehr davon?", fragte eine junge Frau hinter mir, während die Kassiererin den Schein unter die UV-Lampe hielt, "wenn sie mal nicht wissen, wohin damit …“, sie klimperte mich mit ihren Wimpern an.
"Leider hab' ich nur den einen. 'hab gerade einen Schrank verkauft. ‘bin Restaurator, wissen sie. - Bis gestern wusste ich auch nicht, wie so ein Tausender überhaupt aussieht."
Wir lachten, die Kassiererin gab mir über neunhundert Mark in verhältnismäßig kleinen Scheinen zurück, und die Frau hinter mir lächelte mich in Begleitung einiger Augenaufschläge eine Spur zu freundlich an. Ich hätte sie gerne zum Essen eingeladen, oder zumindest auf einen Kaffee, aber durch irgendeinen Idiotenzufall, vielleicht über die Autonummer, hätte sie meinen Namen rauskriegen können, und wenn der Schein aus dem Bankraub irgendwie registriert war, hätte es zumindest Ärger geben können.
Schade eigentlich, aber Geld muss irgendwie sexy machen.
Auf dem Weg zur nächsten größeren Stadt putzte ich mir mit der neuen schwarzen Zahnbürste und dem Mineralwasser die Zähne, sortierte die Scheine in meinem Portemonnaie so, dass immer nur ein Tausender griffbereit und die kleineren Scheine nicht sichtbar waren, fuhr in die Stadt, stellte das Auto auf einem großen Parkplatz ab und spazierte die Fußgängerebene entlang.
War eigentlich ganz angenehm hier. Touristenfamilien, die ihre quengelnden, eisessenden Kinder hinter sich herzogen und Urlauber, die vor lauter Erholen in Stress gerieten.
Ein Kännchen Kaffee lang sah ich mir das von einem kleinen Kaffeehaustischchen aus an und ging dann zu dem Friseur in der Nähe.
Der Friseurmeiser, der sich meiner persönlich annahm und mich ständig aber erfolglos zu einer neuen Modefrisur zu überreden versuchte, weil 'man' sowas eben trug und es in dieser Saison 'in' war, bekam einen weiteren Tausender und kein Trinkgeld, weil er mir noch Shampoo und Haarwässerchen und was weiß ich noch alles andrehen wollte.
Als Nächstes suchte ich einen Herrenausstatter auf. Der wollte mich in einen modischen Anzug in Trendfarben stecken und guckte etwas pikiert, als ich mir den letzten mehrfach heruntergesetzten Nadelstreifenanzug im Al Capone-Look aussuchte und anprobierte. Er passte, und ich suchte mir noch einen schwarzen Hut dazu, sowie eine ebenso grelle wie geschmacklose Krawatte aus, die ich mir sogleich umband.
Der gute Mann schnappte nach Luft, und als ich ihn bat, doch bitte meine Hose und Lederjacke zu verpacken und alle Schildchen von dem Nadelstreifenanzug zu entfernen, wollte er mich zur Vernunft bringen und mir einen Juristenanzug verkaufen, wie er von den Frauen geschätzt wird.
Auch er bekam kein Trinkgeld als ich mit einem weiteren Tausender bezahlte; - es hätte nur noch gefehlt, dass er mich gebeten hätte, seinen Laden durch den Hinterausgang zu verlassen. Zum Glück hatte er mir meine Sachen in eine neutrale Tüte gepackt. Mir gefiel dieses Spielchen und ich komplettierte mein Outfit mit einer zum Anzug passenden dunklen Brille und schwarzen Lackschuhen.
Damit war der letzte Tausender, den ich mir eingesteckt hatte, gewaschen. Das sollte für eine Weile reichen und dann würde mir schon etwas anderes einfallen; - in einer anderen Stadt. Ich besorgte mir noch einige lange, dünne Zigarren, rauchte eine davon genussvoll in Begleitung einer Tasse Kakao mit Sahnehäubchen drauf und fuhr nach Hause.
Frau Gronau sagte ich nichts von dem Aufenthaltsort ihres Mannes, wie gesagt, ich gehörte nicht zu den ‘Guten‘.
An meiner Tür prangte bereits ein Messingschild mit der Aufschrift
Detektei ERAU
und das war’s auch schon.
Hatte sich was mit Detektiv!
Es passierte gar nichts.
Kitty trug sich sogar mit dem Gedanken, das gestohlene Geld aus dem Bankraub zurückzugeben und sich mit der Belohnung zufrieden zu geben, aber das sah ich anders.
Aus meinem Erfahrungsbereich heraus wusste ich, dass das mit den Belohnungen in etwa so lange dauert, wie eine Eiche mit einer Laubsäge zu fällen; - wenn man der Kuh nicht von vorn herein hinten reinguckt, was Kitty zunächst nicht glauben wollte, dann aber schließlich doch einsah, als wir uns drauf einigten, die Bösen zu sein und das Geld zu behalten, um keine unnötigen bürokratische Wirrnisse zu erzeugen; - außerdem mussten wir das tun, was das Leben von uns fordert, und überhaupt ist das Leben viel zu hart um ein guter Mensch zu sein!
Wir hatten auch keinem geschadet; - zumindest im pekuniären Sinne.
Und dann saßen wir nur noch rum, tranken Kaffee, aßen Kittys wunderbare Heidelbeer-Sahnetorte, die sie mittlerweile in der Küche meines Büros buk und besprachen, was in der Detektei ERAU in der nächsten Zeit so alles abgehen sollte … könnte … musste … kurz: Wir langweilten uns und tranken nach der Torte Irish Coffee. So richtig schön mit von Kitty gekochtem Kaffee, viel Whisky, echtem Rohrzucker und einem Häublein Sahne oben drauf.
„Kann ich dir denn irgendwas Gutes tun?“, fragte ich mal so zwischen zwei Schlucken, und in Anbetracht von Kittys wunderbarer Heidelbeer-Sahnetorte, „soll ich dir eine Tätowierung schenken? Vielleicht einen Totenkopf, aus dessen linker Augenhöhle sich eine Klapperschlange windet …“
"Lass doch den Quatsch! Ich werd` mich doch in meinem Alter nicht mehr tätowieren lassen, und sowas schon gar nicht!"
"Nicht? - Ein Piercing vielleicht? Durch die Zunge oder die Augenbraue?"
"Ach Hagen. Manchmal fällt es mir wirklich schwer, dich ernst zu nehmen." Kitty lächelte ein bezauberndes Lächeln; - unwiderstehlich, aber sie schüttelte den Kopf dabei.
Ich wagte nicht weiter zu fragen, so mit Piercing an den Schamlippen, aber naja, es würde auch zu sehr ins Erotische abgleiten und soweit waren wir noch lange nicht.
"Na gut", lenkte ich ein, "da wir jetzt gerade einen konstruktiven Dialog führen; - wollen wir denn wohl heute Abend mal zusammen essen gehen? - So richtig edel?“
"Och nö, heute passt es mir nicht.“
Kitty betrachtete gelangweilt ihre Fingernägel. Sie wollte noch etwas sagen, aber das Telefon klingelte. Ich wollte schon rangehen, aber Kitty wehrte ab.
„Das ist mein Job!“
Sie ließ das Telefon nochmal klingeln, nahm dann schließlich ab und drückte auf Lautsprecher: „Detektei ERAU. Katrin Hoppe. Was können wir für sie tun?“
„Gronau“, meldete sich eine Frauenstimme, „ja, mein Mann ist wieder mal verschwunden. Kann der Detektiv denn rauskriegen wo der immer ist?“
“Wie? Immer?“
„Naja, jedes Jahr im Sommer verschwindet der und kommt vier Wochen später wieder. Putzmunter und gut gelaunt. Ich will endlich wissen, wo der immer steckt und was der die vier Wochen macht. Verstehen sie? Kann der Detektiv das rauskriegen?“
„Ich denke doch. Leider ist Herr von Wegen im Moment wegen laufender Ermittlungen nicht da. Er wird sie aber umgehend zurückrufen, Frau Gronau. Danke für den Anruf.“
Kitty legte auf und notierte die Nummer, die auf dem Telefon stand.
„Schon haben wir den ersten Auftrag!“, sagte sie, „jetzt würde ich etwa eine Stunde warten und zurückrufen. Das wirkt professioneller! – Wie wär’s wenn wir inzwischen eine Runde Flippern?“
Genau das taten wir, dann rief ich Frau Gronau zurück und die bat mich zu ihr nach Hause. Ich trat an den Flipper und holte ein paar Tausender heraus.
„Wir müssen langsam mal anfangen, das Geld zu waschen“, sagte ich, „vielleicht kann ich das unterwegs tun.“
„Wie? Waschen?“, fragte Kitty und machte große Kulleraugen.
„Naja, die Beute aus dem Bankraub besteht größtenteils aus Tausendern. Wir können mit diesen nicht in den Supermarkt gehen und bezahlen, das fällt auf! Besonders hier in der Gegend. Wir müssen die Scheine also irgendwo anders wechseln, am besten in einer anderen Stadt. Du verstehst?“
Kitty nickte.
„Wenn ich also Herrn Gronau suchen soll, wird es mich möglicherweise in eine fremde Stadt führen. Da kann ich ein paar Scheine waschen, das ist ein Stück weg und fällt demnach nicht so auf.“
„Ah, ja“, sagte Kitty.
Während ich mit dem Fahrstuhl runter fuhr um an mein Auto zu gelangen, überlegte ich, Männe den Flipper unauffällig abzukaufen, sollte er auftauchen und ihn abholen wollen. Natürlich mit gewaschenen Scheinen.
Dann machte ich mich auf zu Frau Gronau; - ein wenig lustlos allerdings.
Bei der zuhause saß ein Kerl rum, der aus einem dieser schönen alten Filme rausgecastet zu sein schien, in denen die Welt nur aus Revuen und Amüsement bestand, und die Frauen jung und nach einigen Gläsern Champagner zu allem bereit waren. Sie hatten den Kamin im Wohnzimmer an und den zum Ambiente passenden Champagnerkühler neben dem Tisch stehen.
Ich begrüßte Frau Gronau artig, sie stellte mir den Champagnerfuzzi als Herrn Bruno vor und bat mich in ihr Büro. Dort kam sie gleich zur Sache: "Mein Mann ist wieder mal verschwunden", sagte sie, "nicht, dass ich unbedingt will, dass er wieder da ist, aber ich möchte schon wissen, wo er steckt."
"Das kann ich verstehen", nickte ich, "aber bisher war es doch immer so, dass er von selber wiedergekommen ist."
"Ich weiß aber nicht, wann er wiederkommt. Und wenn wirklich mal was Wichtiges anliegt, möchte ich ihn erreichen können. Wir sind nämlich Steuerberater, alle beide."
"Na, gut, wenn sie meinen! Haben sie es schon mal mit Handyortung versucht?“
Sie grinste und hob ein Handy in die Höhe.
„Sein Handy lässt er grundsätzlich hier. Wahrscheinlich hat er noch eins, aber ich weiß die Nummer nicht.“
„Haben sie denn irgendeinen Anhaltspunkt, wo er sein könnte?"
"Hier, das hat Erich mir aus Rosenheim geschickt", sagte sie und zeigte mir ein Foto, "der Brief ist auch in Rosenheim abgestempelt worden."
Das Bild zeigte Herrn Gronau, aus der Froschperspektive aufgenommen. 'Herzliche Grüße aus Rosenheim, Dein Erich', lautete der Gruß auf dem Bild. Der Mann stützte sich auf etwas Gelbes, offensichtlich ein Ortsschild in der rechten unteren Ecke des Bildes. Der Ortsname war nicht mit auf dem Bild, nur die Anfangsbuchstaben des Namens; - es musste ein langer Name sein, zweizeilig. Auf der oberen Zeile war 'Pad' zu lesen, auf der unteren nur ein 'A‘. Im Hintergrund war natürlich nur Himmel mit einem einzelnen Vogel zu sehen, und ganz links oben im weiten Hintergrund ein Stück eines Eisengeländers. Das Geländer musste zu einem sehr hohen Gebäude gehören und der Vogel sah mir nicht gerade nach einem Steinadler aus, er war fast weiß; - eine Seemöwe!
Was hatte die Möwe in Rosenheim zu suchen?
Ein normales Urlaubsfoto aus Bayern hatte bestimmt ein Gebirgsmassiv oder zumindest eine Almhütte im Hintergrund gezeigt. Die Vermutung lag nahe, dass sich der Bursche nicht in Bayern aufhielt, und er damit einen eventuellen Schnüffler auf eine falsche Fährte locken wollte. Irgendjemand musste den Brief allerdings in Rosenheim aufgegeben haben. Das hatte sicherlich ein Kumpel gemacht.
"Na, was halten sie davon?“, fragte Frau Gronau.
"Sehr interessant", antwortete ich, "kann ich das Bild haben, wenn ich ihren Mann suchen soll? Allerdings kann ich ihnen nichts versprechen. - Ach ja, und ein Bild oder zwei ihres Mannes hätte ich auch gerne."
Frau Gronau nickte und gab mir fünf Bilder: "Kriegen sie raus, was meinen Mann in Rosenheim treibt und wie ich ihn dort erreichen kann!"
Der Mann auf den Bildern machte einen sympathischen Eindruck, ein ganz normaler Steuerberater eben, wie 1000 andere auch. Hätte auch mein Onkel aus Bielefeld sein können, das ist auch so ein Durchschnittstyp.
Ich nickte und verabschiedete mich, Herr Gronau war niemals in Rosenheim; - eher irgendwo an der See.
Ich fuhr erst mal wieder zurück und zu meiner Stammtankstelle. Dort stand Kurt unter einem Auto auf der Hebebühne und schraubte lieblos an des Autos Auspuffhalterung herum.
"Hay, Kurt! Was machst'n so spät noch hier?"
"Mmmm. Der Wagen muss noch fertich."
Kurts Schraubenschlüssel klirrte zu Boden.
"Haste mal 'ne Straßenkarte und ein bisschen Sprit für mich?"
"Klar." Kurt trat unter dem Auto hervor und ins Tageslicht. "Mein Gott", murmelte er, "muss das immer so hell sein? – Was willst du? Eine Karte?"
Ich nickte.
"Naja, sonen Autoatlas mitt‘n Ortsverzeichnis."
"Geh' mah rein, ich komm' gleich."
Das tat ich auch, griff mir einen Autoatlas und schlug im Verzeichnis unter 'P' nach. Es waren nicht viele Doppelnamen da. Ziemlich am Anfang stieß ich auf Padingbütteler Altendeich. Ich stellte mir diese beiden Worte untereinander geschrieben vor und zählte die Buchstaben ab; - konnte hinkommen mit 'Pad' und 'A' untereinander.
Ich entschloss mich hinzufahren und mich dort ein Wenig umzusehen.
Ich kaufte den Atlas, tankte nochmal voll und steckte mir einige Schokoladenriegel als Wegzehrung ein.
"Kurt, ich muss los, hau rein!"
Ich fuhr los, in Richtung Padingbütteler Altendeich, gelegentlich sollte ich mir mal ein Navi anschaffen.
Unterwegs nahm ich eine Anhalterin mit, Studentin der Dramaturgie oder sowas. Sie arbeitete bei einer Pinterinszenierung mit; - lauter kaputte Typen, die das Leben vor sich hertrieb, menschliche Konflikte, Eruptionen der Gefühle; - und sie erzählte mit glühenden Wangen.
Wir tranken irgendwo auf einer Raststatte Kaffee, rauchten eine Zigarette, und sie blieb da. Sie wollte in eine andere Richtung und nicht mit mir essen gehen; - ich fragte sie nicht nach ihrem Namen.
Nachdenklich fuhr ich weiter und als ich schließlich in Padingbütteler Altendeich ankam, hatte sich die Erkenntnis in mir breit gemacht, dass es auch noch andere Frauen gab, als die, die ich bisher kennengelernt hatte. Neben dem Ortsschild ‘Padingbütteler Altendeichs‘ schmiegte sich ein kleines Gasthaus an eine Düne, gegenüber der Strand und ein Stück im Meer ein Leuchtturm mit rostigem Gitter an dem Freigang um die Laterne. Der Ort dämmerte vor sich hin, und die Tür des Gasthauses knarrte leise, als ich eintrat.
Was hätte ich auch sonst tun sollen?
Einige Männer mit zerklüfteten Gesichtern saßen vor der Theke, gemeinsam mit ein paar wohlbeleibten Herren, die aussahen wie Familienväter, die sich mal kurz auf ein Bier von Frau und Kindern abgesondert hatten, und hinter der Theke lehnte Herr Gronau!
'Bingo‘, dachte ich, ging zur Theke und bestellte ein Bier, ‚so einfach geht das also‘.
“Sind sie Herr Gronau?“, fragte ich, „ihre Frau hat mich beauftragt, sie zu finden. Das habe ich ja nun."
"Scheiße!"
Er ließ resigniert seine Schultern fallen und stellte ein Glas unter den Zapfhahn.
"Wissen sie, im Grunde ist meine Frau ja ganz in Ordnung, aber hin und wieder muss ich mal für ein paar Wochen raus, weg von Zuhause - mich hier mal ausspannen, Urlaub machen. Wir hängen ja sonst den lieben, langen Tag dicht beieinander, im gleichen Steuerberaterbüro."
"Ich kann sie verstehen", sagte ich.
Der Mann wirkte erleichtert.
"Wissen sie, ich habe mir hier dieses Gasthaus kürzlich gekauft und es verpachtet. Aber der Pächter muss ja auch mal Urlaub machen, und da springe ich eben ein. Das ist mein Urlaub hier, und es macht mir Spaß."
"Kann ich auch verstehen. Ich hatte auch gerne solch eine Dependance - ehrlich."
"Da lässt sich was machen."
Er stellte das Bierglas auf den Deckel vor mir.
"Ich habe noch ein Zimmer frei. Zwar nur ein kleines unter dem Dach, aber sie können es jederzeit haben - wenn sie meiner Frau nichts verraten. Ich zahle ihnen natürlich auch das, was sie von meiner Frau gekriegt hätten."
"Das lässt sich hören", sagte ich, "ihr Auftrag lautete, sie in Rosenheim zu finden. Ist hier Rosenheim?"
"Nicht direkt", Herr Gronau grinste wie eine Kanalratte und legte einen Schlüssel vor mich hin, "dann will ich mal sehen, was ich ihnen sonst noch so Gutes antun kann.“
„Naja“, nickte ich und kritzelte meinen Namen und Telefonnummer auf einen Bierdeckel, „wenn ich ihnen auch mal was Gutes antun kann …“
„Bestimmt“, sagte Herr Gronau und steckte den Bierdeckel in seine Hemdentasche.
Wenige Augenblicke später hatte ich das Zimmerchen besichtigt, saß wieder an der Theke und trank Bier. Eigentlich hatte ich sowas viel zu oft getan; - gesessen und gewartet, dass sich das Leben ändert, dass die ganz große Chance ebenso zielsicher zur Tür herein schwirren würde, wie eine Klofliege um sich auf mir niederzulassen wie auf einem braunen Haufen.
Irgendwie durfte es so nicht weiter gehen; - ich war Detektiv geworden weil ich keine Stempelkarte mehr in keine Stechuhr stecken wollte; - mir nicht mehr von irgendwelchen Typen sagen lassen wollte, wann ich was zu tun und zu denken hatte, und jetzt ärgerte ich mich darüber, dass ich hier saß.
Ich hätte wieder umkehren und Frau Gronau den Aufenthaltsort ihres Mannes mitteilen, oder diesen verdammten Auftrag von vorn herein ablehnen müssen; - aber ich saß wieder mal an einer Theke und trank Bier; - und ich trank alleine, gefangen in einer ethischen Zwickmühle; - aber was zur Hölle ist eigentlich Ethik?
Welchen Stellenwert nahm sie in meinem Leben ein?
Ich hätte mich jetzt gerne mit jemandem über Ethik unterhalten; - seltsam, dass die richtigen Detektive in guten Filmen nie in derartige Situationen kamen; - da waren sie immer 'der Gute', brachten 'die Bösen' zur Strecke, und anschließend eine schöne Frau nach Hause und so weiter.
Im Moment kam ich mir eher wie ein wenig zur Strecke gebracht vor, obwohl ich mir die Beute eines Bankraubes erarbeitet hatte; - aber wer alleine an der Theke sitzt, ist stets der Verlierer!
Nicht wie die anderen, die sich unterhielten, über ihre Familien, ihre Arbeit, ihre Autos; - aber die gingen auch bald, zurück zu ihren Familien.
Etwas später die, die die Nachtruhe brauchten, um am nächsten Tag Leistung zu bringen. Zurück blieben die mit den traurigen Augen und dem resignierten Zug um die Mundwinkel. Einer stand am Geldspielgerat, beobachtete vergeblich die Gewinnanzeige und warf regelmäßig Münzen ein.
Das Gerät hing genau richtig; - Geldeinwurfschlitz in Augenhöhe. Die Gespräche der Übriggebliebenen wurden flacher; - es ging nicht mehr um die eigenen Familien, es ging um Sport den andere trieben, nach Regeln, die wiederum andere aufgestellt hatten, wie irgendwelche Vereine gespielt hatten, wer wen zur Sau gemacht oder eine Packung verabreicht hatte … Die Juke-Box schwieg auch, Herr Gronau lehnte schläfrig am Gläserschrank, hin und wieder stellte er ein Glas unter den Zapfhahn und ließ Bier nachlaufen.
Ich spürte, wie die Zeit nutzlos verstrich, und als ich irgendwann mal wieder vom Klo kam, saß eine Frau auf dem Hocker neben meinem und hatte einen Piccolo vor sich. Es mochte Zufall gewesen sein, weil viele Plätze frei waren; - aber sie hätte das halbvolle Bierglas sehen müssen.
"Nabend", sagte ich, "Guten Abend", sie, als ich mich wieder hinsetzte, und dann beschäftigte sich die Zeit weiter damit, sinnlos zu verstreichen und ich mich damit, eine Zigarette zu drehen, weil man dabei so gut denken und verstohlen zur Seite gucken kann.
Die Frau neben mir hatte große dunkelblonde Locken, gehalten von einer goldenen Spange und eine beige, breit gerippte Strickjacke mit geöffnetem oberen Knopf an, sodass die Spitzen eines BHs sichtbar waren; - jedenfalls hin und wieder. Und schöne Beine hatte sie, gewissermaßen bis zum Hals.
Nur seltsam, dass sie nach nichts duftete. Eine Ehefrau, die sich ein bisschen mit ihrem Mann gezofft hatte, so am Anfang des Urlaubs, weil die Realität weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben war, weil er sich gleich am zweiten Urlaubstag bei einer Dünenwanderung überanstrengt und zudem noch den Magen mit der Edelfischplatte verdorben hatte, hätte sicherlich ein dezentes Parfum aufgelegt, wenn sie sich mal eben - natürlich nur auf ein Gläschen Sekt - in die Wirtschaft abgesetzt hätte.
Ich zündete mir die Zigarette an, zog daran, blies den Rauch aus, sah dabei wie aus Versehen zur Seite und fing ihren Blick auf.
Ich lächelte kurz, sie auch, und sah wieder zu meinem Bier.
“Entschuldigen sie“, die Frau neben mir, "würden sie mir auch mal eine Zigarette drehen? Ich kann das nicht."
Ich nickte und gab ihr meine angezündete. Recht jung war sie noch und nicht geschminkt, "sind Sie im Urlaub hier?" fragte sie, zog an der Zigarette und hustete.
"Naja, oooch, gewissermaßen. Ich wollte mich eigentlich nur ein bisschen betrinken und dann schlafen gehen."
Ich begann eine neue Zigarette zu drehen und dachte dabei an Kitty. Ich sollte sie eigentlich anrufen, aber sicher war sie schon nach Hause gegangen.
"Ah ja“, die Frau neben mir wirkte etwas irritiert und zupfte an ihrem recht kurzen Rock herum, "und warum das?"
"Nur so.“
Die Frau trug Straps unter ihrem kurzen Rock, und sie saß nicht von Ungefähr neben mir rum, bestimmt hatte Herr Gronau eine Hostess oder sowas geordert, weil er mir etwas Gutes antun wollte. Schade eigentlich, aber ich war absolut nicht ihr Typ.
Sie lächelte zwar, aber sie lächelte nicht mit den Augen, obwohl diese noch nicht die Fähigkeit verloren hatten, zu lächeln, und der Arm mit der Hand, die die Zigarette hielt, war wie eine Barriere zwischen uns; - nein, nein, so betrunken war ich noch nicht, und ich wollte mich auch nicht weiter betrinken, ich hatte es schon zu oft getan in diesem Leben.
Verdammt, ich schob das leere Bierglas von mir, Herr Gronau stellte mir sofort ein Neues unter den Zapfhahn, grinste mich an und bewegte seine Handflächen ruckartig einige Male nach oben, 'nun mal ran, an die Frau!'
"Gibt's denn noch einen Kaffee?" fragte ich.
Herr Gronau stutzte, nickte dann aber mit dem Kopf.
"Ich dachte, sie wollen sich betrinken", sagte die Frau neben mir.
"Muss ja nicht sein; - jedenfalls nicht in Anwesenheit einer schönen Frau.“
“Ist auch sinnvoller."
"Tja", sagte ich langsam, "ich möchte mehr von dem erfassen, was wirklich und möglich ist; - betrunken geht das nicht so gut …“
Um ihre Augen erschien kleine Fältchen, der Ansatz eines Lächelns, und sie sagte: "Ja, ja. Jedes Seinsmoment, welches der Vervollkommnung fähig ist und jedes Seinsmoment, welches ein ‘Sein‘ vollständiger macht, es verlängert oder bestimmt, führt zum Begriff des ‘actus purus‘, des reinen, mit keiner Potentialität behafteten Akts, sowie zum Begriff der reinen Potenz, welche Vollkommenheiten nur aufzunehmen und Wirkungen nur zu erleiden vermag."
Jetzt lächelte sie richtig, sah mir endlich ins Gesicht.
"Hej, ich bin mir der Zweideutigkeit dessen, was Sie eben gesagt haben, bewusst; - glücklicherweise habe ich noch nicht allzu viel getrunken, aber das Gefühl, dass ich von ihnen noch was lernen kann! Woher wissen sie das?"
"Ich hab' mal angefangen, Theologie zu studieren …“, sie machte eine wegwerfende Handbewegung, "aber als Frau …“
"Ja, kann ich verstehen; - aber ist das nicht auch eine Perspektive der Existenz? Erfüllt nicht die Existenz das Wesen, macht es vollständig und setzt es in das wirkliche ‘Sein‘?"
Sie merkte auf.
"Ja", lächelte sie, "daraus folgt, dass das potentielle Wesen seine Verwirklichung bloß der äußeren, aktuellen, über die Existenz verfügenden Ursache verdankt. Unter den Existierenden muss eines sein, welches seine Existenz keinem anderen verdankt, sondern sie von seinem Wesen her besitzt; - nämlich Gott."
"Aus dieser Perspektive habe ich den Gottesbegriff noch nie gesehen", sagte ich.
Herr Gronau stellte mir einen Pott Kaffee hin, verdrehte die Augen nach oben und atmete hörbar aus. Irgendwas von unserem Gespräch musste er mitbekommen haben.
"Ja, ich habe auch ein etwas anderes Gottesbild", sagte die Frau neben mir, als Herr Gronau am anderen Ende der Theke rumbierdeckelte und ich einen Schluck Kaffee trank, "aber nach Thomas von Aquin liegt die Wurzel der wahren Kenntnisse über die Welt im göttlichen Wesen, dessen sowohl die Welt, wie auch die Vernunft teilhaftig ist.“
"Das ist richtig; - aber bedeutet das nicht, dass die Vernunft als geistige Wirklichkeit erkannt werden muss?"
Sie nickte.
"Ja, die größte Leistung der menschlichen Vernunft besteht demnach darin, dass sie aus eigener Kraft imstande ist, Gott zu erkennen. Thomas von Aquin hat das Dasein Gottes sogar in seiner ‘Summatheologiae‘ bewiesen."
"Den Beweis wurde ich gerne hören“, sagte ich, und weil sich Herr Gronau wieder näherte, fügte ich noch, "wollen wir nicht auf mein Zimmerchen gehen?", hinzu.
"Ja, gerne", nickte die Frau neben mir.
"Können wir denn", fragte ich Herrn Gronau, "noch zweimal Kaffee aufs Zimmer haben?“
"Was? Kaffee? Ich habe auch Prosecco."
"Nein, Kaffee!"
"Na, gut. Ich bring's ihnen gleich hoch."
Herr Gronau schüttelte den Kopf, ich glaube, er schüttelte ihn immer noch als er uns eine Weile später im Bett erwischte; - nur etwas anders als er es sich vorgestellt hatte; - die Frau erklärte mir gerade den dritten Gottesbeweis nach Thomas von Aquin: "Das Zufällige hängt vom Notwendigen ab, dieses wiederum von anderem Notwendigem oder - schließlich - von sich selbst; - wie Gott, der die Ursache seiner Notwendigkeit nicht in anderem hat, sondern für anderes Ursache in der Notwendigkeit ist!“
Sowas Ähnliches hatte ich auch schon gedacht; - als man mich aus der Untersuchungshaft entließ. Nur nicht so schön formuliert.
Es war nicht das erste Mal, dass ich neben einer fremden Frau aufwachte, hin und wieder war ich schon neben Lady-Horror erwacht; - einer Frau, die ich am Vorabend mühsam schöngetrunken hatte, und fühlte mich auch am Morgen entsprechend; - aber noch nie begann ich den Tag neben einer Frau, mit der ich des Nachts, wenn andere schlafen und lieben, nur Kaffee getrunken und philosophiert hatte.
Wir duschten gemeinsam und frühstückten zusammen, und dann verließ sie mich; - ich wusste noch nicht einmal ihren Namen, ich wusste nicht, was sie sonst tat. Ob sie nur aus Versehen, oder warum sie dieser Tätigkeit nachging, wie sie dazu gekommen war, wie sie sich ihr weiteres Leben vorstellte; - ob sie überhaupt das war, wofür ich sie hielt, und als sie in den Tag hinaustrat, verschmolz sie mit der Helligkeit.
Ich konnte das Grinsen des Herrn Gronau nicht ertragen, als er sich zu mir setzte nachdem sie gegangen war; - ich hätte eigentlich niemanden ertragen; - außer Kitty vielleicht, aber die war weit weg, und Herr Gronau steckte mir einige Geldscheine in die Hemdentasche; - als ob es mir darauf ankäme!
Ich rauchte eine Verdauungszigarette und fragte mich, ob mein Tun moralisch verwerflich war; - in der Nacht hatte ich mit der Frau, die sich soeben in der Helligkeit aufgelöst hatte, eine Antwort darauf zu finden versucht.
Aber da auch die einzelne Tat, die eine bedingende Tat ist; - da die Begriffe, die den einzelnen Begriff bestimmen, selber bestimmte sind, droht die Gefahr, dass wir uns in der Unendlichkeit der Modifikation verlieren und die gestellte Aufgabe, eine der als konstant angenommene menschliche Natur entsprechenden Natur entsprechende Moral zu begründen unlösbar wird!
Was also sollte es?
Ich gab Herrn Gronau das Versprechen, seiner Frau nichts zu verraten von seiner Dependance.
Ich blieb sitzen, eine neue Zahnbürste wollte ich mir noch besorgen, aber das hatte noch etwas Zeit, trank noch mehr Kaffee, rauchte noch mehr Verdauungszigaretten und las in der Zeitung, zuerst die heitere Seite, und als ich gerade bei der Kurzgeschichte war, wollte ein Ehepaar, so ungefähr in meinem Alter, wissen, ob an meinem Tisch noch Platz wäre. Sie setzten sich ohne Umschweife und die Frau maulte rum, weil es hier zum Frühstück keinen Hagebuttentee gab, der Mann deutete auf die Titelseite der Zeitung und wollte von mir wissen, warum die irgendwo im Kaukasus wieder angefangen hatten.
Ich wusste nicht, womit die wieder angefangen hatten, wer überhaupt was, wann, wo, wie, womit und warum angefangen hatte, es war mir auch egal, und das sagte ich ihm, und er war der Ansicht, dass man bei einer Zeitung zuerst den politischen Teil lesen müsse, und dieses Käseblatt wurde viel zu wenig objektiv berichten.
Ich kam nicht dazu, die Kurzgeschichte zu genießen, den die Frau wollte wissen, warum ich mitten im Sommer schwarz angezogen war, und ich sollte mir doch was Helles und Freundliches anziehen, und ob ich denn heute auch an der Wattwanderung teilnehmen wurde.
"Ich wandere nie", sagte ich während ich aufstand, "außerdem muss ich gleich eine Fuhre Schweine nach Gummersbach bringen. - Die Witze sind aber gut in dieser Zeitung."
Ich fuhr in den nächsten Ort und dort mit meinem Auto durch die Waschstraße nachdem ich mich davon überzeugt hatte, dass die da keine Videoüberwachung hatten, reinigte das Auto auch mal wieder von innen und tankte voll. Bezahlen tat ich total cool mit einem Tausender aus dem Bankraub. Das ging glatt durch und im nächsten Ort suchte ich den Supermarkt auf und legte zwei Zahnbürsten, eine schwarz und die andere rot, für den Fall dass Kitty mal bei mir übernachten würde, Zahnpasta eine Flasche Mineralwasser, zwei Steaks, eine Dose Bohnen, Schokoriegel und Zigaretten in den Einkaufswagen. An der Kasse hielt ich der Kassiererin einen weiteren Tausender hin.
"Ich hab's leider nicht kleiner."
"Ich weiß nicht, ob ich den annehmen kann", sagte die Kassiererin.
"Das ist keine Blüte, garantiert nicht", ich versuchte ein zuckersüßes Lächeln, "sie haben doch sicher so ein Prüfgerät.“
"Oh, haben sie noch mehr davon?", fragte eine junge Frau hinter mir, während die Kassiererin den Schein unter die UV-Lampe hielt, "wenn sie mal nicht wissen, wohin damit …“, sie klimperte mich mit ihren Wimpern an.
"Leider hab' ich nur den einen. 'hab gerade einen Schrank verkauft. ‘bin Restaurator, wissen sie. - Bis gestern wusste ich auch nicht, wie so ein Tausender überhaupt aussieht."
Wir lachten, die Kassiererin gab mir über neunhundert Mark in verhältnismäßig kleinen Scheinen zurück, und die Frau hinter mir lächelte mich in Begleitung einiger Augenaufschläge eine Spur zu freundlich an. Ich hätte sie gerne zum Essen eingeladen, oder zumindest auf einen Kaffee, aber durch irgendeinen Idiotenzufall, vielleicht über die Autonummer, hätte sie meinen Namen rauskriegen können, und wenn der Schein aus dem Bankraub irgendwie registriert war, hätte es zumindest Ärger geben können.
Schade eigentlich, aber Geld muss irgendwie sexy machen.
Auf dem Weg zur nächsten größeren Stadt putzte ich mir mit der neuen schwarzen Zahnbürste und dem Mineralwasser die Zähne, sortierte die Scheine in meinem Portemonnaie so, dass immer nur ein Tausender griffbereit und die kleineren Scheine nicht sichtbar waren, fuhr in die Stadt, stellte das Auto auf einem großen Parkplatz ab und spazierte die Fußgängerebene entlang.
War eigentlich ganz angenehm hier. Touristenfamilien, die ihre quengelnden, eisessenden Kinder hinter sich herzogen und Urlauber, die vor lauter Erholen in Stress gerieten.
Ein Kännchen Kaffee lang sah ich mir das von einem kleinen Kaffeehaustischchen aus an und ging dann zu dem Friseur in der Nähe.
Der Friseurmeiser, der sich meiner persönlich annahm und mich ständig aber erfolglos zu einer neuen Modefrisur zu überreden versuchte, weil 'man' sowas eben trug und es in dieser Saison 'in' war, bekam einen weiteren Tausender und kein Trinkgeld, weil er mir noch Shampoo und Haarwässerchen und was weiß ich noch alles andrehen wollte.
Als Nächstes suchte ich einen Herrenausstatter auf. Der wollte mich in einen modischen Anzug in Trendfarben stecken und guckte etwas pikiert, als ich mir den letzten mehrfach heruntergesetzten Nadelstreifenanzug im Al Capone-Look aussuchte und anprobierte. Er passte, und ich suchte mir noch einen schwarzen Hut dazu, sowie eine ebenso grelle wie geschmacklose Krawatte aus, die ich mir sogleich umband.
Der gute Mann schnappte nach Luft, und als ich ihn bat, doch bitte meine Hose und Lederjacke zu verpacken und alle Schildchen von dem Nadelstreifenanzug zu entfernen, wollte er mich zur Vernunft bringen und mir einen Juristenanzug verkaufen, wie er von den Frauen geschätzt wird.
Auch er bekam kein Trinkgeld als ich mit einem weiteren Tausender bezahlte; - es hätte nur noch gefehlt, dass er mich gebeten hätte, seinen Laden durch den Hinterausgang zu verlassen. Zum Glück hatte er mir meine Sachen in eine neutrale Tüte gepackt. Mir gefiel dieses Spielchen und ich komplettierte mein Outfit mit einer zum Anzug passenden dunklen Brille und schwarzen Lackschuhen.
Damit war der letzte Tausender, den ich mir eingesteckt hatte, gewaschen. Das sollte für eine Weile reichen und dann würde mir schon etwas anderes einfallen; - in einer anderen Stadt. Ich besorgte mir noch einige lange, dünne Zigarren, rauchte eine davon genussvoll in Begleitung einer Tasse Kakao mit Sahnehäubchen drauf und fuhr nach Hause.
Frau Gronau sagte ich nichts von dem Aufenthaltsort ihres Mannes, wie gesagt, ich gehörte nicht zu den ‘Guten‘.