Hagen
Mitglied
Der Doppelgänger VII. erste Vorbereitung
„So“, sagte einer der Motorradfahrer, „das war ja eine grandiose Nummer, die sie da abgezogen haben. Sone Leute können wir brauchen! - Ab jetzt werden sie für uns arbeiten!“
„Und wenn ich das nun mal nicht tue?“
„Wir sind ganz sicher, dass sie das tun werden, denn wir haben ihre Sekretärin!
Frau Katarina Henriette Hoppe. Sie nennen sie ‘Kitty‘ glaube ich. Vorläufig geht es ihr noch gut. - Vorläufig …“
Da guckte ich doch erst mal wie eine eingelegte Kröte.
Dann entschloss ich mich so cool zu bleiben, wie ein Eisberg während der oberordovizischen Vereisung unseres Erdballs.
„Sind sie sicher, dass sie mich meinen? Es soll da einen Typen geben, der mir zum Verwechseln ähnlich sieht.“
„Haben wir alles überprüft! - Sie sind Hagen von Wegen, und sie haben kürzlich im Knast gesessen, worauf sie ihre Arbeit los wurden. Wir nehmen an, dass sie, um nicht auf Hartz IV zu kommen, eine Detektei angemeldet und eine Sekretärin angestellt haben. Was meinen sie wohl, wie lange sie das mit ihrer lausigen Abfindung durchhalten?“
Jedenfalls wussten die staubigen Brüder nicht, dass ich das Geld aus dem Bankraub, den ich - wohlgemerkt - nicht begangen hatte, der geneigte Leser erinnert sich, an mich gebracht hatte, und recht gut davon hätte leben können, wenn ich nur nicht auf die blödsinnige Idee gekommen wäre, zur Tarnung eine Detektei anzumelden.
Hoffentlich hielt Kitty dicht, was das Geld aus dem Bankraub betraf. Ansonsten sollte den Entführern meinetwegen einen vom Pferd erzählen, sie war ja bei mir durch eine zwar kurze aber intensive Schulung gegangen.
„Och“, sagte ich, „eine Weile gedenke ich schon durchzuhalten. Man soll schließlich jeden Tag so leben, als ob es sein letzter wäre. Außerdem kann ich Morgen schon tot sein.“
„In der Tat“, nickte einer der Motoradfahrer, „genau so! Sie können morgen schon tot sein! - Aber das ist nicht der Punkt.“
„Sondern?“
„Sie haben im Vietnamkrieg den Bell UH-1 Iroquois „Huey“ geflogen. Deswegen brauchen wir sie!“
„Der Vietnamkrieg ist lange her …“
„Sowas verlernt man aber nicht! Das ist genau wie Radfahren und schwimmen!“
Die Situation war nahezu klassisch.
Da will sich einer der Guten zur Ruhe setzen, aber die Anderen lassen ihn nicht. In den guten Detektivfilmen und Actionstreifen wird mit so einem Mist der halbe Film verbumfiedelt, bis es der Gute schließlich doch tut; - nur noch ein einziger Auftrag, weil er der beste Mann ist. Ich war zwar nicht der Gute, zumindest nicht der ganz Gute, aber etwas der Gute war ich schon. Kitty wollte ich doch nicht hängen lassen und möglichst schnell weiter kommen.
„Also gut. Was soll ich denn dann alles so machen?“
„Einen Huey klauen!“
„Ach was! Ist ja ganz einfach. Wie stellen sie sich das vor?“
„Ganz einfach! In der Tat. Es gibt da so einen Gewürzhändler, der sammelt Militaria. Als die US-Nationalgarde den Bell-UH-1-Helikopter im Jahre 2009 nach 50 Dienstjahren feierlich außer Dienst gestellt hat, hat er zugeschlagen und sich einen gekauft. Er hütet den Huey wie seinen Augapfel; - er hält ihn sogar flugtüchtig.“
„Ich gehe also hin und klaue den Hubschrauber. Der Gewürzhändler wird mir sogar einen ‘Roten Teppich‘ hinlegen und ‘bitte schön‘ sagen. - Ich glaube eher, sie wollen mich verarschen!“
„Keineswegs! Wir waren auch nicht untätig und haben einige streng vertrauliche Informationen über den Herrn Hellinger, das ist der Gewürzhändler, er macht auch illegale Waffengeschäfte, zusammengetragen. Die lassen wir ihnen jetzt zukommen und dann sind sie auf sich alleine gestellt. Wir werden uns hin und wieder mal melden und nicht vergessen: Noch geht es ihrer Kitty gut, aber es wird ihr von Tag zu Tag schlechter gehen, der verstreicht, wenn sie untätig herumsitzen.“
Die Motorradfahrer gaben mir einen Umschlag, nahmen die Serviette von der Pistole auf dem Tisch, steckten sie ein und wandten sich zum Gehen.
„Eine Frage noch“, sagte ich, „sie wollen doch den Hubschrauber bestimmt nicht haben, um ihn in ihren Vorgarten zu stellen, oder?“
„Bestimmt nicht! Was sie damit tun sollen, erfahren sie noch früh genug! Wie gesagt: Noch geht es ihrer Kitty gut, aber es wird ihr von Tag zu Tag schlechter gehen, wenn sie untätig herumsitzen.“
Die Motorradfahrer setzten ihre Helme auf, zogen ihre Handschuhe an, klopften nochmal auf den Tisch und entfernten sich gemessenen Schrittes.
Es kann mir niemand verübeln, dass ich zuende frühstückte, auch das Ei von Herrn Gronau aß und seinen inzwischen lauwarmen Kaffee trank.
Eine verfahrene Sache war das, dabei wollte ich nur noch ein wenig mit Kitty flippern und den guten Sex zuende bringen.
‘Es kommt eben immer was dazwischen‘, dachte ich und beschäftigte mich während des Frühstücks schon mal mit dem Inhalt des Umschlags.
Dabei reiften die Rudimente eines Plans in mir …
Na gut, was half's?
Nichts half's!
Ich fuhr nach Hause und ging erst mal Brötchen holen, für später. Irgendwann würde ich mal wieder Hunger kriegen. Mir ein Steak zu machen, hatte ich wirklich keine Lust.
Die Bäckereifachverkäuferin tat mir die Brötchen in die Tüte, zwei Krosse, ein Mehrkorn, ein Roggen.
Sie lächelte: "Bitte schön, Herr von Wegen."
"Tausend und einen Dank, meine Liebe", ich ergriff erst die Brötchentüte und dann die Flucht. Ich bin immer etwas verblüfft, wenn mich jemand mit 'Herr von Wegen' anspricht, noch dazu eine Frau, bei der ich mir absolut nicht vorstellen konnte, wie sie an meinen Namen gekommen war. Zudem irritierte mich, dass es in dieser Wohngegend eine Frau gab, die schon am Vormittag lächelte.
Im Tabakladen gegenüber sah es dann auch schon etwas normaler aus, ein schlecht rasierter Kerl kaufte sich eine BILD, billigen Tabak und Blättchen.
Der Mann hinter dem Tresen schob mir eine Schachtel Luckys wortlos und unbewegten Gesichtes rüber.
"'n Playboy hatte ich noch gerne."
Ich ging davon aus, dass es mir gelingen wurde, den Hubschrauber zu entführen; - ihn irgendwo unterzubringen, bedurfte auch einer gewissen Vorbereitung.
Der Mann Verzog keine Mine, auch nicht, als er das Geld kassierte.
"Einen schönen Tach noch", sagte er, als ich raus ging.
"Tja, gleichfalls."
"Was soll das heißen, ‘Geizhals‘?"
Mit dieser Bemerkung bewies der Tabakmann jedes Mal feinsinnigen Humor, wenn man das Wort 'gleichfalls' erwähnte.
Jedenfalls konnte ich mit Fug und Recht, zumindest mit Fug, behaupten, dass ich hier wohnte, weil ich ohne was zu sagen, die benötigte Anzahl von Brötchen beim Bäcker und meine Zigarettensorte im Tabakladen bekam.
In der Kneipe gegenüber stellte mir Honey, die qualmgebadete Wirtin, mittlerweile gleich ein Glas mit Griff an der Seite unter den Zapfhahn, aber das wollte ich jetzt nicht unbedingt ausnutzen. Vielleicht heute Abend, wenn überhaupt in meiner prekären Lage.
Auf der Bank vor des Hochhauses Tür, in dem ich wohnte, und wie eingangs erwähnt, meine Detektei betrieb, saßen mittlerweile Männe, der arbeitslose Binnenschiffer und Robert, der arbeitslose Bademeister. Sie hatten einen Kasten Bex in den Schatten der Bank gestellt und die erste Vertikalreihe bereits abgearbeitet.
"Moin Männer", sagte ich. Ich wollte mir absolut nicht und auf gar keinen Fall etwas von der unangenehmen Sache, in die ich hineingeschlittert war, anmerken lassen.
"Tach Hagen", einer der beiden, wer, weiß ich nicht mehr, "wo kommst du denn her?"
"Vom der Apotheke im Einkaufszentrum. Da messen die heute umsonst den Blutdruck, 'hab' dort zufällig meinem Bewährungshelfer getroffen, wir haben um die Höhe gewettet.“
"Und wer hat gewonnen?" fragte Männe, diesmal weiß ich's genau.
"Er."
"Hast du dir da auch einen Playboy gekauft?" fragte Robert zur Abwechslung.
„Jau.“
"Willst du dir nicht lieber 'ne richtige Frau anschaffen?"
„Nein."
“Willst 'n Bex?"
"Niemals; - kein Bier vor vier", ich schielte auf den Kasten, "und kein Bex vor sechs."
"Wieso denn gerade sechs?"
"Vor sechs bin ich noch nicht soweit."
"Ah, ja. - Was ist das: Geht steif und gerade rein und kommt schlapp und schrumpelig wieder raus?"
Ich grübelte angestrengt.
"Na, was schon", sagte, so glaube ich mich zu erinnern, der Bademeister, '"n Kaugummi natürlich! Was hast du denn gedacht?"
"Der Fahrer eines Automobils der gehobenen Mittelklasse, ohne Kat, vermutlich Reisender in Sachen Damenunterbekleidung, vor und nach einem Stau südlich von Regensburg."
"Wieso denn gerade Regensburg?"
"Gefällt dir Bad Salzdedfurt besser?"
"Ist doch egal."
"Eben - Was ist das: Es dauert zehn Minuten und hält neun Monate?"
Die beiden grinsten, und der Binnenschiffer ließ seine leere Flasche in den Kasten gleiten, nahm erst eine neue, dann sein Feuerzeug heraus, klemmte es unter den Kronenkorken und hebelte ihn hoch.
"Meyers Autowachs", sagte ich, "Gentlemen, das war ein ganz kleiner Ausschnitt unserer beliebten Kategorie: Bescheidener Humor aus der Provence. - Wir sehen uns."
"Jau, wir sehen uns", der Bademeister nahm auch eine neue Flasche in Angriff, „wir wollen auch nochmal eine Runde flippern!“
„Natürlich, das machen wir.“
Mit Zeige - und Mittelfinger formte ich das V-Zeichen, ging ins Haus und fuhr mit dem Lift in meine Wohnung.
Während ich die Brötchen zu mir nahm und Kaffee trank, sozusagen das zweite Frühstück, konzentrierte ich mich auf den Inhalt des Umschlages.
Es waren tatsächlich heiße Informationen drin, dass er am Wochenende eine Party zu geben beabsichtigte, zum Beispiel und dass er jungen Mädchen dabei nicht abgeneigt war, und dass er Waffen aller Art sammelte, auch zwei Panzer und den Hubschrauber, die er bei seinen Partys stolz präsentierte. Außerdem machte er sein Geld nicht mit Gewürzen sondern mit illegalem Waffenhandel.
Da ließ sich doch was draus machen!
Immerhin hatte ich schon das Fragment eines Plans, es fehlte nur noch die Detailarbeit.
Ich blätterte in dem Playboy - aus einem der Bilder ließ sich auch was machen, - las die Partywitze und eine Kurzgeschichte und schlenderte daraufhin wieder ganz langsam in das Einkaufszentrum in der Nähe.
Das Modell einer P-51 D 'Mustang' im Maßstab 1:72 wanderte in den Einkaufswagen, etliche Schokoladenriegel, ein kleiner Taschenkalender im Lederetui, Sekundenkleber, zwei Bögen Rubbelbuchstaben, ein Hellbaues Hemd der Größe 44, ein Pinsel, ein kleines Döschen Goldbronze, ein Päckchen Kekse eine Tüte Popcorn und noch einige Kleinigkeiten des täglichen Bedarfs fügte ich bei, wie durchsichtige Klebefolie, Sandpapier in zweihunderter Körnung und einen Plastikteller.
Nach der Kasse stopfte ich alles in eine Tüte und ging zum Fotografen schräg gegenüber.
"Haben sie denn auch schon so einen tollen Apparat, bei dem man die Bilder gleich mitnehmen kann?" fragte ich eine leicht müde wirkende Photographin.
"'türlich", gähnte sie, "kommen sie man mit."
"Au, fein. Ihnen folge ich wohin sie wollen, es darf da nur nicht dunkel sein. Ich hab' nämlich immer sone Angst im Dunkeln. Aber in die Dunkelkammer brauch' ich ja nicht mit rein - oder?"
Die Photographin gähnte verneinend und ging ins Hinterzimmer.
Ich dackelte hinterher.
"Soll es ein Passfoto werden?" fragte sie.
"Nein, ich will mich bewerben - als Kammerjager oder Kammersänger, 'weiß noch nicht. 'glaub wohl eher Kammerjäger, 'kann nämlich besser in der Kammer jagen als singen."
"Ach so. Dann setzen sie sich bitte dort hin und lächeln sie ein wenig", sie gähnte, "damit der Personalchef einen guten Eindruck von ihnen bekommt."
"Da gibt es keinen Personalchef. Da ist nur der Chefkammerjägermeister, der einen Angestellten sucht. Kennen sie sicher die Firma, das ist der rosa-violette VW-Bus, mit der Plastikküchenschabe auf dem Dach."
"Nein, kenne ich nicht."
Die müde Photographin fummelte einen Fotoapparat auf ein Stativ.
"Müssen sie aber kennen! Der war letztens in der Neuwiederstraße und hat da drei Häuser komplett ausgeräuchert."
"Ah, ja. Ich erinnere mich."
"Sehen sie, das war meine Chance, zumal das meinem Hobby sehr nahe kommt, ich sammel' nämlich Insekten."
"Halten sie mal still!"
"Außerordentlich gerne."
Flash! Kam der Blitz.
"Huch", sagte ich, "da habe ich mich aber erschrocken. - Wo waren wir stehen geblieben?"
"Weiß' nicht."
Die Photographin zog den Chip aus der Kamera und ging zu einem Automaten.
"Aber ich weiß es! Bei den Insekten! Möchten sie mal meine getrockneten Heuschrecken sehen?"
"Nein."
"Oder meine lebenden Insekten? Die haben alle Namen. Meine Gottesanbeterin heißt Klytaimnestra, sie hat letztens Agamemnon gefressen, ihren Gemahl. Möchten die denn mal sehen?"
Die Photographin gähnte unverhohlen.
"Ihre Bilder. Sie sind gut getroffen."
"Wo kriege ich jetzt bloß einen neuen her?"
"Was?"
"Einen neuen Gottesanbeter. Ich werde ihn Aigisthos nennen."
"Wieso?"
"Weil Aigisthos der Geliebte Klytaimnestras gewesen ist, während Agamemnon unterwegs war, Troja platt machen."
"Wie?"
"Frauen sind halt so, wenn einer nicht da ist, kommt - Schwupps - der Nächste! Aber naja, die Männer sind da in einem hölzernen Pferd rein und haben dann von innen heraus gewirkt. War sehr effektiv, das Ganze. - Muss nur ein wenig eng gewesen sein in dem Gaul, und dann die ganze Zeit still sitzen und nicht husten …"
"Zwölf Euro bekomme ich dann von ihnen. Haben sie 's“, sie gähnte, „klein?"
"Muss mal nachsehen."
Ich hatte. Sie tat das Geld in eine Schublade.
"Beehren sie uns", sie gähnte, "bald wieder."
"Von Herzen gern. Kommen sie mich doch mal besuchen, wenn ich einen neuen Gottesanbeter habe. Wir können dann zugucken, wie die sich paaren und Klytaimnestra den Kerl dann anschließend auffrisst. Haben sie sowas denn schon mal gesehen? Ist immer wieder interessant."
Die Photographin ließ sich gähnend auf den Hocker hinter dem Tresen fallen, „oh, nein, um Gotteswillen“, und blickte so starr zur Uhr, als könne sie die Zeiger mit der Kraft ihrer Gedanken auf Feierabend stellen.
Ich steckte die Bilder ein und ging wieder nach Hause.
Der Kasten Bier im Schatten der Bank war halb leer, die beiden Männer auf der Bank inzwischen nur noch halb nüchtern, oder bereits halb betrunken, je nach Blickwinkel.
"Hallo Hagen, willst du dir ein Flugzeug basteln?", fragte der Binnenschiffer.
"Wie weißt du?"
"Weil man den Bausatz durch die Tüte sieht."
"Ah Scharfsinn, Scharfsinn. - Sach mah', ist denn vielleicht die Post schon durch?"
"Eben gerade. Du hast nix."
„Nicht mal `ne Rechnung?"
„Nein."
"'n Zahlungsbefehl?"
"Auch nicht."
"Dann is' ja gut. Da bin ich aber froh. - Danke schön, Tschau Männer."
'Das eben wäre einer der übelsten Seitenschinder der gesamten Weltliteratur, wenn ich das in einem Buch gelesen hätte', dachte ich, während ich mit dem Lift hochfuhr.
Was die Geschichte mit Klytaimnestra und dem Trojanischen Krieg betraf, da hatte ich eigentlich nur geblödelt um der müden Photographin ein Lächeln zu entlocken, aber möglicherweise hatte es mich auf eine gute Idee, was den Fall Hellinger betraf, gebracht.
Etwas Kaffee war noch da, ich kippte ihn in eine Tasse, kramte das Telefonbuch hervor und rief einen Partyausrichter an.
Während der bevorstehenden Fete beim Hellinger würde ich mit Sicherheit an den Hubschrauber kommen! Einfach hingehen und vielleicht nicht rein gelassen werden, war zu unsicher.
Eine jung-dynamische Frauenstimme meldete sich.
"Best Party Service, Schnacke, guten Tag."
"Ja, hier ist Verweegen. Ich soll unsere Betriebsfeier organisieren, weil ich bisher immer die Kohlfahrten organisiert habe, aber sowas ist ja doch etwas aufwendiger, und da dachte ich, sie können das doch sicher viel besser, weil sie das doch wohl sicherlich schon öfter mal gemacht haben."
"Natürlich dafür sind wir da. Wie viele Personen?"
"So fünfzig, glaube ich. Können sie denn dann alles liefern, vom Eiswürfel bis zum Gänseklein, auch Gläser und so?"
"Aber selbstverständlich. Sie brauchen sich um nichts zu kümmern. Wir liefern alles."
"Da fällt mir aber ein Steinpilz von der Seele. Sind denn dann da auch Männer, die die Gläser eingießen und Steaks und so braten?"
"Selbstverständlich Köche, Kellner, Barmixer …“
"Auch Serviererinnen 'Oben Ohne'?"
"Sowas natürlich nicht, wir sind ein seriöses Geschäft."
"Das dachte ich mir. In Ordnung. Ich würde sagen, ich komme denn heute Nachmittag mal bei ihnen vorbei, damit wir die Details besprechen können. Sagen wir so gegen zwei? Sie sind Frau Schnacke, nicht wahr?"
"Ganz Recht, Herr Verweegen. Bis heute Nachmittag."
Ich tippte auf die Gabel und wählte die private Nummer des Herrn Hellinger.
Da war natürlich auch erst mal eine Sekretärin:
"Büro Hellinger. Gewürze Im- und Export."
Die Stimme war sachlich.
"Hartmut Verweegen. Herrn Edzard Hellinger bitte! - Dankeee!"
Gleich die Harte. Die Erwähnung des Vornamens brachte die brave Vorzimmerdame stets in arge Bedrängnis, auch wenn sie die strikte Anweisung hatte, niemanden durchzustellen, aber wer den Boss mit Vornamen kennt, kann ja auch ein Kumpel von ihm sein. Der leichte Schlenker beim `Danke`, verriet, dass man üblicherweise sofort durchgestellt wird.
"Moment bitte."
Die Leitung knackte.
Na also.
"Hellinger."
"Ja, hier ist ihr Partyausrichter Verweegen. Sie haben doch am Wochenende eine Feier. Herr Hellinger, wäre es interessant für sie, ihre Feier organisieren zu lassen?"
"Nein, eigentlich nicht. Wie haben sie überhaupt von der Feier erfahren? Wie sind sie an diese Nummer gekommen?"
"Ein guter Partyausrichter ist immer über derartige Dinge informiert. Deshalb brauchen wir auch nicht im Telefonbuch zu stehen! - Wie haben sie ihre Feiern bisher ausgerichtet, Herr Hellinger?"
"Meine Angestellten haben das erledigt."
"Und? Waren bisher immer genügend Eiswürfel da? Nie ein Tisch umgekippt? Waren auch ausreichend aufgeschlossene Damen anwesend?"
"Was meinen sie mit 'aufgeschlossene Damen'?"
"Na, die machen schon mal 'n Strip, liegen unbekleidet am Pool rum, servieren Getränke oben ohne und sind allgemein sehr aufgeschlossen, sie verstehen?"
"Natürlich verstehe ich", lachte der Hellinger, "das scheint mir gar nicht so schlecht zu sein."
"Finde ich auch. Herr Hellinger, wäre es ihnen recht, wenn ich sie heute oder morgen am späten Nachmittag mal kurz aufsuche, damit wir die Einzelheiten besprechen können?"
"Heute Nachmittag geht es nicht mehr."
"Morgen Vormittag? Ich komme gerne zu ihnen. Sagen wir gegen elf?"
"Gut. Morgen um elf kann ich sie noch unterbringen. Wie war ihr Name noch bitte?"
"Verweegen, mit zwei 'e'"
"Gut, Herr Verweegen, bis Mittwoch."
Ich legte auf, nachdem die Leitung geknackt hatte.
'Blödes Arschloch', dachte ich, 'Ich kann sie noch unterbringen', jedenfalls hatte ich erst mal einen Termin, das mit den aufgeschlossenen Damen würde ich auch noch hinkriegen!
Ich schaltete das Radio an, trank den Kaffee aus, kippte den Inhalt der Einkaufstüte auf den Boden und riss die Popcorntüte auf.
Zuerst musste der Plastikteller dran glauben. Während ich Popcorn mampfte, zog ich den Kalender aus dem Lederetui, legte ihn auf den flachen Boden des Tellers, zeichnete die Umrisse nach und schnitt sie aus. Ich glättete die Kanten mit dem Sandpapier und schob das Stück Plastik in das Lederetui. Noch etwas nachschleifen und es passte sauber hinein. Prima, der erste Schokoladenriegel war fällig.
Ich schlug den Playboy auf und suchte das Bild des Mädchens, das vor leicht bewölktem Himmel fotografiert worden war.
Ich klebte das Plastikkärtchen hinter das freie Stück Himmel, ging nach nebenan zu meiner Schreibmaschine, zog das angefangene Blatt heraus, drehte ein Neues herein und schrieb:
- Hartmut Verweegen - Civil lnsp. j.f.f.
Ich nahm das Blatt wieder heraus, einen blauen und einen schwarzen Filzer mit und ging wieder ins andere Zimmer. Der Kleber war inzwischen getrocknet. Ich schnitt erst das Kärtchen und dann eins der Passbilder aus und klebte es rechts oben auf den bewölkten Himmel des Kärtchens.
Hübsch sah es aus.
Den Civil Inspektor schnitt ich in einem etwa 1 cm breiten Streifen aus, klebte ihn unten auf das Kärtchen und leistete mit dem schwarzen Filzer meine Unterschrift.
Das kam unheimlich gut.
Nun noch etwas Wasser in der Untertasse geholt und aus dem Bausatz der 'Mustang' ein Hoheitsabzeichen sowie den Schriftzug USAF aufgebracht.
Das sah schon ganz professionell aus und ich fügte noch die siebenstellige Kennnummer des Flugzeugmodells bei.
Saustark das Ganze, mit dem blauen Filzer malte ich noch einen Stempel dazu, über eine der Ecken des Bildes.
Ich war richtig stolz auf mich, als ich den Ausweis mit der durchsichtigen Klebefolie einsiegelte und in das Lederetui steckte.
Noch ein Hohheitsabzeichen auf die Jahreszahl des Lederetuis, und ich setzte die Kaffeemaschine wieder in Gang.
Eine Zigarettenlänge Pause, einen Becher Kaffee, einen Schokoladenriegel und mit den Rubbelbuchstaben, einem Stück Liquorwerbung aus dem Playboy und viel künstlerischem Feingefühl machte ich mir eine Geschäftskarte zurecht.
Ich trank den Kaffee aus, packte den Bogen mit der Geschäftskarte und den Air Force-Ausweis in die Aktentasche, zog das neue blaue Hemd an, die Jacke über, mampfte noch einen Schokoladenriegel und fuhr mit dem Fahrstuhl nach unten.
Eine geleerte Bierkiste stand unten neben dem Eingang, eine Flasche fehlte. Neben der Bank vorm Haus lagen die Scherben der fehlenden Flasche.
"Nun sehen sie sich doch mal diese Schweinerei an!"
Das war eine Frau aus dem dritten Stock, sie hielt mich aus dem Grunde für ordentlich, weil ich sie mal im Waschhaus getroffen und mich mit ihr über das neue Bügelfix unterhalten hatte. Nur konnte ich mich zum Teufel nochmal nicht an ihren Namen erinnern.
"Tja, da müsste was getan werden", sagte ich.
"Sag' ich ja auch immer! Nix gegen eine Flasche Bier, aber sowas! Ich sag' ja immer, die Arbeitslosen sollten lieber die Grünanlagen hier in Ordnung halten."
"Oder man sollte sie in den Weltraum schießen, zum Satellitenentrosten. Da müsste auch dringend was getan werden!"
"Ja, gibt's denn das?"
"Das ist allerdings noch geheim, aber da werden zurzeit Überlegungen angestellt. Mit der Ariane nach oben, Vierzehn Tage im Orbit und mit einer Brunskapsel wieder runter, das geht. Es empfiehlt sich dabei allerdings leichte Kleidung, da die Kleinorbiter der Firma Bruns im Falle einer Rückkehr häufig glühen. Behalten sie diese Information bitte für sich, das ist vorläufig noch geheim!"
"Woher wissen sie das denn?"
"Ich arbeite doch bei der Air Force, wussten sie das etwa nicht?"
"Nein, ich habe mich schon gefragt, was sie machen, weil bei ihnen nie Licht im Schlafzimmer ist, aber im Wohnzimmer oft ganz lange. Ich dachte schon, sie wären auch arbeitslos, und dann kommt ja auch öfter diese Frau zu Ihnen."
"Meine Sekretarin. Das hat alles seine Ordnung."
Ich zeigte ihr kurz meinen neuen Ausweis, so kurz, dass sie zwar das Bild erkennen konnte, aber nicht den Unterschied zwischen 'von Wegen' und 'Verweegen'.
"Das muss aber nicht jeder wissen. Der Job ist nicht halb so aufregend, wie sie es sich vorstellen. - Ich muss aber los, bin ohnehin spät dran!“
Ich machte ein geheimnisvolles Gesicht und legte den Zeigefinger auf die Lippen.
Die Frau nickte begeistert, ich hatte diese Information auch ans schwarze Brett nageln können, es wäre aufs Gleiche rausgekommen.
"Tja, dann will ich mal nach Garlstedt raus, Dienst ist Dienst. Tschüs, meine Liebe."
Ich fuhr zunächst zur Sparkasse, hob zweitausend Mark in großen Scheinen ab, dann zum Bahnhof und erwarb dort in dem Waffenladen in der Nähe ein Laguiole - Messer, so richtig schön mit der charakteristischen Biene drauf, und einem Griffstück aus schwarzem Wasserbüffelhorn und zwei Edelstahlplatinen, umlaufend verziert. Kostete zwar eine Kleinigkeit, das Teil, aber was soll’s? Ich hatte mir schon immer sowas gewünscht, außerdem war es für Kitty, und für die tat ich alles; - naja, fast alles, und dann zu dem Copyshop am Dobben.
Dort kopierte ich das Blatt mit der Geschäftskarte zehn Mal, schnitt die Kärtchen sauber mit dem Schneidegerät aus, klebte sie auf ein leeres Blatt, ließ mir einen etwas festeren Bogen geben und kopierte das Ergebnis darauf.
Wieder ans Schneidegerät und die Karten sauber ausgeschnitten; - das sah schon mal sehr professionell aus.
Ich zahlte und ging nach gegenüber ins Torno, einen Giros essen. Irgendwie artete das alles in Arbeit aus, und sowas macht hungrig, mich jedenfalls.
Das ganz normale Leben floss an mir vorbei, Hunde pinkelten an die dünnen Bäumchen und die Junkies dealten, torkelten oder schliefen vor sich hin. Herr Liebe, der örtliche Hilfssheriff, ging von Auto zu Auto, schrieb was auf kleine Zettel und klemmte sie hinter die Scheibenwischer. Ich wetzte noch mal schnell rüber und fütterte die Parkuhr hinter meinem Auto.
Der Giros war ausgezeichnet, ich trank eine Cola dazu und ging anschließend zum Biofriseur gegenüber.
Eine Friseuse namens Marion mit grüner Strähne im Haar fing an, mich mit Fragen zu nerven, wie ich es denn wohl haben wollte, und ob sie es hinten lang lassen sollte oder besser nicht, oder was, oder wie?
"Machen sie man einfach so, als ob sie heute Abend mit mir essen gehen würden. Aber machen sie bitte schnell, ich muss gleich wieder ins Büro. Mein Chef sieht es nicht gerne, wenn seine Angestellten die Mittagpause überziehen."
Ich griff mir die Zeitschrift 'Capital' und tat so, als ob ich lesen wurde. Marion nickte eifrig, erzählte irgendwas von Trendfrisuren während sie mir den Haarschnitt eines sechsundzwanzig jährigen Anwalts und CDU-Mitgliedes, der nicht wie ein Spießer aussehen wollte, verabreichte - es würde hoffentlich demnächst wieder ordentlich nachgewachsen sein.
Weiter zum Second Hand.
Dort erwarb ich eine karierte Sommerjacke, wie Vertreter in Sachen Damenoberbekleidung sie tragen, wenn sie zum Kunden gehen und nicht unbedingt wie Vertreter aussehen wollen.
War preiswert das Teil, und ich leistete mir noch eine dunkelblaue Krawatte. Diese band ich um und ließ die Jacke gleich an.
Mit dieser Jacke an fuhr ich zum Best Party Service.
Frau Schnacke empfing mich mit freudigem Lächeln sowie einer Kanne Kaffee in einem modern aber steril eingerichteten Büro mit unzähligen Bildern, kalte Buffets darstellend, an den Wänden.
"Können sie das eigentlich aushalten?", ich wies mit dem Kopf auf die Bilder, "da muss man doch ständig Hunger kriegen."
"Man gewöhnt sich dran."
Wir kasperten alle erdenklichen Höflichkeitsfloskeln durch, Frau Schnacke wuchtete sich schließlich aus ihrem Sessel und wälzte sich zu einem Regal.
Sie hatte ihre reichlichen Pfunde in ein Korsett gezwängt, das ihr kaum Bewegungsfreiheit zu lassen schien. Ich versuchte sie mir nackt vorzustellen - die Vorstellung war überwältigend.
Wummm.
Mindestens drei Pfund Kataloge, mit ähnlichen Bildern, wie die an der Wand, landeten vor mir auf dem Tisch.
"Dann wollen wir doch mal sehen. Sie haben also eine Feier mit fünfzig Personen vor."
Frau Schnacke atmete so schwer dass ich mich fragte, wieso ihr bebender Brustkorb das Korsett nicht sprengte.
"Ja, wir feiern unser fünfundzwanzigjähriges. Hellinger, Gewürze Im- und Export. Kennen sie die Firma?"
"Nein, müsste ich die kennen?"
"Nicht unbedingt. - Wollen sie auch?"
Ich hielt ihr meine Zigarettenschachtel vor.
"Danke, nein, die sind mir zu stark, ich rauche lieber meine."
Sie aktivierte eine ultraleichte, superdünne Zigarette, ich qualmte ihr würzigen Tabakduft entgegen, wir sprachen über kalte Buffets, Eiswürfel, Drinks, Mobiltoiletten und fahrbare Grills. Ich stellte mir vor, sowas den ganzen Tag tun zu müssen und erschauerte.
Glücklicherweise hatte Frau Schnacke viele Schokoladenkekse in ihrer Schublade, die wir dann gemeinsam dezimierten.
Ich dachte immer, ich wäre Weltmeister in der Disziplin des Schokoladenkekseessens, aber Frau Schnacke schlug mich doch, zwar nur knapp, aber immerhin.
Endlich waren wir soweit durch und mir ein ganz klein wenig übel von den vielen Keksen.
Ich leistete eine Anzahlung von 500 Euro, verabreichte Frau Schnacke einen Handkuss, hauchte, "Gnädige Frau, es war mir ein außerordentliches Vergnügen", klemmte mir ein Pfund Kataloge unter den Arm und verabschiedete mich.
Das war's erst mal.
Ich fuhr wieder in den Copyshop und drehte die Kataloge durch den Farbkopierer, wobei ich das Firmenzeichen des Best Partyservice immer und sorgfältig mit einer meiner Visitenkarten abdeckte.
Das Ergebnis ließ ich mir zu einem Büchlein zusammenbinden, fuhr nach Hause und klebte die 'Mustang' aus dem Baukasten zusammen.
Merkwürdigerweise passierte mir auf dem Weg zur Eingangstür und im Lift nach oben nichts.
In Ermangelung der Abziehbilder strich ich das Modell mit der Goldbronze und stellte es zum Trocknen auf den Balkon, nachdem ich zwei turtelnde Tauben gebeten hatte, zu fliegen und woanders weiterzuturteln.
Ich sah mir noch einen Film im Fernsehen an, zog mich um, steckte das Laguiole ein und fuhr kurz nach Mitternacht zur 'Schwarzen Orchidee'.
Irgendwie begann das alles tatsächlich in richtige Arbeit auszuarten.
Es wunderte mich, dass die Nummer bis jetzt glatt durch gegangen war; - zu glatt!
Egal.
Aber was ich tat, tat ich für Kitty und da musste es schon sein.
Die Damen waren alle wieder da, die Schwarze hinter der Theke, Jutta, Mona und noch etliche Mädels, einige Herren saßen auch rum, wild entschlossen, sich zu amüsieren.
Zu einem der Herren machte ich auffällig-unauffällig ein beschwichtigendes Zeichen mit der Hand, sodass Mona es mitbekam und bei ihr der Eindruck entstand, ich sei nicht alleine da. Ich hoffte, dass der Herr kein Stammgast war.
"Hallo Elefantenmann", sagte Mona.
Sie sah mich seltsam fragend von der Seite an und dann zu dem Herren.
"Hallo Mona, wie geht's denn so?", fuhr ich heiteren Gemütes fort.
"Och, es geht so. - Sag' mal, kennst du den?"
"Nicht näher", ich legte den Zeigefinger auf den Mund, "na, dann geht's ja. - Wollen wir denn dann vielleicht auch mal eben einen zusammen trinken?"
"Ja, gerne."
"Okay, also dann. Einen Champagnercocktail und einen Bourbon."
Pause.
"Finde ich toll, dass du wiederkommst", sagte Mona, "ganz schön mutig, so ganz alleine."
"Wieso alleine? - War doch nett hier, das letzte Mal."
"Na, der Chef war ganz schon sauer wegen seines Anzuges. Und überhaupt. Pass‘ man auf, der ist nebenan."
"Prima! Würdest du ihm denn dann auch bitte wohl vielleicht mal Bescheid sagen, dass ich da bin und ihn auch mal son' bisschen sprechen möchte, wenn er nichts dagegen hat?"
"Du hast aber Nerven!"
"Wieso?"
"Na, wenn du meinst."
Mona rutschte von Hocker, ging zu des Hinterzimmers Tür, klopfte an sie, öffnete und verschwand.
Die Frau in Schwarz stellte zwei Gläser vor mir hin.
"Wenn das man gutgeht", meinte die schwarze Frau.
Ich nippte an meinem Bourbon.
Hoffstett, beziehungsweise der letzte Sack von Sacramento, kam lautstark rein, walzte durch die Bar, ließ seine Blicke umherschweifen und setzte sich neben mich.
"Tach auch", sagte ich.
Hoffstett sah mich aus schmalen Augen an, in etwa wie der Mann am Flakgeschütz, der ein unbekanntes Flugzeug sieht und nicht weiß, ob es sich dabei um den Prototyp eines freundlichen, feindlichen oder gar um den eines neutralen UFOs handelt, der aber dazu neigt, erst zu schießen und dann zu fragen.
"Wir hatten da ja kürzlich so eine kleine Diskrepanz, sie erinnern sich?", eröffnete ich die Unterhaltung.
"Oh, ja", sagte der letzte Sack von Sacramento unter Beibehaltung dieses Gesichtsausdrucks, "darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen."
Es hatte plötzlich ein offenes Messer in der Hand.
"Ach, wie ärgerlich."
Ich nahm mein Laguiole auch aus der Tasche und klappte die Klinge raus.
"Möchten sie sich mit mir anlegen, oder wollen wir lieber lukrative Geschäfte miteinander machen? Aber erst mal, so glaube ich zu vermuten, sollten wir doch vielleicht auch mal einen zusammen trinken. Sie trinken Wodka, wenn ich mich nicht irre."
Hoffstetts Gesichtszuge entspannten sich etwas. Er nickte, Mona setzte sich zu uns.
Ich gab ihr einen Wink, sie nickte auch, griff nach einer Flasche, schenkte ein und stellte Hoffstett das Glas hin.
"Wie soll das denn aussehen, mit den Geschäften, Herr - wie war ihr Name doch gleich?"
"Verweegen. Die Dame bitte auch."
Ich tippte kurz an den Glasrand. Mona schenkte sich auch ein.
"Prost", sagte ich und hob mein Glas.
"Prost." Hoffstett stieß an.
Monas Glas klirrte dazu.
Wir tranken.
Verflucht, ich konnte mich nicht mehr erinnern, welchen Beruf ich damals angegeben hatte, weil ich dem Hoffstett nicht unbedingt auf die Nase binden wollte, dass ich Detektiv bin.
"Was ist jetzt mit den Geschäften?" fragte Hoffstett.
"Ja, richtig! Das ist ja auch der Zweck unseres, äh, meines Besuches. Passen se mah auf! Also, der Hellinger, was mein Boss ist, der hat da son Jubiläum, und weil ich derjenige bin, der bisher immer die Kohl- und Pinkelfahrten organisiert hat, soll ich auch die Feier bei ihm im Garten organisieren - äh, sie verstehen?"
"Nein, ich bin doch kein Partyservice."
"Natürlich nicht. Das Übliche habe ich ja auch schon im Sack, über einen Partyausrichter. Nein, nein, ich brauche noch 'n paar aufgeschlossene Damen in zumindest durchsichtigen Blusen, damit's 'n richtiger Knaller wird. Schließlich will ich ja auch mal Prokura haben - sie verstehen?"
"Ach, so. Natürlich, kein Problem. Wann?"
"Jetzt Sonnabend."
"Geht klar. Wie viel?"
"Fünf bis sechs."
"Auch das geht in Ordnung."
Hoffstett nannte einen verdammt hohen Preis, aber ich nickte.
"Fein, ich habe mir doch gedacht, dass es ein Vergnügen ist, mit ihnen Geschäfte zu machen. Was nützt es auch, sich zu streiten, wenn man zusammen Kohle machen kann. Wissen sie, ein Geschäft zieht das andere nach sich."
“Ebend.“
Hoffstett nahm noch einen Schluck.
"Ich bin natürlich dabei und passe auf die Frauen auf."
'Scheiße`, dachte ich, 'das passt mir ja gar nicht. Wenn der Kerl dazwischen funkt, geht womöglich was schief'.
Laut sagte ich:
"Das kriegen wir hin. Mein Chef liebt zwar keine Fremden dabei, aber wir tun dann einfach so, als wenn sie zum Partyservice gehören. Sie müssten allerdings so nett sein und mitspielen."
"In Ordnung."
Hoffstett trank sein Glas aus.
"Drei Neue", befahl er Mona, sie stellte uns die Gläser hin.
"Ich denke, wir können unsere Säbel wieder einstecken", sagte ich und hob mein Glas.
Hoffstett fuhr die Klinge ein, ich klappte mein Messer zusammen.
Das Laguiole gibt einen charakteristischen Klack von sich, wenn es
zusammengeklappt wird. Sollte man eigentlich nicht machen, da die Klinge dann auf der Innenseite der Feder aufschlägt, sondern es langsam schließen „Ressort silencieux vivra vieux“, das heißt: „Leise Feder wird lange leben“.
Aber wenn die Landmänner in der Normandie zur Pause zusammensitzen, und der Bauer lässt sein Laguiole zusammenklacken, wissen seine Leute, dass die Pause zuende ist.
Seltsam, dass mir das gerade jetzt einfiel, aber ich finde das satte Klacken immer sehr schön.
"Da leiste ich doch schon mal eine Anzahlung", ich zog einen Fünfhunderter aus der Tasche, "wäre das erst mal recht?"
Hoffstett nickte und steckte das Geld ein.
"Was macht das Aquariendesign?" fragte er.
Richtig, das war's, ich hatte mich als Aquariendesigner ausgegeben.
"Oooch, immer so weiter", murmelte ich und wir plauderten noch ein wenig belangloses Zeugs, Hoffstett zog sich wieder aus dem Geschehen raus, ich schnackte noch ein bisschen mit Mona, und eine Stunde später ließ ich ganz vorsichtig einfließen, dass ich am nächsten Tag wieder zu arbeiten und Leistung zu bringen hatte.
Mona.
Sie hatte eigentlich sehr schöne Augen, aber die Nächte im Bardunst hatten Furchen darum gegraben. Mona wirkte auf mich, als würde sie nur in der Bar arbeiten, weil sie die Hoffnung hegte, dass hier die ganz große Chance auf ein besseres Leben wie ein angetrunkener Gast zur Tür herein getorkelt käme.
Ich zahlte meine Drinks, fuhr nach Hause und legte mich schlafen.
Das hätte ich natürlich auch bei Herrn Gronau tun können, aber den wollte ich nicht unbedingt mit reinziehen, in die Geschichte.
Überhaupt wunderte ich mich, dass die Sache bis jetzt glatt gelaufen war; - zu glatt!
Wie ich das Leben kannte, machte es nur Pause um mir dann anständig in den Hintern zu treten!
Und das kam auch; - aber vorläufig schlief ich den Schlaf des Gerechten.
Vorläufig …
„So“, sagte einer der Motorradfahrer, „das war ja eine grandiose Nummer, die sie da abgezogen haben. Sone Leute können wir brauchen! - Ab jetzt werden sie für uns arbeiten!“
„Und wenn ich das nun mal nicht tue?“
„Wir sind ganz sicher, dass sie das tun werden, denn wir haben ihre Sekretärin!
Frau Katarina Henriette Hoppe. Sie nennen sie ‘Kitty‘ glaube ich. Vorläufig geht es ihr noch gut. - Vorläufig …“
Da guckte ich doch erst mal wie eine eingelegte Kröte.
Dann entschloss ich mich so cool zu bleiben, wie ein Eisberg während der oberordovizischen Vereisung unseres Erdballs.
„Sind sie sicher, dass sie mich meinen? Es soll da einen Typen geben, der mir zum Verwechseln ähnlich sieht.“
„Haben wir alles überprüft! - Sie sind Hagen von Wegen, und sie haben kürzlich im Knast gesessen, worauf sie ihre Arbeit los wurden. Wir nehmen an, dass sie, um nicht auf Hartz IV zu kommen, eine Detektei angemeldet und eine Sekretärin angestellt haben. Was meinen sie wohl, wie lange sie das mit ihrer lausigen Abfindung durchhalten?“
Jedenfalls wussten die staubigen Brüder nicht, dass ich das Geld aus dem Bankraub, den ich - wohlgemerkt - nicht begangen hatte, der geneigte Leser erinnert sich, an mich gebracht hatte, und recht gut davon hätte leben können, wenn ich nur nicht auf die blödsinnige Idee gekommen wäre, zur Tarnung eine Detektei anzumelden.
Hoffentlich hielt Kitty dicht, was das Geld aus dem Bankraub betraf. Ansonsten sollte den Entführern meinetwegen einen vom Pferd erzählen, sie war ja bei mir durch eine zwar kurze aber intensive Schulung gegangen.
„Och“, sagte ich, „eine Weile gedenke ich schon durchzuhalten. Man soll schließlich jeden Tag so leben, als ob es sein letzter wäre. Außerdem kann ich Morgen schon tot sein.“
„In der Tat“, nickte einer der Motoradfahrer, „genau so! Sie können morgen schon tot sein! - Aber das ist nicht der Punkt.“
„Sondern?“
„Sie haben im Vietnamkrieg den Bell UH-1 Iroquois „Huey“ geflogen. Deswegen brauchen wir sie!“
„Der Vietnamkrieg ist lange her …“
„Sowas verlernt man aber nicht! Das ist genau wie Radfahren und schwimmen!“
Die Situation war nahezu klassisch.
Da will sich einer der Guten zur Ruhe setzen, aber die Anderen lassen ihn nicht. In den guten Detektivfilmen und Actionstreifen wird mit so einem Mist der halbe Film verbumfiedelt, bis es der Gute schließlich doch tut; - nur noch ein einziger Auftrag, weil er der beste Mann ist. Ich war zwar nicht der Gute, zumindest nicht der ganz Gute, aber etwas der Gute war ich schon. Kitty wollte ich doch nicht hängen lassen und möglichst schnell weiter kommen.
„Also gut. Was soll ich denn dann alles so machen?“
„Einen Huey klauen!“
„Ach was! Ist ja ganz einfach. Wie stellen sie sich das vor?“
„Ganz einfach! In der Tat. Es gibt da so einen Gewürzhändler, der sammelt Militaria. Als die US-Nationalgarde den Bell-UH-1-Helikopter im Jahre 2009 nach 50 Dienstjahren feierlich außer Dienst gestellt hat, hat er zugeschlagen und sich einen gekauft. Er hütet den Huey wie seinen Augapfel; - er hält ihn sogar flugtüchtig.“
„Ich gehe also hin und klaue den Hubschrauber. Der Gewürzhändler wird mir sogar einen ‘Roten Teppich‘ hinlegen und ‘bitte schön‘ sagen. - Ich glaube eher, sie wollen mich verarschen!“
„Keineswegs! Wir waren auch nicht untätig und haben einige streng vertrauliche Informationen über den Herrn Hellinger, das ist der Gewürzhändler, er macht auch illegale Waffengeschäfte, zusammengetragen. Die lassen wir ihnen jetzt zukommen und dann sind sie auf sich alleine gestellt. Wir werden uns hin und wieder mal melden und nicht vergessen: Noch geht es ihrer Kitty gut, aber es wird ihr von Tag zu Tag schlechter gehen, der verstreicht, wenn sie untätig herumsitzen.“
Die Motorradfahrer gaben mir einen Umschlag, nahmen die Serviette von der Pistole auf dem Tisch, steckten sie ein und wandten sich zum Gehen.
„Eine Frage noch“, sagte ich, „sie wollen doch den Hubschrauber bestimmt nicht haben, um ihn in ihren Vorgarten zu stellen, oder?“
„Bestimmt nicht! Was sie damit tun sollen, erfahren sie noch früh genug! Wie gesagt: Noch geht es ihrer Kitty gut, aber es wird ihr von Tag zu Tag schlechter gehen, wenn sie untätig herumsitzen.“
Die Motorradfahrer setzten ihre Helme auf, zogen ihre Handschuhe an, klopften nochmal auf den Tisch und entfernten sich gemessenen Schrittes.
Es kann mir niemand verübeln, dass ich zuende frühstückte, auch das Ei von Herrn Gronau aß und seinen inzwischen lauwarmen Kaffee trank.
Eine verfahrene Sache war das, dabei wollte ich nur noch ein wenig mit Kitty flippern und den guten Sex zuende bringen.
‘Es kommt eben immer was dazwischen‘, dachte ich und beschäftigte mich während des Frühstücks schon mal mit dem Inhalt des Umschlags.
Dabei reiften die Rudimente eines Plans in mir …
Na gut, was half's?
Nichts half's!
Ich fuhr nach Hause und ging erst mal Brötchen holen, für später. Irgendwann würde ich mal wieder Hunger kriegen. Mir ein Steak zu machen, hatte ich wirklich keine Lust.
Die Bäckereifachverkäuferin tat mir die Brötchen in die Tüte, zwei Krosse, ein Mehrkorn, ein Roggen.
Sie lächelte: "Bitte schön, Herr von Wegen."
"Tausend und einen Dank, meine Liebe", ich ergriff erst die Brötchentüte und dann die Flucht. Ich bin immer etwas verblüfft, wenn mich jemand mit 'Herr von Wegen' anspricht, noch dazu eine Frau, bei der ich mir absolut nicht vorstellen konnte, wie sie an meinen Namen gekommen war. Zudem irritierte mich, dass es in dieser Wohngegend eine Frau gab, die schon am Vormittag lächelte.
Im Tabakladen gegenüber sah es dann auch schon etwas normaler aus, ein schlecht rasierter Kerl kaufte sich eine BILD, billigen Tabak und Blättchen.
Der Mann hinter dem Tresen schob mir eine Schachtel Luckys wortlos und unbewegten Gesichtes rüber.
"'n Playboy hatte ich noch gerne."
Ich ging davon aus, dass es mir gelingen wurde, den Hubschrauber zu entführen; - ihn irgendwo unterzubringen, bedurfte auch einer gewissen Vorbereitung.
Der Mann Verzog keine Mine, auch nicht, als er das Geld kassierte.
"Einen schönen Tach noch", sagte er, als ich raus ging.
"Tja, gleichfalls."
"Was soll das heißen, ‘Geizhals‘?"
Mit dieser Bemerkung bewies der Tabakmann jedes Mal feinsinnigen Humor, wenn man das Wort 'gleichfalls' erwähnte.
Jedenfalls konnte ich mit Fug und Recht, zumindest mit Fug, behaupten, dass ich hier wohnte, weil ich ohne was zu sagen, die benötigte Anzahl von Brötchen beim Bäcker und meine Zigarettensorte im Tabakladen bekam.
In der Kneipe gegenüber stellte mir Honey, die qualmgebadete Wirtin, mittlerweile gleich ein Glas mit Griff an der Seite unter den Zapfhahn, aber das wollte ich jetzt nicht unbedingt ausnutzen. Vielleicht heute Abend, wenn überhaupt in meiner prekären Lage.
Auf der Bank vor des Hochhauses Tür, in dem ich wohnte, und wie eingangs erwähnt, meine Detektei betrieb, saßen mittlerweile Männe, der arbeitslose Binnenschiffer und Robert, der arbeitslose Bademeister. Sie hatten einen Kasten Bex in den Schatten der Bank gestellt und die erste Vertikalreihe bereits abgearbeitet.
"Moin Männer", sagte ich. Ich wollte mir absolut nicht und auf gar keinen Fall etwas von der unangenehmen Sache, in die ich hineingeschlittert war, anmerken lassen.
"Tach Hagen", einer der beiden, wer, weiß ich nicht mehr, "wo kommst du denn her?"
"Vom der Apotheke im Einkaufszentrum. Da messen die heute umsonst den Blutdruck, 'hab' dort zufällig meinem Bewährungshelfer getroffen, wir haben um die Höhe gewettet.“
"Und wer hat gewonnen?" fragte Männe, diesmal weiß ich's genau.
"Er."
"Hast du dir da auch einen Playboy gekauft?" fragte Robert zur Abwechslung.
„Jau.“
"Willst du dir nicht lieber 'ne richtige Frau anschaffen?"
„Nein."
“Willst 'n Bex?"
"Niemals; - kein Bier vor vier", ich schielte auf den Kasten, "und kein Bex vor sechs."
"Wieso denn gerade sechs?"
"Vor sechs bin ich noch nicht soweit."
"Ah, ja. - Was ist das: Geht steif und gerade rein und kommt schlapp und schrumpelig wieder raus?"
Ich grübelte angestrengt.
"Na, was schon", sagte, so glaube ich mich zu erinnern, der Bademeister, '"n Kaugummi natürlich! Was hast du denn gedacht?"
"Der Fahrer eines Automobils der gehobenen Mittelklasse, ohne Kat, vermutlich Reisender in Sachen Damenunterbekleidung, vor und nach einem Stau südlich von Regensburg."
"Wieso denn gerade Regensburg?"
"Gefällt dir Bad Salzdedfurt besser?"
"Ist doch egal."
"Eben - Was ist das: Es dauert zehn Minuten und hält neun Monate?"
Die beiden grinsten, und der Binnenschiffer ließ seine leere Flasche in den Kasten gleiten, nahm erst eine neue, dann sein Feuerzeug heraus, klemmte es unter den Kronenkorken und hebelte ihn hoch.
"Meyers Autowachs", sagte ich, "Gentlemen, das war ein ganz kleiner Ausschnitt unserer beliebten Kategorie: Bescheidener Humor aus der Provence. - Wir sehen uns."
"Jau, wir sehen uns", der Bademeister nahm auch eine neue Flasche in Angriff, „wir wollen auch nochmal eine Runde flippern!“
„Natürlich, das machen wir.“
Mit Zeige - und Mittelfinger formte ich das V-Zeichen, ging ins Haus und fuhr mit dem Lift in meine Wohnung.
Während ich die Brötchen zu mir nahm und Kaffee trank, sozusagen das zweite Frühstück, konzentrierte ich mich auf den Inhalt des Umschlages.
Es waren tatsächlich heiße Informationen drin, dass er am Wochenende eine Party zu geben beabsichtigte, zum Beispiel und dass er jungen Mädchen dabei nicht abgeneigt war, und dass er Waffen aller Art sammelte, auch zwei Panzer und den Hubschrauber, die er bei seinen Partys stolz präsentierte. Außerdem machte er sein Geld nicht mit Gewürzen sondern mit illegalem Waffenhandel.
Da ließ sich doch was draus machen!
Immerhin hatte ich schon das Fragment eines Plans, es fehlte nur noch die Detailarbeit.
Ich blätterte in dem Playboy - aus einem der Bilder ließ sich auch was machen, - las die Partywitze und eine Kurzgeschichte und schlenderte daraufhin wieder ganz langsam in das Einkaufszentrum in der Nähe.
Das Modell einer P-51 D 'Mustang' im Maßstab 1:72 wanderte in den Einkaufswagen, etliche Schokoladenriegel, ein kleiner Taschenkalender im Lederetui, Sekundenkleber, zwei Bögen Rubbelbuchstaben, ein Hellbaues Hemd der Größe 44, ein Pinsel, ein kleines Döschen Goldbronze, ein Päckchen Kekse eine Tüte Popcorn und noch einige Kleinigkeiten des täglichen Bedarfs fügte ich bei, wie durchsichtige Klebefolie, Sandpapier in zweihunderter Körnung und einen Plastikteller.
Nach der Kasse stopfte ich alles in eine Tüte und ging zum Fotografen schräg gegenüber.
"Haben sie denn auch schon so einen tollen Apparat, bei dem man die Bilder gleich mitnehmen kann?" fragte ich eine leicht müde wirkende Photographin.
"'türlich", gähnte sie, "kommen sie man mit."
"Au, fein. Ihnen folge ich wohin sie wollen, es darf da nur nicht dunkel sein. Ich hab' nämlich immer sone Angst im Dunkeln. Aber in die Dunkelkammer brauch' ich ja nicht mit rein - oder?"
Die Photographin gähnte verneinend und ging ins Hinterzimmer.
Ich dackelte hinterher.
"Soll es ein Passfoto werden?" fragte sie.
"Nein, ich will mich bewerben - als Kammerjager oder Kammersänger, 'weiß noch nicht. 'glaub wohl eher Kammerjäger, 'kann nämlich besser in der Kammer jagen als singen."
"Ach so. Dann setzen sie sich bitte dort hin und lächeln sie ein wenig", sie gähnte, "damit der Personalchef einen guten Eindruck von ihnen bekommt."
"Da gibt es keinen Personalchef. Da ist nur der Chefkammerjägermeister, der einen Angestellten sucht. Kennen sie sicher die Firma, das ist der rosa-violette VW-Bus, mit der Plastikküchenschabe auf dem Dach."
"Nein, kenne ich nicht."
Die müde Photographin fummelte einen Fotoapparat auf ein Stativ.
"Müssen sie aber kennen! Der war letztens in der Neuwiederstraße und hat da drei Häuser komplett ausgeräuchert."
"Ah, ja. Ich erinnere mich."
"Sehen sie, das war meine Chance, zumal das meinem Hobby sehr nahe kommt, ich sammel' nämlich Insekten."
"Halten sie mal still!"
"Außerordentlich gerne."
Flash! Kam der Blitz.
"Huch", sagte ich, "da habe ich mich aber erschrocken. - Wo waren wir stehen geblieben?"
"Weiß' nicht."
Die Photographin zog den Chip aus der Kamera und ging zu einem Automaten.
"Aber ich weiß es! Bei den Insekten! Möchten sie mal meine getrockneten Heuschrecken sehen?"
"Nein."
"Oder meine lebenden Insekten? Die haben alle Namen. Meine Gottesanbeterin heißt Klytaimnestra, sie hat letztens Agamemnon gefressen, ihren Gemahl. Möchten die denn mal sehen?"
Die Photographin gähnte unverhohlen.
"Ihre Bilder. Sie sind gut getroffen."
"Wo kriege ich jetzt bloß einen neuen her?"
"Was?"
"Einen neuen Gottesanbeter. Ich werde ihn Aigisthos nennen."
"Wieso?"
"Weil Aigisthos der Geliebte Klytaimnestras gewesen ist, während Agamemnon unterwegs war, Troja platt machen."
"Wie?"
"Frauen sind halt so, wenn einer nicht da ist, kommt - Schwupps - der Nächste! Aber naja, die Männer sind da in einem hölzernen Pferd rein und haben dann von innen heraus gewirkt. War sehr effektiv, das Ganze. - Muss nur ein wenig eng gewesen sein in dem Gaul, und dann die ganze Zeit still sitzen und nicht husten …"
"Zwölf Euro bekomme ich dann von ihnen. Haben sie 's“, sie gähnte, „klein?"
"Muss mal nachsehen."
Ich hatte. Sie tat das Geld in eine Schublade.
"Beehren sie uns", sie gähnte, "bald wieder."
"Von Herzen gern. Kommen sie mich doch mal besuchen, wenn ich einen neuen Gottesanbeter habe. Wir können dann zugucken, wie die sich paaren und Klytaimnestra den Kerl dann anschließend auffrisst. Haben sie sowas denn schon mal gesehen? Ist immer wieder interessant."
Die Photographin ließ sich gähnend auf den Hocker hinter dem Tresen fallen, „oh, nein, um Gotteswillen“, und blickte so starr zur Uhr, als könne sie die Zeiger mit der Kraft ihrer Gedanken auf Feierabend stellen.
Ich steckte die Bilder ein und ging wieder nach Hause.
Der Kasten Bier im Schatten der Bank war halb leer, die beiden Männer auf der Bank inzwischen nur noch halb nüchtern, oder bereits halb betrunken, je nach Blickwinkel.
"Hallo Hagen, willst du dir ein Flugzeug basteln?", fragte der Binnenschiffer.
"Wie weißt du?"
"Weil man den Bausatz durch die Tüte sieht."
"Ah Scharfsinn, Scharfsinn. - Sach mah', ist denn vielleicht die Post schon durch?"
"Eben gerade. Du hast nix."
„Nicht mal `ne Rechnung?"
„Nein."
"'n Zahlungsbefehl?"
"Auch nicht."
"Dann is' ja gut. Da bin ich aber froh. - Danke schön, Tschau Männer."
'Das eben wäre einer der übelsten Seitenschinder der gesamten Weltliteratur, wenn ich das in einem Buch gelesen hätte', dachte ich, während ich mit dem Lift hochfuhr.
Was die Geschichte mit Klytaimnestra und dem Trojanischen Krieg betraf, da hatte ich eigentlich nur geblödelt um der müden Photographin ein Lächeln zu entlocken, aber möglicherweise hatte es mich auf eine gute Idee, was den Fall Hellinger betraf, gebracht.
Etwas Kaffee war noch da, ich kippte ihn in eine Tasse, kramte das Telefonbuch hervor und rief einen Partyausrichter an.
Während der bevorstehenden Fete beim Hellinger würde ich mit Sicherheit an den Hubschrauber kommen! Einfach hingehen und vielleicht nicht rein gelassen werden, war zu unsicher.
Eine jung-dynamische Frauenstimme meldete sich.
"Best Party Service, Schnacke, guten Tag."
"Ja, hier ist Verweegen. Ich soll unsere Betriebsfeier organisieren, weil ich bisher immer die Kohlfahrten organisiert habe, aber sowas ist ja doch etwas aufwendiger, und da dachte ich, sie können das doch sicher viel besser, weil sie das doch wohl sicherlich schon öfter mal gemacht haben."
"Natürlich dafür sind wir da. Wie viele Personen?"
"So fünfzig, glaube ich. Können sie denn dann alles liefern, vom Eiswürfel bis zum Gänseklein, auch Gläser und so?"
"Aber selbstverständlich. Sie brauchen sich um nichts zu kümmern. Wir liefern alles."
"Da fällt mir aber ein Steinpilz von der Seele. Sind denn dann da auch Männer, die die Gläser eingießen und Steaks und so braten?"
"Selbstverständlich Köche, Kellner, Barmixer …“
"Auch Serviererinnen 'Oben Ohne'?"
"Sowas natürlich nicht, wir sind ein seriöses Geschäft."
"Das dachte ich mir. In Ordnung. Ich würde sagen, ich komme denn heute Nachmittag mal bei ihnen vorbei, damit wir die Details besprechen können. Sagen wir so gegen zwei? Sie sind Frau Schnacke, nicht wahr?"
"Ganz Recht, Herr Verweegen. Bis heute Nachmittag."
Ich tippte auf die Gabel und wählte die private Nummer des Herrn Hellinger.
Da war natürlich auch erst mal eine Sekretärin:
"Büro Hellinger. Gewürze Im- und Export."
Die Stimme war sachlich.
"Hartmut Verweegen. Herrn Edzard Hellinger bitte! - Dankeee!"
Gleich die Harte. Die Erwähnung des Vornamens brachte die brave Vorzimmerdame stets in arge Bedrängnis, auch wenn sie die strikte Anweisung hatte, niemanden durchzustellen, aber wer den Boss mit Vornamen kennt, kann ja auch ein Kumpel von ihm sein. Der leichte Schlenker beim `Danke`, verriet, dass man üblicherweise sofort durchgestellt wird.
"Moment bitte."
Die Leitung knackte.
Na also.
"Hellinger."
"Ja, hier ist ihr Partyausrichter Verweegen. Sie haben doch am Wochenende eine Feier. Herr Hellinger, wäre es interessant für sie, ihre Feier organisieren zu lassen?"
"Nein, eigentlich nicht. Wie haben sie überhaupt von der Feier erfahren? Wie sind sie an diese Nummer gekommen?"
"Ein guter Partyausrichter ist immer über derartige Dinge informiert. Deshalb brauchen wir auch nicht im Telefonbuch zu stehen! - Wie haben sie ihre Feiern bisher ausgerichtet, Herr Hellinger?"
"Meine Angestellten haben das erledigt."
"Und? Waren bisher immer genügend Eiswürfel da? Nie ein Tisch umgekippt? Waren auch ausreichend aufgeschlossene Damen anwesend?"
"Was meinen sie mit 'aufgeschlossene Damen'?"
"Na, die machen schon mal 'n Strip, liegen unbekleidet am Pool rum, servieren Getränke oben ohne und sind allgemein sehr aufgeschlossen, sie verstehen?"
"Natürlich verstehe ich", lachte der Hellinger, "das scheint mir gar nicht so schlecht zu sein."
"Finde ich auch. Herr Hellinger, wäre es ihnen recht, wenn ich sie heute oder morgen am späten Nachmittag mal kurz aufsuche, damit wir die Einzelheiten besprechen können?"
"Heute Nachmittag geht es nicht mehr."
"Morgen Vormittag? Ich komme gerne zu ihnen. Sagen wir gegen elf?"
"Gut. Morgen um elf kann ich sie noch unterbringen. Wie war ihr Name noch bitte?"
"Verweegen, mit zwei 'e'"
"Gut, Herr Verweegen, bis Mittwoch."
Ich legte auf, nachdem die Leitung geknackt hatte.
'Blödes Arschloch', dachte ich, 'Ich kann sie noch unterbringen', jedenfalls hatte ich erst mal einen Termin, das mit den aufgeschlossenen Damen würde ich auch noch hinkriegen!
Ich schaltete das Radio an, trank den Kaffee aus, kippte den Inhalt der Einkaufstüte auf den Boden und riss die Popcorntüte auf.
Zuerst musste der Plastikteller dran glauben. Während ich Popcorn mampfte, zog ich den Kalender aus dem Lederetui, legte ihn auf den flachen Boden des Tellers, zeichnete die Umrisse nach und schnitt sie aus. Ich glättete die Kanten mit dem Sandpapier und schob das Stück Plastik in das Lederetui. Noch etwas nachschleifen und es passte sauber hinein. Prima, der erste Schokoladenriegel war fällig.
Ich schlug den Playboy auf und suchte das Bild des Mädchens, das vor leicht bewölktem Himmel fotografiert worden war.
Ich klebte das Plastikkärtchen hinter das freie Stück Himmel, ging nach nebenan zu meiner Schreibmaschine, zog das angefangene Blatt heraus, drehte ein Neues herein und schrieb:
- Hartmut Verweegen - Civil lnsp. j.f.f.
Ich nahm das Blatt wieder heraus, einen blauen und einen schwarzen Filzer mit und ging wieder ins andere Zimmer. Der Kleber war inzwischen getrocknet. Ich schnitt erst das Kärtchen und dann eins der Passbilder aus und klebte es rechts oben auf den bewölkten Himmel des Kärtchens.
Hübsch sah es aus.
Den Civil Inspektor schnitt ich in einem etwa 1 cm breiten Streifen aus, klebte ihn unten auf das Kärtchen und leistete mit dem schwarzen Filzer meine Unterschrift.
Das kam unheimlich gut.
Nun noch etwas Wasser in der Untertasse geholt und aus dem Bausatz der 'Mustang' ein Hoheitsabzeichen sowie den Schriftzug USAF aufgebracht.
Das sah schon ganz professionell aus und ich fügte noch die siebenstellige Kennnummer des Flugzeugmodells bei.
Saustark das Ganze, mit dem blauen Filzer malte ich noch einen Stempel dazu, über eine der Ecken des Bildes.
Ich war richtig stolz auf mich, als ich den Ausweis mit der durchsichtigen Klebefolie einsiegelte und in das Lederetui steckte.
Noch ein Hohheitsabzeichen auf die Jahreszahl des Lederetuis, und ich setzte die Kaffeemaschine wieder in Gang.
Eine Zigarettenlänge Pause, einen Becher Kaffee, einen Schokoladenriegel und mit den Rubbelbuchstaben, einem Stück Liquorwerbung aus dem Playboy und viel künstlerischem Feingefühl machte ich mir eine Geschäftskarte zurecht.
Ich trank den Kaffee aus, packte den Bogen mit der Geschäftskarte und den Air Force-Ausweis in die Aktentasche, zog das neue blaue Hemd an, die Jacke über, mampfte noch einen Schokoladenriegel und fuhr mit dem Fahrstuhl nach unten.
Eine geleerte Bierkiste stand unten neben dem Eingang, eine Flasche fehlte. Neben der Bank vorm Haus lagen die Scherben der fehlenden Flasche.
"Nun sehen sie sich doch mal diese Schweinerei an!"
Das war eine Frau aus dem dritten Stock, sie hielt mich aus dem Grunde für ordentlich, weil ich sie mal im Waschhaus getroffen und mich mit ihr über das neue Bügelfix unterhalten hatte. Nur konnte ich mich zum Teufel nochmal nicht an ihren Namen erinnern.
"Tja, da müsste was getan werden", sagte ich.
"Sag' ich ja auch immer! Nix gegen eine Flasche Bier, aber sowas! Ich sag' ja immer, die Arbeitslosen sollten lieber die Grünanlagen hier in Ordnung halten."
"Oder man sollte sie in den Weltraum schießen, zum Satellitenentrosten. Da müsste auch dringend was getan werden!"
"Ja, gibt's denn das?"
"Das ist allerdings noch geheim, aber da werden zurzeit Überlegungen angestellt. Mit der Ariane nach oben, Vierzehn Tage im Orbit und mit einer Brunskapsel wieder runter, das geht. Es empfiehlt sich dabei allerdings leichte Kleidung, da die Kleinorbiter der Firma Bruns im Falle einer Rückkehr häufig glühen. Behalten sie diese Information bitte für sich, das ist vorläufig noch geheim!"
"Woher wissen sie das denn?"
"Ich arbeite doch bei der Air Force, wussten sie das etwa nicht?"
"Nein, ich habe mich schon gefragt, was sie machen, weil bei ihnen nie Licht im Schlafzimmer ist, aber im Wohnzimmer oft ganz lange. Ich dachte schon, sie wären auch arbeitslos, und dann kommt ja auch öfter diese Frau zu Ihnen."
"Meine Sekretarin. Das hat alles seine Ordnung."
Ich zeigte ihr kurz meinen neuen Ausweis, so kurz, dass sie zwar das Bild erkennen konnte, aber nicht den Unterschied zwischen 'von Wegen' und 'Verweegen'.
"Das muss aber nicht jeder wissen. Der Job ist nicht halb so aufregend, wie sie es sich vorstellen. - Ich muss aber los, bin ohnehin spät dran!“
Ich machte ein geheimnisvolles Gesicht und legte den Zeigefinger auf die Lippen.
Die Frau nickte begeistert, ich hatte diese Information auch ans schwarze Brett nageln können, es wäre aufs Gleiche rausgekommen.
"Tja, dann will ich mal nach Garlstedt raus, Dienst ist Dienst. Tschüs, meine Liebe."
Ich fuhr zunächst zur Sparkasse, hob zweitausend Mark in großen Scheinen ab, dann zum Bahnhof und erwarb dort in dem Waffenladen in der Nähe ein Laguiole - Messer, so richtig schön mit der charakteristischen Biene drauf, und einem Griffstück aus schwarzem Wasserbüffelhorn und zwei Edelstahlplatinen, umlaufend verziert. Kostete zwar eine Kleinigkeit, das Teil, aber was soll’s? Ich hatte mir schon immer sowas gewünscht, außerdem war es für Kitty, und für die tat ich alles; - naja, fast alles, und dann zu dem Copyshop am Dobben.
Dort kopierte ich das Blatt mit der Geschäftskarte zehn Mal, schnitt die Kärtchen sauber mit dem Schneidegerät aus, klebte sie auf ein leeres Blatt, ließ mir einen etwas festeren Bogen geben und kopierte das Ergebnis darauf.
Wieder ans Schneidegerät und die Karten sauber ausgeschnitten; - das sah schon mal sehr professionell aus.
Ich zahlte und ging nach gegenüber ins Torno, einen Giros essen. Irgendwie artete das alles in Arbeit aus, und sowas macht hungrig, mich jedenfalls.
Das ganz normale Leben floss an mir vorbei, Hunde pinkelten an die dünnen Bäumchen und die Junkies dealten, torkelten oder schliefen vor sich hin. Herr Liebe, der örtliche Hilfssheriff, ging von Auto zu Auto, schrieb was auf kleine Zettel und klemmte sie hinter die Scheibenwischer. Ich wetzte noch mal schnell rüber und fütterte die Parkuhr hinter meinem Auto.
Der Giros war ausgezeichnet, ich trank eine Cola dazu und ging anschließend zum Biofriseur gegenüber.
Eine Friseuse namens Marion mit grüner Strähne im Haar fing an, mich mit Fragen zu nerven, wie ich es denn wohl haben wollte, und ob sie es hinten lang lassen sollte oder besser nicht, oder was, oder wie?
"Machen sie man einfach so, als ob sie heute Abend mit mir essen gehen würden. Aber machen sie bitte schnell, ich muss gleich wieder ins Büro. Mein Chef sieht es nicht gerne, wenn seine Angestellten die Mittagpause überziehen."
Ich griff mir die Zeitschrift 'Capital' und tat so, als ob ich lesen wurde. Marion nickte eifrig, erzählte irgendwas von Trendfrisuren während sie mir den Haarschnitt eines sechsundzwanzig jährigen Anwalts und CDU-Mitgliedes, der nicht wie ein Spießer aussehen wollte, verabreichte - es würde hoffentlich demnächst wieder ordentlich nachgewachsen sein.
Weiter zum Second Hand.
Dort erwarb ich eine karierte Sommerjacke, wie Vertreter in Sachen Damenoberbekleidung sie tragen, wenn sie zum Kunden gehen und nicht unbedingt wie Vertreter aussehen wollen.
War preiswert das Teil, und ich leistete mir noch eine dunkelblaue Krawatte. Diese band ich um und ließ die Jacke gleich an.
Mit dieser Jacke an fuhr ich zum Best Party Service.
Frau Schnacke empfing mich mit freudigem Lächeln sowie einer Kanne Kaffee in einem modern aber steril eingerichteten Büro mit unzähligen Bildern, kalte Buffets darstellend, an den Wänden.
"Können sie das eigentlich aushalten?", ich wies mit dem Kopf auf die Bilder, "da muss man doch ständig Hunger kriegen."
"Man gewöhnt sich dran."
Wir kasperten alle erdenklichen Höflichkeitsfloskeln durch, Frau Schnacke wuchtete sich schließlich aus ihrem Sessel und wälzte sich zu einem Regal.
Sie hatte ihre reichlichen Pfunde in ein Korsett gezwängt, das ihr kaum Bewegungsfreiheit zu lassen schien. Ich versuchte sie mir nackt vorzustellen - die Vorstellung war überwältigend.
Wummm.
Mindestens drei Pfund Kataloge, mit ähnlichen Bildern, wie die an der Wand, landeten vor mir auf dem Tisch.
"Dann wollen wir doch mal sehen. Sie haben also eine Feier mit fünfzig Personen vor."
Frau Schnacke atmete so schwer dass ich mich fragte, wieso ihr bebender Brustkorb das Korsett nicht sprengte.
"Ja, wir feiern unser fünfundzwanzigjähriges. Hellinger, Gewürze Im- und Export. Kennen sie die Firma?"
"Nein, müsste ich die kennen?"
"Nicht unbedingt. - Wollen sie auch?"
Ich hielt ihr meine Zigarettenschachtel vor.
"Danke, nein, die sind mir zu stark, ich rauche lieber meine."
Sie aktivierte eine ultraleichte, superdünne Zigarette, ich qualmte ihr würzigen Tabakduft entgegen, wir sprachen über kalte Buffets, Eiswürfel, Drinks, Mobiltoiletten und fahrbare Grills. Ich stellte mir vor, sowas den ganzen Tag tun zu müssen und erschauerte.
Glücklicherweise hatte Frau Schnacke viele Schokoladenkekse in ihrer Schublade, die wir dann gemeinsam dezimierten.
Ich dachte immer, ich wäre Weltmeister in der Disziplin des Schokoladenkekseessens, aber Frau Schnacke schlug mich doch, zwar nur knapp, aber immerhin.
Endlich waren wir soweit durch und mir ein ganz klein wenig übel von den vielen Keksen.
Ich leistete eine Anzahlung von 500 Euro, verabreichte Frau Schnacke einen Handkuss, hauchte, "Gnädige Frau, es war mir ein außerordentliches Vergnügen", klemmte mir ein Pfund Kataloge unter den Arm und verabschiedete mich.
Das war's erst mal.
Ich fuhr wieder in den Copyshop und drehte die Kataloge durch den Farbkopierer, wobei ich das Firmenzeichen des Best Partyservice immer und sorgfältig mit einer meiner Visitenkarten abdeckte.
Das Ergebnis ließ ich mir zu einem Büchlein zusammenbinden, fuhr nach Hause und klebte die 'Mustang' aus dem Baukasten zusammen.
Merkwürdigerweise passierte mir auf dem Weg zur Eingangstür und im Lift nach oben nichts.
In Ermangelung der Abziehbilder strich ich das Modell mit der Goldbronze und stellte es zum Trocknen auf den Balkon, nachdem ich zwei turtelnde Tauben gebeten hatte, zu fliegen und woanders weiterzuturteln.
Ich sah mir noch einen Film im Fernsehen an, zog mich um, steckte das Laguiole ein und fuhr kurz nach Mitternacht zur 'Schwarzen Orchidee'.
Irgendwie begann das alles tatsächlich in richtige Arbeit auszuarten.
Es wunderte mich, dass die Nummer bis jetzt glatt durch gegangen war; - zu glatt!
Egal.
Aber was ich tat, tat ich für Kitty und da musste es schon sein.
Die Damen waren alle wieder da, die Schwarze hinter der Theke, Jutta, Mona und noch etliche Mädels, einige Herren saßen auch rum, wild entschlossen, sich zu amüsieren.
Zu einem der Herren machte ich auffällig-unauffällig ein beschwichtigendes Zeichen mit der Hand, sodass Mona es mitbekam und bei ihr der Eindruck entstand, ich sei nicht alleine da. Ich hoffte, dass der Herr kein Stammgast war.
"Hallo Elefantenmann", sagte Mona.
Sie sah mich seltsam fragend von der Seite an und dann zu dem Herren.
"Hallo Mona, wie geht's denn so?", fuhr ich heiteren Gemütes fort.
"Och, es geht so. - Sag' mal, kennst du den?"
"Nicht näher", ich legte den Zeigefinger auf den Mund, "na, dann geht's ja. - Wollen wir denn dann vielleicht auch mal eben einen zusammen trinken?"
"Ja, gerne."
"Okay, also dann. Einen Champagnercocktail und einen Bourbon."
Pause.
"Finde ich toll, dass du wiederkommst", sagte Mona, "ganz schön mutig, so ganz alleine."
"Wieso alleine? - War doch nett hier, das letzte Mal."
"Na, der Chef war ganz schon sauer wegen seines Anzuges. Und überhaupt. Pass‘ man auf, der ist nebenan."
"Prima! Würdest du ihm denn dann auch bitte wohl vielleicht mal Bescheid sagen, dass ich da bin und ihn auch mal son' bisschen sprechen möchte, wenn er nichts dagegen hat?"
"Du hast aber Nerven!"
"Wieso?"
"Na, wenn du meinst."
Mona rutschte von Hocker, ging zu des Hinterzimmers Tür, klopfte an sie, öffnete und verschwand.
Die Frau in Schwarz stellte zwei Gläser vor mir hin.
"Wenn das man gutgeht", meinte die schwarze Frau.
Ich nippte an meinem Bourbon.
Hoffstett, beziehungsweise der letzte Sack von Sacramento, kam lautstark rein, walzte durch die Bar, ließ seine Blicke umherschweifen und setzte sich neben mich.
"Tach auch", sagte ich.
Hoffstett sah mich aus schmalen Augen an, in etwa wie der Mann am Flakgeschütz, der ein unbekanntes Flugzeug sieht und nicht weiß, ob es sich dabei um den Prototyp eines freundlichen, feindlichen oder gar um den eines neutralen UFOs handelt, der aber dazu neigt, erst zu schießen und dann zu fragen.
"Wir hatten da ja kürzlich so eine kleine Diskrepanz, sie erinnern sich?", eröffnete ich die Unterhaltung.
"Oh, ja", sagte der letzte Sack von Sacramento unter Beibehaltung dieses Gesichtsausdrucks, "darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen."
Es hatte plötzlich ein offenes Messer in der Hand.
"Ach, wie ärgerlich."
Ich nahm mein Laguiole auch aus der Tasche und klappte die Klinge raus.
"Möchten sie sich mit mir anlegen, oder wollen wir lieber lukrative Geschäfte miteinander machen? Aber erst mal, so glaube ich zu vermuten, sollten wir doch vielleicht auch mal einen zusammen trinken. Sie trinken Wodka, wenn ich mich nicht irre."
Hoffstetts Gesichtszuge entspannten sich etwas. Er nickte, Mona setzte sich zu uns.
Ich gab ihr einen Wink, sie nickte auch, griff nach einer Flasche, schenkte ein und stellte Hoffstett das Glas hin.
"Wie soll das denn aussehen, mit den Geschäften, Herr - wie war ihr Name doch gleich?"
"Verweegen. Die Dame bitte auch."
Ich tippte kurz an den Glasrand. Mona schenkte sich auch ein.
"Prost", sagte ich und hob mein Glas.
"Prost." Hoffstett stieß an.
Monas Glas klirrte dazu.
Wir tranken.
Verflucht, ich konnte mich nicht mehr erinnern, welchen Beruf ich damals angegeben hatte, weil ich dem Hoffstett nicht unbedingt auf die Nase binden wollte, dass ich Detektiv bin.
"Was ist jetzt mit den Geschäften?" fragte Hoffstett.
"Ja, richtig! Das ist ja auch der Zweck unseres, äh, meines Besuches. Passen se mah auf! Also, der Hellinger, was mein Boss ist, der hat da son Jubiläum, und weil ich derjenige bin, der bisher immer die Kohl- und Pinkelfahrten organisiert hat, soll ich auch die Feier bei ihm im Garten organisieren - äh, sie verstehen?"
"Nein, ich bin doch kein Partyservice."
"Natürlich nicht. Das Übliche habe ich ja auch schon im Sack, über einen Partyausrichter. Nein, nein, ich brauche noch 'n paar aufgeschlossene Damen in zumindest durchsichtigen Blusen, damit's 'n richtiger Knaller wird. Schließlich will ich ja auch mal Prokura haben - sie verstehen?"
"Ach, so. Natürlich, kein Problem. Wann?"
"Jetzt Sonnabend."
"Geht klar. Wie viel?"
"Fünf bis sechs."
"Auch das geht in Ordnung."
Hoffstett nannte einen verdammt hohen Preis, aber ich nickte.
"Fein, ich habe mir doch gedacht, dass es ein Vergnügen ist, mit ihnen Geschäfte zu machen. Was nützt es auch, sich zu streiten, wenn man zusammen Kohle machen kann. Wissen sie, ein Geschäft zieht das andere nach sich."
“Ebend.“
Hoffstett nahm noch einen Schluck.
"Ich bin natürlich dabei und passe auf die Frauen auf."
'Scheiße`, dachte ich, 'das passt mir ja gar nicht. Wenn der Kerl dazwischen funkt, geht womöglich was schief'.
Laut sagte ich:
"Das kriegen wir hin. Mein Chef liebt zwar keine Fremden dabei, aber wir tun dann einfach so, als wenn sie zum Partyservice gehören. Sie müssten allerdings so nett sein und mitspielen."
"In Ordnung."
Hoffstett trank sein Glas aus.
"Drei Neue", befahl er Mona, sie stellte uns die Gläser hin.
"Ich denke, wir können unsere Säbel wieder einstecken", sagte ich und hob mein Glas.
Hoffstett fuhr die Klinge ein, ich klappte mein Messer zusammen.
Das Laguiole gibt einen charakteristischen Klack von sich, wenn es
zusammengeklappt wird. Sollte man eigentlich nicht machen, da die Klinge dann auf der Innenseite der Feder aufschlägt, sondern es langsam schließen „Ressort silencieux vivra vieux“, das heißt: „Leise Feder wird lange leben“.
Aber wenn die Landmänner in der Normandie zur Pause zusammensitzen, und der Bauer lässt sein Laguiole zusammenklacken, wissen seine Leute, dass die Pause zuende ist.
Seltsam, dass mir das gerade jetzt einfiel, aber ich finde das satte Klacken immer sehr schön.
"Da leiste ich doch schon mal eine Anzahlung", ich zog einen Fünfhunderter aus der Tasche, "wäre das erst mal recht?"
Hoffstett nickte und steckte das Geld ein.
"Was macht das Aquariendesign?" fragte er.
Richtig, das war's, ich hatte mich als Aquariendesigner ausgegeben.
"Oooch, immer so weiter", murmelte ich und wir plauderten noch ein wenig belangloses Zeugs, Hoffstett zog sich wieder aus dem Geschehen raus, ich schnackte noch ein bisschen mit Mona, und eine Stunde später ließ ich ganz vorsichtig einfließen, dass ich am nächsten Tag wieder zu arbeiten und Leistung zu bringen hatte.
Mona.
Sie hatte eigentlich sehr schöne Augen, aber die Nächte im Bardunst hatten Furchen darum gegraben. Mona wirkte auf mich, als würde sie nur in der Bar arbeiten, weil sie die Hoffnung hegte, dass hier die ganz große Chance auf ein besseres Leben wie ein angetrunkener Gast zur Tür herein getorkelt käme.
Ich zahlte meine Drinks, fuhr nach Hause und legte mich schlafen.
Das hätte ich natürlich auch bei Herrn Gronau tun können, aber den wollte ich nicht unbedingt mit reinziehen, in die Geschichte.
Überhaupt wunderte ich mich, dass die Sache bis jetzt glatt gelaufen war; - zu glatt!
Wie ich das Leben kannte, machte es nur Pause um mir dann anständig in den Hintern zu treten!
Und das kam auch; - aber vorläufig schlief ich den Schlaf des Gerechten.
Vorläufig …