lietzensee
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Der dreckige Kühlschrank
Warum ist der Kühlschrank so dreckig, fragen die Kollegen im Büro. Alles klebt. In den Kühlfächern liegen Glassplitter. Aber die Kollegen fragen es nur so, allein und vor sich hin murmelnd, wenn sie ein kühles Getränk greifen. Er ist wirklich dreckig, dieser Kühlschrank. Er stinkt und an der Tür klebt getrocknete Cola. Der Kühlschrank gefällt keinem mehr, soll gewechselt werden, ist aber kaum zwei Jahre alt. Er steht in der Küche, die früher mal ein Treffpunkt war, als alle Angestellten täglich ins Büro mussten. Doch neue Zeit bringt neue Freiheit, sie arbeiten nun von zuhause aus. Ins Büro kommen sie selten und nur zu den Zeiten, die sie in ihre Terminpläne quetschen können.
Garry kommt ganz früh, ist der Erste im Büro, schaltet das Licht an und greift sich eine Schorle aus dem Kühlschrank. Heute soll wieder ein heißer Tag werden. Der Kühlschrank ist richtig eingesaut, denkt Garry und drinnen sind wieder Flaschen geplatzt. Er wirft die größten Scherben in den Müll. Das hat er schon öfters gemacht. Garry ist kein Kollegenschwein. Kein Wunder, denkt er, denn der Kühlschrank ist auf Stufe Sechs gestellt, maximale Kälte. Klar, dass da Flaschen platzen. Er stellt den Kühlschrank auf Stufe Vier und setzt sich an seinen Schreibtisch.
Aylin kommt heute am späten Vormittag. Sie würde gerne noch später kommen, muss aber nach der Arbeit noch ihre Kinder abholen, die sie nachts dann wieder nicht schlafen lassen. Eilig greift sie ihren Salat von gestern aus dem Kühlschrank. Der muss als Frühstück reichen, denkt sie, und hat ein schlechtes Gewissen. Warum ist der Kühlschrank so dreckig, überlegt sie und dass man das Ding mal gründlich putzen sollte. Das würde sie gegenüber den Kollegen ansprechen – wenn sie die Zeit findet. An kleinen Splittern sieht man, dass wieder Flaschen geplatzt sind. Schnell stellt sie den Kühlschrank noch hinab auf Stufe Drei, damit wenigstens das nicht mehr passiert. Eh Tina sie dann mit einem Gespräch von der Arbeit abhält, eilt Aylin an ihren Schreibtisch.
Tina steht allein in der Küche. Eigentlich kommt sie zu spät, aber eigentlich ist sie ja auch nur eine Praktikantin. Arbeiten tut jeder so wie er bezahlt wird. Erstmal eine Cola trinken, denkt sie, und vor der offenen Kühlschranktür sucht sie lange nach einer Flasche, deren Etikett noch nicht besudelt ist. Noch ist sie unerfahren in der Arbeitswelt. Noch trifft sie überstürzte Entscheidungen. Als im Büro die Klimaanlage anspringt, glaubt sie, dass jemand hinter ihr steht und schlägt die Kühlschranktür zu. Nicht, dass jemand die geplatzten Flaschen sieht und mal wieder sagt, die Praktikantin soll putzen. Was aber, wenn jemand sagt, die Praktikantin würde sich vor der Arbeit drücken? Den Türgriff in der Hand, zögert sie. Dann reißt sie den Kühlschrank wieder auf, blickt suchend hinein und stellt den Regler auf Stufe Eins. Denn ganz faul ist sie ja auch nicht.
Am Nachmittag erscheint Heiner als Letzter im Büro, denkt sich dabei aber grimmig, dass er auch als Letzter geht und von allen die wichtigste Arbeit verrichtet. Durch das Fenster sieht er Garry schon in den Feierabend gehen. Wieder so ein verdammt heißer Tag. Der Schweiß läuft Heiners Nacken hinab und die Klimaanlage riecht wie jahrelang nicht gewartet. Was ist nur los mit den Kollegen? Niemand denkt mehr mit. Niemand tut was für die Gemeinschaft, alle denken nur noch ich, ich, ich. Er öffnet die Kühlschranktür und beißt auf seine Lippe. Alles klebt, starrt vor Dreck und beim Rausnehmen sind jemandem offensichtlich mehrere Flaschen zu Bruch gegangen. Sicher würde es Stunden dauern, diesen Kühlschrank zu putzen. Heiner sieht sich um, keiner da. Er schwitzt. Diese Idioten, flucht er, denn der Kühlschrank ist ja fast ausgestellt und alle Getränke darin sind warm. Er greift sich eine der ekligen Limonaden. Dann füllt er den Kühlschrank wieder aus der Vorratsecke auf, dreht den Regler auf Sechs und schließt kopfschüttelnd die Tür.