Der dumme August

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Geh nur fort, du dummer August! Wer braucht dich schon?
Ich weiß ja doch, du wirst mich verlassen und die schöne Zeit mit dir nehmen.
Ködere mich nicht länger mit deiner Sonne, die einem Planschbecken fabrikneue Aromen entlockt, mit Sprudelparfum aus dem Gartenschlauch oder mit dem soliden Warmduft einer festlichen Grill-Räucherung - es ist so gut wie vorbei.
Ein letzter Kuss von deiner Zunge aus erfrischend kühlem Melonenfleisch!
Ich sehe durchs offene Fenster, jemand hat feinsäuberlich Wäsche aufgehängt. Blütenweiß winken dir die leichten Hemdchen zum Abschied.
Ich vermag deiner staubigen Spur nicht zu folgen. Dein wildverwachsener Schienenstrang führt keine Züge mehr. Dort im gottverlassenen Industriegebiet an diesem flimmernden Sonntag habe ich dereinst auf eine Liebe gewartet, die nicht kam. Meinen schwarzen Mini hatte ich extra angezogen, dazu das Top mit den Retro-Bubbles.
Wenn ich an dich denke, laufen in meinem Kopf rote und blaue Spiralen auf azurblauem Hintergrund ineinander, während „Summer in the city“ läuft. Oder ich höre die Gitarren von Aranjuez, dann ballen sich Gewitterwolken andächtig still übers Ährenfeld, Kornblumen blitzen hervor wie die bescheiden sich verneigenden Holzbläser.
Auf eine Flickendecke hatte man mich gesetzt, damit ich am Waldrand mit bunten Püppchen spielen konnte, da war ich noch klein und die Nacht stand bevor. Die zirpenden Insektenlaute kamen von den abschüssigen Wiesen. Von dort, wo die wertlosen Blumen blühen - das ist EIN Bild.
Später saß ich zur Abendbrotzeit im Sandkasten im Hof und wir haben Barbie-Kleider getauscht. Martha, die direkt überm Torbogen wohnte und schon älter war, aber >zurückgeblieben<, wie man sagte, hatte die meisten.
Oder ich, barfuß an Opas Hand, zu Mittag auf dem Weg ins Schrebergrün: Sooo heiß der Asphalt! Opa hat Buttermilch gekauft, in die er Marmelade rührt. Opa im verwaschenen Ripp-Unterhemd vor der alten Hütte sitzend, auf einem farbblätternden Küchenstuhl in der Streuobstwiese.
Zurück in der mickrigen Wohnung hat Oma Kirschsaft auf den Tisch gestellt. Der seltsam stille Raum scheint sich zu wundern, wo wir den ganzen Tag über waren und ist ewig weit weg von der hitzigen Welt im augustlichen Draußen. Nur wenig Licht kommt herein. Das bisschen Sonne fächert sich auf im Waffelmuster der dickwandigen Gläser. „Oma, wann gehen wir wieder in den Garten? Gleich in der Früh, wenn die Spätzchen ihr Morgenlied anstimmen und keck durchs Geäst flattern, ja?“
Des Abends wirft die große Hecke einen immens langen Schatten, der schließlich das Planschbecken mit den orangenen Fischen drauf erreicht. Das Wasser war nur am ersten Tag gut.


(Ende August 2024)​
 
Ich liebe den August auch - diese Zeit zwischen fast Ende des Sommers und noch nicht Herbst. Ein schönes Stück Kurzprosa, mit Kindheitserinnerungen geschmückt. Wunderbar geschrieben.

LG SilberneDelfine
 

Scal

Mitglied
Manche Texte sind wie eine sich öffnende - "poetisch" knarrende - Tür zum Garten. Und eine Stimme sagt: Schau mal, erinnerst du dich?
Impressionen. Eine schöne Darreichung von Momenten.

LG
 
Huuiii, das sind ja viele Sterne auf einmal!
Tausend Dank dafür!
Detto für die zugeneigten Kommentare!
Ich grüße euch alle sehr lieb,

Erdling
 

Matula

Mitglied
Guten Abend Dichter Erdling !
Also ich weiß nicht, wo Du lebst, aber dort muss es noch Sommer wie damals geben. Beneidenswert! Hier im Osten Österreichs herrschen keinerlei Trennungsängste in puncto August. Er soll sich schleichen und den halben September gleich mitnehmen. Die Hitze macht alle verrückt: die Autofahrer, die Fußgänger, die e-Scooter-Fahrer und was sonst noch kreucht und fleucht. Nur die Blattwanzen freut's, sind bei bestem Appetit.

Viele Grüße aus Wien,
Matula
 
Hallöchen Matula!

Den August und mich verbindet eine Art Hassliebe, so wie ich es auch gleich in der Eingangspassage meines Textes andeute.
Einerseits liebe ich den Sommermonat wie seine beiden Vorgänger, andererseits betrübt er mich, weil er im Jahreslauf der letzte seiner Art ist.

Kein anderer jahreszeitlicher Übergang erweckt diese Wehmutsgefühle in mir. Geht es von Winter auf Frühling, freue ich mich nach dem kalten Dunkel verständlicherweise auf den grünsprießenden Neuanfang; Sommer auf Frühling bedeutet, es wird nochmal wärmer und bunter auch; und selbst wenn es Winter auf Herbst geht, ist die (zugegeben, oft unerfüllte) Hoffnung auf weißen Schnee und glitzernde Winterfeste eine willkommene Abwechslung nach novemberlichem Nebelgrau.
Nur der sich ankündigende Herbst schlägt aus der Reihe.
Bin halt ein Sommermensch und der Abschied von meiner Lieblingszeit fällt mir immer wieder schwer.

Auch wenn die Temperaturen hoch bleiben, auch wenn ich meine sommerliche Routine nun schon weit über den August hinaus ausdehnen kann (war letztes Jahr noch im Oktober in der Donau schwimmen): Es wird die Welt für mich eine andere, sobald ich den Kalender auf den neunten Monat umblättere.
Der Eintritt des Septembers markiert für mich eine Zäsur, auch wenn der astronomische Sommerbeginn erst am 21. 09. sein soll, ich weiß.
Der „goldene“, der „melancholische“ September; jene Zeit, da für die Kinder die Schule wieder anfängt, Ende einer schillernden, ausgelassenen Ära… man hört, man spürt derlei allenthalben. Das bringt mich dazu, den August wie einen treulosen Liebhaber festhalten zu wollen, obwohl ich weiß, dass er mit einem Fuß schon aus der Tür draußen ist.

In dieser Kurzprosa habe ich denn auch in diesem Sinn alles aufgeschrieben, was mir zum Thema August am vordergründigsten im Kopf herumspukt. Jene Bilder, die dabei am häufigsten auftauchen, verbalisiert, um wenigstens in Worten festzuhalten, was er mir bedeutet: Dieser wundervolle, dumme August, der mir schon wieder den Rücken zudreht.

Mit liebem Gruß,

Erdling
 
Moin Ofterdingen!

Da hast du natürlich 100% absolut zweifelsfrei recht:
SommerENDE wollte ich schreiben
oder
HERBSTBEGINN.

Danke fürs aufmerksame Drüberschauen und einen schönen Septembersonntag (jetzt ist er ja definitiv vorbei, der August) wünscht dir


Erdling
 



 
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