Der Einkaufscoach, der nicht an die ScheinBAR kam

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Hagen

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Der Einkaufscoach, der nicht an die ScheinBAR kam

Da war ich mal mit der Wunderbaren Ulrike eine neue Bluse einkaufen. Es gibt da von Otto Reutter ein sehr schönes Gedicht, das heißt „Der Blusenkauf“. ‘ist gar nicht so weit hergeholt, aber wenn ich mal ein neues Hemd brauche, gucke nach den Sonderposten, nehme mir ein schwarzes Hemd, Größe XL bezahle und die Sache hat sich. Schwarz ist meine Lieblingsfarbe, zudem verleiht sie seinem Träger eine gewisse Coolness. Lässig in Schwarz – damit steht man über den Dingen und strahlt Gelassenheit aus.
Zehn Minuten, und ich brauche nicht zu diskutieren oder nachzudenken, was ich Anziehen soll. Henry Ford soll mal gesagt haben: „Mir ist jede Farbe Recht, solange sie schwarz ist!“
Er meinte Autos, das hatte aber einen anderen Grund. Wie ich recherchiert habe, trocknet schwarze Farbe am schnellsten; - die Ford Modell ‘T‘ Wagen können also nach dem Lackieren schneller weiter verarbeitet werden, oder der gute Henry brauchte weniger Platz.
Hm, das bezieht sich aber nicht auf meine Hemden. Ich kann mich mit der gesparten Zeit dann wichtigeren Dingen widmen, für die Leselupe schreiben zum Beispiel, oder für meine Romane recherchieren, das kostet nämlich viel Zeit, oder mit der Wunderbaren Ulrike Billard spielen, oder ein tiefsinniges Gespräch an der ScheinBAR bei einem ‘Sidewinder‘ führen, das macht mehr Spaß als irgendwo meine Zeit mit Warten zu verschwenden, aber das nebenbei.
Wie ich da also so am warten war, die Wunderbare Ulrike braucht für einen Blusenkauf etwa zwanzig Minuten, füllte ich aus lauter Langeweile ein Preisausschreiben aus, aus dem Grund, weil die Wunderbare Ulrike immer die Kaffeemaschine gewinnt. Aber diesmal hatten die keine Kaffeemaschinen zu gewinnen, sondern nur Gutscheine zum Klamottenkauf in Begleitung eines Einkaufscoachs für den piekfeinen Laden in dem wir gerade weilten.
Ob Tyche oder Fortuna ihre Finger im Spiel hatten, kann ich nicht eindeutig klären, jedenfalls gewann ich den Einkaufsgutschein sowie den Einkaufscoach für diesen piekfeinen Laden.
Als die Wunderbare Ulrike das nächste Mal ihrem Job nachging, traf ich den Coach in einem Café und der meinte doch tatsächlich, ich sollte mir meinen Bart abnehmen, das trüge heute kein Mensch mehr.
„Ach? … Und George Clooney, Che Guevara, Fidel Castro, Abraham Lincoln, David Backham, Christian Bale und so weiter trugen auch einen Bart, genau wie ich,“ sagte ich daraufhin, „außerdem trägt Donald Trump keinen Bart! – Zudem ist es ein psychologisches Bedürfnis von mir, mich einmal im Jahr zurückzuziehen und über den Sinn des Lebens nachzudenken. Durch die globale Erwärmung verliere ich sonst diese magischen Momente, mit Seemannsbart und schwarzem Rollkragenpulli geht das am besten!“
„Rollkragenpullover! Sowas trägt doch heute kein Mensch mehr! – Es sei denn, Sie posten die Bilder davon bei Facebook.“
„Ich bin nicht bei Facebook, dafür verschwende ich keine Zeit, genau wie mit rasieren. Dann müsste ich mir nämlich einen Rasierapparat kaufen und mich täglich Barbieren. Das sind hochgerechnet zwei Jahre meines Lebens, vom Ändern der Passfotos mal abgesehen, das kostet nämlich auch mindestens einen Tag, und den kann ich sinnvoller verwenden. – Ist nicht! Der Faulheitsbart bleibt dran, ich bin ein bekennender Faulpelz!“
„Aber Ihre langen Haare könnten sie ruhig mal abschneiden, wie sieht denn das aus, trägt heute doch kein Mensch mehr.“
„Dann müsste ich ja laufend zum Friseur gehen und da auch erst mal warten. Ich hasse warten! Also gehe ich nicht zum Friseur, die Zeit kann ich, wie gesagt, sinnvoller verwenden, außerdem soll Jesus auch lange Haare gehabt haben! – Äh, Frollein, kann ich bitte einen Pott Kaffee haben? Schwarz und stark?“, fragte ich die Bedienung, die gerade entlang kam, „und darf ich hier rauchen?“
„Nein!“
„Scheiße.“
„Rauchen ist ungesund und liegt auch nicht mehr im Trend“, meinte der Einkaufscoach und bestellte sich eine Latte macciato mit Sojamilch, „mit Ihnen werde ich noch mächtig zu tun haben! Es wird kompliziert werden.“
„Wieso, was ist denn kompliziert? Ich gehe in den Laden, suche mir was aus, einen schwarzen Rollkragenpullover zum Beispiel, denn schwarze Hemden habe ich genug, gebe den Gutschein ab und gehe wieder nach Hause. Ganz einfach.“
„Rollkragenpullover?“, der Coach schnappte nach Luft, „damit zeigen Sie der Umwelt, dass Sie noch Ihre Vorhaut haben! Wollen Sie das?“
So hochpsychologisch war ich die Sache bisher noch nicht angegangen und meinte: „Einst war der enge schwarze Rollkragenpullover das Markenzeichen der Pariser Existenzialisten. Er symbolisiert für die Intellektuellen ihren Freigeist und die Konzentration auf das Wesentliche.“
Der Coach schüttelte den Kopf und meinte, dass sowas nicht mehr im Trend liegt und sie deshalb keine Rollkragenpullover führen würden.
Rollkragenpullover entfielen also, aber schwarze Hemden kann man ja nicht genug haben, ich brauchte nichts anderes.
Glücklicherweise kam mein Kaffee, sogar mit Keks, und der Latte macchiato des Coachs, und der beanstandete das Fehlen der Verzierung mit Kakaopulver oder Zimt. Mein Gott, für so einen Scheiß lief uns die Zeit weg, ich war mit der Wunderbaren Ulrike zum Billardspielen verabredet.
„Vielleicht“, sagte ich, „sollten wir die Nummer mit dem Einkauf schnell durch kaspern und dann lade ich sie auf eine Runde Billard bei uns zuhause ein.“
„Billard!“ Der Einkaufscoach schnappte nach Luft, „das liegt doch gar nicht mehr im Trend! Das spielt doch heute kein Mensch mehr! Haben sie den Persona 5 Royal noch nicht auf ihrer PlayStation 4 Pro?“
„Wir haben keine PlayStation. Meine Herzensdame und ich spielen Leidenschaftlich gerne Billard. Das entspannt kolossal. – Darf’s denn vielleicht ein selbstkreierter Cocktail an unserer ScheinBAR sein?“
„Na ja. Einen Old Fashioned kann ich ja mal mit ihnen trinken. Dieser Drink liegt momentan wieder im Trend.“
„Natürlich können sie auch einen Standarddrink an der ScheinBAR bekommen, aber schöner ist doch ein selbstkreierter Cocktail, wie zum Beispiel der ‘Waist Gunner‘ oder der ‘Backdraft‘.
„Da habe ich ja noch nie was von gehört. Liegen die im Trend?“
„Richtige Männer folgen keinen Tends; - Sie setzen sie!“
Glücklicherweise kam der ordentlich verzierte Latte macchiato, ich hatte meinen Kaffee längst aus und war startbereit, aber musste mir einen Vortrag über Kaffee anhören, dahingehend das Kaffee einfach nur so absolut ‘out‘ war. Es sollte doch Latte macchiato sein, der wäre jetzt absolut ‘in‘.
Das Latte macchiato häufig als Symbol für trendbewusste Neu-Großstädter der ‚kreativen‘ Mittelschicht und jungen Elterngeneration in Szenebezirken verwendet, und demzufolge auch als Modegetränk der Yuppies und als begleitendes Getränk von Gentrifizierungsprozessen betrachtet wird, dachte ich mir, sagte aber nix und wartete wieder.
Ich hatte ungefähr eine Stunde für die ganze Aktion eingeplant, und die war verbraucht, als der Coach seine Latte macchiato endlich aus hatte.
Nun denn, da ich schon mal hier war, auf in den Laden, Klamotten aussuchen und gehen, aber der Coach coachte mich voll, von wegen erwartet wird von dem modebewussten Herren ein zwei- oder dreiteiliger, dunkler Anzug mit Hemd, Krawatte und glatten Lederschuhen.
„Der Anzug“, fuhr der Coach fort, „kann neben den üblichen Nuancen auch Grau, Braun oder Cognac sein, allerdings sollten Sie insbesondere bei braunen Anzügen die Schuhe und den Gürtel farblich abstimmen. Achten Sie auf eine dezente Kombination der Stilmittel, sonst wirkt der Look schnell überladen. Sie werden allerdings noch die Kleinigkeit von zweihundert Euro drauflegen müssen, soviel gibt der Gutschein leider nicht her!“
Daher wehte also der Wind, und ein brauner Anzug kam für mich in keinem und keinstem Fall in Frage.
Der Einkaufscoach wollte mich jedenfalls in einen modischen Anzug in Trendfarben stecken und guckte etwas pikiert, als ich mir statt dessen den letzten, mehrfach heruntergesetzten Nadelstreifenanzug im Al Capone-Look aussuchte und anprobierte. Er passte wie angegossen, und ich suchte mir noch einen schwarzen Hut dazu aus, einen weißen Schal, sowie eine ebenso grelle wie geschmacklose Krawatte, die ich mir sogleich umband, ein schwarzes Hemd hatte ich sowieso schon an.
Der gute Mann schnappte nach Luft, und als ich ihn bat, doch bitte meine schwarze Hose und schwarze Jacke zu verpacken und alle Schildchen von dem Nadelstreifenanzug zu entfernen. Der Coach wollte mich zur Vernunft bringen und mir einen Juristenanzug verkaufen, wie er von den Frauen geschätzt wird, es wären nur hundert Euro Zuzahlung fällig.
Deutlich zu viel für einen simplen Anzug!
„Sie sehen ja aus wie ein Gangster aus dem Bilderbuch! Sowas liegt total neben dem Trend“, murmelte er fassungslos.
„Eben! Und jetzt hätte ich noch gerne Herrenschuhe, so in Weiß/Schwarz, geschnürt.“
„Was? Dandyschuhe? Die sind doch vollkommen ‘out‘!“
„Das ist doch kein Grund, die nicht zu kaufen! – Wie ich sehe muss ich einschließlich der Schuhe noch fünf Euro drauflegen, aber ich finde die schön und das ist die Hauptsache. – Eine schwarze Ray Ban-Brille werde ich mir dann noch besorgen, ebenso wie das notwendige Utensil für die kleine Beule im Jackett, eine achtunddreißig er ‚Stubsnase‘. – Einen fröhlichen Tag noch.“
Was mich wunderte war, dass mich der Einkaufscoach durch den Hinterausgang aus dem piekfeinen Klamottenladen raus komplimentierte und auf einen Cocktail an der ScheinBAR verzichtete.
Wahrscheinlich denkt er über einen Berufswechsel nach; - bei einer Latte macciato.
Die Wunderbare Ulrike indes zeigte für meine Entscheidung tiefes Verständnis – allerdings warf sie die Frage auf, wo und wann ich diesen ‘Ganovenanzug‘ denn anziehen wollte.
Über diesen Punkt hatte ich bisher noch nicht nachgedacht.


Für den geneigten Leser, den die Cocktails interessieren,
die in dieser wahren Geschichte vorkommen:

Sidewinder
6 cl Blended Scotch
2 cl Amaretto
Auffüllen mit GingerAle
Eis
Deco Cocktailkirsche

Waist Gunner
4 cl Bénédictine
2 cl Gin
1 cl Cherry Brandy
2 cl Zitronensaft
1 cl Angostura
Auffüllen mit Soda
Eis
Deco Cocktailkirsche

Backdraft
1 Spritzer Angostura
4 cl Brandy
4 cl Campari
2 cl Limettensaft
2 Eiswürfel
Deco Zitronenscheibe
 

hein

Mitglied
Moin Hagen,

mit Deinem Stil bin ich nicht ganz kompatibel, aber die Situation des Einkaufens kann ich absolut nachvollziehen: spätestens wenn die dritte Jeans nicht richtig sitzt bekomme ich einen Nervenzusammenbruch und verlasse fluchtartig den Laden.

LG
hein
 
G

Gelöschtes Mitglied 21924

Gast
Lieber @Hagen, manchmal ist es schwierig, einem rein assoziativen Text zu folgen. Zum "Ausgezeichnet" fehlte mir das strukturierende Element.
Was "Einkaufscoaches" betrifft: Finde ich ebenso wie Du so wichtig wie einen Knopf an der Backe. Hauptsache: Der wunderbaren Ulrike gefällt`s!
 

Hagen

Mitglied
Hallo Hein,
herzlichen Dank für die Beschäftigung mit menem Text und den Sternenregen.
Ich hoffe, Du siehst mir nach dass ich nicht so schreibe wie der Geheimrat Goethe. Das liegt möglicherweise daran, dass meine ehemalige Deutschlehrerin mir einen Stil wie die Goethe, Schiller und Konsorten aufzudrängen suchte und sich auch eines Solchen befleissigte. (Kann also nicht schwer gewesen sein, so zu schreiben.)
Mitlerweile kann ich nicht mehr anders, tut mir leid.
So, lieber Hein, ich hoffe, wir lesen uns weterhin.
Bleib schön gesund und bis bald.
Herzlichst
Jours Hagen
 

Hagen

Mitglied
Hallo Isbahan,
auch Dir herzlichen Dank für die Beschäftigung mit menem Text und den Sternenregen.
Als routinierter Uniwersalversager weiß ich nicht, was ein 'strukturierende Element' ist.
Aber das Ding mit 'einem Knopf an der Backe' gefiel mir; - etwa so überflüssig wie ein Filter auf einer Lucky Strike.
Der Ganovenanzug gefiel der Wunderbaren Ulrike seltsamerweise und sie sitzt, besonders bei ausgefallenen Gelegenheiten, im 'Kleinen Schwarzen' an der ScheinBAR. (Siehe 'Ein Cocktail mit der Queen')

So, küss' die Hand meine Liebe,
wir lesen uns.
Bleib schön gesund und bis bald.
Herzlichst
Jours Hagen
 

Hagen

Mitglied
Hallo Hein,
... und ich hatte schon angefangen mir Sorgen zu machen und dachte hart über einen Wechesel eines meiner Hobbies nach.
Die Wunderbare Ulrike schlug mir Goldfische züchten vor, aber ich kann diese hektischen Vieher icht ab.
So, lieber Hein, ich hoffe, wir lesen uns weterhin.
Bleib schön gesund und bis bald.
Herzlichst
Yours Hagen

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Je einfacher die Änderung zu sein scheint,
um so weiter wird sie um sich greifen und um so mehr Pläne werden neu erstellt werden müssen.
 



 
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