Vier Kilometer noch bis in das Kaff, in dem mein Wohnklo steht. Warum muss es gerade jetzt anfangen zu pissen? Und vor allem, wie bin ich nur auf die Idee gekommen, Lyriker zu werden? Die Schuhe quietschen zum Takt der Schmerzensschreie meiner Hühneraugen und ich bin nass bis auf die Knochen. Nicht mal was zum Fressen haben sie mir gegeben und das Glas Leitungswasser, das auf meinem Tisch stand, hätte sogar meine Katze gekillt.Flimmernde goldbunte Regenschnüre benetzen meine Haut.
Mein Haar, es glänzt, trotzig lenkt der Wille meinen Schritt.
Die Lesung bei der Ortsgruppe „Die Stadtentwickler“ war mal wieder einer meiner tiefsten Griffe ins Klo meiner Lyrikerkarriere. Die Meute war schon so dicht, dass keiner von ihnen morgen überhaupt noch wissen kann, dass da so eine Gestalt auf dem Podium aus seinem Lyrikband vorgelesen hat. Vielleicht ganz gut so, denn den Schrott würde ich mir selbst ja auch nicht anhören.
Von wegen! Zwanzig Exemplare meiner „Urbanlyrik“ hatte ich mitgenommen. Zwanzig Euronen das Stück - gewiss ein angemessener Preis für ein kulturelles Highlight. Zwei haben sie mir geklaut und eins mit Bier eingesaut. Den Rest habe ich in die Mülltonne vor dem Haus geschmissen, da ich diese Schinken nicht wieder heim schleppen wollte.Gib uns ein Beispiel edler Dichter,
Mit Gold dein Herz wir werden wiegen.
Erfreue all', erfrisch die Geister,
Lass uns zu deinen Füßen liegen!
Nicht mal eine Busfahrkarte kann ich mir noch leisten! Die Kassette auf meinem Tisch war nach der Lesung noch genauso leer wie vorher – bis auf das gebrauchte Tempo, dass einer von den Idioten dort reingewürgt hat.
Ich will nur noch heim, duschen, meine ausgeleierte Jogginghose mit der dünnen, löchrigen Sitzfläche anziehen und mir vor der Glotze die Kanne geben. Lyriker! Wer braucht heutzutage noch Lyriker! Wenn ich mich in jungen Jahren dazu entschlossen hätte, Bierkutscher zu werden, wäre ich heute bestimmt Besitzer eines kleinen Getränkemarktes mit Lieferservice und müsste mich nicht Vereinen, Institutionen und sonstigen Sippschaften der öffentlichen Doppelmoral als Vorleser anbiedern. Wenn nicht Goethe oder Schiller auf der Umschlagspappe steht, kauft eh keiner ein Buch, um es sich zum Angeben in den Schrank zu stellen.Herrlich ist’s, in lauen Nächten
Nach dem Wanderstab zu greifen
um vergnügt auf Schusters Rappen
Wald und Wiesen zu durchstreifen!
Ich trotze nicht mehr, denn ich bin nass wie ein Schwein und eben hat mich der Volltrottel in seinem Daimler auch noch von oben bis unten eingesaut. Zudem habe ich Hunger und es rumort in meinem Bauch. Das Wasser auf meinem Tisch war bestimmt dort mittags beim Abwaschen übrig geblieben.Hufgetrappel, Wagenräder
Fürsten, Knappen, Edelleute.
Der Rösser Lenden schweißgebadet.
Stolze Häupter trotzig heute.
Was wird mein Kühlschrank zuhause wohl sagen? Wahrscheinlich gar nichts, denn der freundliche Herr vom Energieversorger hat mir ja schon letzte Woche den Saft abgedreht. Und die Glotze nach der kalten Dusche ist ja dann auch wohl Geschichte. Habe ihm zwar ein Exemplar meiner Lyriksammlung mit persönlicher Widmung angeboten, aber er meinte ganz lapidar: „Nur Bares ist Wahres!" - und dass ich meine Widmung mal etwas mehr einer ehrlichen Arbeit zuwenden sollte“.
Was mache ich mit den restlichen achtzig Exemplaren meiner Urbanyrik? Flohmarkt? Einem Ramschmarkt für fünfzig Cent das Stück anbieten? Wenn ich dafür vierzig Euro bekäme, könnte ich wenigstens den Sperrkassierer wieder ein wenig gnädig stimmen.Künste lernt‘ ich, hohe Künste,
Künste lernt‘ ich deren zwei.
Lyrisch dichten, Worte malen,
Worte schöpfen, vogelfrei.
Ich werde mich ganz einfach auf die Straße legen und warten bis mich der nächste Vollidiot im Blechkleid platt macht. Die Inschrift auf meinem Grabstein habe ich ja schon aufgeschrieben und als letzte Verfügung an meine Klotür gepinnt:
Zerfressen sollen dich die Maden
Du Lyriker von Gottes Gnaden.