Karl Feldkamp
Mitglied
Wenn ich mir vorstelle, mich und diverse andere Menschen unbegrenzt aushalten zu müssen, überkommt mich einerseits Langeweile und andererseits Wut und Abscheu.
Habe ich doch schon viele Jahre meine peinlichen Macken, Hemmungen, Zweifel und sonstige Unzulänglichkeiten ausgehalten. Und gäbe es den erlösenden Tod nicht, würde ich darüber hinaus manchen lästigen und verhassten Zeitgenossen noch nicht einmal mittels Mordfantasien umbringen können, denn ewig Lebenden kommen vermutlich gar nicht mehr auf die Idee, dem Leben ein Ende setzen zu können.
Nein, ich will weder selbst immer weiterleben, noch will ich, dass unangenehme Nachbarn, rechtsradikale Politiker, unfähige Lehrer, Diktatoren, Intriganten, Besserwisser, ewig Unschuldige und andere lästige Mitmenschen zu jenen gehören, die mir das unendliche Leben verderben könnten.
Da ist zum Beispiel mein durchaus liebenswerter Nachbar Herbert. Kürzlich starb seine offenbar auch noch nicht auf Ewigkeit ausgelegte Frau. Bereits vor ihrem leider zu frühen Tod hat mein Nachbar mir am Stammtisch nach dem Genuss ungezählter Gläser voll obergärigen Landbieres lallend anvertraut, er könne sich vorstellen, immer weiter zu leben. Ewig – so zu sagen. Das Leben sei doch gerade jetzt so herrlich unkompliziert.
Nach der Beerdigung seiner Lotte hat Herbert mich offenbar als eine der männlichen Nachfolgerinnen seiner verstorbenen Frau auserkoren. Schon am Abend nach der Trauerfeier begann er, mich einmal und schließlich täglich zu besuchen. Und da ihm der Tag nicht ausreichte, begann er, immer einmal wieder zu nachtschlafender Zeit anzurufen.
Da ich den tränenreich Trauernden nicht zu enttäuschen wagte, besuchte er mich schließlich mindestens zwei Mal am Tag.
Meine Frau Susanne gehörte übrigens bisher durchaus zu jenen, mit denen ich mir noch ein weiteres Leben vorstellen kann. Und Hermann konnte das offenbar recht bald auch.
Nicht selten, wenn ich mich im Dachgeschoss unseres Hauses schreibend am Computer abmühte, saß Herbert unten in der Küche bei der eigentlich mir Angetrauten und beobachtete und beriet sie beim Kochen. Das habe er bei seiner Lotte auch immer so gemacht. Und dabei seien oft neue Gerichte herausgekommen, die später zu seinen absoluten Lieblingsspeisen geworden seien.
Unglücklicher Weise hatte Herbert einen vollkommen anderen Geschmack als ich. So gab es schließlich nach einigen Wochen auffällig oft Kohl und Bohnen, die bekanntlich gewisse körperliche Blähungen sowie Ausdünstungen zur Folge haben und allein deswegen schon nicht zu den von mir bevorzugten Speisen gehören.
Selbst wenn wir Besuch hatten, gesellte Herbert sich dazu.
Ich stellte ihn den Mitgliedern unserer Verwandtschaft und unseren näheren Bekannten und Freunden immer als unseren Nachbarn und – wie soll ich sagen? – Freund vor, dem kürzlich die Frau verstorben sei.
Sofort wendeten sich unsere Besucher einfühlsam dem trauernden Witwer zu.
Wir laden ohnehin nur die Einfühlsamen aus der Verwandtschaft ein. Und auch unsere Freunde und Bekannte sind alle äußerst empathisch. Schließlich haben wir sie einst nach ihren besonderen emotionalen Fähigkeiten ausgesucht. Davon profitierte inzwischen nahezu ausschließlich unser Nachbar Herbert, der nur noch mit feuchten Augen unser Haus betrat. Vermutlich wusste er zuvor noch gar nicht, wie gemeinschaftsbildend Trauer zu sein vermag, denn ich konnte mich nicht erinnern, dass er mir vor dem Ableben seiner so über alles geliebten Lotte als jemand aufgefallen war, der nahe am Wasser gebaut hatte. Zu der Zeit schien er in Wasserbauten zu leben.
Da ich mir vor einige Tagen endlich eingestand, dass mir Herbert mit seiner zuwendungsheischenden Art erheblich auf die Nieren ging, saß ich eines Tages in der Küche, um meiner kochenden Frau zuzusehen. Als Herbert kam, der sich inzwischen längst den Hausschlüssel ertrauert hatte, blieb er wartend neben mir stehen und wartete offenbar darauf, dass ich den Küchenstuhl räumen sollte.
Für mich ungewöhnlich stur blieb ich sitzen und lobte meine Frau und ihre zunehmenden Kochkünste.
Als ich meiner Frau versicherte, dass nur sie allein in der Lage sei, mein Leibgericht – rheinischen Sauerbraten mit Knödeln – in einer unvergleichlich leckerer Art zuzubereiten, meinte Herbert mich überbieten zu müssen. Er ließ sich zu der Behauptung hinreißen, meine Susanne könne seine Lieblingsnachspeise - rote Grütze mit Vanillesoße und Schlagsahne inzwischen besser abschmecken und servieren als seine verstorbene Lotte das zu Lebzeiten jemals konnte.
Nun wirkt bekanntlich auf viele Frauen kein Kompliment nachhaltiger, als eines das sie zu ihren Gunsten mit einer anderen Frau vergleicht.
Mangels besserer Einfälle trat ich erst einmal den Rückzug an.
Als wir uns allerdings nach diesem Abend in unser Schlafzimmer zurückzogen, das ich mit Herbert noch nicht teilen musste, äußerte ich mich über Herberts Verstorbene, was natürlich nicht fair war, da sie sich nicht mehr wehren konnte. Eine äußerst leichtgläubige Frau sei die gewesen. Sie habe selbst durchschaubare Komplimente von ihrem Herbert angenommen und ihn entsprechend verwöhnt. Susanne runzelte die Stirn,
sah mich nachdenklich an und nickte. Ja, manchmal geht er mir auch gehörig auf den Geist! Wir sollten ihn ganz einfach öfter mal wegschicken.“
Erwartet hatten wir es nicht: Aber Herbert ließ sich ohne große Gegenwehr – allerdings mit Tränen in den Augen - wegschicken. Aber diesmal blieb selbst Susanne hart.
Wenige Tage später beobachteten wir ihn bei Henriette Mischke, der Witwe des Bäckers. Sie hatte die Bäckerei ihres früh verstorbenen Mannes wenige Jahre nach dessen Tod aufgegeben. Backofen und Ladenlokal waren allerdings in dem lang gestreckten Fachwerkhaus noch erhalten. Selbst ein verblasster Schriftzug über dem ehemaligen Schaufenster wies auf die ehemalige Landbäckerei Mischke hin.
Eines Tages stand Herbert doch wieder vor unserer Tür, lächelnd und ganz ohne Trauergesicht. „Ich hab der alten Mischke gesagt, sie habe früher immer die allerbesten Brötchen weit und breit gebacken. Viel besser als die von der Konkurrenz.“
Herberts Lächeln wurde zu einem lauten Lachen. Dann wurde er plötzlich ernst. „Ich werde mit ihr die Bäckerei wieder eröffnen und es würde mich freuen, wenn ihr demnächst zu unseren Kunden zählt.“
Susanne nickte. „Brötchen kann ich bestimmt nicht so gute backen wie die Henriette."
Habe ich doch schon viele Jahre meine peinlichen Macken, Hemmungen, Zweifel und sonstige Unzulänglichkeiten ausgehalten. Und gäbe es den erlösenden Tod nicht, würde ich darüber hinaus manchen lästigen und verhassten Zeitgenossen noch nicht einmal mittels Mordfantasien umbringen können, denn ewig Lebenden kommen vermutlich gar nicht mehr auf die Idee, dem Leben ein Ende setzen zu können.
Nein, ich will weder selbst immer weiterleben, noch will ich, dass unangenehme Nachbarn, rechtsradikale Politiker, unfähige Lehrer, Diktatoren, Intriganten, Besserwisser, ewig Unschuldige und andere lästige Mitmenschen zu jenen gehören, die mir das unendliche Leben verderben könnten.
Da ist zum Beispiel mein durchaus liebenswerter Nachbar Herbert. Kürzlich starb seine offenbar auch noch nicht auf Ewigkeit ausgelegte Frau. Bereits vor ihrem leider zu frühen Tod hat mein Nachbar mir am Stammtisch nach dem Genuss ungezählter Gläser voll obergärigen Landbieres lallend anvertraut, er könne sich vorstellen, immer weiter zu leben. Ewig – so zu sagen. Das Leben sei doch gerade jetzt so herrlich unkompliziert.
Nach der Beerdigung seiner Lotte hat Herbert mich offenbar als eine der männlichen Nachfolgerinnen seiner verstorbenen Frau auserkoren. Schon am Abend nach der Trauerfeier begann er, mich einmal und schließlich täglich zu besuchen. Und da ihm der Tag nicht ausreichte, begann er, immer einmal wieder zu nachtschlafender Zeit anzurufen.
Da ich den tränenreich Trauernden nicht zu enttäuschen wagte, besuchte er mich schließlich mindestens zwei Mal am Tag.
Meine Frau Susanne gehörte übrigens bisher durchaus zu jenen, mit denen ich mir noch ein weiteres Leben vorstellen kann. Und Hermann konnte das offenbar recht bald auch.
Nicht selten, wenn ich mich im Dachgeschoss unseres Hauses schreibend am Computer abmühte, saß Herbert unten in der Küche bei der eigentlich mir Angetrauten und beobachtete und beriet sie beim Kochen. Das habe er bei seiner Lotte auch immer so gemacht. Und dabei seien oft neue Gerichte herausgekommen, die später zu seinen absoluten Lieblingsspeisen geworden seien.
Unglücklicher Weise hatte Herbert einen vollkommen anderen Geschmack als ich. So gab es schließlich nach einigen Wochen auffällig oft Kohl und Bohnen, die bekanntlich gewisse körperliche Blähungen sowie Ausdünstungen zur Folge haben und allein deswegen schon nicht zu den von mir bevorzugten Speisen gehören.
Selbst wenn wir Besuch hatten, gesellte Herbert sich dazu.
Ich stellte ihn den Mitgliedern unserer Verwandtschaft und unseren näheren Bekannten und Freunden immer als unseren Nachbarn und – wie soll ich sagen? – Freund vor, dem kürzlich die Frau verstorben sei.
Sofort wendeten sich unsere Besucher einfühlsam dem trauernden Witwer zu.
Wir laden ohnehin nur die Einfühlsamen aus der Verwandtschaft ein. Und auch unsere Freunde und Bekannte sind alle äußerst empathisch. Schließlich haben wir sie einst nach ihren besonderen emotionalen Fähigkeiten ausgesucht. Davon profitierte inzwischen nahezu ausschließlich unser Nachbar Herbert, der nur noch mit feuchten Augen unser Haus betrat. Vermutlich wusste er zuvor noch gar nicht, wie gemeinschaftsbildend Trauer zu sein vermag, denn ich konnte mich nicht erinnern, dass er mir vor dem Ableben seiner so über alles geliebten Lotte als jemand aufgefallen war, der nahe am Wasser gebaut hatte. Zu der Zeit schien er in Wasserbauten zu leben.
Da ich mir vor einige Tagen endlich eingestand, dass mir Herbert mit seiner zuwendungsheischenden Art erheblich auf die Nieren ging, saß ich eines Tages in der Küche, um meiner kochenden Frau zuzusehen. Als Herbert kam, der sich inzwischen längst den Hausschlüssel ertrauert hatte, blieb er wartend neben mir stehen und wartete offenbar darauf, dass ich den Küchenstuhl räumen sollte.
Für mich ungewöhnlich stur blieb ich sitzen und lobte meine Frau und ihre zunehmenden Kochkünste.
Als ich meiner Frau versicherte, dass nur sie allein in der Lage sei, mein Leibgericht – rheinischen Sauerbraten mit Knödeln – in einer unvergleichlich leckerer Art zuzubereiten, meinte Herbert mich überbieten zu müssen. Er ließ sich zu der Behauptung hinreißen, meine Susanne könne seine Lieblingsnachspeise - rote Grütze mit Vanillesoße und Schlagsahne inzwischen besser abschmecken und servieren als seine verstorbene Lotte das zu Lebzeiten jemals konnte.
Nun wirkt bekanntlich auf viele Frauen kein Kompliment nachhaltiger, als eines das sie zu ihren Gunsten mit einer anderen Frau vergleicht.
Mangels besserer Einfälle trat ich erst einmal den Rückzug an.
Als wir uns allerdings nach diesem Abend in unser Schlafzimmer zurückzogen, das ich mit Herbert noch nicht teilen musste, äußerte ich mich über Herberts Verstorbene, was natürlich nicht fair war, da sie sich nicht mehr wehren konnte. Eine äußerst leichtgläubige Frau sei die gewesen. Sie habe selbst durchschaubare Komplimente von ihrem Herbert angenommen und ihn entsprechend verwöhnt. Susanne runzelte die Stirn,
sah mich nachdenklich an und nickte. Ja, manchmal geht er mir auch gehörig auf den Geist! Wir sollten ihn ganz einfach öfter mal wegschicken.“
Erwartet hatten wir es nicht: Aber Herbert ließ sich ohne große Gegenwehr – allerdings mit Tränen in den Augen - wegschicken. Aber diesmal blieb selbst Susanne hart.
Wenige Tage später beobachteten wir ihn bei Henriette Mischke, der Witwe des Bäckers. Sie hatte die Bäckerei ihres früh verstorbenen Mannes wenige Jahre nach dessen Tod aufgegeben. Backofen und Ladenlokal waren allerdings in dem lang gestreckten Fachwerkhaus noch erhalten. Selbst ein verblasster Schriftzug über dem ehemaligen Schaufenster wies auf die ehemalige Landbäckerei Mischke hin.
Eines Tages stand Herbert doch wieder vor unserer Tür, lächelnd und ganz ohne Trauergesicht. „Ich hab der alten Mischke gesagt, sie habe früher immer die allerbesten Brötchen weit und breit gebacken. Viel besser als die von der Konkurrenz.“
Herberts Lächeln wurde zu einem lauten Lachen. Dann wurde er plötzlich ernst. „Ich werde mit ihr die Bäckerei wieder eröffnen und es würde mich freuen, wenn ihr demnächst zu unseren Kunden zählt.“
Susanne nickte. „Brötchen kann ich bestimmt nicht so gute backen wie die Henriette."