Der falsche Nikolaus

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LUPESIWA

Mitglied
Aus meiner Reihe "Geschichten über Senioren für Senioren"

Der falsche Nikolaus

Köstlicher Duft zieht durch das ganze Haus. Am 6.Dezember ist immer eine Nikolausfeier und es werden Plätzchen verkostet, die die Bewohner selbst mit gebacken haben.
Martha Eichmann ist spät dran, sie konnte sich wieder mal nicht von einem Buch trennen, das ihr Mann über Afrika geschrieben hatte.
Erstaunt entdeckt sie in der Sitzecke Frau Eberlein. Ganz alleine sitzt die da und starrt vor sich hin. Spontan ändert sie die Richtung und rollt nach hinten.
„Na, wieder Besuch gehabt“? lockt sie die andere aus der Reserve.
„Was geht sie das an, spionieren sie mir hinterher?“
„Ach kommen sie, Frau Eberlein, bei der Lautstärke in ihrem Zimmer konnte der ganze Gang mithören“, erwidert Martha sanft und legt ihr die Hand auf den Arm. Unwirsch versucht die andere sie abzuschütteln, aber es gelingt ihr nicht.
„Interessiert doch sowieso keinen, mich hassen doch hier alle!“
„Hassen!, was für ein großes Wort. Aber dass sie kaum einer mag, da sind sie wohl selber Schuld. So lange ich sie kenne, teilen sie nur aus und jeder kriegt sein Fett weg, ist es nicht so, Frau Eberlein? Warum können sie niemanden leiden und sich selbst schon gar nicht?“, bohrt Martha Eichmann immer weiter und wartet geduldig.
„Von einem Tag zum anderen haben die mir einfach mitgeteilt, dass ein Heimplatz für mich frei sei“, bricht es plötzlich verbittert aus ihr raus. „Einfach abgeschoben haben die mich. Ich hatte mir Oberschenkel und Becken gebrochen, kam nach sechs Wochen aus der REHA und die Koffer waren schon gepackt. Angeblich könnten sie sich nicht gut genug kümmern wegen ihrer anstrengenden Jobs. Dass ich nicht lache, keine Kinder, nur das Haus. Jetzt soll ich es ihnen endlich überschreiben, damit sie sich besser darum kümmern können, um das Haus kümmern können, ist das nicht toll!“, zetert sie zornig und Tränen der Enttäuschung rinnen über ihr Gesicht. Aber schnell hat sie sich wieder in der Gewalt.

„Was war das denn, da schleicht doch einer rum!“, flüstert sie halblaut, rückt weiter in die Ecke und zerrt Marthas Rollstuhl gleich mit.
Die versteht gar nichts mehr. Ihre Gedanken sind noch voll mit Erna Eberleins Ausbruch beschäftigt. Sie hatte sich so etwas schon gedacht.
„Was meinen sie mit gesehen, wen gesehen?“, fragt sie verwundert.
„Nicht so laut, der darf uns nicht entdecken“, ereifert sich die Eberlein. „Da schleicht ein Nikolaus über den Gang und geht in die Zimmer.“
„Sie wollen mich wohl veralbern?“
„Nein, verflixt noch mal, sehen sie doch selbst“. Schnell schiebt sie einige Bücher in dem Regal auseinander, das als Raumteiler vorsteht und Martha sieht plötzlich auch einen Nikolaus, der gerade aus einem Zimmer kommt und in das nächste verschwindet.
„Das gibt es doch nicht. Was machen wir denn jetzt? Wie ist der da vorn unbemerkt vorbei gekommen?“
„Vielleicht sitzt da keiner, vielleicht sind die alle unten?“ zischt Frau Eberlein, schon wieder ganz die Alte. „Soll ich mal rufen?“
Martha schüttelt den Kopf, „ich rufe Schwester Birgit an“, nimmt ihr Handy und spricht halblaut hinein. „Kommen sie schnell hoch, hier schleicht ein Nikolaus durch die Zimmer. Ja, ja unten vielleicht, aber jetzt ist er hier auf der Zweiten.“
Wenige Sekunden später steht der falsche Nikolaus mitten auf dem Gang. Er hat doch etwas mitbekommen und dreht sich gehetzt um. Mutig rollen die beiden Damen auf ihn zu und er flüchtet zum Ausgang. Dort wird er aber vom Pflegepersonal empfangen. Keiner von den Bewohnern hat etwas mitgekriegt. Nur Martha Eichmann und Erna Eberlein zwinkern sich verschwörerisch zu und der neue Pfleger, der in der Cafeteria Nikolaus gespielt hatte, taucht ab dem nächsten Tag nicht mehr auf.
 



 
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