der fliegende Prinz

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huwawa

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DER FLIEGENDE PRINZ

Es war einmal ein kleiner Prinz, der lebte auf einem großen und prächtigen Königshof. Sein Vater war ein mächtiger Herrscher, der seinen Sohn über alles liebte und ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen versuchte. Den grössten Traum des kleinen Prinzen freilich konnte auch er ihm nicht erfüllen, denn dieser wünschte sich nichts sehnlicher, als dass ihm Flügel wachsen würden und er wie ein Vogel durch die Lüfte segeln könne. Als der Junge jedoch in ein Alter kam, das gemeinhin als Pubertät bezeichnet wird, geschah Seltsames mit ihm. Mag sein, dass seine königliche Herkunft und seine besondere Stellung in der Gesellschaft eine Rolle spielten, vielleicht war auch sein ständiges Bitten und Flehen von derart aussergewöhnlicher Intensität gewesen, dass sich ihm wohlgesinnte himmlische Mächte erweichen lassen hatten, jedenfalls wurde sein brennender Wunsch erfüllt. Langsam zunächst, dann immer schneller begann dem Jüngling ein Paar Flügel aus den Schultern zu wachsen und an seinem sechzehnten Geburtstag konnte er sich erstmals in die Lüfte schwingen!

Welch herrliches Leben begann nun für den Prinzen! Tag für Tag stieg er zum Himmel hinauf, so hoch er nur konnte und segelte weit über die Lande bis an die Grenzen des Königreiches. Wenn ihm ein Fleckchen Erde besonders gut gefiel, ließ er sich darauf nieder, um sich mit den Leuten dort über ihre Sorgen und Nöte zu unterhalten. Stets nahm er regen Anteil am Schicksal der Menschen, sprach ihnen Trost und aufmunternde Worte zu und flog wieder davon. Bald war er im ganzen Reich als der „fliegende Prinz“ bekannt und beliebt. Eines Tages jedoch traf er ein Burgfräulein von liebreizendstem Aussehen und mit anmutigem Gehabe. Ihr Vater war einer der reichsten und mächtigsten Fürsten des Landes und der Prinz verliebte sich auf der Stelle in sie. Er holte die Maid heim auf das königliche Schloß und bereits sechs Wochen später wurde mit märchenhaftem Gepränge Hochzeit gefeiert.

Der junge Prinz liebte seine schöne Frau zwar sehr, aber von seiner Leidenschaft, dem Fliegen, mochte er trotzdem nicht lassen. Dies betrübte seine Gemahlin ausserordentlich, insbesonders da er nicht nur wie ein Adler oder Kormoran bei Tag durch die Lüfte segelte, sondern häufig auch, den Eulen oder Fledermäusen gleich, des Nachts ausschwärmte. Er flog ihr einfach zu viel herum! Sie fühlte sich vernachlässigt und unglücklich und sann darauf, wie sie das ändern und ihren flatterhaften Gefährten mehr an sich binden könnte. So besorgte sie sich eines Tages aus der Schloßküche eine praktikable Geflügelschere und nahm diese, als sie sich schlafen legte, zu sich mit ins Bett. Als der Prinz von einem ausgedehnten Nachtflug im Morgengrauen ermattet nach Hause kam und sofort auf seinen Kissen einschlief, holte sie das Küchenutensil hervor und stutzte ihrem Gatten kurzerhand die Schwingen, so dass nur noch zwei kurze Stummeln aus den Schultern ragten. Die Bestürzung des Prinzen war natürlich groß, als er am nächsten Tag erwachte und diese rigorose Beschneidung seiner Mobilität gewahrte. Weil er aber seine Frau wirklich sehr liebte und Konsequenzen wie etwa eine Trennung unweigerlich zu Spannungen zwischen dem Königshaus und seinen einflussreichen Schwiegereltern geführt hätten, verzieh er ihr großmütig. Er widmete seiner Frau von nun an seine ganze Aufmerksamkeit und Liebe und als nach dem Verlauf von noch nicht einmal einem Jahr die Geburt eines kleinen Kronprinzen gefeiert werden konnte, war die Freude im Königreich grenzenlos. Der alte Monarch dankte ab, sein Sohn bestieg den Thron, und das junge Herrscherpaar regierte glücklich und mit grosser Güte über sein Volk.

Ganz freilich war der König nicht von seiner Flugleidenschaft geheilt und wenn er hin und wieder einen unwiderstehlichen Drang verspürte, sich frei und den Vögeln gleich in die Luft zu erheben, dann buchte er etwa bei KLM, British Airways oder auch bei der Lufthansa oder Air France einen Flug nach Ibiza, Rio, Bangkok, oder Bali, um mit der dortigen Bevölkerung in herzlichen und innigen Kontakt zu treten und wenn er noch nicht abgestürzt ist, dann fliegt er auch noch heute und bis ans Ende seiner Tage.
 



 
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