Der Fluch / 2 – Kapitel 4/2

jon

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Teammitglied
„… beamen?“, vollendete Dean den Satz, als er im hinteren Teil des Shuttles materialisiert war. Er strauchelte.
[ 3]Carola fing ihn auf. „Hey! Vorsicht!“
[ 3]Er sah sie mit großen Augen an.
[ 3]„Alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt.
[ 3]Er nickte und löste sich von ihr. Dann sah er sich um. „Ist das Star Trek?“
[ 3]„Was?“ Sie schmunzelte. „Nicht wirklich. Der Transporter funktioniert anders."
[ 3]„Wie?“
[ 3]„Wie?“ Sie sah ihn über einen imaginären Brillenrand hinweg an. „Du erwartest jetzt nicht, dass ich dir einen Vortrag über kontrollierte Raumverwerfung halte …“
[ 3]Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Dann sagte er: „Nein.“
[ 3]Er trat nach vorn in den Steuerbereich und machte Anstalten, sich in den Pilotensessel zu setzen.
[ 3]„Hey!“, hielt Carola ihn zurück.
[ 3]Er drehte sich um.
[ 3]Sie wies mit dem Kopf auf den Platz des Copiloten. „Aber Finger weg, ok?“
[ 3]„Ok.“ Er setzte sich.
[ 3]Sie nahm am Steuer Platz. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie er alles musterte. Auf seinem Gesicht glänzte eine Mischung aus Neugier, Unglaube und Amüsiertheit. Carola lächelte. Sie aktivierte die Konsole und ließ das Shuttle aufsteigen. Deans Blick schnellte erst runter, dann nach oben. Er beugte sich etwas vor, damit er die Decke des Raumes sehen konnte. Staunend beobachtete er, wie sich die scheinbaren Betonplatten wie Torflügel zur Seite schoben und das Shuttle nach oben hindurchglitt. In der Garage, die über dem Versteck lag, ging das Licht an, und Carola öffnete das Tor. Draußen war Nacht. Die Laterne vor dem Haus war defekt. Das Shuttle glitt die Auffahrt hinunter, bog auf die Straße ein und stoppte dort.
[ 3]Dean drehte sich nach dem Haus um und musterte es. „Wem gehört das?“
[ 3]„Irgendeinem Mr. Tricker.“
[ 3]„Wer ist das?“
[ 3]„Keine Ahnung, hab ihn nie gesehen. Er hat das Haus nach dem Tod meines Mannes gekauft, ist aber offenbar nur selten da. Ich war seitdem allerdings auch nur zwei- oder dreimal hier.“
[ 3]Dean musterte sie. „Dein Mann?“
[ 3]„Ja. Er hat das Shuttle für Zeitreisen programmiert, stammte aus der Zukunft.“ Sie ließ die Garagentür wieder zufahren.
[ 3]„Und Tricker?“
[ 3]„Was ist mit ihm?“
[ 3]„Weiß er, dass unter seiner Garage …“
[ 3]„Ich hoffe doch nicht! - Achtung jetzt“, warnte sie und stellte den Tarnmodus auf Komplett-Abschirmung. Nicht dass das nötig gewesen wäre, die meisten Ortungseinrichtungen, gegen die der Schild schützen sollte, waren noch nicht mal erfunden, aber sicher war sicher. „Wir steigen jetzt gleich, wenn du Höhenangst hast, solltest du lieber nicht raus sehen.“
[ 3]Dean kniff die Augen zu und rutschte in seinem Sessel zusammen.
[ 3]Carola grinste. „Ich sag dir Bescheid, wenn es vorbei ist, ok?“
[ 3]„Ok“, presste er hervor, ohne die Augen zu öffnen.
[ 3]Carola lenkte das Shuttle aus der Atmosphäre. Sie parkte es im äußeren Orbit. Weit unter ihnen lag die ISS wie ein stachliger Fremdkörper auf der Aura der Erde.
[ 3]„Du kannst gucken“, sagte Carola und schaltete den Bordcomputer auf Tastaturbetrieb. Sie gab ihre Identifkationsdaten ein.
[ 3]„Wow!“, stieß Dean aus und Carola sah zu ihm. Fasziniert und sichtbar atemlos schaute der Junge zur Erde hinunter, betrachtete die Raumstation, schaute dann hinaus zu den Sternen. Sein Mund war geöffnet, ein Lächeln umspielte ihn und seine Augen waren so weit aufgerissen, als wollten sie alle Bilder der Welt auf einmal aufnehmen. Carola beobachtete ihn lächelnd, es tat gut, so viel unbefangenes Staunen zu sehen.
[ 3]„Woran ist dein Mann eigentlich gestorben?“, fragte Dean plötzlich und drehte sich zu ihr.
[ 3]Der Themenwechsel irritierte sie. „Was?“
[ 3]„Dein Mann, woran …“
[ 3]„Ich hab schon verstanden. Er hatte einen Autounfall.“
[ 3]„Hast du versucht, ihn zu retten?“
[ 3]„Ob … Dean, bitte!“
[ 3]„Nein, im Ernst, du könntest doch die Zeitmaschine nehmen und ihn retten.“
[ 3]Carola wandte sich ab. „Manches bleibt besser, wie es ist.“
[ 3]„Hast du ihn denn nicht geliebt?“
[ 3]Sie sah ihn an. „So einfach ist das nicht. Manchmal … ist die Alternative schlimmer.“
[ 3]„Schlimmer als einen Menschen zu verlieren?“
[ 3]Sie nickte. „Weißt du, er … hatte das Shuttle so programmiert, dass es für Zeitreisen Löcher erzeugt. Dadurch … wird aber die ganze Raum-Zeit-Struktur … rissig sozusagen. Es entstehen immer mehr unkontrollierte Löcher.“
[ 3]Dean starrte sie an. „Darum hast du ihn sterben lassen??“
[ 3]„Nicht nur. Mein … Unser Sohn traf die Entscheidung.“
[ 3]Dean lehnte sich zurück. „Euer Sohn …“
[ 3]„Ja, er … lebt in der Zukunft. Er wurde dort geboren. Er … weiß einfach mehr. Ich weiß nicht, was noch passierte, ich meine außer dem … Rissigwerden, er kam jedenfalls zurück und hinderte mich daran, Ton'A zu retten.“
[ 3]Dean war fassungslos. „Das ist ja fast wie Mord.“
[ 3]„Ja.“ Sie nickte. „Manchmal fühlt es sich so an.“
[ 3]Sein Blick suchte ihren, „Wie erträgst du das?“
[ 3]Sie blickte zur Erde hinaus. „Kaum.“ Sie setzte ein Lächeln auf. Dann sah sie wieder zu Dean. „Manche Dinge sind eben wie sie sind. - Also. Ich erzähl dir jetzt, was wir als nächstes tun.“ Sie straffte sich und wandte sich der Steuerkonsole zu. „Ich gebe die Zielkoordinaten ein, das ist der 9. August 1986, Erde. So. Jetzt sucht das Programm nach einem natürlichen Zeitloch, das von uns dort hinführt. Oder zumindest in die Nähe. Kann sein, dass wir hier noch ein bisschen warten müssen, bis es entsteht, und dass wir dort etwas früher ankommen, aber … Voilà! Da haben wir eins. Ganz in der Nähe. Übermorgen zwischen Neptun und Pluto.“ Sie sah zu Dean. „Also? Kann's losgehen?“
[ 3]„Du vermisst sie, oder?“
[ 3]Sie hob fragend die Brauen. „Was vermissen?“
[ 3]„Deine Familie. Deinen Mann.“
[ 3]Sie schluckte. „Ja. Oft. Es … Wir waren telepatisch verbunden, weißt du, und … Ich habe dadurch unglaublich viel gelernt von ihm. Und … na ja … er war eben immer da. Auch wenn er nicht da war.“
[ 3]„Meinst du, dass du dich wieder verlieben kannst?“
[ 3]Sie nickte. „Doch. Ja. Irgendwann.“
[ 3]Er schien beruhigt. „Gut.“ Dann sah er aus dem Fenster und lächelte.
[ 3]Carola runzelte fragend die Stirn, schwieg jedoch. Sie gab den Kurs ein und das Shuttle flog in einem eleganten Bogen hinaus zu den äußeren Planeten.

2003
Sam hatte sich wie immer, wenn er zu einer Show mit Mike Henson ging, einen Platz ganz außen geben lassen. Nah genug an der Bühne, um Henson zu beobachten, und weit genug entfernt, dass, wenn er vorzeitig den Saal verließ, nicht das gesamte Publikum irritiert wurde. Heute, so hatte er sich vorgenommen, würde er bis zum letzten Ton bleiben. Er würde endlich lernen müssen, ohne Groll Hensons Erfolg zu hinzunehmen. Mit jedem neuen Film, der Henson ins Kino oder Fernsehen brachte, schwappten ihm Lobeshymnen über den Darsteller entgegen. Wenn er darin nicht verzweifelt untergehen wollte, musste er sich Boden unter den Füßen schaffen, Boden, auf dem er, Sam, bestehen konnte.
[ 3]Im Moment war das schwer. Mike Henson gab einen Guido Contini wie ihn sich Fellini brillanter nicht hätte ausmalen können. Er hatte das Publikum auf seiner Seite und obwohl er optisch alles andere als ein typischer Italiener war, nahm man ihn den leidenschaftlichen Südländer ohne Weiteres ab. Anders als der Rest des Publikums sah Sam allerdings, warum das so war. Oh ja, er wusste, worauf Hensons Erfolg beruhte. Es war dieser Buchteil einer Sekunde, die er länger schwieg als andere Schauspieler es machen würden, dieser Hauch mehr Zögern, ehe er zeigte, dass die Figur etwas begriffen hatte, dieses Mehr an Atemlosigkeit, an Staunen oder Lachen, das nicht nur seine Mimik bestimmte, sondern den gesamten Körper umfasste. Das Sam auch in seinem Körper fühlen konnte.
[ 3]Er konnte jeden Ton, den Henson sang, fühlen, jedes Stirnrunzeln, jede Handbewegung. Sogar die ganz kleinen, die, die man auf der Bühne nicht sieht, die aber dennoch da sind. Die Essenz der Figur sickerte in ihn ein und elektrisierte ihn. Er bemerkte, dass seine Finger nervös in der Luft spielten, als würden sie Henson dirigieren, und nahm die Hände zusammen, presste sie, damit es aufhörte.
[ 3]Etwas hinter ihm lenkte ihn ab. Er wandte sich um. Jonathan.
[ 3]Jonathan legte den Finger auf den Mund. „Sch.“
[ 3]„Was …?“
[ 3]„Sch!“ Jonathan wies mit dem Kopf Richtung Gang und stand auf. Er schlich aus dem Saal.
[ 3]Sam schloss einen Moment lang die Augen, dann folgte er ihm.
[ 3]Jonathan erwartete ihn an einem der Stehtisch nahe der Bar. „Schön, dich zu sehen“, sagte er.
[ 3]„Wo zum Teufel warst du?!“, fuhr ihn Sam an.
[ 3]„Schrei bitte nicht so.“
[ 3]Sam atmete tief durch, um sich zu beruhigen. „Was… Was zum Teufel machst du hier? Pushst du ihn?“
[ 3]„Pushen?“
[ 3]„Ja, so wie du mich die ganze Zeit klein hältst.“
[ 3]„Das ist nicht nötig.“
[ 3]„Was? Mich klein zu halten?“
[ 3]„Ihn zu pushen. Und ich habe längst aufgehört, dich … zu bremsen.“
[ 3]„Wie nett!“
[ 3]Jonathan neigte den Kopf. „Samuel bitte! Ich hatte Gründe, das weißt du.“
[ 3]Sam beugte sich vor. „Gründe??“ Dann trat er einen Schritt zurück und wandte sich schnaufend um. Sein Blick fiel auf den Barkeeper, der ihn irritiert musterte. Sam fasste sich und drehte sich wieder zu Jonathan. „Das Einzige, was ich von dir dazu gehört habe, war, dass …“, er senkte die Stimme, „… er und ich absolute Doppelgänger sind und ich mich deshalb von ihm fern halten soll. Das … ist nicht gerade das, was ich eine ausreichende Begründung nennen würde. Aber gut!“ Er hob die Hände. „Ich hab mich daran gehalten, bin ihm aus dem Weg gegangen.“
[ 3]„Du bist hier“, erinnerte Jonathan ohne Vorwurf in der Stimme.
[ 3]„Du hast nicht wirklich erwartet, dass ich ihn ignoriere, oder?“
[ 3]„Nein.“
[ 3]„Gut! Denn er ist gut, weißt du. Er ist großartig! Und …“, er zügelte seine Lautstärke wieder, „… das heißt, ich bin es auch. Und ich will es auch sein dürfen. Verstehst du, was ich meine?“
[ 3]Ein Lächeln huschte über Jonathans Gesicht. „Ja, ich weiß, was du meinst.“
[ 3]„Dann …“, rief Sam, bremste sich, flüsterte: „Dann lass es mich sein, John.“ Er hob die Hände. „Bitte!“
[ 3]„Ich bremse dich nicht. Deine Shows laufen hervorragend.“
[ 3]„Provinz, John. Ich … Es ist nicht so, dass es nicht toll ist, aber … Ich will mit guten Leuten arbeiten. Stoffe machen, die mich interessieren. Pfeif auf den Ruhm, Henson kann ihn haben. Aber wenn überhaupt jemand einen Typen wie mich suchen würde, dann würde er nicht meinen Agenten anrufen, sondern seinen. Ich brauche eine Chance, John! Das bist du mir schuldig!“
[ 3]Jonathans Augenbraue zuckte nach oben.
[ 3]„Komm mir nicht diesem Spock-Blick, John! Du hast gesagt, er würde sich von der Bühne zurückziehen. Und? Hier ist er! Am Broadway!“
[ 3]„Wenn du wählen müsstest, Bühne oder Leinwand, was würdest du wählen?“
[ 3]Sam runzelte die Stirn. „Bühne. Warum?“
[ 3]„Eben. Er wird die Bühne nie ganz aufgeben.“
[ 3]„Dann … Mach ihn wenigstens ein bisschen weniger brillant!“
[ 3]„Du hältst dich für brillant?“
[ 3]„Mich? Nein, ich … John, verdammt noch mal, ich habe keinen Nerv für solche Spielchen! Mach einfach, dass man beim Stichwort Bühne an Sam Thompson, denkt und nicht immer sofort an ihn.“
[ 3]„Du denkst wirklich, die rennen ihm die Tür ein? Du solltest das Geschäft besser kennen. Wie auch immer. Ich kann ihn nicht … schlechter aussehen lassen, als er ist.“
[ 3]„Bei mir konntest du's …“
[ 3]„Du bist konditioniert.“
[ 3]„Ich bin was?“
[ 3]„Konditioniert. Ich habe deine unteren Bewusstseinsschichten so manipuliert, dass sie auf einen telepathischen Befehl von mir hin, deinen Körper …“
[ 3]„Telepathie?“
[ 3]Jonathan nickte. „Ja.“
[ 3]Sam sah ihn fragend an.
[ 3]„Was?“
[ 3]„Telepathie, ja? Warum kannst du die nicht bei ihm anwenden?“
[ 3]„Ich sagte doch schon, du bist konditioniert. Ich löse mit dem telepathischen Befehl nur eine … Reihe von körperlichen Reaktionen aus, die … dein Talent aushebeln. Konzentrationsprobleme, unkontrollierte Bewegungen, Stimmversagen. Du kennst das ja.“
[ 3]„Ja, ich erinnere mich. Warum erzählst du mir das?“
[ 3]„Weil du gefragt hast.“
[ 3]„Ich hab dich auch gefragt, warum du all das tust.“
[ 3]Statt darauf zu antworten, sagte Jonathan: „Ich habe nicht viel Zeit, ich bin eigentlich nur hier, um die Konditionierung zu modifizieren. Im Moment löst du sie durch deine Erinnerungen an … damals manchmal selbst aus.“ Er streckte die Hand nach Sams Kopf aus.
[ 3]Sam zuckte zurück.
[ 3]„Ich kann es auch lassen.“
[ 3]„Wer sagt mir, dass du es nicht verschlimmerst?“
[ 3]„Ich sage dir das.“
[ 3]Sam schüttelte den Kopf. „Ich muss darüber nachdenken.“
[ 3]„Dafür ist keine Zeit. Ich muss wieder weg.“
[ 3]„Wohin?“
[ 3]„Weg. - Also?“
[ 3]Sam zögerte. „Kannst du … auch meine Erinnerungen zurückholen?“
[ 3]„Die Kindheitserinnerungen?“
[ 3]Sam nickte.
[ 3]„Das werde ich nicht tun.“
[ 3]„Heißt das, du kannst, willst nur nicht? Warum?“
[ 3]Jonathan schwieg. Er wirkte plötzlich müde.
[ 3]Eine Erkenntnis schoss in Sam auf. „Du hast sie weggemacht!“ Er starrte Jonathan an. „Du hast … du hast mein Leben weggelöscht. Wieso?“
[ 3]„Ich werde darauf nicht antworten, das weißt du.“
[ 3]Sam schniefte. „Ja. Ja, ich weiß. Das ist das Letzte, was ich von dir je bekommen werde: Antworten. - Und wenn die Erinnerung von selbst wiederkommt?“
[ 3]„Das ist unwahrscheinlich. Aber ich kann dir den quälenden Wunsch nehmen, es zu wissen.“
[ 3]Sam lachte unfroh auf. „Das halte ich nun wieder für unwahrscheinlich.“ Er straffte sich und neigte den Kopf in Jonathans Richtung. „Also dekonditioniere mich oder wie immer das heißt.“
[ 3]„Nicht hier. Komm!"
 

jon

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„… beamen?“, vollendete Dean den Satz, als er im hinteren Teil des Shuttles materialisiert war. Er strauchelte.
[ 3]Carola fing ihn auf. „Hey! Vorsicht!“
[ 3]Er sah sie mit großen Augen an.
[ 3]„Alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt.
[ 3]Er nickte und löste sich von ihr. Dann sah er sich um. „Ist das Star Trek?“
[ 3]„Was?“ Sie schmunzelte. „Nicht wirklich. Der Transporter funktioniert anders."
[ 3]„Wie?“
[ 3]„Wie?“ Sie sah ihn über einen imaginären Brillenrand hinweg an. „Du erwartest jetzt nicht, dass ich dir einen Vortrag über kontrollierte Raumverwerfung halte …“
[ 3]Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Dann sagte er: „Nein.“
[ 3]Er trat nach vorn in den Steuerbereich und machte Anstalten, sich in den Pilotensessel zu setzen.
[ 3]„Hey!“, hielt Carola ihn zurück.
[ 3]Er drehte sich um.
[ 3]Sie wies mit dem Kopf auf den Platz des Copiloten. „Aber Finger weg, ok?“
[ 3]„Ok.“ Er setzte sich.
[ 3]Sie nahm am Steuer Platz. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie er alles musterte. Auf seinem Gesicht glänzte eine Mischung aus Neugier, Unglaube und Amüsiertheit. Carola lächelte. Sie aktivierte die Konsole und ließ das Shuttle aufsteigen. Deans Blick schnellte erst runter, dann nach oben. Er beugte sich etwas vor, damit er die Decke des Raumes sehen konnte. Staunend beobachtete er, wie sich die scheinbaren Betonplatten wie Torflügel zur Seite schoben und das Shuttle nach oben hindurchglitt. In der Garage, die über dem Versteck lag, ging das Licht an, und Carola öffnete das Tor. Draußen war Nacht. Die Laterne vor dem Haus war defekt. Das Shuttle glitt die Auffahrt hinunter, bog auf die Straße ein und stoppte dort.
[ 3]Dean drehte sich nach dem Haus um und musterte es. „Wem gehört das?“
[ 3]„Irgendeinem Mr. Tricker.“
[ 3]„Wer ist das?“
[ 3]„Keine Ahnung, hab ihn nie gesehen. Er hat das Haus nach dem Tod meines Mannes gekauft, ist aber offenbar nur selten da. Ich war seitdem allerdings auch nur zwei- oder dreimal hier.“
[ 3]Dean musterte sie. „Dein Mann?“
[ 3]„Ja. Er hat das Shuttle für Zeitreisen programmiert, stammte aus der Zukunft.“ Sie ließ die Garagentür wieder zufahren.
[ 3]„Und Tricker?“
[ 3]„Was ist mit ihm?“
[ 3]„Weiß er, dass unter seiner Garage …“
[ 3]„Ich hoffe doch nicht! - Achtung jetzt“, warnte sie und stellte den Tarnmodus auf Komplett-Abschirmung. Nicht dass das nötig gewesen wäre, die meisten Ortungseinrichtungen, gegen die der Schild schützen sollte, waren noch nicht mal erfunden, aber sicher war sicher. „Wir steigen jetzt gleich, wenn du Höhenangst hast, solltest du lieber nicht raus sehen.“
[ 3]Dean kniff die Augen zu und rutschte in seinem Sessel zusammen.
[ 3]Carola grinste. „Ich sag dir Bescheid, wenn es vorbei ist, ok?“
[ 3]„Ok“, presste er hervor, ohne die Augen zu öffnen.
[ 3]Carola lenkte das Shuttle aus der Atmosphäre. Sie parkte es im äußeren Orbit. Weit unter ihnen lag die ISS wie ein stachliger Fremdkörper auf der Aura der Erde.
[ 3]„Du kannst gucken“, sagte Carola und schaltete den Bordcomputer auf Tastaturbetrieb. Sie gab ihre Identifkationsdaten ein.
[ 3]„Wow!“, stieß Dean aus und Carola sah zu ihm. Fasziniert und sichtbar atemlos schaute der Junge zur Erde hinunter, betrachtete die Raumstation, schaute dann hinaus zu den Sternen. Sein Mund war geöffnet, ein Lächeln umspielte ihn und seine Augen waren so weit aufgerissen, als wollten sie alle Bilder der Welt auf einmal aufnehmen. Carola beobachtete ihn lächelnd, es tat gut, so viel unbefangenes Staunen zu sehen.
[ 3]„Woran ist dein Mann eigentlich gestorben?“, fragte Dean plötzlich und drehte sich zu ihr.
[ 3]Der Themenwechsel irritierte sie. „Was?“
[ 3]„Dein Mann, woran …“
[ 3]„Ich hab schon verstanden. Er hatte einen Autounfall.“
[ 3]„Hast du versucht, ihn zu retten?“
[ 3]„Ob … Dean, bitte!“
[ 3]„Nein, im Ernst, du könntest doch die Zeitmaschine nehmen und ihn retten.“
[ 3]Carola wandte sich ab. „Manches bleibt besser, wie es ist.“
[ 3]„Hast du ihn denn nicht geliebt?“
[ 3]Sie sah ihn an. „So einfach ist das nicht. Manchmal … ist die Alternative schlimmer.“
[ 3]„Schlimmer als einen Menschen zu verlieren?“
[ 3]Sie nickte. „Weißt du, er … hatte das Shuttle so programmiert, dass es für Zeitreisen Löcher erzeugt. Dadurch … wird aber die ganze Raum-Zeit-Struktur … rissig sozusagen. Es entstehen immer mehr unkontrollierte Löcher.“
[ 3]Dean starrte sie an. „Darum hast du ihn sterben lassen??“
[ 3]„Nicht nur. Mein … Unser Sohn traf die Entscheidung.“
[ 3]Dean lehnte sich zurück. „Euer Sohn …“
[ 3]„Ja, er … lebt in der Zukunft. Er wurde dort geboren. Er … weiß einfach mehr. Ich weiß nicht, was noch passierte, ich meine außer dem … Rissigwerden, er kam jedenfalls zurück und hinderte mich daran, Ton'A zu retten.“
[ 3]Dean war fassungslos. „Das ist ja fast wie Mord.“
[ 3]„Ja.“ Sie nickte. „Manchmal fühlt es sich so an.“
[ 3]Sein Blick suchte ihren, „Wie erträgst du das?“
[ 3]Sie blickte zur Erde hinaus. „Kaum.“ Sie setzte ein Lächeln auf. Dann sah sie wieder zu Dean. „Manche Dinge sind eben wie sie sind. - Also. Ich erzähl dir jetzt, was wir als nächstes tun.“ Sie straffte sich und wandte sich der Steuerkonsole zu. „Ich gebe die Zielkoordinaten ein, das ist der 9. August 1986, Erde. So. Jetzt sucht das Programm nach einem natürlichen Zeitloch, das von uns dort hinführt. Oder zumindest in die Nähe. Kann sein, dass wir hier noch ein bisschen warten müssen, bis es entsteht, und dass wir dort etwas früher ankommen, aber … Voilà! Da haben wir eins. Ganz in der Nähe. Übermorgen zwischen Neptun und Pluto.“ Sie sah zu Dean. „Also? Kann's losgehen?“
[ 3]„Du vermisst sie, oder?“
[ 3]Sie hob fragend die Brauen. „Was vermissen?“
[ 3]„Deine Familie. Deinen Mann.“
[ 3]Sie schluckte. „Ja. Oft. Es … Wir waren telepatisch verbunden, weißt du, und … Ich habe dadurch unglaublich viel gelernt von ihm. Und … na ja … er war eben immer da. Auch wenn er nicht da war.“
[ 3]„Meinst du, dass du dich wieder verlieben kannst?“
[ 3]Sie nickte. „Doch. Ja. Irgendwann.“
[ 3]Er schien beruhigt. „Gut.“ Dann sah er aus dem Fenster und lächelte.
[ 3]Carola runzelte fragend die Stirn, schwieg jedoch. Sie gab den Kurs ein und das Shuttle flog in einem eleganten Bogen hinaus zu den äußeren Planeten.

2003
Sam hatte sich wie immer, wenn er zu einer Show mit Mike Henson ging, einen Platz ganz außen geben lassen. Nah genug an der Bühne, um Henson zu beobachten, und weit genug entfernt, dass, wenn er vorzeitig den Saal verließ, nicht das gesamte Publikum irritiert wurde. Heute, so hatte er sich vorgenommen, würde er bis zum letzten Ton bleiben. Er würde endlich lernen müssen, ohne Groll Hensons Erfolg zu hinzunehmen. Mit jedem neuen Film, der Henson ins Kino oder Fernsehen brachte, schwappten ihm Lobeshymnen über den Darsteller entgegen. Wenn er darin nicht verzweifelt untergehen wollte, musste er sich Boden unter den Füßen schaffen, Boden, auf dem er, Sam, bestehen konnte.
[ 3]Im Moment war das schwer. Mike Henson gab einen Guido Contini wie ihn sich Fellini brillanter nicht hätte ausmalen können. Er hatte das Publikum auf seiner Seite und obwohl er optisch alles andere als ein typischer Italiener war, nahm man ihn den leidenschaftlichen Südländer ohne Weiteres ab. Anders als der Rest des Publikums sah Sam allerdings, warum das so war. Oh ja, er wusste, worauf Hensons Erfolg beruhte. Es war dieser Buchteil einer Sekunde, die er länger schwieg als andere Schauspieler es machen würden, dieser Hauch mehr Zögern, ehe er zeigte, dass die Figur etwas begriffen hatte, dieses Mehr an Atemlosigkeit, an Staunen oder Lachen, das nicht nur seine Mimik bestimmte, sondern den gesamten Körper umfasste. Das Sam auch in seinem Körper fühlen konnte.
[ 3]Er konnte jeden Ton, den Henson sang, fühlen, jedes Stirnrunzeln, jede Handbewegung. Sogar die ganz kleinen, die, die man auf der Bühne nicht sieht, die aber dennoch da sind. Die Essenz der Figur sickerte in ihn ein und elektrisierte ihn. Er bemerkte, dass seine Finger nervös in der Luft spielten, als würden sie Henson dirigieren, und nahm die Hände zusammen, presste sie, damit es aufhörte.
[ 3]Etwas hinter ihm lenkte ihn ab. Er wandte sich um. Jonathan.
[ 3]Jonathan legte den Finger auf den Mund. „Sch.“
[ 3]„Was …?“
[ 3]„Sch!“ Jonathan wies mit dem Kopf Richtung Gang und stand auf. Er schlich aus dem Saal.
[ 3]Sam schloss einen Moment lang die Augen, dann folgte er ihm.
[ 3]Jonathan erwartete ihn an einem der Stehtisch nahe der Bar. „Schön, dich zu sehen“, sagte er.
[ 3]„Wo zum Teufel warst du?!“, fuhr ihn Sam an.
[ 3]„Schrei bitte nicht so.“
[ 3]Sam atmete tief durch, um sich zu beruhigen. „Was… Was zum Teufel machst du hier? Pushst du ihn?“
[ 3]„Pushen?“
[ 3]„Ja, so wie du mich die ganze Zeit klein hältst.“
[ 3]„Das ist nicht nötig.“
[ 3]„Was? Mich klein zu halten?“
[ 3]„Ihn zu pushen. Und ich habe längst aufgehört, dich … zu bremsen.“
[ 3]„Wie nett!“
[ 3]Jonathan neigte den Kopf. „Samuel bitte! Ich hatte Gründe, das weißt du.“
[ 3]Sam beugte sich vor. „Gründe??“ Dann trat er einen Schritt zurück und wandte sich schnaufend um. Sein Blick fiel auf den Barkeeper, der ihn irritiert musterte. Sam fasste sich und drehte sich wieder zu Jonathan. „Das Einzige, was ich von dir dazu gehört habe, war, dass …“, er senkte die Stimme, „… er und ich absolute Doppelgänger sind und ich mich deshalb von ihm fern halten soll. Das … ist nicht gerade das, was ich eine ausreichende Begründung nennen würde. Aber gut!“ Er hob die Hände. „Ich hab mich daran gehalten, bin ihm aus dem Weg gegangen.“
[ 3]„Du bist hier“, erinnerte Jonathan ohne Vorwurf in der Stimme.
[ 3]„Du hast nicht wirklich erwartet, dass ich ihn ignoriere, oder?“
[ 3]„Nein.“
[ 3]„Gut! Denn er ist gut, weißt du. Er ist großartig! Und …“, er zügelte seine Lautstärke wieder, „… das heißt, ich bin es auch. Und ich will es auch sein dürfen. Verstehst du, was ich meine?“
[ 3]Ein Lächeln huschte über Jonathans Gesicht. „Ja, ich weiß, was du meinst.“
[ 3]„Dann …“, rief Sam, bremste sich, flüsterte: „Dann lass es mich sein, John.“ Er hob die Hände. „Bitte!“
[ 3]„Ich bremse dich nicht. Deine Shows laufen hervorragend.“
[ 3]„Provinz, John. Ich … Es ist nicht so, dass es nicht toll ist, aber … Ich will mit guten Leuten arbeiten. Stoffe machen, die mich interessieren. Pfeif auf den Ruhm, Henson kann ihn haben. Aber wenn überhaupt jemand einen Typen wie mich suchen würde, dann würde er nicht meinen Agenten anrufen, sondern seinen. Ich brauche eine Chance, John! Das bist du mir schuldig!“
[ 3]Jonathans Augenbraue zuckte nach oben.
[ 3]„Komm mir nicht diesem Spock-Blick, John! Du hast gesagt, er würde sich von der Bühne zurückziehen. Und? Hier ist er! Am Broadway!“
[ 3]„Wenn du wählen müsstest, Bühne oder Leinwand, was würdest du wählen?“
[ 3]Sam runzelte die Stirn. „Bühne. Warum?“
[ 3]„Eben. Er wird die Bühne nie ganz aufgeben.“
[ 3]„Dann … Mach ihn wenigstens ein bisschen weniger brillant!“
[ 3]„Du hältst dich für brillant?“
[ 3]„Mich? Nein, ich … John, verdammt noch mal, ich habe keinen Nerv für solche Spielchen! Mach einfach, dass man beim Stichwort Bühne an Sam Thompson, denkt und nicht immer sofort an ihn.“
[ 3]„Du denkst wirklich, die rennen ihm die Tür ein? Du solltest das Geschäft besser kennen. Wie auch immer. Ich kann ihn nicht … schlechter aussehen lassen, als er ist.“
[ 3]„Bei mir konntest du's …“
[ 3]„Du bist konditioniert.“
[ 3]„Ich bin was?“
[ 3]„Konditioniert. Ich habe deine unteren Bewusstseinsschichten so manipuliert, dass sie auf einen telepathischen Befehl von mir hin, deinen Körper …“
[ 3]„Telepathie?“
[ 3]Jonathan nickte. „Ja.“
[ 3]Sam sah ihn fragend an.
[ 3]„Was?“
[ 3]„Telepathie, ja? Warum kannst du die nicht bei ihm anwenden?“
[ 3]„Ich sagte doch schon, du bist konditioniert. Ich löse mit dem telepathischen Befehl nur eine … Reihe von körperlichen Reaktionen aus, die … dein Talent aushebeln. Konzentrationsprobleme, unkontrollierte Bewegungen, Stimmversagen. Du kennst das ja.“
[ 3]„Ja, ich erinnere mich. Warum erzählst du mir das?“
[ 3]„Weil du gefragt hast.“
[ 3]„Ich hab dich auch gefragt, warum du all das tust.“
[ 3]Statt darauf zu antworten, sagte Jonathan: „Ich habe nicht viel Zeit, ich bin eigentlich nur hier, um die Konditionierung zu modifizieren. Im Moment löst du sie durch deine Erinnerungen an … damals manchmal selbst aus.“ Er streckte die Hand nach Sams Kopf aus.
[ 3]Sam zuckte zurück.
[ 3]„Ich kann es auch lassen.“
[ 3]„Wer sagt mir, dass du es nicht verschlimmerst?“
[ 3]„Ich sage dir das.“
[ 3]Sam schüttelte den Kopf. „Ich muss darüber nachdenken.“
[ 3]„Dafür ist keine Zeit. Ich muss wieder weg.“
[ 3]„Wohin?“
[ 3]„Weg. - Also?“
[ 3]Sam zögerte. „Kannst du … auch meine Erinnerungen zurückholen?“
[ 3]„Die Kindheitserinnerungen?“
[ 3]Sam nickte.
[ 3]„Das werde ich nicht tun.“
[ 3]„Heißt das, du kannst, willst nur nicht? Warum?“
[ 3]Jonathan schwieg. Er wirkte plötzlich müde.
[ 3]Eine Erkenntnis schoss in Sam auf. „Du hast sie weggemacht!“ Er starrte Jonathan an. „Du hast … du hast mein Leben weggelöscht. Wieso?“
[ 3]„Ich werde darauf nicht antworten, das weißt du.“
[ 3]Sam schniefte. „Ja. Ja, ich weiß. Das ist das Letzte, was ich von dir je bekommen werde: Antworten. - Und wenn die Erinnerung von selbst wiederkommt?“
[ 3]„Das ist unwahrscheinlich. Aber ich kann dir den quälenden Wunsch nehmen, es zu wissen.“
[ 3]Sam lachte unfroh auf. „Das halte ich nun wieder für unwahrscheinlich.“ Er straffte sich und neigte den Kopf in Jonathans Richtung. „Also dekonditioniere mich oder wie immer das heißt.“
[ 3]„Nicht hier. Komm!"


(Weiter bei Kapitel 4Teil 3)
 



 
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