Der Fluch / 2 – Kapitel 5/2

jon

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Teammitglied
Der Morgen zog schon herauf, als das Taxi vor Sams Haus hielt. Er öffnet die Tür und wollte aussteigen.
[ 3]Gretchen hielt ihn zurück. „Komm doch noch mit …“
[ 3]„Bitte, Gretchen!“, sagte Sam und löste ihre Arme von seinem Hals.
[ 3]Sie zog eine Schmollmund, rückte aber gehorsam zurück an Wellers Seite.
[ 3]Der legte den Arm um sie. „Echt, Thompson, wir drehen noch 'ne Runde. Komm doch mit.“
[ 3]„Ich hab genug für heute.“ Er stieg aus und schlug die Tür zu. Als das Taxi abfuhr, winkte Gretchen ihm noch zu. Er winkte zurück. Dann ging er in seine Wohnung. Er warf das Jackett achtlos über den Sessel und ließ sich auf die Couch fallen. Er rieb sich Augen und Stirn, rollte dann die Schultern. Er sah das Licht am Anrufbeantworter blinken und beschloss, es zu ignorieren. Sein Blick fiel auf den Laptop. Er setzte sich aufrecht hin, zog das Gerät heran und klappte es auf.
[ 3]Post von Carola. Sam lächelte und öffnete die Mail.
[ 3]„Hallo Sam, tut mir leid, dass ich so lange nichts von mir hören ließ. Viel Arbeit und so. Und ich habe vor ein paar Tagen einen Schauspieler ,entdeckt', von ich mir erstmal alle verfügbaren DVDs reinziehen musste. Und ich meine wirklich musste, denn der Kerl ist gut, wirklich gut. Die Filme sind zwar nicht alle brillant, aber er hat das Zeug zum Star. Doch ich will dir nichts von anderen Schauspielern vorschwärmen. Da fällt mir ein: Wolltest du mir nicht mal ein Foto von dir schicken? Ich mag nicht warten, bis die DVD da ist. Oder du mal im Kino zu bewundern bist.
[ 3]Zu deiner Frage: Das ist pure Science Fiction. Um einen Menschen so zu verändern, müsste man in jeder einzelnen Zelle des Körper die Gene austauschen. Das geht bestenfalls bei Star Trek im Transporter. Und da rede ich noch nicht mal davon, dass man dafür haargenau wissen müsste, wie die Gene funktionieren. Ich meine, wie genau sich eine Änderung auswirken würde. Warum fragst du eigentlich? Geht es in deinem Film um so was?
[ 3]Ach übrigens: Ich hänge dir noch einen kleinen Filmclip aus meiner neuen Digitalkamera an, damit du keine Ausrede mehr hast von wegen du wüsstest ja auch nicht wie ich aussehe. * grins* Es grüßt dich ganz lieb Carola.“
[ 3]Sam fühlte, dass er schmunzelte, und musste darüber noch mehr lächeln. Er öffnete den Anhang und sah zu, wie Carola ihn auf einen kleinen Rundgang durch ihre Wohnung mitnahm. Sie wirkte trotz der kleinen Räume großzügig, überall waren Grünpflanzen. Alles wirkte sehr vertraut. Sam genoss es.
[ 3]Es klingelte an der Tür. Er sah zur Uhr. Es war 6 Uhr, viel zu früh, um Besuch zu empfangen.
[ 3]Es klingelte erneut. Sam stemmte sich hoch und öffnete. Fallon stand vor der Tür.
[ 3]Sam starrte ihn an. „Francis?“
[ 3]„Darf ich reinkommen?“
[ 3]Sam ließ ihn ein. „Was tun Sie hier? Um diese Zeit?“
[ 3]„Ich hatte angerufen und Sie gebeten zu mir zu kommen. Gestern abend.“
[ 3]„Wir waren unterwegs.“ Er machte eine Geste zur Küche hin. „Kaffee?“
[ 3]„Nicht für mich, ich muss gleich weiter. Ich bin ein paar Tage nicht da, Sam, deshalb will ich Ihnen das hier noch geben.“ Er nahm einen Umschlag aus der Innentasche des Mantel und gab ihn Sam.
[ 3]„Flugtickets nach L.A.?“
[ 3]„Oh!“ Er nahm ihm den Umschlag ab und reichte ihm einen anderen. „L.A. ist für mich. Das hier ist für Sie.“
[ 3]„Berlin?“
[ 3]„Dresden, um genau zu sein. Sie werden dort Mike Henson treffen.“
[ 3]Sam ließ sich auf die Couch plumpsen. „Ich werde was?“
[ 3]Fallon setzte sich auf den Sessel Sam gegenüber. „In Hensons nächstem Streifen gibt es einen Doppelgänger für die Hauptfigur und Sie werden sie spielen.“
[ 3]Sam schüttelte des Kopf. „Ganz sicher nicht!“
[ 3]Fallon hob beschwichtigend die Hände. „Mein lieber Samuel, ich weiß ja von Ihrer Abneigung, aber das wäre eine unglaubliche Chance für Sie.“
[ 3]Sam schüttelte den Kopf. „Vergessen Sie's! Das ist die blödeste Idee, die ich je gehört habe.“
[ 3]Fallon blieb gelassen. „So blöd ist die Idee nicht, sonst würde ich sie Ihnen nicht unterbreiten. Sie könnten so auf ganz elegante Weise Aufmerksamkeit wecken.“
[ 3]Sam beugte sich beschwörend vor. „Francis, ich werde schon auf der Bühne so oft mit Henson verglichen, das hier kann nur schief gehen. Haben Sie die Kritiken mal gelesen? Ich meine wirklich gelesen? Selbst wenn es nicht so formuliert ist, es schwingt immer mit, dass ich nicht an ihn heranreiche. Und Sie wollen mich in einem Film direkt neben ihn stellen? Was soll das bringen?“
[ 3]„Publicity, Sam. Es ist egal, ob Sie besser abschneiden als er, wichtig ist nur, dass man Sie wahrnimmt. Außerhalb des Theaters. Vertrauen Sie mir! Das wird der Durchbruch für Sie sein!“
[ 3]Sam lehnte sich zurück und schüttelte wieder und wieder den Kopf.
[ 3]„Doch, Sam, das geht!“
[ 3]„Das ist verrückt!“
[ 3]Fallon rückte mit seinem Sessel näher, lehnte sich vor und starrte Sam an, als wolle er ihn hypnotisieren. „Versuchen Sie sich das einfach mal vorzustellen! Also: In dem Film gibt es einen Doppelgänger der Hauptfigur. Jeder wird natürlich denken, dass die von Henson selbst dargestellt wird. Aber!“ Er hob beschwörend die Hände. „Voila! Wir haben einen echten Doppelgänger zu bieten! Ein Typ, der so gut ist, dass sich das Publikum irritiert fragt, wie es möglich ist, wie die diese Szenen gedreht haben, weil der Typ - Sie, Sam - den anderen so perfekt nachmacht, dass jeder schwören würde, es ist derselbe! Die Leute werden bis zum Abspann sitzen bleiben, weil sie es einfach nicht glauben können, dass es zwei Darsteller sind.“
[ 3]Sam rieb sich die Stirn. „Mm. Nein. So läuft das nicht. Wenn …“, jetzt beugte er sich vor, so dass Fallon zurückweichen musste, „… wenn es im Film darum geht, dass es ein Doppelgänger ist, dann besteht der Witz darin, dass er trotz aller Ähnlichkeit ein anderer ist. Ich müsste also … Ich dürfte nicht versuchen, genauso so zu sein wie er, ich müsste versuchen, ganz anders zu sein. Und nur so aussehen. Verstehen Sie? Das Publikum muss den Doppelgänger sehen und Henson erwarten und dann völlig perplex sein, nicht Henson zu kriegen.“
[ 3]„Um so leichter für Sie.“
[ 3]„Um so… ?“ Sam lehnte sich zurück. „Sie haben keine Ahnung.“
[ 3]Fallon schwieg irritiert.
[ 3]Sam stand auf und trat ans Fenster. Er rückte eine der mickrigen Grünpflanzen beiseite und lehnte sich an die Fensterbank. „Wie kommt Henson eigentlich auf diese Idee? Ich an seiner Stelle würde mich eher selbst in dieser Doppelrolle spielen. Das ist eins von den Dingen, von denen jeder Schauspieler träumt.“
[ 3]Fallon lehnte sich zurück. „Der Haken bei der Sache ist, es muss schnell gehen. Der Dreh für den Film beginnt Ende August. Dresden ist die beste Chance, Henson zu sprechen.“
[ 3]Sam hob die Brauen. „Das ist nicht Ihr Ernst!“
[ 3]„Was?“
[ 3]Er lachte. „Es ist gar nicht Hensons Idee, es ist Ihre! Er weiß es noch gar nicht, richtig?“
[ 3]Fallon tat zerknirscht. „Nein. Ich wollte Sie erst überzeugen, das erschien mir schwieriger.“
[ 3]„Oh Gott, Francis!“ Sam lachte erneut. Er setzte sich wieder. „Sie sollten es besser wissen: Kein Schauspieler wird ohne triftigen Grund - und ich meine wirklich triftigen Grund - eine Doppelrolle freiwillig aufgeben. Vor allem nicht, wenn er als Produzent ein Wörtchen mitreden kann.“
[ 3]„Nun ja, ich …“ Fallon räusperte sich. „Ich habe noch einen Gefallen gut bei Henson.“
[ 3]„Oh Gott, der müsste schon groß sein, dass er darauf eingeht.“
[ 3]Fallon lächelte viel sagend.
[ 3]„Sie müssten einen riesigen Gefallen gut haben“, präzisierte Sam.
[ 3]Fallon grinste. „Wollen Sie es testen?“

1986
Sie standen eng beieinander, Carola musste etwas zu ihm aufsehen. Ihre rechte Hand lag auf seiner nackten Brust, die linke ruhte auf seinem Rücken unter dem Rand der Jeans. Dean hatte Tränen in den Augen und sie auch. Er nahm ihren Kopf in seine Hände und forschte in ihrem Gesicht. Jedes Detail schien er in sich aufzusaugen, als wollte er es sich für die Ewigkeit einprägen.
[ 3]In zehn, spätestens zwanzig Minuten würde er es vergessen haben.
[ 3]„Wir müssen“, sagte sie leise.
[ 3]Er ließ sie los, aber sein Blick flehte.
[ 3]Sie schüttelte leicht den Kopf. Sie hatten keine Wahl.
[ 3]Er hob sein T-Shirt vom Boden auf und streifte es über.
[ 3]Sie lotste ihn zur Passagierbank. „Versuch, dich zu entspannen“, sagte sie leise.
[ 3]Sein Blick fragte, ob sie wirklich glaubte, dass das möglich war.
[ 3]„Versuch es“, flüsterte sie. „Bitte. Ich will dir nicht wehtun.“
[ 3]Er nickte kaum merklich und schloss die Augen. Er begann, tief ein- und auszuatmen, kapitulierte dann aber vor den Tränen.
[ 3]„Ich weiß“, murmelte sie und legte ihre Rechte an seine Schläfe.
[ 3]Er neigte den Kopf, schmiegte sein Gesicht in ihre Hand.
[ 3]„Ich weiß“, wiederholte sie tonlos und trat ein …
[ 3]… sein Geist war in schwarz-goldenes Licht getaucht. Sie folgte dem bitter-süßen Pfad hinauf in den Wald. Jemand scherzte irgendwo, es war unendlich lange her. Ein schwarzer Blitz schlug ein und riss sie in gleißende Helle. Ein Gebüsch, in der er aufwachte. Sie wischte es beiseite. Eine kaum befahrene Straße - ohne Bedeutung. Ein Parkplatz mit merkwürdigen Autos. Sie hatten vier Räder und ein Dach und ein Lenkrad - Autos eben. Irgendwelche. Und diese Frau, die aus dem Nieselregen hervorkommt und ihn ansieht. Die ihn wahrnimmt, auf eine Weise, die ihm vertraut und fremd zu gleich erscheint. Nur Schein, es gibt sie gar nicht. Alles nur Müdigkeitsfantasien, alles nur Einbildung…
[ 3]… schmiegt sein Gesicht in ihre Hand, die es wie ein Kissen aufnimmt. Ein Kissen aus Moos, ganz weich und duftend. Sein Lächeln umschmeichelnd. Verwehende Glückseeligkeit eines erlöschenden Traums. Sanft setzte der Transporter ihn auf dem weichen Waldboden ab. Irgendwo hinter den Bäumen scherzte jemand. Das Geräusch drang ins Bewusstsein des Schlafenden. Er regte sich.
[ 3]Carola drehte sich um und ging. Ein wenig abseits würde sie sich zum Shuttle zurücktransportieren lassen. Vielleicht würde es noch nach ihm riechen in der Kabine, vielleicht sogar noch ein bisschen nach seiner jugendlich glühenden Leidenschaft, vor der ihre uralte Vernunft hatte kapitulieren müssen. Vielleicht würde sie seine Hände noch ein Weilchen auf ihrer Haut spüren, aber auch das würde vorbei gehen. Es ging immer vorbei.
[ 3]„Mum?“
[ 3]Sie schrak auf. „Jonathan!“
[ 3]Er lächelte flüchtig. „Schön, dich zu sehen, Mum. Entschuldige, ich habe nicht viel Zeit. Wo ist er?“
[ 3]Sie hatte Mühe, die Situation zu verstehen. „Wer?“
[ 3]„Er.“
[ 3]„Dean?“
[ 3]„Ja. Wo ist er.“
[ 3]Sie wies nach hinten. „Da.“
[ 3]Er eilte los.
[ 3]„Er muss jeden Moment aufwachen“, sagte Carola noch und rief Jonathan nach: „Was ist los?“
[ 3]Jonathan blieb stehen, kam zurück. „Es tut mir leid, Mum. Es … gab eine Komplikation.“
[ 3]„Eine …?“
[ 3]„Als er in das Zeitloch fiel, wurde er verdoppelt.“
[ 3] Sie begriff. „Dean war eine Kopie …“
[ 3]„Schwer zu sagen, wer Kopie und wer Original ist. Sie unterscheiden sich nur dadurch, dass einer in der Zukunft war und der andere nicht.“
[ 3]„Ja. Ja klar.“ Sie sah ihn fragend an. „Und nun?“
[ 3]„Ich werde seine Erinnerungen löschen …“
[ 3]„Das hab ich schon.“
[ 3]„Ich weiß, Mum. Ich meine alle Erinnerungen vor heute. Er kriegt ein anderes Leben.“
[ 3]„Gut“, sagte sie und fühlte etwas in ihr denken, dass dies der riskantere Weg war. Sie horchte in sich hinein. Das Risiko war nicht so hoch. Nicht, wenn die beiden sich nie treffen würden. Wenn sie unauffällig vor sich hinlebten, der eine da, der andere da. Hauptsache der, der bei ihr war, erinnerte sich nicht. Die Vorstellung, ihn töten zu müssen, krampfte ihr Herz zusammen.
[ 3] Jonathan lächelte. „Mach dir keine Sorgen, Mum.“
[ 3]Sie erwiderte das Lächeln. „Wohin …“
[ 3]„Keine Zeit für Erklärungen, Mum“, unterbrach er sie.
[ 3]Von der Lichtung her rief jemand „Essen ist fertig!“
[ 3]Jonathan strich seiner Mutter übers Haar. „Ich kümmere mich um ihn. Versprochen.“
[ 3]Sie nickte dankbar.
[ 3]„Ich liebe dich, Mum“, sagte Jonathan und eilte davon.
[ 3]Carola sah den Lichtschein eines Transportervorgangs zwischen den Bäumen. Dann hörte sie Deans Stimme. Sie verstand nicht, was er rief, aber sie bemerkte, dass er sich auf die Lichtung zu bewegte. Einen Moment lang hatte sie Bedürfnis, dort hin zu gehen, um ihn zu sehen. Dann dachte sie, dass ihr Dean schon längst mit Jonathan fort war. Und dann, als sie das auch fühlen konnte, aktivierte sie den Rücktransport.
 

jon

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Der Morgen zog schon herauf, als das Taxi vor Sams Haus hielt. Er öffnet die Tür und wollte aussteigen.
[ 3]Gretchen hielt ihn zurück. „Komm doch noch mit …“
[ 3]„Bitte, Gretchen!“, sagte Sam und löste ihre Arme von seinem Hals.
[ 3]Sie zog eine Schmollmund, rückte aber gehorsam zurück an Wellers Seite.
[ 3]Der legte den Arm um sie. „Echt, Thompson, wir drehen noch 'ne Runde. Komm doch mit.“
[ 3]„Ich hab genug für heute.“ Er stieg aus und schlug die Tür zu. Als das Taxi abfuhr, winkte Gretchen ihm noch zu. Er winkte zurück. Dann ging er in seine Wohnung. Er warf das Jackett achtlos über den Sessel und ließ sich auf die Couch fallen. Er rieb sich Augen und Stirn, rollte dann die Schultern. Er sah das Licht am Anrufbeantworter blinken und beschloss, es zu ignorieren. Sein Blick fiel auf den Laptop. Er setzte sich aufrecht hin, zog das Gerät heran und klappte es auf.
[ 3]Post von Carola. Sam lächelte und öffnete die Mail.
[ 3]„Hallo Sam, tut mir leid, dass ich so lange nichts von mir hören ließ. Viel Arbeit und so. Und ich habe vor ein paar Tagen einen Schauspieler ,entdeckt', von ich mir erstmal alle verfügbaren DVDs reinziehen musste. Und ich meine wirklich musste, denn der Kerl ist gut, wirklich gut. Die Filme sind zwar nicht alle brillant, aber er hat das Zeug zum Star. Doch ich will dir nichts von anderen Schauspielern vorschwärmen. Da fällt mir ein: Wolltest du mir nicht mal ein Foto von dir schicken? Ich mag nicht warten, bis die DVD da ist. Oder du mal im Kino zu bewundern bist.
[ 3]Zu deiner Frage: Das ist pure Science Fiction. Um einen Menschen so zu verändern, müsste man in jeder einzelnen Zelle des Körper die Gene austauschen. Das geht bestenfalls bei Star Trek im Transporter. Und da rede ich noch nicht mal davon, dass man dafür haargenau wissen müsste, wie die Gene funktionieren. Ich meine, wie genau sich eine Änderung auswirken würde. Warum fragst du eigentlich? Geht es in deinem Film um so was?
[ 3]Ach übrigens: Ich hänge dir noch einen kleinen Filmclip aus meiner neuen Digitalkamera an, damit du keine Ausrede mehr hast von wegen du wüsstest ja auch nicht wie ich aussehe. * grins* Es grüßt dich ganz lieb Carola.“
[ 3]Sam fühlte, dass er schmunzelte, und musste darüber noch mehr lächeln. Er öffnete den Anhang und sah zu, wie Carola ihn auf einen kleinen Rundgang durch ihre Wohnung mitnahm. Sie wirkte trotz der kleinen Räume großzügig, überall waren Grünpflanzen. Alles wirkte sehr vertraut. Sam genoss es.
[ 3]Es klingelte an der Tür. Er sah zur Uhr. Es war 6 Uhr, viel zu früh, um Besuch zu empfangen.
[ 3]Es klingelte erneut. Sam stemmte sich hoch und öffnete. Fallon stand vor der Tür.
[ 3]Sam starrte ihn an. „Francis?“
[ 3]„Darf ich reinkommen?“
[ 3]Sam ließ ihn ein. „Was tun Sie hier? Um diese Zeit?“
[ 3]„Ich hatte angerufen und Sie gebeten zu mir zu kommen. Gestern abend.“
[ 3]„Wir waren unterwegs.“ Er machte eine Geste zur Küche hin. „Kaffee?“
[ 3]„Nicht für mich, ich muss gleich weiter. Ich bin ein paar Tage nicht da, Sam, deshalb will ich Ihnen das hier noch geben.“ Er nahm einen Umschlag aus der Innentasche des Mantel und gab ihn Sam.
[ 3]„Flugtickets nach L.A.?“
[ 3]„Oh!“ Er nahm ihm den Umschlag ab und reichte ihm einen anderen. „L.A. ist für mich. Das hier ist für Sie.“
[ 3]„Berlin?“
[ 3]„Dresden, um genau zu sein. Sie werden dort Mike Henson treffen.“
[ 3]Sam ließ sich auf die Couch plumpsen. „Ich werde was?“
[ 3]Fallon setzte sich auf den Sessel Sam gegenüber. „In Hensons nächstem Streifen gibt es einen Doppelgänger für die Hauptfigur und Sie werden sie spielen.“
[ 3]Sam schüttelte des Kopf. „Ganz sicher nicht!“
[ 3]Fallon hob beschwichtigend die Hände. „Mein lieber Samuel, ich weiß ja von Ihrer Abneigung, aber das wäre eine unglaubliche Chance für Sie.“
[ 3]Sam schüttelte den Kopf. „Vergessen Sie's! Das ist die blödeste Idee, die ich je gehört habe.“
[ 3]Fallon blieb gelassen. „So blöd ist die Idee nicht, sonst würde ich sie Ihnen nicht unterbreiten. Sie könnten so auf ganz elegante Weise Aufmerksamkeit wecken.“
[ 3]Sam beugte sich beschwörend vor. „Francis, ich werde schon auf der Bühne so oft mit Henson verglichen, das hier kann nur schief gehen. Haben Sie die Kritiken mal gelesen? Ich meine wirklich gelesen? Selbst wenn es nicht so formuliert ist, es schwingt immer mit, dass ich nicht an ihn heranreiche. Und Sie wollen mich in einem Film direkt neben ihn stellen? Was soll das bringen?“
[ 3]„Publicity, Sam. Es ist egal, ob Sie besser abschneiden als er, wichtig ist nur, dass man Sie wahrnimmt. Außerhalb des Theaters. Vertrauen Sie mir! Das wird der Durchbruch für Sie sein!“
[ 3]Sam lehnte sich zurück und schüttelte wieder und wieder den Kopf.
[ 3]„Doch, Sam, das geht!“
[ 3]„Das ist verrückt!“
[ 3]Fallon rückte mit seinem Sessel näher, lehnte sich vor und starrte Sam an, als wolle er ihn hypnotisieren. „Versuchen Sie sich das einfach mal vorzustellen! Also: In dem Film gibt es einen Doppelgänger der Hauptfigur. Jeder wird natürlich denken, dass die von Henson selbst dargestellt wird. Aber!“ Er hob beschwörend die Hände. „Voila! Wir haben einen echten Doppelgänger zu bieten! Ein Typ, der so gut ist, dass sich das Publikum irritiert fragt, wie es möglich ist, wie die diese Szenen gedreht haben, weil der Typ - Sie, Sam - den anderen so perfekt nachmacht, dass jeder schwören würde, es ist derselbe! Die Leute werden bis zum Abspann sitzen bleiben, weil sie es einfach nicht glauben können, dass es zwei Darsteller sind.“
[ 3]Sam rieb sich die Stirn. „Mm. Nein. So läuft das nicht. Wenn …“, jetzt beugte er sich vor, so dass Fallon zurückweichen musste, „… wenn es im Film darum geht, dass es ein Doppelgänger ist, dann besteht der Witz darin, dass er trotz aller Ähnlichkeit ein anderer ist. Ich müsste also … Ich dürfte nicht versuchen, genauso so zu sein wie er, ich müsste versuchen, ganz anders zu sein. Und nur so aussehen. Verstehen Sie? Das Publikum muss den Doppelgänger sehen und Henson erwarten und dann völlig perplex sein, nicht Henson zu kriegen.“
[ 3]„Um so leichter für Sie.“
[ 3]„Um so… ?“ Sam lehnte sich zurück. „Sie haben keine Ahnung.“
[ 3]Fallon schwieg irritiert.
[ 3]Sam stand auf und trat ans Fenster. Er rückte eine der mickrigen Grünpflanzen beiseite und lehnte sich an die Fensterbank. „Wie kommt Henson eigentlich auf diese Idee? Ich an seiner Stelle würde mich eher selbst in dieser Doppelrolle spielen. Das ist eins von den Dingen, von denen jeder Schauspieler träumt.“
[ 3]Fallon lehnte sich zurück. „Der Haken bei der Sache ist, es muss schnell gehen. Der Dreh für den Film beginnt Ende August. Dresden ist die beste Chance, Henson zu sprechen.“
[ 3]Sam hob die Brauen. „Das ist nicht Ihr Ernst!“
[ 3]„Was?“
[ 3]Er lachte. „Es ist gar nicht Hensons Idee, es ist Ihre! Er weiß es noch gar nicht, richtig?“
[ 3]Fallon tat zerknirscht. „Nein. Ich wollte Sie erst überzeugen, das erschien mir schwieriger.“
[ 3]„Oh Gott, Francis!“ Sam lachte erneut. Er setzte sich wieder. „Sie sollten es besser wissen: Kein Schauspieler wird ohne triftigen Grund - und ich meine wirklich triftigen Grund - eine Doppelrolle freiwillig aufgeben. Vor allem nicht, wenn er als Produzent ein Wörtchen mitreden kann.“
[ 3]„Nun ja, ich …“ Fallon räusperte sich. „Ich habe noch einen Gefallen gut bei Henson.“
[ 3]„Oh Gott, der müsste schon groß sein, dass er darauf eingeht.“
[ 3]Fallon lächelte viel sagend.
[ 3]„Sie müssten einen riesigen Gefallen gut haben“, präzisierte Sam.
[ 3]Fallon grinste. „Wollen Sie es testen?“

1986
Sie standen eng beieinander, Carola musste etwas zu ihm aufsehen. Ihre rechte Hand lag auf seiner nackten Brust, die linke ruhte auf seinem Rücken unter dem Rand der Jeans. Dean hatte Tränen in den Augen und sie auch. Er nahm ihren Kopf in seine Hände und forschte in ihrem Gesicht. Jedes Detail schien er in sich aufzusaugen, als wollte er es sich für die Ewigkeit einprägen.
[ 3]In zehn, spätestens zwanzig Minuten würde er es vergessen haben.
[ 3]„Wir müssen“, sagte sie leise.
[ 3]Er ließ sie los, aber sein Blick flehte.
[ 3]Sie schüttelte leicht den Kopf. Sie hatten keine Wahl.
[ 3]Er hob sein T-Shirt vom Boden auf und streifte es über.
[ 3]Sie lotste ihn zur Passagierbank. „Versuch, dich zu entspannen“, sagte sie leise.
[ 3]Sein Blick fragte, ob sie wirklich glaubte, dass das möglich war.
[ 3]„Versuch es“, flüsterte sie. „Bitte. Ich will dir nicht wehtun.“
[ 3]Er nickte kaum merklich und schloss die Augen. Er begann, tief ein- und auszuatmen, kapitulierte dann aber vor den Tränen.
[ 3]„Ich weiß“, murmelte sie und legte ihre Rechte an seine Schläfe.
[ 3]Er neigte den Kopf, schmiegte sein Gesicht in ihre Hand.
[ 3]„Ich weiß“, wiederholte sie tonlos und trat ein …
[ 3]… sein Geist war in schwarz-goldenes Licht getaucht. Sie folgte dem bitter-süßen Pfad hinauf in den Wald. Jemand scherzte irgendwo, es war unendlich lange her. Ein schwarzer Blitz schlug ein und riss sie in gleißende Helle. Ein Gebüsch, in der er aufwachte. Sie wischte es beiseite. Eine kaum befahrene Straße - ohne Bedeutung. Ein Parkplatz mit merkwürdigen Autos. Sie hatten vier Räder und ein Dach und ein Lenkrad - Autos eben. Irgendwelche. Und diese Frau, die aus dem Nieselregen hervorkommt und ihn ansieht. Die ihn wahrnimmt, auf eine Weise, die ihm vertraut und fremd zu gleich erscheint. Nur Schein, es gibt sie gar nicht. Alles nur Müdigkeitsfantasien, alles nur Einbildung…
[ 3]… schmiegt sein Gesicht in ihre Hand, die es wie ein Kissen aufnimmt. Ein Kissen aus Moos, ganz weich und duftend. Sein Lächeln umschmeichelnd. Verwehende Glückseeligkeit eines erlöschenden Traums. Sanft setzte der Transporter ihn auf dem weichen Waldboden ab. Irgendwo hinter den Bäumen scherzte jemand. Das Geräusch drang ins Bewusstsein des Schlafenden. Er regte sich.
[ 3]Carola drehte sich um und ging. Ein wenig abseits würde sie sich zum Shuttle zurücktransportieren lassen. Vielleicht würde es noch nach ihm riechen in der Kabine, vielleicht sogar noch ein bisschen nach seiner jugendlich glühenden Leidenschaft, vor der ihre uralte Vernunft hatte kapitulieren müssen. Vielleicht würde sie seine Hände noch ein Weilchen auf ihrer Haut spüren, aber auch das würde vorbei gehen. Es ging immer vorbei.
[ 3]„Mum?“
[ 3]Sie schrak auf. „Jonathan!“
[ 3]Er lächelte flüchtig. „Schön, dich zu sehen, Mum. Entschuldige, ich habe nicht viel Zeit. Wo ist er?“
[ 3]Sie hatte Mühe, die Situation zu verstehen. „Wer?“
[ 3]„Er.“
[ 3]„Dean?“
[ 3]„Ja. Wo ist er.“
[ 3]Sie wies nach hinten. „Da.“
[ 3]Er eilte los.
[ 3]„Er muss jeden Moment aufwachen“, sagte Carola noch und rief Jonathan nach: „Was ist los?“
[ 3]Jonathan blieb stehen, kam zurück. „Es tut mir leid, Mum. Es … gab eine Komplikation.“
[ 3]„Eine …?“
[ 3]„Als er in das Zeitloch fiel, wurde er verdoppelt.“
[ 3] Sie begriff. „Dean war eine Kopie …“
[ 3]„Schwer zu sagen, wer Kopie und wer Original ist. Sie unterscheiden sich nur dadurch, dass einer in der Zukunft war und der andere nicht.“
[ 3]„Ja. Ja klar.“ Sie sah ihn fragend an. „Und nun?“
[ 3]„Ich werde seine Erinnerungen löschen …“
[ 3]„Das hab ich schon.“
[ 3]„Ich weiß, Mum. Ich meine alle Erinnerungen vor heute. Er kriegt ein anderes Leben.“
[ 3]„Gut“, sagte sie und fühlte etwas in ihr denken, dass dies der riskantere Weg war. Sie horchte in sich hinein. Das Risiko war nicht so hoch. Nicht, wenn die beiden sich nie treffen würden. Wenn sie unauffällig vor sich hinlebten, der eine da, der andere da. Hauptsache der, der bei ihr war, erinnerte sich nicht. Die Vorstellung, ihn töten zu müssen, krampfte ihr Herz zusammen.
[ 3] Jonathan lächelte. „Mach dir keine Sorgen, Mum.“
[ 3]Sie erwiderte das Lächeln. „Wohin …“
[ 3]„Keine Zeit für Erklärungen, Mum“, unterbrach er sie.
[ 3]Von der Lichtung her rief jemand „Essen ist fertig!“
[ 3]Jonathan strich seiner Mutter übers Haar. „Ich kümmere mich um ihn. Versprochen.“
[ 3]Sie nickte dankbar.
[ 3]„Ich liebe dich, Mum“, sagte Jonathan und eilte davon.
[ 3]Carola sah den Lichtschein eines Transportervorgangs zwischen den Bäumen. Dann hörte sie Deans Stimme. Sie verstand nicht, was er rief, aber sie bemerkte, dass er sich auf die Lichtung zu bewegte. Einen Moment lang hatte sie Bedürfnis, dort hin zu gehen, um ihn zu sehen. Dann dachte sie, dass ihr Dean schon längst mit Jonathan fort war. Und dann, als sie das auch fühlen konnte, aktivierte sie den Rücktransport.



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