Der Fluch des Insta-Filter-Tranks

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VeraL

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Minerva von Wetterstein betrachtete sich missmutig im Spiegel. Sie musste an ihre Mutter denken, die immer gesagt hatte: „Mit deinem Aussehen findest du nie einen Mann.“ Bisher hatte sie keinen gewollt, aber jetzt fühlte sie sich einsam. Seufzend ließ sie sich auf ihr abgenutztes Sofa fallen. Auf dem Tisch lag die neueste Ausgabe der „Morgana“, die ihre Mutter für sie abonniert hatte. Sie blätterte durch die Zeitschrift und blieb bei der Ratgeber-Rubrik hängen. Nein, das konnte sie nicht tun. Es würde ihr nur Probleme machen. Wobei, eigentlich taten es doch alle, oder nicht?

Die Zutaten hatte sie da. Sie verrührte Zinnkraut und Parakresse mit Beinwellblüten in ihrem Kessel und gab Schneckenschleim und Fliegenbeine hinzu. Während das Gebräu vor sich hin köchelte, fragte sie sich, ob der Insta-Filter-Trank hielt, was er versprach. Es roch jedenfalls vielversprechend eklig. Nach einer weiteren halben Stunde war es so weit. Sie goss sich einen großen Becher ein und trank ihn in einem Zug leer. Beim Blick in den Spiegel sprang sie vor Freude in die Luft. Ihre langen seidigen Haare sahen jetzt stumpf und glanzlos aus, ihr vorher makelloses Gesicht war von Warzen übersät und die Zähne leuchten gelb. Doch am glücklichsten machte sie ihre Nase, auf der ein großer Furunkel prangte. Schnell machte sie einige Bilder von sich und lud sie in ihre Glaskugel. Es konnte losgehen. Minerva hob die Hände und sagte bestimmt: „Tinderidim“. Sofort wurden ihr mögliche Partner angezeigt. Sie drehte ihre Glaskugel nach rechts, wenn ihr jemand gefiel, oder nach links, wenn sie ihn nicht mochte. Es war so einfach, doch bei ihren bisherigen Versuchen hatte sich nur eine halbausgewickelte Mumie und ein Troll, der keinen geraden Satz schreiben konnte, für sie interessiert.

Ihr neues Bild schien Wunder zu wirken. In leuchtend grüner Schrift ploppte ein Schriftzug nach dem anderen über ihrer Kugel auf. Wem sollte sie zuerst schreiben? Dem Hexenmeister, der teure Besen sammelte, dem flauschigen Werwolf oder dem Golem, der seine riesigen Muskeln zur Schau stellte? Sie entschied sich, einem Zombie zu antworten, dessen Gesicht herrlich verwest war. Er machte ihr Komplimente für ihre krumme Nase, sie verliebte sich ein wenig in seine seelenlosen Augen. Sie schrieben sich bis spät in die Nacht und selbst danach konnte Minerva nicht einschlafen. Sie stellte sich schon vor, wie sie den Zombie mit zu ihren Eltern brachte. Er würde das Sofa mit Blut besudeln und ihre Mutter würde hin und weg sein.

Vor dem ersten Treffen war Minerva nervös. Sie hatte sich in einer auf Altkleider spezialisierten Boutique ein altes zerschlissenes Kleid gekauft und kontrollierte ständig im Spiegel, ob der Insta-Filter-Trank noch wirkte. Als sie die Bar der Untoten betrat, erkannte sie ihn gleich. Mit einem Lächeln, das sicherstellen sollte, dass ihre gelben Zähne gut zur Geltung kamen, trat sie an seinen Tisch. Er stand auf, verbeugte sich und reichte ihr einen Strauß Langgriffliger Rosenwaldmeister. Sie roch an den zarten rosa Blüten, die wunderbar nach nassem Fuchsfell dufteten. Ihr Herz kribbelte. Doch von da an ging es bergab. Der Zombie redete nur über sich.
Der Tiefpunkt war gekommen, als er von seiner Ex schwärmte: „Sie war großartig. Jedenfalls am Anfang. Sie hat mir jeden Morgen die Kleider mit frischem Kaninchenblut bespritzt. Aber ich denke, für eine talentierte Hexe wie dich sollte das kein Problem sein. Gibt es Sprüche, mit denen du den Haushalt schneller erledigen kannst? Du weißt schon, dann haben wir mehr zeit für andere Sachen.“ Er zwinkerte ihr zu und dabei fiel ihm fast ein Auge aus der Höhle.

Am nächsten Tag schrieb Minerva ihm, dass sie ihn auf keinen Fall wiedersehen wollte, und schickte eine Nachricht an den Hexenmeister mit den teuren Besen. Das Treffen mit ihm verlief harmonischer. Er war charmant und zeigte Interesse für ihre Hobbys. Es schlug sogar vor, gemeinsam Besenballett zu tanzen.
Minerva strahlte ihn an: „Das sollten wir unbedingt machen. Bitte entschuldige mich kurz, ich muss meine Nase mit Krötenpaste einreiben.“
Als sie von der Toilette kam, stand ein Kelch auf ihrem Platz. Die Flüssigkeit darin funkelte und leuchtete orange-grün.
„Ich habe mir erlaubt, einen exquistien Drink für uns zu bestellen.“ Er hob seinen Kelch. „Zum Wohl.“
Vorsichtig nippte Minerva an ihrem Kelch. Das Getränk prickelte auf ihrer Zunge. Es schmeckte leicht faulig. „Hmmm, sehr lecker.“ Sie nahm ein paar große Schlucke. „Was ist denn da drin?“ Sie fühlte sich etwas merkwürdig, fast schwerelos und ihr Gesicht kribbelte.
„Ach, dies und das. Die Spezialzutat ist Meerträubel.“
Minerva wurde heiß und kalt gleichzeitig. Meerträubel war das Gegenmittel zu dem Insta-Filter-Trank. Panisch überlegt sie, ob sie irgendwie entkommen könnte. Aber sie spürte, dass ihr dazu keine Zeit blieb. Ihr blieb nur zu hoffen, dass er sie so mögen würde, wie sie war. Sie konnte sich sowieso nicht ewig vor ihm verstecken.
Sein smartes Lächeln zerfloss zu einer hässlichen Fratze. „Hab ich es mir doch gedacht. Ihr Hexen seit alle gleich. Guck dich an. Makellose Haut und eine Stupsnase. Abstoßend. Da helfen dir billige Tricks aus einer Zeitschrift auch nicht.“ Er stand auf und verschwand ohne ein weiteres Wort.
Minerva liefen Tränen über das Gesicht. Schadenfroh starrten die Gäste an den anderen Tischen sie an. So gedemütigt hatte sie sich noch nie gefühlt.

Zuhause steuerte sie gleich auf die Glaskugel zu: „Tinderidim discedo“. Weg waren die blöden Fotos und Nachrichten. Sie sah sich im Raum um. Die restlichen Kräuter und den Schneckenschleim kippte sie auf den Komposthaufen, wo sich gleich ein paar Käfer in Schmetterlinge verwandelten. Dann entsorgte sie sämtliche Ausgaben der „Morgana“. „Und was mache ich jetzt?“, fragte sie sich selbst. Sie schnappte sich ihren Besen und flog über den Wald. Der Wind zerzauste ihr Haar und sie schrie so laut sie konnte. Plötzlich hatte sie eine Idee: „Perscribo!“ Dann machte sie einige Loopings und schraubte sich in halsbrecherischen Schrauben nach unten.
Sie flog zurück zu ihrem kleinen Haus. Dort hob sie wieder die Hände über ihre Glaskugel. „Hextex!“ Sie lud die Aufzeichnung von ihrem Flug in die Glaskugel. Schon nach wenigen Minuten schwebte das erste grüne Herzchen über der Kugel. „Wirklich tolle Tricks, die du gezeigt hast. Mir gefällt aber besonders gut, dass du ganz natürlich bist und keinen Filter-Trank benutzt hast. Wen interessiert es, ob man eine Stupsnase hat, wenn man solche Stunts kann?“
 

VeraL

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Hallo molly,
vielen Dank, das freut mich. Ich hatte auch sehr viel Spaß beim Schreiben :)
Viele Grüße
Vera
 

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Das sprüht nur so vor Witz und liebevollen Details, liebe VeraL!

Auch ich habe mich herrlich unterhalten gefühlt. Und die Botschaft könnte fantasievoller und mit mehr Liebe zum witzigen Detail nicht formuliert sein!
Sehr gerne gelesen!

LG,
fee
 
Hallo Vera,

Du hast es mal wieder geschafft, mit Deiner Geschichte eine Fröhlichkeit und Leichtigkeit zu verströmen, wie man sie selten findet. Die Ironie beim Erzählen kommt dabei ebenfalls nicht zu kurz. Schönheit liegt schließlich im Auge des Betrachters.

Liebe Grüße,
 



 
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