Marie Wilhelmsen
Mitglied
„Bleib doch noch ein wenig!“
Es war nicht nur eine Bitte, es war ein Flehen, und tief in meinem Inneren wusste ich, dass ich das Falsche tat. Bevor die Erkenntnis aber noch an die Oberfläche treten und Gestalt annehmen konnte, war sie auch schon wieder verschwunden. Verschluckt von der Angst vor der Trostlosigkeit des heraufziehenden Tages und vor der Einsamkeit, die der mir bringen würde.
Er, der das Ziel meines Flehens war, hatte sich schon auf den Weg gemacht, dorthin, wo er den Tag verbrachte. Zu einem Platz, den ich nicht kannte, und zu dem ich ihm nicht folgen konnte. Ängstlich sah ich auf seinen Rücken. Würde er zurückkommen zu mir oder würde er meinen Wunsch ignorieren?
Ich bebte, da sah ich, wie er innehielt.
Er drehte sich langsam um und blickte mich verwundert an. Bislang hatte ich es noch nie gewagt, eine Bitte an ihn zu richten. Heute jedoch war es mir nicht gelungen, die Beklommenheit, die mich immer dann überfiel, wenn er mich verließ, zu beherrschen, und so fasste ich mir ein Herz und rief ihn an, doch noch zu bleiben.
Er kam zurück zu mir, und ich konnte mein Glück kaum fassen. Er stieg in mein Bett und umarmte mich erneut, und ich fühlte mich unbesiegbar. Er war stark und warm, ein großer Mann mit einem Körper, der mir Schutz versprach, Mut und weitere Träume.
Er hielt mich fest bei sich. Er erfüllte mich mit seiner Nähe, labte meinen Körper und meine Seele. Er gab mir Kraft für den Tag, an dem ich nichts haben würde als die Erinnerung an die Nacht, und an dem mich die Sehnsucht nach ihm in manchen Momenten überwinden und zu Tränen treiben würde.
Tränen der Einsamkeit, des Gefühls, verlassen und gänzlich ohne Mut zu sein ... ausgeliefert zu sein, wem und was auch immer ... und auch wieder besiegt!
Nur in ganz seltenen Fällen, wenn ich glaubte, nicht mehr atmen zu können vor Beklemmung und Schmerz, wenn mir schlecht war von dem Gefühl der Ausweglosigkeit, war es mir möglich, ihn auch am Tag herauf zu beschwören. Dann zeigte er sich, schemenhaft nur, aber doch immerhin Hoffnung auf mehr, auf die Begegnung zu später Stunde.
Doch es gab auch Nächte, in denen es mir nicht gelang, ihn dazu zu bewegen zu mir zu kommen. Dann wartete und hoffte ich vergeblich, lief unruhig durch die Zimmer und gelangte schließlich zu der niederschmetternden Überzeugung, ihn für immer verloren zu haben. Dann durchdrang das Dunkel der Nacht jede Faser meines Körpers, jeder Hoffnungsschimmer ging unter, und ich hatte Angst, dann war ich Angst, über und über Angst und Verzweiflung.
Zugeben, diese Nächte waren selten, aber sie passierten, und mir graute vor ihnen.
Wenn er mich nun zurückließ, nicht kam, nie mehr kam womöglich, was sollte ich dann tun?
Immer wieder dachte ich diese Frage. Sie begann mich zu beherrschen, das Szenario drängte sich auf, und statt es von mir zu weisen, nahm ich es und schmückte es aus.
Würde ich einen Weg finden, auf dem ich ihm folgen könnte?
Würde er mir überhaupt gestatten, ihm zu folgen?
Was, wenn ich mit dem Versuch alles zerstörte und mir gar nichts mehr bliebe, nicht bei Nacht und bei Tag ohnedies nicht?
Die Tage, die auf eine Nacht ohne ihn folgten, waren schrecklich. Tage zwischen Hoffen und Bangen.
Die Stunden vergingen zu schnell, was wenn es Nacht war und er käme nicht?
Die Stunden vergingen zu langsam, wenn es nur endlich Nacht wäre, er würde doch sicher kommen - oder?
Die alten Muster, nach denen ich handelte, wollte ich nicht sehen, und ich verschloss meine Augen fest vor der Tatsache, dass es immer schon so gewesen war.
Jeden Mann, mit dem ich eine Beziehung eingegangen war, hatte ich irgendwann dringend gebeten, mich nicht allein zu lassen, sondern bei mir zu bleiben ... am besten vierundzwanzig Stunden am Tag!
Funktioniert hatte das nie.
Alle waren sie gegangen, alle hatten sie mich verlassen, der Einsamkeit übereignet, der Hilflosigkeit und der Verzweiflung.
Aber ich kann nicht alleine sein. Wie ein Alp lastet dann die Stille auf mir, nimmt mir den Atem, lähmt mich.
Also erdachte ich mir einen Gefährten.
Einen, den mir keine andere würde nehmen können, der keine Interessen hätte neben mir und keine Freunde ...
Doch dann überfielen mich die gleichen Ängste wie schon zuvor. Das Geschöpf, das meiner Vorstellung entsprungen war, schien sich zu verselbstständigen und immer wieder auch eigene Wege zu gehen.
Wenn er bei mir war, und das war er oft, dann war es schön. Hätte mein Misstrauen mir nicht den Blick verstellt, dann hätte ich das auch sehen und Vertrauen fassen können. Doch ich vermochte es nicht, nicht dauerhaft zumindest. Die Zweifel ließen mich nicht los, und es gelang mir nicht, sie in die Flucht zu schlagen. Also stellte ich immer öfter Fragen und machte Bemerkungen.
Diejenigen Fragen, die ich immer schon gestellt, diejenigen Bemerkungen, die ich immer schon gemacht hatte. Sie zielten darauf ab, mich seiner zu versichern, seiner absoluten Hinwendung, die ausschließlich mir gelten sollte.
Er reagierte so, wie die Männer vor ihm es auch getan hatten:
Erst war er amüsiert, dann runzelte er die Stirn, dann wurde er ärgerlich, sprach schließlich von Grenzüberschreitung. Mein Ego war beleidigt und tobte, mein Herz tat weh, und alles in mir weinte.
Er kam immer noch so gut wie jede Nacht, und doch entfernte er sich zusehends von mir. Ich grübelte und fragte ... ihn ... mich selber. Er war ich und ich war er, und wir drehten uns im Kreis, und wir fanden den Ausgang nicht.
Seit zwei Nächten schon ist er nicht mehr bei mir gewesen ... ich weiß nicht ein und nicht aus ... bin wie betäubt ... kann nicht denken ... schleppe mich durch die Wohnung ... vom Bett ins Bad – zur Couch - zu einem Stuhl am Küchenfenster...
Seit einer Woche schon herrscht brütende Hitze ... es ist August ... Hundstage.
Die Hitze ist in alle Räume gedrungen, auch die Nächte brachten kaum Abkühlung.
Heute Morgen nun ist Wind aufgekommen und im Westen steht dunkel eine Wolkenbank.
Nicht lange, dann wird aus dem Wind Sturm werden, der wird die Wolken herantreiben, Blitz und Donner werden sie begleiten, und sie werden ihre Regenlast über der Stadt abladen.
Ich stehe am Küchenfenster und sehe auf die Bäume des weitläufigen Innenhofs.
Ihr Laub ist dunkelsommergrün und hitzeschlaff, und der bleigraue Himmel drückt die Stadt in den Staub. Alles ist still, die Welt holt Atem, gleich geht es los ...
Ein Fenster fällt krachen zu, die Bäume biegen sich im Sturm und erste Blitze durchzucken die Wolken.
In der Fensterscheibe sehe ich mein Spiegelbild. Teilnahmslos betrachte ich eine Frau, der die schwarzgefärbten und sehr kurz geschnittenen Haare wie Stacheln vom Kopf abstehen, sehe in kleine, müde Augen, deren Farbe ich nicht ausmachen kann ... blutleere Lippen bilden kaum einen Kontrast zu bleicher Haut.
Und dann ist er da.
Wieder nur ein Schemen, überlagert sein Gesicht meins. Aus meinen Augen sieht er uns an, und ich weiß, es ist vorbei. Nun wird er mich verlassen, davonfliegen mit den Wolken im Sturm und zurückkehren wird er niemals mehr.
Nun, da meine Träume davongezogen sind und alle Kraft mich verlassen hat, sinke ich auf den Stuhl beim Fenster und weiß, dass ich verloren habe ... mich verloren habe.
Irgendwo in der Vergangenheit ist mir erst das Vertrauen in mich selber abhandengekommen, dann das in die Menschen meiner Umgebung, mein Leben ist mir entglitten und schließlich ich mir selber.
Wie in einem Dominospiel die Steine fallen, so ist auch das eine Reaktion des einen auf das andere, und ich weiß, wenn ich die Steine nicht stoppe, dann wird sich nichts ändern.
Nur wie?
Wie soll ich verhindern, dass der nächste Stein fällt und einen weiteren mit sich reißt ... wieder und wieder?
Wie soll ich das Vertrauen wiederfinden?
Ich weiß ja noch nicht einmal, wo ich es verloren habe...
Es war nicht nur eine Bitte, es war ein Flehen, und tief in meinem Inneren wusste ich, dass ich das Falsche tat. Bevor die Erkenntnis aber noch an die Oberfläche treten und Gestalt annehmen konnte, war sie auch schon wieder verschwunden. Verschluckt von der Angst vor der Trostlosigkeit des heraufziehenden Tages und vor der Einsamkeit, die der mir bringen würde.
Er, der das Ziel meines Flehens war, hatte sich schon auf den Weg gemacht, dorthin, wo er den Tag verbrachte. Zu einem Platz, den ich nicht kannte, und zu dem ich ihm nicht folgen konnte. Ängstlich sah ich auf seinen Rücken. Würde er zurückkommen zu mir oder würde er meinen Wunsch ignorieren?
Ich bebte, da sah ich, wie er innehielt.
Er drehte sich langsam um und blickte mich verwundert an. Bislang hatte ich es noch nie gewagt, eine Bitte an ihn zu richten. Heute jedoch war es mir nicht gelungen, die Beklommenheit, die mich immer dann überfiel, wenn er mich verließ, zu beherrschen, und so fasste ich mir ein Herz und rief ihn an, doch noch zu bleiben.
Er kam zurück zu mir, und ich konnte mein Glück kaum fassen. Er stieg in mein Bett und umarmte mich erneut, und ich fühlte mich unbesiegbar. Er war stark und warm, ein großer Mann mit einem Körper, der mir Schutz versprach, Mut und weitere Träume.
Er hielt mich fest bei sich. Er erfüllte mich mit seiner Nähe, labte meinen Körper und meine Seele. Er gab mir Kraft für den Tag, an dem ich nichts haben würde als die Erinnerung an die Nacht, und an dem mich die Sehnsucht nach ihm in manchen Momenten überwinden und zu Tränen treiben würde.
Tränen der Einsamkeit, des Gefühls, verlassen und gänzlich ohne Mut zu sein ... ausgeliefert zu sein, wem und was auch immer ... und auch wieder besiegt!
Nur in ganz seltenen Fällen, wenn ich glaubte, nicht mehr atmen zu können vor Beklemmung und Schmerz, wenn mir schlecht war von dem Gefühl der Ausweglosigkeit, war es mir möglich, ihn auch am Tag herauf zu beschwören. Dann zeigte er sich, schemenhaft nur, aber doch immerhin Hoffnung auf mehr, auf die Begegnung zu später Stunde.
Doch es gab auch Nächte, in denen es mir nicht gelang, ihn dazu zu bewegen zu mir zu kommen. Dann wartete und hoffte ich vergeblich, lief unruhig durch die Zimmer und gelangte schließlich zu der niederschmetternden Überzeugung, ihn für immer verloren zu haben. Dann durchdrang das Dunkel der Nacht jede Faser meines Körpers, jeder Hoffnungsschimmer ging unter, und ich hatte Angst, dann war ich Angst, über und über Angst und Verzweiflung.
Zugeben, diese Nächte waren selten, aber sie passierten, und mir graute vor ihnen.
Wenn er mich nun zurückließ, nicht kam, nie mehr kam womöglich, was sollte ich dann tun?
Immer wieder dachte ich diese Frage. Sie begann mich zu beherrschen, das Szenario drängte sich auf, und statt es von mir zu weisen, nahm ich es und schmückte es aus.
Würde ich einen Weg finden, auf dem ich ihm folgen könnte?
Würde er mir überhaupt gestatten, ihm zu folgen?
Was, wenn ich mit dem Versuch alles zerstörte und mir gar nichts mehr bliebe, nicht bei Nacht und bei Tag ohnedies nicht?
Die Tage, die auf eine Nacht ohne ihn folgten, waren schrecklich. Tage zwischen Hoffen und Bangen.
Die Stunden vergingen zu schnell, was wenn es Nacht war und er käme nicht?
Die Stunden vergingen zu langsam, wenn es nur endlich Nacht wäre, er würde doch sicher kommen - oder?
Die alten Muster, nach denen ich handelte, wollte ich nicht sehen, und ich verschloss meine Augen fest vor der Tatsache, dass es immer schon so gewesen war.
Jeden Mann, mit dem ich eine Beziehung eingegangen war, hatte ich irgendwann dringend gebeten, mich nicht allein zu lassen, sondern bei mir zu bleiben ... am besten vierundzwanzig Stunden am Tag!
Funktioniert hatte das nie.
Alle waren sie gegangen, alle hatten sie mich verlassen, der Einsamkeit übereignet, der Hilflosigkeit und der Verzweiflung.
Aber ich kann nicht alleine sein. Wie ein Alp lastet dann die Stille auf mir, nimmt mir den Atem, lähmt mich.
Also erdachte ich mir einen Gefährten.
Einen, den mir keine andere würde nehmen können, der keine Interessen hätte neben mir und keine Freunde ...
Doch dann überfielen mich die gleichen Ängste wie schon zuvor. Das Geschöpf, das meiner Vorstellung entsprungen war, schien sich zu verselbstständigen und immer wieder auch eigene Wege zu gehen.
Wenn er bei mir war, und das war er oft, dann war es schön. Hätte mein Misstrauen mir nicht den Blick verstellt, dann hätte ich das auch sehen und Vertrauen fassen können. Doch ich vermochte es nicht, nicht dauerhaft zumindest. Die Zweifel ließen mich nicht los, und es gelang mir nicht, sie in die Flucht zu schlagen. Also stellte ich immer öfter Fragen und machte Bemerkungen.
Diejenigen Fragen, die ich immer schon gestellt, diejenigen Bemerkungen, die ich immer schon gemacht hatte. Sie zielten darauf ab, mich seiner zu versichern, seiner absoluten Hinwendung, die ausschließlich mir gelten sollte.
Er reagierte so, wie die Männer vor ihm es auch getan hatten:
Erst war er amüsiert, dann runzelte er die Stirn, dann wurde er ärgerlich, sprach schließlich von Grenzüberschreitung. Mein Ego war beleidigt und tobte, mein Herz tat weh, und alles in mir weinte.
Er kam immer noch so gut wie jede Nacht, und doch entfernte er sich zusehends von mir. Ich grübelte und fragte ... ihn ... mich selber. Er war ich und ich war er, und wir drehten uns im Kreis, und wir fanden den Ausgang nicht.
Seit zwei Nächten schon ist er nicht mehr bei mir gewesen ... ich weiß nicht ein und nicht aus ... bin wie betäubt ... kann nicht denken ... schleppe mich durch die Wohnung ... vom Bett ins Bad – zur Couch - zu einem Stuhl am Küchenfenster...
Seit einer Woche schon herrscht brütende Hitze ... es ist August ... Hundstage.
Die Hitze ist in alle Räume gedrungen, auch die Nächte brachten kaum Abkühlung.
Heute Morgen nun ist Wind aufgekommen und im Westen steht dunkel eine Wolkenbank.
Nicht lange, dann wird aus dem Wind Sturm werden, der wird die Wolken herantreiben, Blitz und Donner werden sie begleiten, und sie werden ihre Regenlast über der Stadt abladen.
Ich stehe am Küchenfenster und sehe auf die Bäume des weitläufigen Innenhofs.
Ihr Laub ist dunkelsommergrün und hitzeschlaff, und der bleigraue Himmel drückt die Stadt in den Staub. Alles ist still, die Welt holt Atem, gleich geht es los ...
Ein Fenster fällt krachen zu, die Bäume biegen sich im Sturm und erste Blitze durchzucken die Wolken.
In der Fensterscheibe sehe ich mein Spiegelbild. Teilnahmslos betrachte ich eine Frau, der die schwarzgefärbten und sehr kurz geschnittenen Haare wie Stacheln vom Kopf abstehen, sehe in kleine, müde Augen, deren Farbe ich nicht ausmachen kann ... blutleere Lippen bilden kaum einen Kontrast zu bleicher Haut.
Und dann ist er da.
Wieder nur ein Schemen, überlagert sein Gesicht meins. Aus meinen Augen sieht er uns an, und ich weiß, es ist vorbei. Nun wird er mich verlassen, davonfliegen mit den Wolken im Sturm und zurückkehren wird er niemals mehr.
Nun, da meine Träume davongezogen sind und alle Kraft mich verlassen hat, sinke ich auf den Stuhl beim Fenster und weiß, dass ich verloren habe ... mich verloren habe.
Irgendwo in der Vergangenheit ist mir erst das Vertrauen in mich selber abhandengekommen, dann das in die Menschen meiner Umgebung, mein Leben ist mir entglitten und schließlich ich mir selber.
Wie in einem Dominospiel die Steine fallen, so ist auch das eine Reaktion des einen auf das andere, und ich weiß, wenn ich die Steine nicht stoppe, dann wird sich nichts ändern.
Nur wie?
Wie soll ich verhindern, dass der nächste Stein fällt und einen weiteren mit sich reißt ... wieder und wieder?
Wie soll ich das Vertrauen wiederfinden?
Ich weiß ja noch nicht einmal, wo ich es verloren habe...