Der Frieden von Leichlingen

Der ICE rauscht durch die norddeutsche Tiefebene, draußen wenig Abwechslung fürs Auge. Ansgar Jester befindet sich auf dem Rückweg zur Akademie Hofnarr ® in Hohenlimburg. Die vergangenen Wochen der Ruhe hatten seine Energiespeicher wieder aufgeladen und voller Elan durchforstet er nun angesammelte E-Mails; überwiegend Routinekram, stellt er fest. Nur eine Nachricht, deren Absender ihm nicht geläufig ist, sticht hervor: Unnur Gunnarsdottir aus Skagafjörður in Island - nie von der gehört. Das Anliegen dieser guten Frau von der Insel hoch oben im Nordatlantik erweckt sofort Ansgars gesteigertes Interesse. Frau Gunnarsdottir berichtet von einem Wasserballspiel zweier Frauenmannschaften in Rom, das die italienische Auswahl gegen eine Islandauswahl gewonnen hatte, allerdings nur aufgrund gravierender Fehlentscheidungen der slowenischen Schiedsrichterinnen. Die Nordfrauen reisten daraufhin unter Protest ab und blickten kurz vor der Zwischenlandung in Köln-Bonn auf ein einzigartiges Spektakel in der Kölner Innenstadt. Es zog an diesem Tag, es war der Rosenmontag, ein riesiger Umzug durch die Straßen: Hunderttausende bunt gekleidete fröhliche Menschen, mehr als ihr Heimatland Einwohner hat. Dieses muntere Treiben erschien ihnen äußerst verlockend. Die Sportlerinnen nahmen ihren Anschlussflug nicht wahr und blieben im Zentrum des närrischen Treibens, um ihren Frust abzureagieren. So etwas kannten sie aus ihrer kalten Heimat nicht. Feiernde Frohnaturen so weit das Auge reicht, die sich in bunten Kostümen einer Massenorgie hinzugeben scheinen – eine größere Menge Alkohol war offensichtlich auch im Spiel. Ein Grund mehr für die Frauen des Nordens, sich in dieses Freudenkollektiv zu stürzen, um mitzufeiern.

Was sie dann in ihre Heimat mitbrachten, war ein gewaltiger Alkoholkater und flirrende Erinnerungen an eine durchfeierte Nacht. Und in dieser Nacht hatten sie sich nicht nur in einen Alkoholrausch gesteigert, sondern auch eine grandiose Idee kreiert, origineller als jede noch so kuriose Schnapsidee. Zwar kannten sie den historischen Hintergrund des Karnevals nicht genau, hatten aber verstanden, dass beim Feiern spezielle Themen abgearbeitet werden, oftmals mit geschichtlichem Bezug. Die Wikingerinnen beschlossen, gewissermaßen als Revanche, die römischen Wasserballfrauen zu einem Wettkampf ins deutsche Rheinland zu locken. Es sollte die Varusschlacht im Teutoburger Wald im Jahre 9 n. Chr. karnevalistisch nachgestellt werden; beide Parteien in dazu passenden Kostümierungen. Das Rheinland, irgendwo zwischen Island und Italien gelegen, bot sich als neutraler Boden an und läge auch klimatisch in der Mitte. Vorgesehen war ein Termin im Mai, wenn die einheimischen Jecken wieder zur Ruhe gekommen sind. Die Römerinnen willigten ein.
Bei diesem Showkampf sollte nach Unnurs Vorstellung Hofnarr® Ansgar Jester die humorige Choreographie übernehmen - dieser erklärte sich gerne dazu bereit. Sein einziger Einwand, seinerzeit hätten keine Wikinger am Kampf teilgenommen, wurde postwendend ausgeräumt; Norden bleibt Norden, man wäre schließlich germanisch und äußerst solidarisch. Und so kam es im Eichenhofpark, in der Nähe der kleinen Stadt Leichlingen an dem Fluss Wupper, zwischen den Karnevalshochburgen Köln und Düsseldorf gelegen, zu einem der bedeutendsten Ereignisse des rheinischen Nach-Karnevals im April anno 2024 n. Chr.

Aus südlicher Richtung kommend, vorbei an der Stadt Köln, zog ein vielbeiniger Tross als römische Legionärinnen verkleidet an die Wupper. Dort stand schon in identischer Anzahl das Heer der Wikingerinnen am Ufer des kleinen Flusses. Es war ein durchaus körperlicher Kampf vorgesehen, in dem allerdings nur 'weiche' Waffen zum Einsatz kommen sollten. Die römische Truppe hatte neben Schwertern und Lanzen aus halbfestem Schaumstoff noch Konfettikanonen mitgebracht, aus denen mit kleinen Mozzarella-Kugeln, gefüllt mit Tomatenmark, geschossen werden sollte. Die Isländerinnen waren ebenfalls mit weichen Hieb- und Stichwaffen ausgerüstet und wollten ihre Truppe mit Schneekanonen unterstützen, die mit halbgefrorenen Partikeln ihres Nationalgetränks, Skyr, schießen würden. Den Bewohnern der beiden miteinander karnevalistisch konkurrierenden Städte Köln und Düsseldorf waren diese Aufmärsche nicht verborgen geblieben und eine nicht unerhebliche Anzahl von Jecken zog mit, man wollte sich solch ein Ereignis, praktisch vor der eigenen Haustür, nicht entgehen lassen. Beide Fraktionen fanden in ihrem Fundus dazu thematisch annähernd passende Kostüme, sodass die beiden feindlichen Heere um eine gewaltige, bunte Schar vergrößert wurde. Kostüme, die einigermaßen nahe am Thema lagen, wie die von Raubrittern, Gladiatoren, Galeerensklaven, Piraten u. ä. waren akzeptabel und gaben dem Ganzen ein spezielles Ambiente. Und dann ging's los - unter der Regie Ansgar Jesters. Die cleveren Römerinnen hatten als Hilfsmittel Pontonteile dabei, mit denen sie zügig über die Wupper wollten. Die Isländerinnen hielten mit einem Dauerfeuer halbgefrorenen Skyrs dagegen und etwa in der Mitte des Flusses hieben die Kontrahentinnen laut schreiend mit ihren Weichwaffen aufeinander ein, unter heftigem Streufeuer aus Mozzarella und Skyr. Gegen Sonnenaufgang sanken dann alle erschöpft in die Knie und feierten am Flussufer gemeinsam das 'Kriegsende' – Ergebnis Unentschieden, mit leichten Vorteilen auf der isländischen Seite. Ansgar Jester hatte die gesamte Schlacht aus der Luft aus einem Zeppelin beobachtet, von wo aus er per Funk seinen am Getümmel beteiligten Mitarbeitern der Abteilung humoristische Choreographie Regieanweisungen erteilte. Zur Dokumentation wurde das gesamte Geschehen von einer Drohne von oben gefilmt. Ein Wahnsinnsspektakel. Dieses Video wurde dann um eine Sequenz erweitert, das beide Parteien nach der Schlacht in historischen Kostümen im Leichlinger Rathaus beim Unterzeichnen des 'Friedensvertrags' zeigte. Beide Seiten, Römerinnen und Isländerinnen, schworen, ewigen Frieden zu halten. Die Abordnungen aus Köln und Düsseldorf schauten bedröppelt auf dieses würdevolle Zeremoniell; bei ihnen gibt es bekannterweise für karnevalistischen Frieden noch viel Luft nach oben.

Wie dieser Film nach Los Angeles gelangte, ist nicht bekannt. Ansgar Jester sah es jedenfalls als große Ehre an, von dort das Angebot zu erhalten, das Drehbuch für einen Monumentalfilm zu schreiben. So etwas geht bei den Studiobossen in Hollywood immer: Historien-Spektakel in Europa, Römer vs. Germanen, selbst wenn es um das Genre Humor geht. Arbeitstitel des geplanten Films, DER FRIEDEN VON LEICHLINGEN
 



 
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