Der ganz normale Wahnsinn

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Der Alltag wird erheblich liebens- und lebenswerter, wenn wir ihn nicht allzu ernst nehmen. Und das sogar oder gerade beim Lebensmittel-Discounter.

„Ja, wo steht denn hier das Salz?“
Die schmale kleine alte Frau dreht sich im Supermarkt zu mir um und beäugt mich, als stünde sie vor einem hohen Stapel mit Salzpaketen.
Von oben herab schaue ich auf ihre in der Kopfmitte gescheitelte Lockenfrisur, die rechts und links vom Scheitel gleichmäßig einige Zentimeter lang ergraut ist, während zwischen den restlichen moppartig abstehenden schwarz gefärbten Locken noch stellenweise ein goldroter Schimmer für vermutlich ungewollte Abwechselung sorgt.
Plötzlich beginnt die zierliche Frau irgendwie übertrieben hektisch in ihrer Handtasche zu kramen.
„Wo ist denn meine Lupe? Hab sie wahrscheinlich wieder auf dem Küchentisch liegen lassen. Werde immer vergesslicher. Immer vergesslicher.“ Sie wühlt weiter. „Habe mir letzte Woche sogar noch eine zweite Lupe gekauft. Die Dinger sind ziemlich teuer. Ich sehe nämlich nicht so gut. Bin vor zwei Wochen an den Augen operiert worden. Aber die zweite Lupe kann ich auch nicht finden. Wollen Sie mal gucken?“
Einladend hält sie mir ihre geöffnete abgeschabte Lederhandtasche unter die Nase, vor der sich eine Duftwolke schweren Parfüms entfaltet.
„Sie können ruhig drin rumwühlen.“ Ermuntert sie mich lächelnd. „Hauptsache, Sie finden meine Lupe.“
Mit spitzen Fingern beginne ich die Suche, schiebe Lippenstifte und Tablettenschachteln beiseite, krame zwischen Papiertaschentüchern, Parfümflaschen, Nagelfeilen und Sicherheitsnadeln.
„Tut mir Leid, ich kann sie auch nicht finden.“ Ich reiche ihr die Tasche zurück.
Unter der grau-schwarz-roten Moppfrisur seufzt es ungewöhnlich heftig.. „Was soll ich denn jetzt machen? Ich muss doch sehen können, was ich einkaufe. Haben Sie vielleicht ein wenig Zeit übrig und können mit… .“ In ihrem kleinen, aber großfaltigen Gesicht macht sich ein ziemlich gequältes Lächeln breit.
„Na, gut.“ Lenke ich ein. „Aber viel Zeit habe ich wirklich nicht.“ Ich schiebe meinen Einkaufswagen an die Seite, lasse ihn stehen und nehmen den ihren.
„Wir können uns ja beeilen. Ach, wissen Sie, mein Gedächtnis, vor allem mein Kurzzeitgedächtnis, ist wirklich nicht mehr das allerbeste. Aber zusammen werden wir es bestimmt schaffen.“ Sie legt mir einen Arm um die Hüfte und schiebt mich in den Gang mit den Obst- und Gemüse-Ständen. „Und wenn wir nachher noch mal nach dem Salz sehen! Das darf ich auf keinen Fall vergessen. Hier brauche ich nur ein paar Birnen und Bananen.“
Ich legte ihr eine Staude der noch grün-gelben Früchte sowie eine Packung mit 6 Birnen in ihren Einkaufswagen. „Sind das auch Bio-Bananen?“ Sie schaut mich von unten misstrauisch an.
„Selbstverständlich. Die Banen sind sogar fairtrade.“
Zufrieden tätschelt sie mir den Unterarm.
„Und jetzt brauche ich noch Milch, Bio-Milch und irische Butter. Die kommt von der grünen Insel und schmeckt mir immer am allerbesten.“
Vorsichtig schiebe ich ihren Einkaufswagen zur Kühltheke mit den Milchprodukten.
„Zweimal Vollmilch, bitte!“ Ihr Stimme wird immer piepsiger. „Und zwei Pakete Butter.“
Auch die lege ich ihr in den Wagen.
Die Kleine lächelt mich von unten an. Ausgerechnet große braune Augen hat sie, denen ich eigentlich nicht widerstehen kann. „Können wir vorn an der Kasse noch ein paar Blumen mitnehmen.“
„Selbstverständlich, wenn ich zunächst noch meinen Einkauf machen kann.“
Sie nickt und stellt sich vor die Kühltheke mit angeblich frischen Fischen. „Ich warte hier.“
Ich beeile mich, meinen Einkauf für die nächsten Tage so schnell wie möglich zusammenzustellen.
In kaum zehn Minuten bin ich wieder zurück an der Fischtheke. Die kleine braunäugige Alte ist nicht mehr dort. Im ersten Moment überlege ich, einfach zur Kasse zu gehen und nach Hause zu fahren. Doch dann begebe ich mich auf die Suche. Schließlich finde ich sie vor dem Regal mit Salz, Zucker und Mehl.
Sie lacht mich an. „Wir haben das Salz ganz vergessen.“
„Oh ja, stimmt.“
In ihrem Einkaufswagen kann ich kein Salz entdecken. Also greife ich nach einer Packung vom Stapel und lege die zu ihren anderen Einkäufen.
„Ist das auch Meersalz?“
„Ja, selbstverständlich. Aus dem Mittelmeer.“
Sie lacht. „Nach Griechenland ans Mittelmeer würde ich auch gern noch einmal reisen. Auf irgendeine kleine Insel.“ Versonnen lächelt sie vor sich hin.
„Können wir denn jetzt zur Kasse?“ Meine Stimme klingt unwirsch, während sie mir ihr unwiderstehlichstes Unschuldslächeln zeigt.
„Ein paar Blumen würde ich auch gern noch mitnehmen. Wenn es geht, rote Rosen.“
Vor den Laufbändern an der Kasse stehen immer einige Pastikeimer mit zumeist frischen Blumen.
Ich bleibe davor stehen, suche einen Strauß roter Rosen, die am frischsten wirken, aus und reiche ihn der zierlichen Alten. Sie nimmt den Strauß, versteckt ihre Nase darin, atmet tief ein und lacht. „Es ist lange her, dass mir ein Mann rote Rosen geschenkt hat. Wenn ich früher mit meinem Diethelm einkaufen ging, hat er immer Rosen gekauft.“
„Na gut, die bezahle ich.“ Gebe ich mich geschlagen und schiebe zuerst meinen Wagen neben das Laufband zur Kasse.
Meine wenigen Einkäufe sind schnell erledigt. Den Wagen stelle ich neben einen Tisch in der Einpackzone gehe zurück, schiebe ihren Einkaufswagen an das Laufband und beginne die Waren auf das Band zu legen. Sie hilft mir schweigend und lächelt.
Die Kassiererin zieht zügig die einzelnen Waren über jene kleine Glasscheibe hinter dem Laufband, die mit einem Piep bestätigt, dass sie die Ware und deren Preis erkannt hat. Zwischendurch schiebt sie immer einmal wieder ihre schon etwas altmodische Hochfrisur mit dem Handrücken zurecht.
Ich nehme alle registrierten Waren entgegen und lege sie hastig in den Einkaufswagen.
„Siebenunddreissig fünfundfünfzig!“ sagt die Kassierin schließlich und sieht mich erwartungsvoll an, während mir die kleine Alte ihr großes rotes prall gefülltes Portemonaie in die Hand drückt. Ich öffne den Reißverschluss, greife in das Fach mit den Scheinen und schließlich in das mit dem Kleingeld. Anstelle einiger Münzen bekomme ich eine zusammengeklappte Lupe zu fassen.
„Da ist sie ja!“ rufe ich und lege sie der Alten in die kleine faltige Hand, die sie aufhält, um ihre Geldbörse wieder in Empfang zu nehmen.
„Ich wusste doch, dass ich die Lupe eingesteckt habe.“ Die Stimme der Zierlichen klingt gespielt triumphierend. Der traurige Blick ihrer braunen Augen aber lässt mich antworten: „Es hat mir auch Spaß gemacht! Und nächstes Mal, falls wir uns hier wieder treffen, helfe ich Ihnen gern beim Suchen.“
Hastig schiebt die kleine Alte ihren Einkaufswagen zur Seite und umarmt mich lachend.
„Man muss sich als ältere Frau halt was einfallen lassen…!“
 

molly

Mitglied
Hallo Karl,

Deine Geschichte gefällt mir. Ich war direkt beim diesem Einkauf dabei.

Aber sollte sie nicht

Der ganz normale Wahnsinn

heißen?

Viele Grüße

molly
 

Ji Rina

Mitglied
Eine ganz normale, sehr liebvolle Geschichte!
Ach, und wie schön geschrieben...
Sehr gern gelesen!
Mit Gruss, Ji
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
„Man muss sich als ältere Frau halt was einfallen lassen…!“
Da hat sie wohl recht, lieber Karl.
Ich hab mich gut amüsiert, vor allem diese Formulierung
In ihrem kleinen, aber großfaltigen Gesicht
hat mir gefallen.
Ein paar Tippfehler sind noch drin
Ban[blue]an[/blue]en
P[blue]l[/blue]astikeimer
Kassier[blue]er[/blue]in
Portemon[blue]n[/blue]aie

und für meinen Geschmack könntest Du auch auf das eine oder andere Füllwort (noch, auch, immer, wieder) verzichten – ansonsten: gefällt mir!

Gruß Ciconia
 
Der Alltag wird erheblich liebens- und lebenswerter, wenn wir ihn nicht allzu ernst nehmen. Und das sogar oder gerade beim Lebensmittel-Discounter.

„Ja, wo steht denn hier das Salz?“
Die schmale kleine alte Frau dreht sich im Supermarkt zu mir um und beäugt mich, als stünde sie vor einem hohen Stapel mit Salzpaketen.
Von oben herab schaue ich auf ihre in der Kopfmitte gescheitelte Lockenfrisur, die rechts und links vom Scheitel gleichmäßig einige Zentimeter lang ergraut ist, während zwischen den restlichen moppartig abstehenden schwarz gefärbten Locken noch stellenweise ein goldroter Schimmer für vermutlich ungewollte Abwechslung sorgt.
Plötzlich beginnt die zierliche Frau irgendwie übertrieben hektisch in ihrer Handtasche zu kramen.
„Wo ist denn meine Lupe? Hab sie wahrscheinlich wieder auf dem Küchentisch liegen lassen. Werde immer vergesslicher. Immer vergesslicher.“ Sie wühlt weiter. „Habe mir letzte Woche sogar noch eine zweite Lupe gekauft. Die Dinger sind ziemlich teuer. Ich sehe nämlich nicht so gut. Bin vor zwei Wochen an den Augen operiert worden. Aber die zweite Lupe kann ich auch nicht finden. Wollen Sie mal gucken?“
Einladend hält sie mir ihre geöffnete abgeschabte Lederhandtasche unter die Nase, vor der sich eine Duftwolke schweren Parfüms entfaltet.
„Sie können ruhig drin rumwühlen.“ Ermuntert sie mich lächelnd. „Hauptsache, Sie finden meine Lupe.“
Mit spitzen Fingern beginne ich die Suche, schiebe Lippenstifte und Tablettenschachteln beiseite, krame zwischen Papiertaschentüchern, Parfümflaschen, Nagelfeilen und Sicherheitsnadeln.
„Tut mir Leid, ich kann sie auch nicht finden.“ Ich reiche ihr die Tasche zurück.
Unter der grau-schwarz-roten Moppfrisur seufzt es heftig.. „Was soll ich denn jetzt machen? Ich muss doch sehen können, was ich einkaufe. Haben Sie vielleicht ein wenig Zeit übrig und können mit… .“ In ihrem kleinen, aber großfaltigen Gesicht macht sich ein gequältes Lächeln breit.
„Na, gut.“ Lenke ich ein. „Aber viel Zeit habe ich wirklich nicht.“ Ich schiebe meinen Einkaufswagen an die Seite, lasse ihn stehen und nehmen den ihren.
„Wir können uns ja beeilen. Ach, wissen Sie, mein Gedächtnis, vor allem mein Kurzzeitgedächtnis, ist wirklich nicht mehr das allerbeste. Aber zusammen werden wir es bestimmt schaffen.“ Sie legt mir einen Arm um die Hüfte und schiebt mich in den Gang mit den Obst- und Gemüse-Ständen. „Und wenn wir nachher noch mal nach dem Salz sehen! Das darf ich auf keinen Fall vergessen. Hier brauche ich nur ein paar Birnen und Bananen.“
Ich legte ihr eine Staude der noch grün-gelben Früchte sowie eine Packung mit 6 Birnen in ihren Einkaufswagen. „Sind das auch Bio-Bananen?“ Sie schaut mich von unten misstrauisch an.
„Selbstverständlich. Die Banen sind sogar fairtrade.“
Zufrieden tätschelt sie mir den Unterarm.
„Und jetzt brauche ich noch Milch, Bio-Milch und irische Butter. Die kommt von der grünen Insel und schmeckt mir immer am allerbesten.“
Vorsichtig schiebe ich ihren Einkaufswagen zur Kühltheke mit den Milchprodukten.
„Zweimal Vollmilch, bitte!“ Ihr Stimme wird immer piepsiger. „Und zwei Pakete Butter.“
Auch die lege ich ihr in den Wagen.
Die Kleine lächelt mich von unten an. Ausgerechnet große braune Augen hat sie, denen ich nicht widerstehen kann. „Können wir vorn an der Kasse noch ein paar Blumen mitnehmen.“
„Selbstverständlich, wenn ich zunächst noch meinen Einkauf machen kann.“
Sie nickt und stellt sich vor die Kühltheke mit angeblich frischen Fischen. „Ich warte hier.“
Ich beeile mich, meinen Einkauf für die nächsten Tage so schnell wie möglich zusammenzustellen.
In kaum zehn Minuten bin ich wieder zurück an der Fischtheke. Die kleine braunäugige Alte ist nicht mehr dort. Im ersten Moment überlege ich, einfach zur Kasse zu gehen und nach Hause zu fahren. Doch dann begebe ich mich auf die Suche. Schließlich finde ich sie vor dem Regal mit Salz, Zucker und Mehl.
Sie lacht mich an. „Wir haben das Salz ganz vergessen.“
„Oh ja, stimmt.“
In ihrem Einkaufswagen kann ich kein Salz entdecken. Also greife ich nach einer Packung vom Stapel und lege die zu ihren anderen Einkäufen.
„Ist das auch Meersalz?“
„Ja, selbstverständlich. Aus dem Mittelmeer.“
Sie lacht. „Nach Griechenland ans Mittelmeer würde ich auch gern noch einmal reisen. Auf irgendeine kleine Insel.“ Versonnen lächelt sie vor sich hin.
„Können wir denn jetzt zur Kasse?“ Meine Stimme klingt unwirsch, während sie mir ihr unwiderstehlichstes Unschuldslächeln zeigt.
„Ein paar Blumen würde ich auch gern noch mitnehmen. Wenn es geht, rote Rosen.“
Vor den Laufbändern an der Kasse stehen immer einige Plastikeimer mit zumeist frischen Blumen.
Ich bleibe davor stehen, suche einen Strauß roter Rosen, die am frischsten wirken, aus und reiche ihn der zierlichen Alten. Sie nimmt den Strauß, versteckt ihre Nase darin, atmet tief ein und lacht. „Es ist lange her, dass mir ein Mann rote Rosen geschenkt hat. Wenn ich früher mit meinem Diethelm einkaufen ging, hat er immer Rosen gekauft.“
„Na gut, die bezahle ich.“ Gebe ich mich geschlagen und schiebe zuerst meinen Wagen neben das Laufband zur Kasse.
Meine wenigen Einkäufe sind schnell erledigt. Den Wagen stelle ich neben einen Tisch in der Einpackzone, gehe zurück, schiebe ihren Einkaufswagen an das Laufband und beginne die Waren auf das Band zu legen. Sie hilft mir schweigend und lächelt.
Die Kassiererin zieht zügig die einzelnen Waren über jene kleine Glasscheibe hinter dem Laufband, die mit einem Piep bestätigt, dass sie die Ware und deren Preis erkannt hat. Zwischendurch schiebt sie immer einmal wieder ihre schon etwas altmodische Hochfrisur mit dem Handrücken zurecht.
Ich nehme alle registrierten Waren entgegen und lege sie hastig in den Einkaufswagen.
„Siebenunddreißig fünfundfünfzig!“ Die Kassiererin sieht mich erwartungsvoll an, während mir die kleine Alte ihr großes rotes prall gefülltes Portemonnaie in die Hand drückt. Ich öffne den Reißverschluss, greife in das Fach mit den Scheinen und schließlich in das mit dem Kleingeld. Anstelle einiger Münzen bekomme ich eine zusammengeklappte Lupe zu fassen.
„Da ist sie ja!“ rufe ich und lege sie der Alten in die Hand, die sie aufhält, um ihre Geldbörse wieder in Empfang zu nehmen.
„Ich wusste doch, dass ich die Lupe eingesteckt habe.“ Die Stimme der Zierlichen klingt gespielt triumphierend. Der traurige Blick ihrer braunen Augen aber lässt mich antworten: „Es hat mir auch Spaß gemacht! Und nächstes Mal, falls wir uns hier wieder treffen, helfe ich Ihnen gern beim Suchen.“
Hastig schiebt die kleine Alte ihren Einkaufswagen zur Seite und umarmt mich lachend.
„Man muss sich als ältere Frau halt was einfallen lassen…!“
 
Der Alltag wird erheblich liebens- und lebenswerter, wenn wir ihn nicht allzu ernst nehmen. Und das sogar oder gerade beim Lebensmittel-Discounter.

„Ja, wo steht denn hier das Salz?“
Die schmale kleine alte Frau dreht sich im Supermarkt zu mir um und beäugt mich, als stünde sie vor einem hohen Stapel mit Salzpaketen.
Von oben herab schaue ich auf ihre in der Kopfmitte gescheitelte Lockenfrisur, die rechts und links vom Scheitel gleichmäßig einige Zentimeter lang ergraut ist, während zwischen den restlichen moppartig abstehenden schwarz gefärbten Locken noch stellenweise ein goldroter Schimmer für vermutlich ungewollte Abwechslung sorgt.
Plötzlich beginnt die zierliche Frau irgendwie übertrieben hektisch in ihrer Handtasche zu kramen.
„Wo ist denn meine Lupe? Hab sie wahrscheinlich wieder auf dem Küchentisch liegen lassen. Werde immer vergesslicher. Immer vergesslicher.“ Sie wühlt weiter. „Habe mir letzte Woche sogar noch eine zweite Lupe gekauft. Die Dinger sind ziemlich teuer. Ich sehe nämlich nicht so gut. Bin vor zwei Wochen an den Augen operiert worden. Aber die zweite Lupe kann ich auch nicht finden. Wollen Sie mal gucken?“
Einladend hält sie mir ihre geöffnete abgeschabte Lederhandtasche unter die Nase, vor der sich eine Duftwolke schweren Parfüms entfaltet.
„Sie können ruhig drin rumwühlen.“ Ermuntert sie mich lächelnd. „Hauptsache, Sie finden meine Lupe.“
Mit spitzen Fingern beginne ich die Suche, schiebe Lippenstifte und Tablettenschachteln beiseite, krame zwischen Papiertaschentüchern, Parfümflaschen, Nagelfeilen und Sicherheitsnadeln.
„Tut mir Leid, ich kann sie auch nicht finden.“ Ich reiche ihr die Tasche zurück.
Unter der grau-schwarz-roten Moppfrisur seufzt es heftig.. „Was soll ich denn jetzt machen? Ich muss doch sehen können, was ich einkaufe. Haben Sie vielleicht ein wenig Zeit übrig und können mit… .“ In ihrem kleinen, aber großfaltigen Gesicht macht sich ein gequältes Lächeln breit.
„Na, gut.“ Lenke ich ein. „Aber viel Zeit habe ich wirklich nicht.“ Ich schiebe meinen Einkaufswagen an die Seite, lasse ihn stehen und nehme den ihren.
„Wir können uns ja beeilen. Ach, wissen Sie, mein Gedächtnis, vor allem mein Kurzzeitgedächtnis, ist wirklich nicht mehr das allerbeste. Aber zusammen werden wir es bestimmt schaffen.“ Sie legt mir einen Arm um die Hüfte und schiebt mich in den Gang mit den Obst- und Gemüse-Ständen. „Und wenn wir nachher noch mal nach dem Salz sehen! Das darf ich auf keinen Fall vergessen. Hier brauche ich nur ein paar Birnen und Bananen.“
Ich legte ihr eine Staude der noch grün-gelben Früchte sowie eine Packung mit 6 Birnen in ihren Einkaufswagen. „Sind das auch Bio-Bananen?“ Sie schaut mich von unten misstrauisch an.
„Selbstverständlich. Die Bananen sind sogar fairtrade.“
Zufrieden tätschelt sie mir den Unterarm.
„Und jetzt brauche ich noch Milch, Bio-Milch und irische Butter. Die kommt von der grünen Insel und schmeckt mir immer am allerbesten.“
Vorsichtig schiebe ich ihren Einkaufswagen zur Kühltheke mit den Milchprodukten.
„Zweimal Vollmilch, bitte!“ Ihre Stimme wird immer piepsiger. „Und zwei Pakete Butter.“
Auch die lege ich ihr in den Wagen.
Die Kleine lächelt mich von unten an. Ausgerechnet große braune Augen hat sie, denen ich nicht widerstehen kann. „Können wir vorn an der Kasse noch ein paar Blumen mitnehmen.“
„Selbstverständlich, wenn ich zunächst noch meinen Einkauf machen kann.“
Sie nickt und stellt sich vor die Kühltheke mit angeblich frischen Fischen. „Ich warte hier.“
Ich beeile mich, meinen Einkauf für die nächsten Tage so schnell wie möglich zusammenzustellen.
In kaum zehn Minuten bin ich wieder zurück an der Fischtheke. Die kleine braunäugige Alte ist nicht mehr dort. Im ersten Moment überlege ich, einfach zur Kasse zu gehen und nach Hause zu fahren. Doch dann begebe ich mich auf die Suche. Schließlich finde ich sie vor dem Regal mit Salz, Zucker und Mehl.
Sie lacht mich an. „Wir haben das Salz ganz vergessen.“
„Oh ja, stimmt.“
In ihrem Einkaufswagen kann ich kein Salz entdecken. Also greife ich nach einer Packung vom Stapel und lege die zu ihren anderen Einkäufen.
„Ist das auch Meersalz?“
„Ja, selbstverständlich. Aus dem Mittelmeer.“
Sie lacht. „Nach Griechenland ans Mittelmeer würde ich auch gern noch einmal reisen. Auf irgendeine kleine Insel.“ Versonnen lächelt sie vor sich hin.
„Können wir denn jetzt zur Kasse?“ Meine Stimme klingt unwirsch, während sie mir ihr unwiderstehlichstes Unschuldslächeln zeigt.
„Ein paar Blumen würde ich auch gern noch mitnehmen. Wenn es geht, rote Rosen.“
Vor den Laufbändern an der Kasse stehen immer einige Plastikeimer mit zumeist frischen Blumen.
Ich bleibe davor stehen, suche einen Strauß roter Rosen, die am frischsten wirken, aus und reiche ihn der zierlichen Alten. Sie nimmt den Strauß, versteckt ihre Nase darin, atmet tief ein und lacht. „Es ist lange her, dass mir ein Mann rote Rosen geschenkt hat. Wenn ich früher mit meinem Diethelm einkaufen ging, hat er immer Rosen gekauft.“
„Na gut, die bezahle ich.“ Gebe ich mich geschlagen und schiebe zuerst meinen Wagen neben das Laufband zur Kasse.
Meine wenigen Einkäufe sind schnell erledigt. Den Wagen stelle ich neben einen Tisch in der Einpackzone, gehe zurück, schiebe ihren Einkaufswagen an das Laufband und beginne die Waren auf das Band zu legen. Sie hilft mir schweigend und lächelt.
Die Kassiererin zieht zügig die einzelnen Waren über jene kleine Glasscheibe hinter dem Laufband, die mit einem Piep bestätigt, dass sie die Ware und deren Preis erkannt hat. Zwischendurch schiebt sie immer einmal wieder ihre schon etwas altmodische Hochfrisur mit dem Handrücken zurecht.
Ich nehme alle registrierten Waren entgegen und lege sie hastig in den Einkaufswagen.
„Siebenunddreißig fünfundfünfzig!“ Die Kassiererin sieht mich erwartungsvoll an, während mir die kleine Alte ihr großes rotes prall gefülltes Portemonnaie in die Hand drückt. Ich öffne den Reißverschluss, greife in das Fach mit den Scheinen und schließlich in das mit dem Kleingeld. Anstelle einiger Münzen bekomme ich eine zusammengeklappte Lupe zu fassen.
„Da ist sie ja!“ rufe ich und lege sie der Alten in die Hand, die sie aufhält, um ihre Geldbörse wieder in Empfang zu nehmen.
„Ich wusste doch, dass ich die Lupe eingesteckt habe.“ Die Stimme der Zierlichen klingt gespielt triumphierend. Der traurige Blick ihrer braunen Augen aber lässt mich antworten: „Es hat mir auch Spaß gemacht! Und nächstes Mal, falls wir uns hier wieder treffen, helfe ich Ihnen gern beim Suchen.“
Hastig schiebt die kleine Alte ihren Einkaufswagen zur Seite und umarmt mich lachend.
„Man muss sich als ältere Frau halt was einfallen lassen…!“
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Karl Feldkamp,

die ersten beiden Zeilen sind eher ein Fazit oder eine Zusammenfassung Deiner Kurzgeschichte. Ich würde sie ganz wegfallen lassen oder an das Ende setzen. Als Einstieg nehmen sie zu viel vorweg.

Viele Grüße,
DS
 
„Ja, wo steht denn hier das Salz?“
Die schmale kleine alte Frau dreht sich im Supermarkt zu mir um und beäugt mich, als stünde sie vor einem hohen Stapel mit Salzpaketen.
Von oben herab schaue ich auf ihre in der Kopfmitte gescheitelte Lockenfrisur, die rechts und links vom Scheitel gleichmäßig einige Zentimeter lang ergraut ist, während zwischen den restlichen moppartig abstehenden schwarz gefärbten Locken noch stellenweise ein goldroter Schimmer für vermutlich ungewollte Abwechslung sorgt.
Plötzlich beginnt die zierliche Frau irgendwie übertrieben hektisch in ihrer Handtasche zu kramen.
„Wo ist denn meine Lupe? Hab sie wahrscheinlich wieder auf dem Küchentisch liegen lassen. Werde immer vergesslicher. Immer vergesslicher.“ Sie wühlt weiter. „Habe mir letzte Woche sogar noch eine zweite Lupe gekauft. Die Dinger sind ziemlich teuer. Ich sehe nämlich nicht so gut. Bin vor zwei Wochen an den Augen operiert worden. Aber die zweite Lupe kann ich auch nicht finden. Wollen Sie mal gucken?“
Einladend hält sie mir ihre geöffnete abgeschabte Lederhandtasche unter die Nase, vor der sich eine Duftwolke schweren Parfüms entfaltet.
„Sie können ruhig drin rumwühlen.“ Ermuntert sie mich lächelnd. „Hauptsache, Sie finden meine Lupe.“
Mit spitzen Fingern beginne ich die Suche, schiebe Lippenstifte und Tablettenschachteln beiseite, krame zwischen Papiertaschentüchern, Parfümflaschen, Nagelfeilen und Sicherheitsnadeln.
„Tut mir Leid, ich kann sie auch nicht finden.“ Ich reiche ihr die Tasche zurück.
Unter der grau-schwarz-roten Moppfrisur seufzt es heftig.. „Was soll ich denn jetzt machen? Ich muss doch sehen können, was ich einkaufe. Haben Sie vielleicht ein wenig Zeit übrig und können mit… .“ In ihrem kleinen, aber großfaltigen Gesicht macht sich ein gequältes Lächeln breit.
„Na, gut.“ Lenke ich ein. „Aber viel Zeit habe ich wirklich nicht.“ Ich schiebe meinen Einkaufswagen an die Seite, lasse ihn stehen und nehme den ihren.
„Wir können uns ja beeilen. Ach, wissen Sie, mein Gedächtnis, vor allem mein Kurzzeitgedächtnis, ist wirklich nicht mehr das allerbeste. Aber zusammen werden wir es bestimmt schaffen.“ Sie legt mir einen Arm um die Hüfte und schiebt mich in den Gang mit den Obst- und Gemüse-Ständen. „Und wenn wir nachher noch mal nach dem Salz sehen! Das darf ich auf keinen Fall vergessen. Hier brauche ich nur ein paar Birnen und Bananen.“
Ich legte ihr eine Staude der noch grün-gelben Früchte sowie eine Packung mit 6 Birnen in ihren Einkaufswagen. „Sind das auch Bio-Bananen?“ Sie schaut mich von unten misstrauisch an.
„Selbstverständlich. Die Bananen sind sogar fairtrade.“
Zufrieden tätschelt sie mir den Unterarm.
„Und jetzt brauche ich noch Milch, Bio-Milch und irische Butter. Die kommt von der grünen Insel und schmeckt mir immer am allerbesten.“
Vorsichtig schiebe ich ihren Einkaufswagen zur Kühltheke mit den Milchprodukten.
„Zweimal Vollmilch, bitte!“ Ihre Stimme wird immer piepsiger. „Und zwei Pakete Butter.“
Auch die lege ich ihr in den Wagen.
Die Kleine lächelt mich von unten an. Ausgerechnet große braune Augen hat sie, denen ich nicht widerstehen kann. „Können wir vorn an der Kasse noch ein paar Blumen mitnehmen.“
„Selbstverständlich, wenn ich zunächst noch meinen Einkauf machen kann.“
Sie nickt und stellt sich vor die Kühltheke mit angeblich frischen Fischen. „Ich warte hier.“
Ich beeile mich, meinen Einkauf für die nächsten Tage so schnell wie möglich zusammenzustellen.
In kaum zehn Minuten bin ich wieder zurück an der Fischtheke. Die kleine braunäugige Alte ist nicht mehr dort. Im ersten Moment überlege ich, einfach zur Kasse zu gehen und nach Hause zu fahren. Doch dann begebe ich mich auf die Suche. Schließlich finde ich sie vor dem Regal mit Salz, Zucker und Mehl.
Sie lacht mich an. „Wir haben das Salz ganz vergessen.“
„Oh ja, stimmt.“
In ihrem Einkaufswagen kann ich kein Salz entdecken. Also greife ich nach einer Packung vom Stapel und lege die zu ihren anderen Einkäufen.
„Ist das auch Meersalz?“
„Ja, selbstverständlich. Aus dem Mittelmeer.“
Sie lacht. „Nach Griechenland ans Mittelmeer würde ich auch gern noch einmal reisen. Auf irgendeine kleine Insel.“ Versonnen lächelt sie vor sich hin.
„Können wir denn jetzt zur Kasse?“ Meine Stimme klingt unwirsch, während sie mir ihr unwiderstehlichstes Unschuldslächeln zeigt.
„Ein paar Blumen würde ich auch gern noch mitnehmen. Wenn es geht, rote Rosen.“
Vor den Laufbändern an der Kasse stehen immer einige Plastikeimer mit zumeist frischen Blumen.
Ich bleibe davor stehen, suche einen Strauß roter Rosen, die am frischsten wirken, aus und reiche ihn der zierlichen Alten. Sie nimmt den Strauß, versteckt ihre Nase darin, atmet tief ein und lacht. „Es ist lange her, dass mir ein Mann rote Rosen geschenkt hat. Wenn ich früher mit meinem Diethelm einkaufen ging, hat er immer Rosen gekauft.“
„Na gut, die bezahle ich.“ Gebe ich mich geschlagen und schiebe zuerst meinen Wagen neben das Laufband zur Kasse.
Meine wenigen Einkäufe sind schnell erledigt. Den Wagen stelle ich neben einen Tisch in der Einpackzone, gehe zurück, schiebe ihren Einkaufswagen an das Laufband und beginne die Waren auf das Band zu legen. Sie hilft mir schweigend und lächelt.
Die Kassiererin zieht zügig die einzelnen Waren über jene kleine Glasscheibe hinter dem Laufband, die mit einem Piep bestätigt, dass sie die Ware und deren Preis erkannt hat. Zwischendurch schiebt sie immer einmal wieder ihre schon etwas altmodische Hochfrisur mit dem Handrücken zurecht.
Ich nehme alle registrierten Waren entgegen und lege sie hastig in den Einkaufswagen.
„Siebenunddreißig fünfundfünfzig!“ Die Kassiererin sieht mich erwartungsvoll an, während mir die kleine Alte ihr großes rotes prall gefülltes Portemonnaie in die Hand drückt. Ich öffne den Reißverschluss, greife in das Fach mit den Scheinen und schließlich in das mit dem Kleingeld. Anstelle einiger Münzen bekomme ich eine zusammengeklappte Lupe zu fassen.
„Da ist sie ja!“ rufe ich und lege sie der Alten in die Hand, die sie aufhält, um ihre Geldbörse wieder in Empfang zu nehmen.
„Ich wusste doch, dass ich die Lupe eingesteckt habe.“ Die Stimme der Zierlichen klingt gespielt triumphierend. Der traurige Blick ihrer braunen Augen aber lässt mich antworten: „Es hat mir auch Spaß gemacht! Und nächstes Mal, falls wir uns hier wieder treffen, helfe ich Ihnen gern beim Suchen.“
Hastig schiebt die kleine Alte ihren Einkaufswagen zur Seite und umarmt mich lachend.
„Man muss sich als ältere Frau halt was einfallen lassen…!“
 

Vagant

Mitglied
Hallo,
Das Streichen der einleitenden "Autorenmeinung" hat der Geschichte wirklich gut getan. Man ist mit dem ersten Satz mittendrin; so soll es sein.
Gern gelesen.
Vagant.
 
Hallo Vagant,
danke für Deine Bestätigung. Der erste Satz war als Einleitung einer bestimmten Lesung geschuldet... Natürlich stört er die Geschichte...
Herzliche Grüße
Karl
 
A

Alberta

Gast
Diese Geschichte hat mich angerührt - und mir gezeigt, wie raffiniert man altersunabhängig Männer für`s betreute Einkaufen "benutzen" kann, so ein Luderchen...!
 



 
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