Hagen
Mitglied
Der Geier
Ich putzte, weil wieder mal nichts los war, die Scheiben meines Taxis, ließ dabei Lebensweisheiten ab wie: ’Alle Wahrscheinlichkeiten für das Gelingen einer Aktion haben 50%; - bist du allerdings Taxifahrer, steht die Wahrscheinlichkeit des Gelingens 90% gegen dich!’, setzte mich dann in mein Taxi und genoss das Konzert Nr. 2 für Violoncello und Orchester von Joseph Haydn. Dabei rückte ich langsam vor, und als ich auf der Pole-Position stand, kam einer an Bord und murmelte: „Nach Bremen bitte, Holzhafen. Und wecken Sie mich bitte erst kurz davor.“
Er stellte den Sitz zurück und ließ die Augen zu fallen.
Als ich vor dem Allertal kurz in die Bremse ging, weil ein LKW vor mir die Fahrspur wechselte ohne zu blinken, fuhr der Mann neben mir mit einem Schrei hoch und klammerte sich an den Griff an der Tür. Ich vermeinte ein leises Krächzen zu hören.
„Entschuldigung“, murmelte ich, „er dort scherte einfach aus.“ Ich deutete auf den Laster vor uns. „Alles in Ordnung bei Ihnen?“
„Ja, natürlich. Wissen Sie, ich hatte mal diesen Unfall, damals bei Wellington. Wir hatten Kurs auf Sydney, mussten aber wegen eines Maschinenschadens Kurs auf Neuseeland nehmen. Während wir auf Ersatzteile warteten, habe ich mir einen Jeep gemietet und bin ein wenig ins Landesinnere gefahren. Da hat mich ein Lastwagen von der Straße gedrängt, und ich bin abgestürzt. Drei Tage habe ich neben dem Jeep gelegen. Mein Knöchel war verstaucht, ich konnte nicht laufen, und habe mich nur von Konserven ernährt.“
„Kann ich verstehen, dass sie ein wenig heftig reagieren, wenn ein LKW vor Ihnen auftaucht.“
„Das ist es nicht, nur mein Geier meldet sich dann gleich wieder.“
„Geier? Ich fürchte, ich verstehe nicht.“
„Lachen Sie mich ruhig aus“, er nestelte sein Hemd auf. Ein tätowierter Geier wurde auf dem Bauch sichtbar, „möglicherweise hat der mir mal das Leben gerettet.“
„Eine Tätowierung?“
„Ja! Die Konserven müssen irgendwie verdorben gewesen sein, jedenfalls zeigten sich bei mir alle Anzeichen einer Fleischvergiftung und ich wurde ohnmächtig. Als ich wieder zu mir kam, war dieser Geier auf meinem Bauch tätowiert. Irgendein Maori hat mich gefunden und tätowiert.“
„Und dass soll Sie gerettet haben?“
„Tja“, der Mann schloss sein Hemd wieder, „ein Geier hat derart intensive Magensäfte, dass er Fleisch mit hohen Dosen von Botulismus-Toxin verarbeiten kann. Über die Tätowierung muss mein Magen diese Fähigkeit der Geier übernommen haben.“
„Ist ja seltsam.“
„Tja“, seufzte der Mann neben mir, „so ein langhaariger Freak, der dort bei den Maoris lebte, hat’s mir so erklärt.“
„Das hieße also, dass Tätowierungen unter bestimmten Bedingungen das bewirken, was sie darstellen“, sagte ich nachdenklich.
„Habe ich so noch nicht gesehen“, sagte der Mann, „ist ja auch egal.“ Er lehnte sich wieder entspannt zurück, „wie gesagt, wecken Sie mich bitte kurz vor dem Holzhafen.“
Eine ruhige Nachtfahrt, ich genoss sie, grübelte noch ein wenig über Tätowierungen nach, kam zu keinem Ergebnis und fuhr den Mann direkt an das einzige Schiff im Hafen. Der Mann ging bei mir von Bord und direkt aufs Schiff.
Mit etwas Wehmut im Herzen fuhr ich eine Runde um die Hallen des Holzhafens und die angrenzenden Straßen. Es waren keine besoffenen Matrosen mehr da, keine Bordsteinschwalben standen unter den Laternen, in den Spelunken rund um den Hafen spielte niemand Akkordeon, keine tätowierten Seeleute mit geringelten Pullovern und Mützen mit Bommels auf den Köpfen prügelten sich. Alles war nicht mehr so, wie es einmal war, wie ich es von früher und aus guten Filmen kannte; - wie es hätte sein sollen.
Ich fuhr zurück, in der Hoffnung Andrea zu sehen und auf einen Kaffee zum Oberon, aber da stand nur die liebreizende Jessica etwas gelangweilt hinter der Theke.
Nach dem Kaffee wieder zum Taxenplatz, noch vier Stunden bis zum Feierabend.
Scheißberuf!
Ich putzte, weil wieder mal nichts los war, die Scheiben meines Taxis, ließ dabei Lebensweisheiten ab wie: ’Alle Wahrscheinlichkeiten für das Gelingen einer Aktion haben 50%; - bist du allerdings Taxifahrer, steht die Wahrscheinlichkeit des Gelingens 90% gegen dich!’, setzte mich dann in mein Taxi und genoss das Konzert Nr. 2 für Violoncello und Orchester von Joseph Haydn. Dabei rückte ich langsam vor, und als ich auf der Pole-Position stand, kam einer an Bord und murmelte: „Nach Bremen bitte, Holzhafen. Und wecken Sie mich bitte erst kurz davor.“
Er stellte den Sitz zurück und ließ die Augen zu fallen.
Als ich vor dem Allertal kurz in die Bremse ging, weil ein LKW vor mir die Fahrspur wechselte ohne zu blinken, fuhr der Mann neben mir mit einem Schrei hoch und klammerte sich an den Griff an der Tür. Ich vermeinte ein leises Krächzen zu hören.
„Entschuldigung“, murmelte ich, „er dort scherte einfach aus.“ Ich deutete auf den Laster vor uns. „Alles in Ordnung bei Ihnen?“
„Ja, natürlich. Wissen Sie, ich hatte mal diesen Unfall, damals bei Wellington. Wir hatten Kurs auf Sydney, mussten aber wegen eines Maschinenschadens Kurs auf Neuseeland nehmen. Während wir auf Ersatzteile warteten, habe ich mir einen Jeep gemietet und bin ein wenig ins Landesinnere gefahren. Da hat mich ein Lastwagen von der Straße gedrängt, und ich bin abgestürzt. Drei Tage habe ich neben dem Jeep gelegen. Mein Knöchel war verstaucht, ich konnte nicht laufen, und habe mich nur von Konserven ernährt.“
„Kann ich verstehen, dass sie ein wenig heftig reagieren, wenn ein LKW vor Ihnen auftaucht.“
„Das ist es nicht, nur mein Geier meldet sich dann gleich wieder.“
„Geier? Ich fürchte, ich verstehe nicht.“
„Lachen Sie mich ruhig aus“, er nestelte sein Hemd auf. Ein tätowierter Geier wurde auf dem Bauch sichtbar, „möglicherweise hat der mir mal das Leben gerettet.“
„Eine Tätowierung?“
„Ja! Die Konserven müssen irgendwie verdorben gewesen sein, jedenfalls zeigten sich bei mir alle Anzeichen einer Fleischvergiftung und ich wurde ohnmächtig. Als ich wieder zu mir kam, war dieser Geier auf meinem Bauch tätowiert. Irgendein Maori hat mich gefunden und tätowiert.“
„Und dass soll Sie gerettet haben?“
„Tja“, der Mann schloss sein Hemd wieder, „ein Geier hat derart intensive Magensäfte, dass er Fleisch mit hohen Dosen von Botulismus-Toxin verarbeiten kann. Über die Tätowierung muss mein Magen diese Fähigkeit der Geier übernommen haben.“
„Ist ja seltsam.“
„Tja“, seufzte der Mann neben mir, „so ein langhaariger Freak, der dort bei den Maoris lebte, hat’s mir so erklärt.“
„Das hieße also, dass Tätowierungen unter bestimmten Bedingungen das bewirken, was sie darstellen“, sagte ich nachdenklich.
„Habe ich so noch nicht gesehen“, sagte der Mann, „ist ja auch egal.“ Er lehnte sich wieder entspannt zurück, „wie gesagt, wecken Sie mich bitte kurz vor dem Holzhafen.“
Eine ruhige Nachtfahrt, ich genoss sie, grübelte noch ein wenig über Tätowierungen nach, kam zu keinem Ergebnis und fuhr den Mann direkt an das einzige Schiff im Hafen. Der Mann ging bei mir von Bord und direkt aufs Schiff.
Mit etwas Wehmut im Herzen fuhr ich eine Runde um die Hallen des Holzhafens und die angrenzenden Straßen. Es waren keine besoffenen Matrosen mehr da, keine Bordsteinschwalben standen unter den Laternen, in den Spelunken rund um den Hafen spielte niemand Akkordeon, keine tätowierten Seeleute mit geringelten Pullovern und Mützen mit Bommels auf den Köpfen prügelten sich. Alles war nicht mehr so, wie es einmal war, wie ich es von früher und aus guten Filmen kannte; - wie es hätte sein sollen.
Ich fuhr zurück, in der Hoffnung Andrea zu sehen und auf einen Kaffee zum Oberon, aber da stand nur die liebreizende Jessica etwas gelangweilt hinter der Theke.
Nach dem Kaffee wieder zum Taxenplatz, noch vier Stunden bis zum Feierabend.
Scheißberuf!