Der Geizhals

Einige Geizhälse habe ich im Leben schon kennengelernt.
Es gibt sie in unterschiedlichen Ausführungen.
Der größte Geizhals, der mir je untergekommen ist, wohnte in einem stattlichen Haus ein bisschen oberhalb von dem kleinen Häuschen, das meiner Oma gehörte.
In den Sommermonaten, wenn wir zu Besuch bei Oma waren, saß der Geizhals von früh bis spät auf einer Holzbank an seine Hausmauer gelehnt und beobachtete und verurteilte alles, was ringsum passierte.
Dass der Geizhals selbst einmal Besuch bekommen hätte, wäre mir nie aufgefallen.
Ins Haus ließ er niemanden – vermutlich, weil das ja bedeutet hätte, einem Gast etwas anbieten zu müssen. Nur meine Oma setzte sich dann und wann zum Geizhals auf die Holzbank vor dem Haus, um ein bisschen zu plaudern.
Sehr verbittert schien mir diese mürrische alte Frau von Gegenüber, der man besser nicht zu nahekam, sofern man nicht augenblicklich eine vorwurfsvolle Predigt vom Sparen und Verzichten hören wollte – das war ihr ganzer Lebensinhalt geworden.
Der Geizhals stand mit der Sonne auf und ging schlafen, sobald es dämmerte, um nur ja kein elektrisches Licht zu brauchen. Fernseher hatte er keinen.
Das Abwasser der Waschmaschine, die ganz bestimmt nur sehr selten lief, ließ sich der Geizhals mit einem Schlauch ins Waschbecken leiten, um in der Drecksbrühe extra noch seine Socken zu waschen, die er ganz bestimmt nur selten wechselte.
Lebensmittel wurden strategisch auf Vorrat gekauft und streng rationiert. Ausschließlich Sonderangebote und preisreduzierte Artikel überm Verfallsdatum kamen dem Geizhals in den Einkaufswagen. Nur das Wenigste durfte gekauft werden. Weggeschmissen wurde nichts.
Oft schaffte es der Geizhals nicht, die gehamsterten, abgelaufenen Produkte zeitgerecht zu verzehren – er konnte ja nicht einfach drauflos völlern, nur weil das Putenfleisch schon eine bedenkliche Farbe angenommen hatte – und so ergab es sich, dass der Geizhals nach dem Essen ziemlich oft flachlag und über eine wiederkehrende Darmkolik klagte.
Der Geizhals gönnte sich nichts. Er verreiste nicht, er hatte keine Hobbys (so ein Wort kannte er nicht mal) und es wäre ihm nicht im Traum eingefallen, aufs Dorffest zu gehen und mal eine Mark für eine Limo oder ein Bier springen zu lassen.
Seine Tage verbrachte der Geizhals damit, auf andere herabzusehen und alles schrecklich zu finden, was sich jenseits seiner asketischen Lebenseinstellung abspielte. Schrecklich verschwenderisch, schrecklich unnötig, schrecklich zügellos.
Ich kann nur raten, was sich der Geizhals dachte, wenn wir Kinder lebensfroh im Garten spielten, vielleicht mit quietschbuntem Spielzeug und Oma mit ihrer kleinen Rente hat bergeweise Süßigkeiten für uns angeschleppt. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen war es gut eher nicht.

Der Geizhals war kein Einzelfall.
Die Kriegs- und Nachkriegsgeneration hatte es ja nicht anders gelernt als dass das Leben eine karge Veranstaltung ist. Manche haben das gar zu tief verinnerlicht und wurden es ein Lebtag nicht mehr los.
Ein bisschen schimmerte oft auch der Stolz durch, dass man nicht zuletzt dank der eigenen Tüchtigkeit und tapferen Entsagung die widrigen Umstände überlebt hatte, wenn sie einem auf den Kopf zusagten, man sei verwöhnt und verweichlicht und man solle erst einmal einen Krieg oder eine Hungersnot erleben. Diesen seltsamen Wunsch hat schon so mancher Geizhals geäußert, etwa wenn ich als Kind nicht brav aufessen wollte.
Ein bisschen schimmerte auch der Neid durch, dass es die Nachfolgegeneration, die ohne Krieg und mit vollen Tellern aufwuchs, es nun so viel besser hatte.
Not macht eben nicht nur erfinderisch, sondern auch hart. Hart gegen sich, gegen andere, gegen die Welt.
Und wenn man noch so sehr versucht, eine Mangellage zu romantisieren: In den meisten Fällen verändern und entwickeln sich die Menschen unter derlei Umständen nicht so gut.

Immerhin, in der Zeit der alten Nachkriegs-Geizhälse ging es tendenziell aufwärts.
Was sich der Geizhals damals vom Mund abgespart hatte, das vermochte sich wenigstens nach und nach in einen ansehnlichen Besitz verwandeln.
Heute ist das anders.
Die neue Zeit der Geizhälse, die nun anzubrechen scheint, ist getragen von einer bitteren Notlage, die immer nur abwärts führt.
Notgedrungen verwandeln sich die Menschen um mich herum, verwandle auch ich mich in einen Geizhals.
Was man sich vom Mund abspart, muss fast buchstäblich verheizt werden. Das geht jetzt für andere, basale Lebensposten wie für Strom oder eben fürs Heizen drauf. Ich spüre das schon am eigenen Leib.
Das Geld zerrinnt in den Händen und übrig bleibt - nichts.
Übrig bleibt mir vielleicht nur die Gewissheit, dass Geizhälse auch im Herzen oft sparsam, knapp und neidig sind – und dass ich so nicht werden möchte.
 



 
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