Lothar war ein unausstehlicher Mistkerl. Zu dieser Erkenntnis zu kommen, hatte Francesca gerade einmal eine halbe Minute ihrer sterblichen Zeit gekostet, damals, als sie sich durch knöcheltiefen Schlamm, das kostbare Kleid geschürzt, einen Weg zu ihm gesucht hatte, um ihm noch einige wenige Fragen über den Grafen zu stellen, an dessen Hof sie geladen war. Mann konnte vielleicht unvorbereitet vor Don Giovannis Tür stehen, aber frau konnte das nicht! In ihrem Geschäft – oder sollte man sagen: in ihrer Profession? - war Francesca darauf angewiesen, daß man ihr sagte, welchen Vorlieben der gute Mann, der sie eingeladen hatte, frönte, ob er die Schönheit oder die Klugheit mochte und ob es ein giftiges Eheweib oder gar eine zu übertrumpfende Mätresse gab. Francesca hatte nicht vor, den Rest ihres Lebens auf den kleinen Gütern ihres Cousin in Verona zu verbringen. Dieser Don Giovanni aber sollte reich sein, mächtig – gut, ein wenig exzentrisch, weshalb sonst mochte er eine Burg ausgerechnet in Transsylvanien bezogen haben? – und Francesca war fest entschlossen, einen guten Eindruck auf die Gesellschaft zu machen.
Deshalb hatte sie den Schankraum verlassen und war in der kühlen Abendluft (die schlecht für ihren Teint war) und durch den Schlamm (der katastrophal für ihre Schuhe war) hinüber zu den hölzernen Kutschen gegangen, in denen man sie und den Rest der seltsamen Gesellschaft, die sich in dem kleinen Gasthof versammelt hatte, morgen zur Burg bringen wollte. Lothar hatte in den Kutschen gekramt und etwas ungehalten gewirkt, als Francesca sich höflichst über die familiären Bindungen und den Gesundheitszustand des Dons erkundigt hatte – sie war zumindest so höflich gewesen, wie man es im allgemeinen zu Dienern zu sein pflegte, wenn man einem Stand wie dem ihren entsprang. Und was hatte dieser Kerl, dieser Mehlwurm, dieses ekelhafte kleine Schleimmonster gewagt, ihr entgegen zu brüllen, jawohl, zu brüllen! Das sei nicht von Interesse, das könne sie Don Giovanni persönlich fragen und jetzt solle sie sich gefälligst mit ihrem verknöcherten Arsch wieder ins Gasthaus verziehen! Jawohl, das hatte er gesagt.
Lothar war ekelhaft. In seiner Gegenwart wurde Francesca das Atmen schwer. Schon als sie den ersten Blick auf diese kleinen Augen, die so eng beieinander standen, und seine Art zu gehen geworfen hatte, war ihr das klar gewesen. Und als man sie an jenem denkwürdigen Abend entkleidet und auf einer silbernen Platte auf den Tisch gesetzt hatte (Silber, nicht einmal Gold!), da hatte er wenige Schritte hinter seinem Herrn, dem hochadligen Don Giovanni persönlich, gestanden und sie lüstern angeglotzt - nein, nicht wegen ihrer körperlichen Gefälligkeit, sondern weil er im Geiste schon den Geschmack ihres Blutes auf den Lippen und der Zunge probierte. Eher sollte ihr Blut zu Galle gerinnen, als daß dieser Kriecher auch nur einen Tropfen davon bekommen würde!
Das hatte sich Francesca damals geschworen, an jenem Abend. Wären die unerwünschten Gäste nicht gekommen, um die Gesellschaft aufzumischen, Francescas Schwur hätte sich nicht erfüllt. Doch nun... Sie hatten einen Fehler gemacht, Lothars Herr und seine Gesellschaft, als sie ihren Mitternachtsimbiß in der Not zu dem machten, was sie selbst waren: zu Untoten, zu Blutsaugern, zu Vampiren. Denn sie waren nicht gestorben, so wie es geplant gewesen war, nicht alle jedenfalls. Sie lebte (was man so leben nannte, wenn man keinen Tropfen eigenen Blutes mehr in den Adern hatte), und solange sie über ihre Seele gebieten konnte, würde sie Don Giovanni verfolgen, um ihn zu strafen für das, was er ihr angetan hatte – und sie würde Lothar töten!
***
„Das kannst du nicht.“
„Wie bitte?“ Andrea ließ verwirrt ihre W10 in den Becher fallen und musterte Mark, der zwischen einem Hügel von Clanbüchern auf der anderen Seite des Tisches saß, skeptisch. „Wie meinst du das?“
„Das wirst du noch sehen.“ Mark grinste, und als Andrea zu Thorsten hinübersah, konnte sie dieselbe blöde verschwörerische Grimasse auch auf der Miene ihres Meisters erkennen.
„Es ist mir egal, was du sagst“, beschloß sie kämpferisch. „Ich werde Lothar töten.“ Immerhin war das der einzige Name, den sie sich nicht hatte aufschreiben müssen. Den würde sie nicht vergessen!
„Lothar ist ein Ghul“, sagte Thorsten schlicht. Als würde das auch nur irgend etwas erklären!
„Und? Kann ich trotzdem töten?“ Sie klopfte ungeduldig mit dem Bleistift gegen ihr Colaglas, doch die Antwort war nur das dämliche Grinsen. Gab es nicht einen einzigen schwarzgewandeten Fanatiker mit silbernem Abzeichen am Revers, der eine einfache Frage mit Ja oder Nein beantworten konnte?
„Er ist ein Ghul“, wiederholte Thorsten.
„Und? Kann – ich – ihn – töten?“ Wenn man langsam sprach, ob es dann wohl das Gehirn erreichte?
„Ein Ghul“, hob Thorsten an, und Andreas Geist schaltete sich aus. Jetzt kam wieder eine dieser langatmigen Erklärungen, die er mit Nachdruck zu vermitteln suchte, die aber so ärmlich aus seinem Mund klangen. Außerdem war es doch egal: sie würde Lothar töten. Nicht gleich, nicht heute und nicht an diesem Spieltisch, aber er würde sterben. Für sie gab es immer einen Weg.
***
Noch zappelte er wie ein Kaninchen unter dem Griff ihres Geistes, doch er wurde schwächer. Francesca konnte die Panik spüren, die in ihm hochstieg, und sie war berauschender als mancher Wein, den sie zu Lebzeiten genossen hatte. Francesca lachte leise und hob die sorgfältig geschminkte Oberlippe an, damit ihre blitzenden weißen Fangzähne im Licht der Straßenlaterne glänzten. Es war nicht leicht, ohne Spiegelbild auf sein Äußeres zu achten, doch Francesca hatte diese Kunst erlernt. Sie hatte viel gelernt, und jetzt war es Zeit, ihr Wissen anzuwenden – und dem letzten auf einer langen Liste zu zeigen, zu was man sie einst gemacht hatte.
Ein erstickter Laut kroch aus Lothars Kehle, während er auf Francesca zutrat, die sich auf der Motorhaube ihres Porsches räkelte und den Geruch von saurem Schweiß und Pisse genoß, der sich mit der Vorfreude auf Lothars Blut vermischte. Die Nacht war gekommen, und wenn der Morgen anbrach, würde der kleine stinkende Körper zwischen diesen gelben Tonnen stehen, die sie seit einiger Zeit an den Straßenrand zu stellen pflegten.
Francescas Hand glitt über das feuchte Hemd ihres Opfers. Lothar, ein Ghul, ein williger Diener seines Herrn, eines einst machtvollen Vampirs, ein Blutsauger und Leichenschänder, er würde heute nacht erfahren, ob der Tod für Wesen wie ihn Vergebung bereit hielt. Francesca bohrte ihre Zähne sanft in seinen Hals, als wolle sie ihn küssen, und saugte genüßlich. Schließlich fiel ein schwerer Körper zu Boden. Eine bildschöne junge Frau in eleganter Kleidung spie aus, stieg über den Leichnam hinweg, und dann quietschten Reifen und eine Abgaswolke verwandelte die kleine Straße für einen Augenblick in eine Nebellandschaft. Lothar, der Ghul, war tot. Und er würde es bleiben.
Deshalb hatte sie den Schankraum verlassen und war in der kühlen Abendluft (die schlecht für ihren Teint war) und durch den Schlamm (der katastrophal für ihre Schuhe war) hinüber zu den hölzernen Kutschen gegangen, in denen man sie und den Rest der seltsamen Gesellschaft, die sich in dem kleinen Gasthof versammelt hatte, morgen zur Burg bringen wollte. Lothar hatte in den Kutschen gekramt und etwas ungehalten gewirkt, als Francesca sich höflichst über die familiären Bindungen und den Gesundheitszustand des Dons erkundigt hatte – sie war zumindest so höflich gewesen, wie man es im allgemeinen zu Dienern zu sein pflegte, wenn man einem Stand wie dem ihren entsprang. Und was hatte dieser Kerl, dieser Mehlwurm, dieses ekelhafte kleine Schleimmonster gewagt, ihr entgegen zu brüllen, jawohl, zu brüllen! Das sei nicht von Interesse, das könne sie Don Giovanni persönlich fragen und jetzt solle sie sich gefälligst mit ihrem verknöcherten Arsch wieder ins Gasthaus verziehen! Jawohl, das hatte er gesagt.
Lothar war ekelhaft. In seiner Gegenwart wurde Francesca das Atmen schwer. Schon als sie den ersten Blick auf diese kleinen Augen, die so eng beieinander standen, und seine Art zu gehen geworfen hatte, war ihr das klar gewesen. Und als man sie an jenem denkwürdigen Abend entkleidet und auf einer silbernen Platte auf den Tisch gesetzt hatte (Silber, nicht einmal Gold!), da hatte er wenige Schritte hinter seinem Herrn, dem hochadligen Don Giovanni persönlich, gestanden und sie lüstern angeglotzt - nein, nicht wegen ihrer körperlichen Gefälligkeit, sondern weil er im Geiste schon den Geschmack ihres Blutes auf den Lippen und der Zunge probierte. Eher sollte ihr Blut zu Galle gerinnen, als daß dieser Kriecher auch nur einen Tropfen davon bekommen würde!
Das hatte sich Francesca damals geschworen, an jenem Abend. Wären die unerwünschten Gäste nicht gekommen, um die Gesellschaft aufzumischen, Francescas Schwur hätte sich nicht erfüllt. Doch nun... Sie hatten einen Fehler gemacht, Lothars Herr und seine Gesellschaft, als sie ihren Mitternachtsimbiß in der Not zu dem machten, was sie selbst waren: zu Untoten, zu Blutsaugern, zu Vampiren. Denn sie waren nicht gestorben, so wie es geplant gewesen war, nicht alle jedenfalls. Sie lebte (was man so leben nannte, wenn man keinen Tropfen eigenen Blutes mehr in den Adern hatte), und solange sie über ihre Seele gebieten konnte, würde sie Don Giovanni verfolgen, um ihn zu strafen für das, was er ihr angetan hatte – und sie würde Lothar töten!
***
„Das kannst du nicht.“
„Wie bitte?“ Andrea ließ verwirrt ihre W10 in den Becher fallen und musterte Mark, der zwischen einem Hügel von Clanbüchern auf der anderen Seite des Tisches saß, skeptisch. „Wie meinst du das?“
„Das wirst du noch sehen.“ Mark grinste, und als Andrea zu Thorsten hinübersah, konnte sie dieselbe blöde verschwörerische Grimasse auch auf der Miene ihres Meisters erkennen.
„Es ist mir egal, was du sagst“, beschloß sie kämpferisch. „Ich werde Lothar töten.“ Immerhin war das der einzige Name, den sie sich nicht hatte aufschreiben müssen. Den würde sie nicht vergessen!
„Lothar ist ein Ghul“, sagte Thorsten schlicht. Als würde das auch nur irgend etwas erklären!
„Und? Kann ich trotzdem töten?“ Sie klopfte ungeduldig mit dem Bleistift gegen ihr Colaglas, doch die Antwort war nur das dämliche Grinsen. Gab es nicht einen einzigen schwarzgewandeten Fanatiker mit silbernem Abzeichen am Revers, der eine einfache Frage mit Ja oder Nein beantworten konnte?
„Er ist ein Ghul“, wiederholte Thorsten.
„Und? Kann – ich – ihn – töten?“ Wenn man langsam sprach, ob es dann wohl das Gehirn erreichte?
„Ein Ghul“, hob Thorsten an, und Andreas Geist schaltete sich aus. Jetzt kam wieder eine dieser langatmigen Erklärungen, die er mit Nachdruck zu vermitteln suchte, die aber so ärmlich aus seinem Mund klangen. Außerdem war es doch egal: sie würde Lothar töten. Nicht gleich, nicht heute und nicht an diesem Spieltisch, aber er würde sterben. Für sie gab es immer einen Weg.
***
Noch zappelte er wie ein Kaninchen unter dem Griff ihres Geistes, doch er wurde schwächer. Francesca konnte die Panik spüren, die in ihm hochstieg, und sie war berauschender als mancher Wein, den sie zu Lebzeiten genossen hatte. Francesca lachte leise und hob die sorgfältig geschminkte Oberlippe an, damit ihre blitzenden weißen Fangzähne im Licht der Straßenlaterne glänzten. Es war nicht leicht, ohne Spiegelbild auf sein Äußeres zu achten, doch Francesca hatte diese Kunst erlernt. Sie hatte viel gelernt, und jetzt war es Zeit, ihr Wissen anzuwenden – und dem letzten auf einer langen Liste zu zeigen, zu was man sie einst gemacht hatte.
Ein erstickter Laut kroch aus Lothars Kehle, während er auf Francesca zutrat, die sich auf der Motorhaube ihres Porsches räkelte und den Geruch von saurem Schweiß und Pisse genoß, der sich mit der Vorfreude auf Lothars Blut vermischte. Die Nacht war gekommen, und wenn der Morgen anbrach, würde der kleine stinkende Körper zwischen diesen gelben Tonnen stehen, die sie seit einiger Zeit an den Straßenrand zu stellen pflegten.
Francescas Hand glitt über das feuchte Hemd ihres Opfers. Lothar, ein Ghul, ein williger Diener seines Herrn, eines einst machtvollen Vampirs, ein Blutsauger und Leichenschänder, er würde heute nacht erfahren, ob der Tod für Wesen wie ihn Vergebung bereit hielt. Francesca bohrte ihre Zähne sanft in seinen Hals, als wolle sie ihn küssen, und saugte genüßlich. Schließlich fiel ein schwerer Körper zu Boden. Eine bildschöne junge Frau in eleganter Kleidung spie aus, stieg über den Leichnam hinweg, und dann quietschten Reifen und eine Abgaswolke verwandelte die kleine Straße für einen Augenblick in eine Nebellandschaft. Lothar, der Ghul, war tot. Und er würde es bleiben.