Der Ghul - Impression 1

Andrea

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Lothar war ein unausstehlicher Mistkerl. Zu dieser Erkenntnis zu kommen, hatte Francesca gerade einmal eine halbe Minute ihrer sterblichen Zeit gekostet, damals, als sie sich durch knöcheltiefen Schlamm, das kostbare Kleid geschürzt, einen Weg zu ihm gesucht hatte, um ihm noch einige wenige Fragen über den Grafen zu stellen, an dessen Hof sie geladen war. Mann konnte vielleicht unvorbereitet vor Don Giovannis Tür stehen, aber frau konnte das nicht! In ihrem Geschäft – oder sollte man sagen: in ihrer Profession? - war Francesca darauf angewiesen, daß man ihr sagte, welchen Vorlieben der gute Mann, der sie eingeladen hatte, frönte, ob er die Schönheit oder die Klugheit mochte und ob es ein giftiges Eheweib oder gar eine zu übertrumpfende Mätresse gab. Francesca hatte nicht vor, den Rest ihres Lebens auf den kleinen Gütern ihres Cousin in Verona zu verbringen. Dieser Don Giovanni aber sollte reich sein, mächtig – gut, ein wenig exzentrisch, weshalb sonst mochte er eine Burg ausgerechnet in Transsylvanien bezogen haben? – und Francesca war fest entschlossen, einen guten Eindruck auf die Gesellschaft zu machen.
Deshalb hatte sie den Schankraum verlassen und war in der kühlen Abendluft (die schlecht für ihren Teint war) und durch den Schlamm (der katastrophal für ihre Schuhe war) hinüber zu den hölzernen Kutschen gegangen, in denen man sie und den Rest der seltsamen Gesellschaft, die sich in dem kleinen Gasthof versammelt hatte, morgen zur Burg bringen wollte. Lothar hatte in den Kutschen gekramt und etwas ungehalten gewirkt, als Francesca sich höflichst über die familiären Bindungen und den Gesundheitszustand des Dons erkundigt hatte – sie war zumindest so höflich gewesen, wie man es im allgemeinen zu Dienern zu sein pflegte, wenn man einem Stand wie dem ihren entsprang. Und was hatte dieser Kerl, dieser Mehlwurm, dieses ekelhafte kleine Schleimmonster gewagt, ihr entgegen zu brüllen, jawohl, zu brüllen! Das sei nicht von Interesse, das könne sie Don Giovanni persönlich fragen und jetzt solle sie sich gefälligst mit ihrem verknöcherten Arsch wieder ins Gasthaus verziehen! Jawohl, das hatte er gesagt.
Lothar war ekelhaft. In seiner Gegenwart wurde Francesca das Atmen schwer. Schon als sie den ersten Blick auf diese kleinen Augen, die so eng beieinander standen, und seine Art zu gehen geworfen hatte, war ihr das klar gewesen. Und als man sie an jenem denkwürdigen Abend entkleidet und auf einer silbernen Platte auf den Tisch gesetzt hatte (Silber, nicht einmal Gold!), da hatte er wenige Schritte hinter seinem Herrn, dem hochadligen Don Giovanni persönlich, gestanden und sie lüstern angeglotzt - nein, nicht wegen ihrer körperlichen Gefälligkeit, sondern weil er im Geiste schon den Geschmack ihres Blutes auf den Lippen und der Zunge probierte. Eher sollte ihr Blut zu Galle gerinnen, als daß dieser Kriecher auch nur einen Tropfen davon bekommen würde!
Das hatte sich Francesca damals geschworen, an jenem Abend. Wären die unerwünschten Gäste nicht gekommen, um die Gesellschaft aufzumischen, Francescas Schwur hätte sich nicht erfüllt. Doch nun... Sie hatten einen Fehler gemacht, Lothars Herr und seine Gesellschaft, als sie ihren Mitternachtsimbiß in der Not zu dem machten, was sie selbst waren: zu Untoten, zu Blutsaugern, zu Vampiren. Denn sie waren nicht gestorben, so wie es geplant gewesen war, nicht alle jedenfalls. Sie lebte (was man so leben nannte, wenn man keinen Tropfen eigenen Blutes mehr in den Adern hatte), und solange sie über ihre Seele gebieten konnte, würde sie Don Giovanni verfolgen, um ihn zu strafen für das, was er ihr angetan hatte – und sie würde Lothar töten!

***
„Das kannst du nicht.“
„Wie bitte?“ Andrea ließ verwirrt ihre W10 in den Becher fallen und musterte Mark, der zwischen einem Hügel von Clanbüchern auf der anderen Seite des Tisches saß, skeptisch. „Wie meinst du das?“
„Das wirst du noch sehen.“ Mark grinste, und als Andrea zu Thorsten hinübersah, konnte sie dieselbe blöde verschwörerische Grimasse auch auf der Miene ihres Meisters erkennen.
„Es ist mir egal, was du sagst“, beschloß sie kämpferisch. „Ich werde Lothar töten.“ Immerhin war das der einzige Name, den sie sich nicht hatte aufschreiben müssen. Den würde sie nicht vergessen!
„Lothar ist ein Ghul“, sagte Thorsten schlicht. Als würde das auch nur irgend etwas erklären!
„Und? Kann ich trotzdem töten?“ Sie klopfte ungeduldig mit dem Bleistift gegen ihr Colaglas, doch die Antwort war nur das dämliche Grinsen. Gab es nicht einen einzigen schwarzgewandeten Fanatiker mit silbernem Abzeichen am Revers, der eine einfache Frage mit Ja oder Nein beantworten konnte?
„Er ist ein Ghul“, wiederholte Thorsten.
„Und? Kann – ich – ihn – töten?“ Wenn man langsam sprach, ob es dann wohl das Gehirn erreichte?
„Ein Ghul“, hob Thorsten an, und Andreas Geist schaltete sich aus. Jetzt kam wieder eine dieser langatmigen Erklärungen, die er mit Nachdruck zu vermitteln suchte, die aber so ärmlich aus seinem Mund klangen. Außerdem war es doch egal: sie würde Lothar töten. Nicht gleich, nicht heute und nicht an diesem Spieltisch, aber er würde sterben. Für sie gab es immer einen Weg.

***
Noch zappelte er wie ein Kaninchen unter dem Griff ihres Geistes, doch er wurde schwächer. Francesca konnte die Panik spüren, die in ihm hochstieg, und sie war berauschender als mancher Wein, den sie zu Lebzeiten genossen hatte. Francesca lachte leise und hob die sorgfältig geschminkte Oberlippe an, damit ihre blitzenden weißen Fangzähne im Licht der Straßenlaterne glänzten. Es war nicht leicht, ohne Spiegelbild auf sein Äußeres zu achten, doch Francesca hatte diese Kunst erlernt. Sie hatte viel gelernt, und jetzt war es Zeit, ihr Wissen anzuwenden – und dem letzten auf einer langen Liste zu zeigen, zu was man sie einst gemacht hatte.
Ein erstickter Laut kroch aus Lothars Kehle, während er auf Francesca zutrat, die sich auf der Motorhaube ihres Porsches räkelte und den Geruch von saurem Schweiß und Pisse genoß, der sich mit der Vorfreude auf Lothars Blut vermischte. Die Nacht war gekommen, und wenn der Morgen anbrach, würde der kleine stinkende Körper zwischen diesen gelben Tonnen stehen, die sie seit einiger Zeit an den Straßenrand zu stellen pflegten.
Francescas Hand glitt über das feuchte Hemd ihres Opfers. Lothar, ein Ghul, ein williger Diener seines Herrn, eines einst machtvollen Vampirs, ein Blutsauger und Leichenschänder, er würde heute nacht erfahren, ob der Tod für Wesen wie ihn Vergebung bereit hielt. Francesca bohrte ihre Zähne sanft in seinen Hals, als wolle sie ihn küssen, und saugte genüßlich. Schließlich fiel ein schwerer Körper zu Boden. Eine bildschöne junge Frau in eleganter Kleidung spie aus, stieg über den Leichnam hinweg, und dann quietschten Reifen und eine Abgaswolke verwandelte die kleine Straße für einen Augenblick in eine Nebellandschaft. Lothar, der Ghul, war tot. Und er würde es bleiben.
 
L

loona

Gast
*lächel*... nu hab ich das kapiert mit den gelben Säcken... Vielleicht solltest Du es einfach bei dem Porsche als Zeichen der Neuzeit belassen? ;)

Ansonsten hat mich der Einwurf aus dem Rollenspiel etwas verwirrt...

Nichts desto trotz war's kurzweilig hier...

Lieben Gruß

loona
 

Alex

Mitglied
Ich fand die Story gut, aber zum Henker, welches System spielt ihr?
Ein Ghul der Blut mag, selbst welches hat, dass von Vampiren sogar noch genießbar ist. "genüßlich saugen", dass wiederstrebt meinem Ravenloft und Vampire geprägten Vampirbewusstsein.
Außerdem würde ich mir einen neuen DM suchen ;), Thorsten scheint in seinem Metier nicht besonders erfahren zu sein.
Auf "ich werde ihn töten!" mit "Das kannst du nicht" zu antworten, ist kein Zeichen guten Rollenspiels.
Das wiederspricht der ersten Regel: 'Spieler haben das Recht alles zu versuchen! (Außer den DM zu masakrieren)'
 

Andrea

Mitglied
Hi loona!

Daß mit den Säcken wäre eine Überlegung wert. Lothar gehört eh auf den Kompost... ;)

****

Hi Alex!

Ich habe zweimal in meinem Leben Vampire gespielt, das beschriebene entstammt der zweiten Sitzung und ist auch schon ein paar Wochen her. Es dürften also durchaus faktische Fehler drin sein - das einzige, woran ich mich erinnern konnte, war mein Haß auf Lothar und diese Arroganz, mit der man mir erklärte, der sei ein Ghul. Wie du gemerkt hast, hat mir das nicht sehr viel gesagt und tut es auch heute nicht.
"Thorsten" (ebenso wie Mark nicht der echte Name) gehört zu diesen Spielern/Meistern, die sehr engagiert sind, alle Regelbücher auf ihre Vorteile hin durchlesen (die Nachteile dabei sträflich unterlassen) und von Stimmung und Atmosphäre eher wenig Ahnung haben, obwohl sie ihren Charakteren den berühmt-berüchtigten langen schwarzen Kapuzenmantel für den großen Auftritt am Anfang ausstaffieren. "Thorsten" gehört jedenfalls zu meinen "Lieblings"-Spielern (man kann als Meisterin so herrlich herzlos und tyrannisch sein) - und wenn er meistert, krieg ich Zustände, weil er dir ständig die Kontrolle über deinen eigenen Charakter abspricht und super-geniale NSC mitlaufen läßt.
Naja, genug gelästert...
 

Gilmon

Mitglied
Hi Andrea,

es gibt Geschichten, zu welchen ich spontan eine Kritik schreiben kann und solche Geschichten wo mir spontan nichts einfällt, aber die mich doch nicht loslassen. Schon seit einigen Tagen spuckt deine Geschichte in meinen Hirn rum und eine innere Stimme hält mich dazu an, eine Kritik dazu zu schreiben.
Mir fällt immer der Ghul ein, der einfach nicht in mein vertrautes Ghulbild passt. Für mich ist der Ghul eine Figur, die nachts über Friedhöfe schleicht, einige Gräber öffnet und sich an deren Inhalten verköstigt. Das ist eben meine Auffassung, aber wie heißt es so schön: Andere Spielsysteme, andere Ghule.
Besonders gut gefällt mir die Stelle, wo die Vampirin erwähnt, daß sie ihr eigenes Spielbild nicht sehen kann und es so schwierig ist, auf das Äußere zu achten. Diesen Punkt habe ich bei Vampieren noch gar nicht bedacht.
Etwas gefährlich ist der Einschub aus der Rollenspielsitzung, dieser könnte Leute, die nichts mit Rollenspiel am Hut haben, etwas verwirren. Ingesamt hat mir deine Geschichte gut gefallen und es ist eine dieser Geschichten, die auch bei mir haften bleiben

Grüße, Gilmon
 

Andrea

Mitglied
Das klingt nach einer richtig guten Kritik! :D
Dein Ghulbild scheint, wie meines eigentlich auch, von DSA geprägt zu sein, Lothar entspringt aber Vampire, auch wenn Alex jetzt wahrscheinlich einen Anfall bekommt.. ;) Naja, daß ich die Ghul-Regeln von Vampire nie so recht verstanden habe, hatte ich ja schon erwähnt.
Zu deiner "Beruhigung": Sollte ich je dazu kommen, Impression Nummer 2 zu schreiben, wird dieser Ghul eben das sein: ekelig, stinkend, schlurfend und auf Leichenteilen kauend. Aber (da ich hiermit an deinen Vorschlag aus einer Reaktion auf die Vampir-Texte anknüpfen wollte, andere Figuren zu nehmen, deren Bild noch nicht so fest gestampft ist) ich würde mich auch freuen, deine Interpretation zu lesen...
Die Rollenspielszene hatte einen ganz einfachen Grund: Schon damals regte ich mich über "Thorsten" auf, und deshalb konnte ich es mir nicht verkneifen, ihn einzubauen. Außerdem macht sie so für mich Sinn, ansonsten wäre Lothar für mich auch kein Ghul (ist er auch nicht, mittlerweile ist er ja Kompost...)
 

Gilmon

Mitglied
Hi Andrea,

schon gestern kam mir die Idee einen Ghultext zu schreiben und ich habe mir schon gedacht, daß Du den Ghul genommen hast, weil diese Figur noch nicht zu bekannt ist (und auch auf meinen Vorschlag hin).
Aber ich werde mich mal hinsetzten und auch die Figur des Ghuls in eine kleine Geschichte einbauen. (In letzter Zeit schreibe ich nur noch Texte für die Leselupe und komme garnicht mit meinem Roman voran. Dieser Dämon von Leselupe zieht mich in seinen Bann :))
Nachdem ich gestern die Kritik für deinen Text geschrieben habe, sind auch die Stimmen aus meinen Kopf verschwunden, die mir immer sagten:"Schreib eine Kritik für Andrea!" :)
Den Ghultext in Kürze...

Grüße, Gilmon
 

zero

Mitglied
Ich hasse das...

Hallo Andrea!

Ich hab mich lange um die Geschichte rumgedrückt, irgendwie hatte ich was Melodramatisches bei dem Titel befürchtet. Keine Ahnung warum. Spätestens bei Francesca auf dem Silbertablett war die Story für mich gerettet, dass hätte ich gerne gesehen. Aber Don Giovanni in Transsylvanien? Welcher Teufel hat den Spielleiter geritten?

Ich muss Alex leider widersprechen, die erste Regel lautet: Der Spielleiter hat immer Recht, und wem das nicht passt, für den gilt Regel Nummer eins... Auch wenn's manchmal ärgerlich ist.


Falls er dumm genug ist, sich auf Diskussionen einzulassen:

ghul, arabisch

Eine Rasse von Riesen, die in der Nacht Gräber ausrauben und die Leichen verzehrten. Gott bestrafte sie für diese Sünde und liess sie so hässlich und schwarz aussehen, wie das Aas, das sie verzehrten...

Als der Prophet Mohammed seine ersten Jünger nach Äthiopien schickte, gab er ihnen Ali als Begleitung mit; in den Bergen musste dieser gegen die Ghuls kämpfen, die sich ihnen in den Weg stellten, bis Ali ihren König mit seinem zweischneidigen Schwert tötete und sie vertrieb.


Bitte bitte, ändere die Geschichte! Meinetwegen soll die arme Francesca das Aas (entschuldige das Wortspiel) in kleine Stücke hacken - aber doch nicht reinbeissen, iiih, pfui!
 

Andrea

Mitglied
Hi Zero!

Klar hat der Meister immer recht, aber das sollte den Spielern nicht die Möglichkeit rauben, alles auszuprobieren, was sie wollen - und das war es wohl, was Alex meinte. M.E. gilt folgendes: Der Meister hat die Kontrolle über das Spiel (sofern er gut ist..), aber den Spielern darf deshalb nicht die Kontrolle über ihre Helden entzogen werden (es sei denn, sie sind gefangen, unterliegen einem Zwang etc.).

Zurück zum Text: Ob es in Transsylvanien war, weiß ich gar nicht mehr so genau.. (das Abenteuer heißt Das Letzte Mahl und ist als Einstiegsabenteuer in die alte Welt gedacht). Wenn du ihn aus fachlich-qualifizierte Vampire-Perspektive liest, darfst du den Text nach dem Rollenspieleinschub nicht mehr sooo ernst nehmen. Da ich keine Ahnung von dem System habe, spiegelt es lediglich meine Phantasie wieder - und immerhin ist Francesca Vampirin. Da wird sie schon beißen müssen. Wenn Ghulblut (gibt's das überhaupt? :confused: )nicht schmeckt, stell dir einfach vor, daß der Haß jeden Geschmacksnerv getötet hat und Francesca danach am Leben erhält.. ;)

Gruß
Andrea
(in erster Linie DSAlerin)
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Peinlich!
Mir hat Andreas Geschichte ganz gut gefallen. Deshalb hätte ich mich auch gern an der Diskussin beteiligt, aber ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich nicht weiß, was ein Ghul ist. Aus dem Text und den Feedbacks kann ich zwar einiges entnehmen, aber ich hätte es gern richtig gewußt. Kann mir einer von euch helfen? Kurz und knapp - reicht zu.

Gruß Ralph
 



 
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