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Empfohlener Beitrag
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Eines Tages blieb ich einfach im Wasser. Ein herrlicher Tag. Die Luft war perfekt, das Wasser war es auch, warm und samtweich umschloss es mich, streichelte, liebkoste mich. Ich stieß mich kraftvoll vorwärts, wie im Rausch. Nach einer Weile ließ ich mich treiben, auf dem Rücken gemächlich dahinplätschernd, alles vergessend.
Schon seit einigen Wochen hatte ich bemerkt, dass ich mich im Wasser viel wohler fühlte. Hier war ich frei!, schwamm hierhin, dann dorthin, mal kraftvoll, mal spielerisch. Bei einem Ausflug mit Freunden, ein paar Tage zuvor, neckte ich diese wie ein Delphin. Ich schwamm von einem zum anderen, schaute kurz vorbei, rief schnell buongiorno, und weg war ich, tauchte unter, machte Kunststücke, die niemand sah. Ich spielte, probierte, immer Neues fiel mir ein. Eine Zeitlang spielte ich Torpedo. Dazu ließ ich mich waagerecht fallen, um dann mit einem kräftigen Zug vorwärtszugleiten. Ohne auszuatmen war es schöner, fand ich schnell heraus. Lautlos glitt ich dahin. Oder ich schlängelte mich verspielt durchs Wasser, rechts, links, rechts, links. Wie schön die Luftbläschen an mir kribbelten, wenn ich sie mir mit den Armen unter den Bauch wedelte.
Und immer genoss ich es, aus der Welt zu sein, ja, das wurde immer mehr mein Antrieb, ins Wasser zu gehen, nicht der Sport, nicht das Spüren meiner Muskeln, meiner Männlichkeit. Nein, ich schwamm aus der Welt, die mir überdrüssig geworden. Immer öfter wollte ich nicht mehr heraus aus dem Wasser, nicht zurück in die Menschenwelt. Kam ich unweigerlich doch, weil mir kalt geworden war, oder weil mein Verstand mir sagte, es reiche nun, torkelte ich zunächst wie ein Betrunkener.
Ach die Menschen. Viele waren ja sehr nett und freundlich, freuten sich gar, mich zu sehen. Aber ich fühlte mich ihnen immer weniger verbunden. Ihre Sorgen, sie ödeten mich an. Das ewig Gleiche, der tägliche Kampf um ein kleines bisschen Glück, das sowieso flüchtig war, wie gewonnen so zerronnen. Im Wasser wurde mir von Tag zu Tag bewusster, wie sehr ich den anderen etwas vorspielte, mich spielte; bei der Arbeit den Klugen, Witzigen, Überzeugten; bei den Frauen den Charmanten und Verständnisvollen; bei meinen Kindern den tollen Papa, aufmerksamen, hilfsbereit, kreativ, lustig. Und so weiter. Ich war all meine Rollen so leid. Im Wasser hingegen konnte ich einfach sein, niemand begutachtete, niemand bewertete mich, niemand schaute mich abschätzend von oben bis unten an, oder machte blöde Sprüche, sich über mich erhebend, im ewigen Wettbewerb der Eitelkeiten. Nein, den Fischen war ich vollkommen gleichgültig. Herrlich! Im Wasser die Menschen hinter mir zu lassen!
Wenn mir doch gelegentlich Gedanken und Gefühle kamen, schlug ich wütend mit dem Kopf aufs Wasser, wieder und wieder, bis sie vergingen. Später verfeinerte ich diese Technik und machte daraus ein Unterwasserballett. Ich schwamm wellenförmig, mit dem Kopf im Halbkreis erst nach unten, dann wieder nach oben, gesteuert von kreisenden Armbewegungen, kurz atmen, und erneut schlug ich den Kopf ins Wasser, mein einsames Ballett tanzend.
Anfangs flohen mich die anderen Fische. Ich war ich ihnen wohl zu unbekannt, und zu groß, für sie einem Raubfisch gleich, was ich ja im Grunde auch war. Denn natürlich fraß ich Fische, was sonst! Anfangs war das allerdings schwierig. Zum einen musste ich üben, sie zu fangen, zum anderen kostete es mich doch einiges an Überwindung, sie ganz zu essen. Aber ich gewöhnte mich schnell daran. Wer Suhsi isst, kann auch rohe Fische essen!, sagte ich mir, oder, was ich alles schon an weird food gegessen hätte, wobei, wenn ich an den vietnamesischen Ziegenblutpudding dachte, dann ekelte es mich noch immer.
Aber ich passte mich schnell an, das konnte ich schon immer gut! Wo ich überall gewesen war! Und immer war ich schnell integriert, sprach viel mit den Einheimischen, hielt mich an ihre Regeln und Verhaltensweisen.
Nun also bin ich ein Fisch.
Und es gab nichts, was mich wieder an Land zog, zu den Menschen. Natürlich dachte ich ab und zu daran, dass sich einige sicher große Sorgen um mich machten. Zumal man meine Leiche nie finden, bzw. diese nie als mich identifizieren würde. Aber ich war mir sicher, dass sie schon ohne mich klarkommen würden, wer brauchte mich schon wirklich? Niemand ist unersetzlich! Meine Eltern sind tot, Frau habe ich keine und die Kinder sind bei ihren Müttern mehr oder weniger gut aufgehoben. So selten, wie wir uns sahen, macht es nicht mehr viel aus, wenn ich gar nicht mehr käme. Und meine Freunde würden mich nach einiger Zeit schon vergessen. Nein, ich blieb im Wasser – und war froh darum.
Anfangs hatte ich es sehr geliebt, auf dem Rücken liegend langsam dahin zu treiben. Ich gab mir nur gelegentlich etwas Schwung. Ich genoss den Himmel in der 360 Grad Perspektive auf den See, die Ufer mit den Menschen weit weg am Rande meines Gesichtsfeldes, wenn sie nicht gerade meine Bahn kreuzten, was ich tunlichst zu vermeiden suchte. Leider konnte ich diese Aussicht immer weniger genießen, weil meine Augen sich veränderten. Dafür sah ich immer besser unter Wasser. Begeistert schaute ich mir die Fische, und die anderen Tiere, und die Pflanzen an, so viel Neues gab es hier zu entdecken. Welch Reichtum an Farben und Formen! Ich stupste die Krabben und Muscheln an, wühlte im Schlamm des Grundes.
Mein Körper veränderte sich auch sonst. Zuerst wurde meine Haut glatter und fester, so dass ich nicht mehr fror. Später entwickelten sich meine Arme und Beine zu Flossen. Ich begrüßte all das außerordentlich, machte es mein Leben im Wasser doch viel leichter.
Natürlich dachte ich oft an Gregor Samsa. Ich kam immer mehr zu der Überzeugung, dass er ein ziemlicher Idiot war, der es versäumt hatte, ein glücklicher Käfer, oder eine glückliche Kakerlake zu werden, was auch immer er genau geworden war. Die alte Klette! Jammerte die ganze Zeit seinem Menschsein hinterher. Liebend gern hätte seine Familie ihn doch in die Freiheit entlassen! Ja, er hatte eingesehen, dass er verschwinden müsse und sich in seinen Tod gefügt. Aber seine Familie hat er für den Rest ihres Lebens mit einem schlechten Gewissen belastet, weil sie ihn jämmerlich hatten verrecken lassen. Wäre er doch nur freudestrahlend von dannen gelaufen, also, gekrabbelt, dann hätte seine Familie unbelastet weiterleben können. Gut, seine Verwandlung war nicht freiwillig, das hielt ich ihm zu Gute. Und ich muss zugeben, dass ich auch nicht gern ein Käfer und noch weniger eine Kakerlake wäre. Trotzdem! Ich konnte mich an nichts Spielerisches, nichts Freudiges erinnern, das Gregor mit seinen neuen Fähigkeiten erlebt hatte. War das nicht ein klarer Fall einer Anpassungsstörung?
Noch unverständlicher war mir nur der Affe aus der anderen Erzählung von Kafka, der unbedingt ein Mensch sein wollte.
Anfangs musste ich noch zum Luftholen nach oben, aber ich hielt immer länger durch. Und irgendwann war ich wohl ganz Fisch, meine Verwandlung abgeschlossen. Ich hatte auch Schuppen bekommen und spielte nicht mehr. Ich hatte den anderen Fischen abgeschaut, wie sie sich verhielten und schloss mich anderen Raubfischen an. Ich schwamm ruhig und gemächlich mit ihnen dahin, ich dachte und fühlte immer weniger. Und als ich das erste Mal ein Hechtweibchen begattete, dachte ich ein letztes Mal daran, dass ich Menschenkinder habe. Dann erloschen mein Denken und Fühlen endgültig.
Schon seit einigen Wochen hatte ich bemerkt, dass ich mich im Wasser viel wohler fühlte. Hier war ich frei!, schwamm hierhin, dann dorthin, mal kraftvoll, mal spielerisch. Bei einem Ausflug mit Freunden, ein paar Tage zuvor, neckte ich diese wie ein Delphin. Ich schwamm von einem zum anderen, schaute kurz vorbei, rief schnell buongiorno, und weg war ich, tauchte unter, machte Kunststücke, die niemand sah. Ich spielte, probierte, immer Neues fiel mir ein. Eine Zeitlang spielte ich Torpedo. Dazu ließ ich mich waagerecht fallen, um dann mit einem kräftigen Zug vorwärtszugleiten. Ohne auszuatmen war es schöner, fand ich schnell heraus. Lautlos glitt ich dahin. Oder ich schlängelte mich verspielt durchs Wasser, rechts, links, rechts, links. Wie schön die Luftbläschen an mir kribbelten, wenn ich sie mir mit den Armen unter den Bauch wedelte.
Und immer genoss ich es, aus der Welt zu sein, ja, das wurde immer mehr mein Antrieb, ins Wasser zu gehen, nicht der Sport, nicht das Spüren meiner Muskeln, meiner Männlichkeit. Nein, ich schwamm aus der Welt, die mir überdrüssig geworden. Immer öfter wollte ich nicht mehr heraus aus dem Wasser, nicht zurück in die Menschenwelt. Kam ich unweigerlich doch, weil mir kalt geworden war, oder weil mein Verstand mir sagte, es reiche nun, torkelte ich zunächst wie ein Betrunkener.
Ach die Menschen. Viele waren ja sehr nett und freundlich, freuten sich gar, mich zu sehen. Aber ich fühlte mich ihnen immer weniger verbunden. Ihre Sorgen, sie ödeten mich an. Das ewig Gleiche, der tägliche Kampf um ein kleines bisschen Glück, das sowieso flüchtig war, wie gewonnen so zerronnen. Im Wasser wurde mir von Tag zu Tag bewusster, wie sehr ich den anderen etwas vorspielte, mich spielte; bei der Arbeit den Klugen, Witzigen, Überzeugten; bei den Frauen den Charmanten und Verständnisvollen; bei meinen Kindern den tollen Papa, aufmerksamen, hilfsbereit, kreativ, lustig. Und so weiter. Ich war all meine Rollen so leid. Im Wasser hingegen konnte ich einfach sein, niemand begutachtete, niemand bewertete mich, niemand schaute mich abschätzend von oben bis unten an, oder machte blöde Sprüche, sich über mich erhebend, im ewigen Wettbewerb der Eitelkeiten. Nein, den Fischen war ich vollkommen gleichgültig. Herrlich! Im Wasser die Menschen hinter mir zu lassen!
Wenn mir doch gelegentlich Gedanken und Gefühle kamen, schlug ich wütend mit dem Kopf aufs Wasser, wieder und wieder, bis sie vergingen. Später verfeinerte ich diese Technik und machte daraus ein Unterwasserballett. Ich schwamm wellenförmig, mit dem Kopf im Halbkreis erst nach unten, dann wieder nach oben, gesteuert von kreisenden Armbewegungen, kurz atmen, und erneut schlug ich den Kopf ins Wasser, mein einsames Ballett tanzend.
Anfangs flohen mich die anderen Fische. Ich war ich ihnen wohl zu unbekannt, und zu groß, für sie einem Raubfisch gleich, was ich ja im Grunde auch war. Denn natürlich fraß ich Fische, was sonst! Anfangs war das allerdings schwierig. Zum einen musste ich üben, sie zu fangen, zum anderen kostete es mich doch einiges an Überwindung, sie ganz zu essen. Aber ich gewöhnte mich schnell daran. Wer Suhsi isst, kann auch rohe Fische essen!, sagte ich mir, oder, was ich alles schon an weird food gegessen hätte, wobei, wenn ich an den vietnamesischen Ziegenblutpudding dachte, dann ekelte es mich noch immer.
Aber ich passte mich schnell an, das konnte ich schon immer gut! Wo ich überall gewesen war! Und immer war ich schnell integriert, sprach viel mit den Einheimischen, hielt mich an ihre Regeln und Verhaltensweisen.
Nun also bin ich ein Fisch.
Und es gab nichts, was mich wieder an Land zog, zu den Menschen. Natürlich dachte ich ab und zu daran, dass sich einige sicher große Sorgen um mich machten. Zumal man meine Leiche nie finden, bzw. diese nie als mich identifizieren würde. Aber ich war mir sicher, dass sie schon ohne mich klarkommen würden, wer brauchte mich schon wirklich? Niemand ist unersetzlich! Meine Eltern sind tot, Frau habe ich keine und die Kinder sind bei ihren Müttern mehr oder weniger gut aufgehoben. So selten, wie wir uns sahen, macht es nicht mehr viel aus, wenn ich gar nicht mehr käme. Und meine Freunde würden mich nach einiger Zeit schon vergessen. Nein, ich blieb im Wasser – und war froh darum.
Anfangs hatte ich es sehr geliebt, auf dem Rücken liegend langsam dahin zu treiben. Ich gab mir nur gelegentlich etwas Schwung. Ich genoss den Himmel in der 360 Grad Perspektive auf den See, die Ufer mit den Menschen weit weg am Rande meines Gesichtsfeldes, wenn sie nicht gerade meine Bahn kreuzten, was ich tunlichst zu vermeiden suchte. Leider konnte ich diese Aussicht immer weniger genießen, weil meine Augen sich veränderten. Dafür sah ich immer besser unter Wasser. Begeistert schaute ich mir die Fische, und die anderen Tiere, und die Pflanzen an, so viel Neues gab es hier zu entdecken. Welch Reichtum an Farben und Formen! Ich stupste die Krabben und Muscheln an, wühlte im Schlamm des Grundes.
Mein Körper veränderte sich auch sonst. Zuerst wurde meine Haut glatter und fester, so dass ich nicht mehr fror. Später entwickelten sich meine Arme und Beine zu Flossen. Ich begrüßte all das außerordentlich, machte es mein Leben im Wasser doch viel leichter.
Natürlich dachte ich oft an Gregor Samsa. Ich kam immer mehr zu der Überzeugung, dass er ein ziemlicher Idiot war, der es versäumt hatte, ein glücklicher Käfer, oder eine glückliche Kakerlake zu werden, was auch immer er genau geworden war. Die alte Klette! Jammerte die ganze Zeit seinem Menschsein hinterher. Liebend gern hätte seine Familie ihn doch in die Freiheit entlassen! Ja, er hatte eingesehen, dass er verschwinden müsse und sich in seinen Tod gefügt. Aber seine Familie hat er für den Rest ihres Lebens mit einem schlechten Gewissen belastet, weil sie ihn jämmerlich hatten verrecken lassen. Wäre er doch nur freudestrahlend von dannen gelaufen, also, gekrabbelt, dann hätte seine Familie unbelastet weiterleben können. Gut, seine Verwandlung war nicht freiwillig, das hielt ich ihm zu Gute. Und ich muss zugeben, dass ich auch nicht gern ein Käfer und noch weniger eine Kakerlake wäre. Trotzdem! Ich konnte mich an nichts Spielerisches, nichts Freudiges erinnern, das Gregor mit seinen neuen Fähigkeiten erlebt hatte. War das nicht ein klarer Fall einer Anpassungsstörung?
Noch unverständlicher war mir nur der Affe aus der anderen Erzählung von Kafka, der unbedingt ein Mensch sein wollte.
Anfangs musste ich noch zum Luftholen nach oben, aber ich hielt immer länger durch. Und irgendwann war ich wohl ganz Fisch, meine Verwandlung abgeschlossen. Ich hatte auch Schuppen bekommen und spielte nicht mehr. Ich hatte den anderen Fischen abgeschaut, wie sie sich verhielten und schloss mich anderen Raubfischen an. Ich schwamm ruhig und gemächlich mit ihnen dahin, ich dachte und fühlte immer weniger. Und als ich das erste Mal ein Hechtweibchen begattete, dachte ich ein letztes Mal daran, dass ich Menschenkinder habe. Dann erloschen mein Denken und Fühlen endgültig.
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