Der glückliche Fisch

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Gerrit

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Eines Tages blieb ich einfach im Wasser. Es war so ein herrlicher Tag. Die Luft war perfekt, das Wasser war es auch, warm und samtweich umschloss es mich, streichelte, liebkoste mich. Ich stieß mich kraftvoll vorwärts, wie im Rausch. Nach einer Weile ließ ich mich treiben, auf dem Rücken gemächlich dahinplätschernd, alles vergessend.

Ich hatte die Tage zuvor schon bemerkt, dass ich mich im Wasser viel wohler fühlte als an Land. Im Wasser war ich frei!, schwamm hierhin, dann dorthin, mal kraftvoll, mal spielerisch. Bei einem Ausflug mit Freunden, ein paar Tage zuvor, neckte ich diese wie ein Delphin, schwamm von einem zum anderen, schaute vorbei, rief schnell „Buongiorno“, und weg war ich, tauchte unter, und machte Kunststücke, die niemand sah.

Ich spielte, probierte aus, immer Neues fiel mir ein. Eine Zeitlang spielte ich gerne Torpedo, ließ mich waagerecht fallen, um dann mit einem kräftigen Zug vorwärts zu gleiten. Ohne Auszuatmen war es schöner, fand ich schnell heraus, lautlos glitt ich dahin. Oder ich schlängelte mich verspielt durchs Wasser, rechts, links, rechts, links. Genoss, wie die Luftbläschen an mir kribbelten, wenn ich sie mir mit den Armen unter den Bauch wedelte.

Und immer genoss ich es, aus der Welt zu sein, ja, wurde das immer mehr mein Antrieb, ins Wasser zu gehen, nicht der Sport, das Spüren meiner Muskeln, meiner Männlichkeit, nein, ich schwamm aus der Welt, die mir überdrüssig geworden war.

Immer öfter wollte ich nun gar nicht mehr heraus aus dem Wasser, nicht zurück in die Menschenwelt. Kam ich dann doch heraus, weil mir kalt war, oder weil mein Verstand mir sagte, es reiche nun, dauerte es oft, bis ich wieder richtig gehen konnte, torkelte ich wie ein Betrunkener, nach einer Stunde im Wasser.

Ach, die Menschen, viele waren ja sehr nett und freundlich, freuten sich gar, mich zu sehen. Aber ich fühlte mich ihnen immer weniger verbunden. Ihre Sorgen, sie ödeten mich immer mehr an. Das ewig Gleiche, der tägliche Kampf um ein kleines bisschen Glück, das sowieso flüchtig war, wie gewonnen so zerronnen. Und im Wasser wurde mir immer mehr bewusst, wie sehr ich den anderen etwas vorspielte, mich spielte; bei der Arbeit den Klugen, Witzigen, Überzeugten; bei Frauen den Charmanten und Verständnisvollen; bei meinen Kindern den tollen Papa, aufmerksamen, hilfsbereit, kreativ, lustig und so weiter. Ich war all diese meine Rollen so leid. Im Wasser hingegen konnte ich einfach sein, niemand begutachtete, bewertete mich, schaute mich abschätzend von oben bis unten an, oder machte blöde Sprüche, sich über mich erhebend, im ewigen Wettbewerb der Eitelkeit. Nein, den Fischen war ich vollkommen gleichgültig. Wie herrlich! – im Wasser die Menschenwelt hinter mir zu lassen!

Wenn doch gelegentlich Gedanken und Gefühle hochkamen, schlug ich wütend mit dem Kopf aufs Wasser, wieder und wieder, bis sie vergingen. Später verfeinerte ich diese Technik, machte daraus ein Unterwasserballett. Ich schwamm dann wellenförmig, mit dem Kopf im Halbkreis erst nach unten, dann wieder nach oben, gesteuert von kreisenden Armbewegungen, kurz atmen, und erneut schlug ich den Kopf ins Wasser, mein einsames Ballett tanzend.

Anfangs flohen die anderen Fische mich, war ich ihnen wohl zu unbekannt und groß, für sie einem Raubfisch gleich – was ich im Grunde ja auch war, denn natürlich fraß ich Fische – was sonst! – was anfangs allerdings schwierig war. Zum einen musste ich üben, sie zu fangen, zum anderen kostete es mich anfangs doch einiges an Überwindung, sie ganz zu essen. Aber ich gewöhnte mich schnell daran. Wer Suhsi isst, kann auch rohe Fische essen!, sagte ich mir, oder, was ich alles schon an „weird food“ gegessen hatte, wobei – wenn ich an den vietnamesischen Ziegenblutpudding dachte, ekelte ich mich dann doch noch immer.

Jedenfalls passte ich mich schnell an das Leben im Wasser an, anpassen konnte ich mich schon immer gut! Wo ich überall gewesen war! Und war überall schnell bestens integriert, sprach so viel wie möglich mit den Einheimischen, passte mich ihren Regeln und Verhaltensweisen an.

Nun also war ich Fisch.

Und es gab nichts, was mich wieder an Land, zu den Menschen zog. Natürlich dachte ich ab und zu an die Menschen, die sich sicher große Sorgen um mich machten. Zumal man meine Leiche nie finden, bzw. diese nie als mich identifizieren würde. Aber ich war mir sicher, dass die schon alleine klarkommen würden, wer brauchte mich schon wirklich? Niemand ist unersetzlich! Meine Eltern waren tot, Frau hatte ich keine und die Kinder waren bei den Müttern mehr oder weniger gut aufgehoben. So selten, wie wir uns sahen, machte das sicher auch nicht mehr viel aus, wenn ich gar nicht mehr käme. Und meine Freunde würden mich nach einiger Zeit schon vergessen. Nein, ich blieb im Wasser – und war froh darum.

Anfangs hatte ich es sehr geliebt, auf dem Rücken liegend langsam dahin zu treiben, gab mir nur gelegentlich etwas Schwung, genoss den Himmel in der 360 Grad Perspektive auf den See, die Ufer mit den Menschen irgendwo weit weg am Rande meines Gesichtsfeldes, wenn sie nicht gerade meine Bahn kreuzten, was ich tunlichst zu vermeiden suchte. Leider konnte ich diese Aussicht später immer weniger genießen, veränderten sich meine Augen. Dafür aber sah ich nun immer besser unter Wasser. Begeistert schaute ich mir die Fische und die anderen Tiere und die Pflanzen an, so viel Neues gab es hier zu entdecken, welch Reichtum an Farben und Formen! Ich stupste Krabben und Muscheln an, wühlte im Schlamm des Grundes.

Auch sonst veränderte ich mich körperlich. Zuerst wurde meine Haut glatter und fester, so dass ich nicht mehr fror. Später entwickelten sich meine Arme und Beine langsam zu Flossen. Ich begrüßte all das außerordentlich, machte es mein Leben im Wasser doch viel leichter.

Natürlich dachte ich anfangs oft an Gregor Samsa. Ich kam immer mehr zu der Überzeugung, dass er ein ziemlicher Idiot war, der es versäumt hatte, ein glücklicher Käfer zu werden. Die alte Klette! Jammerte die ganze Zeit seinem Menschsein hinterher. Liebend gern hätte seine Familie ihn doch in die Freiheit entlassen! Ja, er hatte eingesehen, dass er verschwinden müsse und sich in seinen Tod gefügt. Aber seine Familie hat er nun für den Rest ihres Lebens mit einem schlechten Gewissen belastet, weil sie ihn jämmerlich hatten verrecken lassen. Wäre er doch nur freudestrahlend von dannen gelaufen, nein, gekrabbelt, dann hätte seine Familie doch relativ unbelastet weiterleben können. Gut seine Verwandlung war, anders als meine, nicht freiwillig, das musste man ihm zu Gute halte. Und ich musste schon zugeben, dass ich auch nicht gern ein Käfer gewesen wäre. Trotzdem! Ich konnte mich an nichts Spielerisches, Freudiges erinnern, das Gregor mit seinen neuen Fähigkeiten erlebt hatte. War das nicht ein klarer Fall einer Anpassungsstörung?

Noch unverständlicher war mir nur der Affe aus der anderen Erzählung von Kafka, der unbedingt ein Mensch sein wollte.

Anfangs musste ich noch zum Luftholen nach oben, aber ich hielt immer länger durch. Irgendwann war ich dann wohl ganz Fisch, meine Verwandlung abgeschlossen, hatte ich auch Schuppen bekommen. Nun spielte ich nicht mehr. Ich hatte den anderen Fischen abgeschaut, wie sie sich verhielten, schloss mich anderen Raubfischen an, schwamm ruhig und gemächlich mit ihnen dahin, dachte und fühlte nichts.

Als ich das erste Mal ein Hechtweibchen begattete, dachte ich ein letztes Mal, dass ich ja auch Menschenkinder habe. Dann erloschen mein Denken und Fühlen endgültig.
 
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Hallo Gerrit,

ein toller Einfall für eine Geschichte und gut erzählt, mit philosophierenden Gedanken über Gregor Samsa.

Was mE nicht so richtig passt, ist der letzte Satz:

Dann erloschen mein Denken und Fühlen endgültig.
Wenn es so ist, wie kann der Fisch dann noch eine solche Geschichte erzählen, voller Gedanken und Gefühle?

Es ist allerdings immens schwierig, hier einen passablen Schlusssatz zu finden.

Schöne Grüße
SilberneDelfine
 

Gerrit

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Hallo SilberneDelfine,

vielen lieben Dank für die warmen Worte und die Sterne!

Ich hatte erst auch überlegt, mich zu einem Delfin werden zu lassen :) Wäre für ein Säugetier-Mensch ja eigentlich passender. Aber irgendwie war mir nach Fisch.

Du hast natürlich vollkommen Recht, logisch ist das Ende nicht und ich hatte mich das auch gefragt, ob es ginge. Ich habe mich dann aber an zwei Romane bekannter Autoren erinnert, die mit dem Tod des Erzählers enden, so dass ich mir dachte, als Leser:in muss man das Setting einer Geschichte eben glauben, und wenn man es nicht kann, dann funktioniert es eben nicht. Insbes. bei Science Fiction ist das ja offensichtlich. Ich habe schlicht darauf gehofft, dass sich an der fehlenden Logik nicht so viele stören. Bisher hat es auch geklappt, du bist die erste!

Schöne Grüße

Gerrit
 
Ich habe mich dann aber an zwei Romane bekannter Autoren erinnert, die mit dem Tod des Erzählers enden, so dass ich mir dachte, als Leser:in muss man das Setting einer Geschichte eben glauben, und wenn man es nicht kann, dann funktioniert es eben nicht.
Hallo Gerrit,

da hast du natürlich recht. Es gibt ja auch Romane und Geschichten, die von Anfang an aus der Sicht eines Toten erzählen. Daran stört man sich auch nicht.

Außerdem ist meine Kritik eigentlich unlogisch, da Fische überhaupt nicht schreiben können. So gesehen dürfte die Geschichte gar nicht existieren, und da wäre es schade drum.

LG SilberneDelfine
 



 
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