Die beiden Affen starrten auf den großen Monitor.
"Können sie nicht schneller fliegen?", fragte Zweigor seinen Piloten. Es klang wie ein Befehl.
"Nein, leider kann ich nicht schneller werden", sagte Terniak. Auf einmal fürchtete er sich um seinen Job und konnte das Angstgrinsen kaum noch unterdrücken.
"Wollen sie damit sagen, daß wir mit einer lahmen Gurke unterwegs sind?"
"Keineswegs!", beeilte sich Terniak zu sagen. "Das ist der schnellste und komfortabelste Flieger, den ich..."
"Das ist das neueste Modell!", rief Zweigor erregt aus. "Diese Maschine wird es nie in Großserie gehen. Es wurden nur ein paar Exemplare angefertigt. Die
Technik ist vom Feinsten! Das ist Technik des nächsten Jahrhunderts, Affe!"
"Davon habe ich gehört", sagte Terniak. Er konnte nicht länger gegen das Angstgrinsen ankämpfen.
"Der Antrieb ist für Militärmaschinen entwickelt worden!", führte Zweigor aus. "Der Hersteller brauchte erst eine Freigabe vom Verteidigungsminister, um das Aggregat in Schiffe für Zivilisten einbauen zu dürfen! Die wenigen Exemplare sind allesamt an ausgewählte Mitglieder der Regierung gegangen und jeder Verkauf mußte einzeln genehmigt werden!"
"Ja, Sir", sagte Terniak.
"Sind sie damit überfordert?"
"Nein, Sir."
"Dann haben sie also Angst?"
"Mit Verlaub, nein, Sir!"
"Dann geben sie endlich Schub!"
Terniak zögerte zu antworten. Schließlich fand er doch eine Formulierung, die ihm höflich genug vorkam.
"Sir, ich habe beim Anflug von Terra ordnungsgemäß den Zielort angegeben. Nach dem Durchstoßen der Atmosphäre wird man vom Leitsystem eingefangen. Die Steuerung des Schiffs liegt jetzt beim hiesigen Zentralcomputer."
Zweigor räusperte sich. "Natürlich weiß ich das. Können sie dem Leitsystem nicht signalisieren, daß wir viel schneller zu fliegen in der Lage sind?"
Terniak atmete tief durch.
"Sir, das Leitsystem ist nicht dialogfähig. Wegen der zunehmenden Verkehrsdichte hat es praktisch keine Planungsspielräume und operiert mittlerweile auch ohne Features wie das Anbieten alternativer Routen an der absoluten Grenze seiner Rechenkapazität..."
"Ich will keine andere Route, ich will eine andere Geschwindigkeit!", donnerte Zweigor los.
"Sir, theoretisch kann man sich von der Fernsteuerung durch das Leitsystem freimachen, aber das ist illegal und ich fand bisher noch keinen Hinweis darauf, ob dieses Schiff dafür überhaupt ausgerüstet ist. Schon der Erwerb der entsprechenden Teile wird mit zehn Jahren bestraft... und Terra gehört zu den Planeten mit modernem Strafvollzug, wo es keine Gefängnisse mehr gibt! Wenn einem hier zehn Jahre genommen werden, dann heißt das nicht, daß man zehn Jahre bei ausreichender Verpflegung und gewissen Annehmlichkeiten eingesperrt ist, sondern sie verpassen einem eine Zellbehandlung, die einen innerhalb einer Minute biologisch um zehn Jahre älter macht! Das ist so schmerzhaft, daß
viele dabei ihr Leben oder den Verstand verlieren..."
"Affe, halten sie mir hier keine Vorträge! Ich kenne den Strafvollzug auf Terra und ich bin selber dafür gewesen, daß man Gefängnisstrafen abschafft! Ist doch auch ein Witz, wenn jemand die Gesellschaft schädigt und als Belohnung dafür auch noch von ihr Vollpension erhält!"
"Jawohl, Sir!"
"Außerdem interessiert mich das in diesem Zusammenhang garnicht, denn als Berater des Präsidenten besitze ich Immunität! Haben sie das vergessen?"
"Nein, Sir. Aber leider besitze ich keine Immunität und auf Terra haftet bei Unfällen grundsätzlich immer der Pilot."
"Wer redet denn von Unfällen? Hab ich ihnen gesagt, sie sollen einen Unfall verursachen?"
"Nein, Sir. Ich wollte nur sagen, wenn bei dieser Verkehrsdichte..."
"Fliegen sie mich etwa zum erstenmal?"
Zweigirs Stimme dröhnte und füllte die kleine Kuppel voll aus. Terniak zog unwillkürlich seinen Kopf ein.
"Nein, Sir. Ich habe sie schon oft geflogen."
"Dann wissen sie ja auch, daß ich ein V.I.P. bin. Und das heißt, ich habe Sonderrechte!"
"Jetzt sind wir aber geheim und inkognito unterwegs."
"Ja, aber darum bin ich immer noch ein V.I.P.! Ich bin Zweigir! Ich bin der Berater des Präsidenten! Ich habe Sonderrechte!"
"Ja, Sir, aber das Leitsystem weiß das nicht und..."
"Das ist mir total egal! Ich weiß es aber und sie wissen es! Ich treffe die Entscheidungen und sie haben sie auszuführen! Und jetzt geben sie gefälligst Schub und hängen sie dieses verdammte Leitsystem ab!"
"Sir, das wird nicht funktionieren..."
"Blödsinn! Diese Maschine hängt alles ab!"
"Sir!", rief Terniak wütend. "Es liegt nicht an mir, daß der Zentralcomputer von Terra veraltet ist und uns keine höhere Geschwindigkeit erlaubt! Das ist genauso, als wenn ihr Handy technisch für Online-Übertragungen mit 100 Gigabyte pro Sekunde ausgelegt ist, aber der Provider nur 10 Gigabyte pro Sekunde weiterleitet! Da kann man eben nichts machen!"
"Finden sie einen Weg!", rief Zweigor. "Wenn ich immer so früh wie sie aufgegeben hätte, wäre ich heute noch Freigänger in einem Zoo!"
Terniak fand, daß Zweigor genau dorthin gehörte, nur ohne Freigang. Das sagte er aber nicht, sondern: "Sir, wenn wir uns von der Fremdsteuerung befreien, werden wir automatisch abgeschossen..."
Zweigor zog seine Waffe, setzte die Mündung an Terniaks Kopf und tötete ihn.
"Guter Tip...", sagte er über der Leiche. "Wenigstens einmal im Leben hattest du eine brauchbare Idee."
Er steckte seine Waffe wieder ein. Dann übte er noch ein paarmal sie zu ziehen. In seiner Zeit als Führer des "Politischen Primaten-Konzils", kurz PPK, war er für seine kämpferischen Fähigkeiten berühmt gewesen. Bei Ausbruch des 2.Kosmos-Kriegs hatte er mit den Zweihändern einen Waffenstillstand geschlossen, um das heimische Sonnensystem gegen die extra-terristrische Allianz gemeinsam zu verteidigen und anschließend war ihm als Dank für seine Erfolge eine Amnestie gewährt worden, aber das hatte ihn nur seines Strafregisters und keineswegs seiner martialischen Reflexe entledigt.
Interessiert betrachtete er den großen Monitor.
"Na, auch da hatte diese Pfeife recht", murmelte er, "wir werden tatsächlich komplett ferngesteuert!"
Er löste die Gurte des Bonobo und schulterte ihn. Ihm als Gorilla fiel diese Last leicht.
"Schimpansen sollten sich nicht mit Gorillas anlegen", sagte er zu sich selbst, als er die Leiche in den Gepäckraum warf.
An seinem Handgelenk vibrierte es. Er hob den linken Arm und sah auf ein Gerät, das einer Armbanduhr des ausgehenden 20.Jahrhunderts ähnelte. In der Mitte wies der nostalgisch designte Mobilkommunikator statt eines Zifferblatts einen kleinen Bildschirm auf.
Zweigor erkannte das grau behaarte Antlitz seines Arztes, der sofort zur Sache kam: "Sir, soeben bekam ich Alarm, daß ihr Puls und ihr Blutdruck erhöht sind. Es gibt keine Zweifel- der Empfang ist einwandfrei..."
"Ja, mein Puls und mein Blutdruck sind erhöht!", rief Zweigor. "Da haben sie absolut recht! Aber das liegt nur daran, daß ich einen gesunden Zorn auf das total veraltetete terranische Verkehrsleitsystem habe!"
Der Arzt hob die Augenbrauen und fragte mit gespielter Überraschung: "Sie sind jetzt unterwegs? Nach meinen Unterlagen sind sie..."
Zweigir unterbrach ihn erneut. "Hören sie, Doc, sie wissen bereits zuviel. Vergessen sie meine Bio-Daten und vergessen sie dieses Gespräch, okay?"
Selbst auf dem kleinen Display konnte man an der Miene des Arztes deutlich seinen Unmut erkennen. Er schien sich regelrecht zu winden, ehe er dann sagte:
"Sir, es ist meine Pflicht, über ihre Gesundheit zu wachen. Dafür werde ich bezahlt. Wenn sie erkranken, habe ich versagt!"
Der Doktor senkte seinen Kopf.
"Unsinn!", brüllte Zweigor. "Wenn ich krank werde, melde ich mich bei ihnen! Vorher brauchen sie sich nicht um mich zu kümmern!"
Vorsichtig artikulierte der Arzt mit gesenktem Kopf seinen Widerspruch: "Sir, was sie soeben vorschlugen, ist das europäische System. Die Europäer sind untergegangen, ebenso die von ehemaligen Europäern gebildete einstige Oberschicht Nordamerikas. Wir praktizieren das viel ältere und effizientere chinesische System der permanenten Betreuung, bei dem der Arzt an der Gesundheit statt an der Krankheit des Patienten verdient..."
Zweigor unterbrach ihn zum drittenmal: "Also verdient ihr Ärzte sowieso! Warum nerven sie mich dann noch mit ihren Sorgen? Sie sollten mich lieber nicht bei einer wichtigen Mission stören, es sei denn, sie wollen sich bald Sorgen um ihre eigene Gesundheit machen!"
Wutentbrannt unterbrach er die Verbindung. Er zerrte das Gerät so grob von seinem Handgelenk herunter, daß er dabei zahlreiche Haare aus seinem Fell riß. Dann warf er es fort. "Pulsüberwachung!", höhnte er, "ist das hier die Tour de France?"
*
Visvanathan Singh sah die Bilder der in Zweigors Schiff versteckten Kameras ohne eine Miene zu verziehen. Dann wandte er sich dem auf der anderen Seite des grotesk voluminösen Schreibtisches sitzenden Arzt zu.
"Was haben sie ihm noch gleich gespritzt?", fragte er den Pavian.
"Offiziell nur Vitamine und Mineralien",antwortete der Doktor.
"Soso", murmelte Singh. "Auf jeden Fall erfüllt es seinen Zweck. Zweigir dreht durch. Meiner Meinung nach war er schon immer verrückt, selbst für einen Affen und sogar für einen Gorilla. Ich habe sein Angebot, in der kritischen Phase auf unserer Seite zu kämpfen, nur angenommen, weil ich hoffte, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Es wäre ideal gewesen, hätten er und die Invasoren sich gegenseitig eliminiert. Leider ging meine Rechnung nicht auf. Er wurde für das Volk zum Helden und der Präsident sieht ihn seitdem als Reinkarnation unseres berühmten Affengottes Hanuman."
Der Doktor lauste sein graues Kinn, während er laut nachdachte: "Das erinnert mich daran, wie die Europäer Südamerika eroberten. Sie waren lächerlich wenige, aber die Indio-Herrscher hielten sie für die die Götter ihrer Legenden und öffneten ihnen ergeben alle Tore."
Singh verdrehte die Augen, aber dann nickte er. "Da sind tatsächlich Parallelen. Es ist meine allergrößte Sorge, daß die Gorillas zu neuen Europäern werden. Einst hatten die Chinesen und auch wir Inder die Europäer in der Entwicklung weit abgehängt... Wir bauten bereits große Städte und kannten Geld, als die Europäer noch auf den Bäumen lebten, aber unbemerkt holten sie dann nach und nach langsam auf. Irgendwie blieben sie immer ein bischen Tiere, indem sie Artgenossen zuerst nach körperlicher Größe beurteilten und auf kleinwüchsigere Rassen herabblickten. Aufgrund dieser Vermessenheit entwickelten sie eine unglaubliche Skrupellosigkeit, mit der sie und ihre Abkömmlinge in Nordamerika es schafften, die viel älteren Kulturen zu demütigen und auszurauben."
"Fiel China nicht eher den Mongolen zum Opfer?", fragte der Doktor.
"Ja", sagte Singh, "das waren die ersten Barbaren, die China heimsuchten. Aber die Mongolen ließen sich noch assimilieren, was mit den weißen Kolonialherren nie gelingen konnte. Mit den Gorillas ist es genauso. Niemals werden sie einfach in der Menschheit aufgehen, dafür sind sie zu andersartig und bilden sich viel zuviel auf ihre körperliche Stärke ein. Wenn man den gleichen Fehler wie bei den Europäern macht und sie sich frei entwickeln läßt, werden sie irgendwann mit derselben Skrupellosigkeit die Macht an sich reißen."
Der Doktor überlegte. Wie die meisten Paviane hegte er einen tiefsitzenden Groll gegen die Gorillas, die sich als Herrenaffen fühlten und allenfalls die Bonobos als einigermaßen gleichwertig anerkannten, so daß dieser nur durch schiere tierische Aggressivität einflußreich gewordene Bananenbieger Zweigor sich selbst gegenüber einem Arzt unverschämt benahm, wenn der zufällig "nur" ein Pavian war. In betont sachlicher Manier fragte er: "Kennen sie den Lieblingsfilm von Zweigor?"
"Planet der Affen?", fragte Singh.
Der Pavian sagte: "Den guckt er sich immer wieder an."
Singh winkte ab. "Den habe ich mir als Kind auch immer wieder angesehen. Das ist schließlich ein Klassiker wie sonst höchstens noch die Geschichte des Grafen von Monte Christo oder der drei Musketiere... Davon kommen ja auch immer wieder neue Versionen raus."
"Zweigor guckt sich aber jedesmal die verbotene Splatter-Version an, in der alle Affenrollen von Gorillas gespielt und Menschen vor der Kamera real zu Tode geprügelt werden."
Singh atmete tief durch. "Helfen sie mir die Welt zu retten und ich empfehle sie dem Präsidenten als Nachfolger für Zweigor."
"In der Stunde der Not", sagte der Pavian scheinheilig seufzend, "müssen alle Gattungen zusammenhalten..."
*
Zweigor verneigte sich tief vor dem ergrauten Bonobo-Schimpansen Trattus, damit dieser ihm die Hand auf den Kopf legen und ein freundschaftliches Lausen andeute konnte. Während Trattus in einem Kunstbaum saß, ließ Zweigor sich auf dem Boden nieder.
"So, Du willst also, daß die Affen sich das Wahlrecht erkämpfen?", fragte Trattus. "Aber sind wir nicht viel zu wenige, um einen Affen ins Parlament zu bringen?"
"Stimmt", sagte Zweigor knapp."Das muß man zugeben."
"Er könnte dann natürlich bei manchen Abstimmungen das sprichwörtliche Zünglein an der Waage sein..."
Zweigor grunzte vergnügt. "Mit solchen Klinkerlitzchen halten wir uns erst garnicht auf! Nein, sobald Affen wählen und gewählt werden dürfen, kandidiere ich als neuer Präsident. Das indische Volk sieht mich als Wiedergeburt ihres Affengottes Hanuman. Das könnte mir genug Stimmen einbringen, um eine Koalition zu gründen und Präsident zu werden..."
Trattus nickte respektvoll."Ich wollte mich schon viel eher mal mit Dir unterhalten... Aber mein Arzt hat mir Reisen verboten..."
"Die meisten Ärzte sind Paviane!", polterte Zweigor dazwischen. "Gibt dir das nicht zu denken? Das sind doch alles Marionetten der Melanome!"
"Melanome ist ein Schimpfwort", mahnte Trattus. "Wir dürfen nicht vergessen, daß die Nacktaffen schon viel eher als wir vorausschauendes Denken praktizierten."
"Unsinn", widersprach Zweigor energisch. "Wieso haben sie denn dann die Ozonschicht verheizt, bis nur wir noch ohne Schutzkleidung draußen sein konnten, ohne sofort Hautkrebs zu kriegen? War das vorausschauend?"
Als Zweigor vor Erregung und zur Bekräftigung seiner Worte auf seiner Brust trommelte, kam eine maskierte menschliche Kommando-Truppe hereingestürmt und betäubte die beiden Affen gewaltsam. Der Offizier brach Trattus das Genick. Dann hielt er eine Disc hoch.
"Das zeigt Zweigors Mord an seinem Piloten und wie er hier Drohgebärden machte, ehe er Trattus tötete! Die Gorillas bleiben immer wilde Tiere! Das Sonnensystem den Menschen!"
Die anderen "Melanome" applaudierten und johlten.
Zweigors Traum vom Wahlrecht der Affen erfüllte sich nie mehr.
ENDE
"Können sie nicht schneller fliegen?", fragte Zweigor seinen Piloten. Es klang wie ein Befehl.
"Nein, leider kann ich nicht schneller werden", sagte Terniak. Auf einmal fürchtete er sich um seinen Job und konnte das Angstgrinsen kaum noch unterdrücken.
"Wollen sie damit sagen, daß wir mit einer lahmen Gurke unterwegs sind?"
"Keineswegs!", beeilte sich Terniak zu sagen. "Das ist der schnellste und komfortabelste Flieger, den ich..."
"Das ist das neueste Modell!", rief Zweigor erregt aus. "Diese Maschine wird es nie in Großserie gehen. Es wurden nur ein paar Exemplare angefertigt. Die
Technik ist vom Feinsten! Das ist Technik des nächsten Jahrhunderts, Affe!"
"Davon habe ich gehört", sagte Terniak. Er konnte nicht länger gegen das Angstgrinsen ankämpfen.
"Der Antrieb ist für Militärmaschinen entwickelt worden!", führte Zweigor aus. "Der Hersteller brauchte erst eine Freigabe vom Verteidigungsminister, um das Aggregat in Schiffe für Zivilisten einbauen zu dürfen! Die wenigen Exemplare sind allesamt an ausgewählte Mitglieder der Regierung gegangen und jeder Verkauf mußte einzeln genehmigt werden!"
"Ja, Sir", sagte Terniak.
"Sind sie damit überfordert?"
"Nein, Sir."
"Dann haben sie also Angst?"
"Mit Verlaub, nein, Sir!"
"Dann geben sie endlich Schub!"
Terniak zögerte zu antworten. Schließlich fand er doch eine Formulierung, die ihm höflich genug vorkam.
"Sir, ich habe beim Anflug von Terra ordnungsgemäß den Zielort angegeben. Nach dem Durchstoßen der Atmosphäre wird man vom Leitsystem eingefangen. Die Steuerung des Schiffs liegt jetzt beim hiesigen Zentralcomputer."
Zweigor räusperte sich. "Natürlich weiß ich das. Können sie dem Leitsystem nicht signalisieren, daß wir viel schneller zu fliegen in der Lage sind?"
Terniak atmete tief durch.
"Sir, das Leitsystem ist nicht dialogfähig. Wegen der zunehmenden Verkehrsdichte hat es praktisch keine Planungsspielräume und operiert mittlerweile auch ohne Features wie das Anbieten alternativer Routen an der absoluten Grenze seiner Rechenkapazität..."
"Ich will keine andere Route, ich will eine andere Geschwindigkeit!", donnerte Zweigor los.
"Sir, theoretisch kann man sich von der Fernsteuerung durch das Leitsystem freimachen, aber das ist illegal und ich fand bisher noch keinen Hinweis darauf, ob dieses Schiff dafür überhaupt ausgerüstet ist. Schon der Erwerb der entsprechenden Teile wird mit zehn Jahren bestraft... und Terra gehört zu den Planeten mit modernem Strafvollzug, wo es keine Gefängnisse mehr gibt! Wenn einem hier zehn Jahre genommen werden, dann heißt das nicht, daß man zehn Jahre bei ausreichender Verpflegung und gewissen Annehmlichkeiten eingesperrt ist, sondern sie verpassen einem eine Zellbehandlung, die einen innerhalb einer Minute biologisch um zehn Jahre älter macht! Das ist so schmerzhaft, daß
viele dabei ihr Leben oder den Verstand verlieren..."
"Affe, halten sie mir hier keine Vorträge! Ich kenne den Strafvollzug auf Terra und ich bin selber dafür gewesen, daß man Gefängnisstrafen abschafft! Ist doch auch ein Witz, wenn jemand die Gesellschaft schädigt und als Belohnung dafür auch noch von ihr Vollpension erhält!"
"Jawohl, Sir!"
"Außerdem interessiert mich das in diesem Zusammenhang garnicht, denn als Berater des Präsidenten besitze ich Immunität! Haben sie das vergessen?"
"Nein, Sir. Aber leider besitze ich keine Immunität und auf Terra haftet bei Unfällen grundsätzlich immer der Pilot."
"Wer redet denn von Unfällen? Hab ich ihnen gesagt, sie sollen einen Unfall verursachen?"
"Nein, Sir. Ich wollte nur sagen, wenn bei dieser Verkehrsdichte..."
"Fliegen sie mich etwa zum erstenmal?"
Zweigirs Stimme dröhnte und füllte die kleine Kuppel voll aus. Terniak zog unwillkürlich seinen Kopf ein.
"Nein, Sir. Ich habe sie schon oft geflogen."
"Dann wissen sie ja auch, daß ich ein V.I.P. bin. Und das heißt, ich habe Sonderrechte!"
"Jetzt sind wir aber geheim und inkognito unterwegs."
"Ja, aber darum bin ich immer noch ein V.I.P.! Ich bin Zweigir! Ich bin der Berater des Präsidenten! Ich habe Sonderrechte!"
"Ja, Sir, aber das Leitsystem weiß das nicht und..."
"Das ist mir total egal! Ich weiß es aber und sie wissen es! Ich treffe die Entscheidungen und sie haben sie auszuführen! Und jetzt geben sie gefälligst Schub und hängen sie dieses verdammte Leitsystem ab!"
"Sir, das wird nicht funktionieren..."
"Blödsinn! Diese Maschine hängt alles ab!"
"Sir!", rief Terniak wütend. "Es liegt nicht an mir, daß der Zentralcomputer von Terra veraltet ist und uns keine höhere Geschwindigkeit erlaubt! Das ist genauso, als wenn ihr Handy technisch für Online-Übertragungen mit 100 Gigabyte pro Sekunde ausgelegt ist, aber der Provider nur 10 Gigabyte pro Sekunde weiterleitet! Da kann man eben nichts machen!"
"Finden sie einen Weg!", rief Zweigor. "Wenn ich immer so früh wie sie aufgegeben hätte, wäre ich heute noch Freigänger in einem Zoo!"
Terniak fand, daß Zweigor genau dorthin gehörte, nur ohne Freigang. Das sagte er aber nicht, sondern: "Sir, wenn wir uns von der Fremdsteuerung befreien, werden wir automatisch abgeschossen..."
Zweigor zog seine Waffe, setzte die Mündung an Terniaks Kopf und tötete ihn.
"Guter Tip...", sagte er über der Leiche. "Wenigstens einmal im Leben hattest du eine brauchbare Idee."
Er steckte seine Waffe wieder ein. Dann übte er noch ein paarmal sie zu ziehen. In seiner Zeit als Führer des "Politischen Primaten-Konzils", kurz PPK, war er für seine kämpferischen Fähigkeiten berühmt gewesen. Bei Ausbruch des 2.Kosmos-Kriegs hatte er mit den Zweihändern einen Waffenstillstand geschlossen, um das heimische Sonnensystem gegen die extra-terristrische Allianz gemeinsam zu verteidigen und anschließend war ihm als Dank für seine Erfolge eine Amnestie gewährt worden, aber das hatte ihn nur seines Strafregisters und keineswegs seiner martialischen Reflexe entledigt.
Interessiert betrachtete er den großen Monitor.
"Na, auch da hatte diese Pfeife recht", murmelte er, "wir werden tatsächlich komplett ferngesteuert!"
Er löste die Gurte des Bonobo und schulterte ihn. Ihm als Gorilla fiel diese Last leicht.
"Schimpansen sollten sich nicht mit Gorillas anlegen", sagte er zu sich selbst, als er die Leiche in den Gepäckraum warf.
An seinem Handgelenk vibrierte es. Er hob den linken Arm und sah auf ein Gerät, das einer Armbanduhr des ausgehenden 20.Jahrhunderts ähnelte. In der Mitte wies der nostalgisch designte Mobilkommunikator statt eines Zifferblatts einen kleinen Bildschirm auf.
Zweigor erkannte das grau behaarte Antlitz seines Arztes, der sofort zur Sache kam: "Sir, soeben bekam ich Alarm, daß ihr Puls und ihr Blutdruck erhöht sind. Es gibt keine Zweifel- der Empfang ist einwandfrei..."
"Ja, mein Puls und mein Blutdruck sind erhöht!", rief Zweigor. "Da haben sie absolut recht! Aber das liegt nur daran, daß ich einen gesunden Zorn auf das total veraltetete terranische Verkehrsleitsystem habe!"
Der Arzt hob die Augenbrauen und fragte mit gespielter Überraschung: "Sie sind jetzt unterwegs? Nach meinen Unterlagen sind sie..."
Zweigir unterbrach ihn erneut. "Hören sie, Doc, sie wissen bereits zuviel. Vergessen sie meine Bio-Daten und vergessen sie dieses Gespräch, okay?"
Selbst auf dem kleinen Display konnte man an der Miene des Arztes deutlich seinen Unmut erkennen. Er schien sich regelrecht zu winden, ehe er dann sagte:
"Sir, es ist meine Pflicht, über ihre Gesundheit zu wachen. Dafür werde ich bezahlt. Wenn sie erkranken, habe ich versagt!"
Der Doktor senkte seinen Kopf.
"Unsinn!", brüllte Zweigor. "Wenn ich krank werde, melde ich mich bei ihnen! Vorher brauchen sie sich nicht um mich zu kümmern!"
Vorsichtig artikulierte der Arzt mit gesenktem Kopf seinen Widerspruch: "Sir, was sie soeben vorschlugen, ist das europäische System. Die Europäer sind untergegangen, ebenso die von ehemaligen Europäern gebildete einstige Oberschicht Nordamerikas. Wir praktizieren das viel ältere und effizientere chinesische System der permanenten Betreuung, bei dem der Arzt an der Gesundheit statt an der Krankheit des Patienten verdient..."
Zweigor unterbrach ihn zum drittenmal: "Also verdient ihr Ärzte sowieso! Warum nerven sie mich dann noch mit ihren Sorgen? Sie sollten mich lieber nicht bei einer wichtigen Mission stören, es sei denn, sie wollen sich bald Sorgen um ihre eigene Gesundheit machen!"
Wutentbrannt unterbrach er die Verbindung. Er zerrte das Gerät so grob von seinem Handgelenk herunter, daß er dabei zahlreiche Haare aus seinem Fell riß. Dann warf er es fort. "Pulsüberwachung!", höhnte er, "ist das hier die Tour de France?"
*
Visvanathan Singh sah die Bilder der in Zweigors Schiff versteckten Kameras ohne eine Miene zu verziehen. Dann wandte er sich dem auf der anderen Seite des grotesk voluminösen Schreibtisches sitzenden Arzt zu.
"Was haben sie ihm noch gleich gespritzt?", fragte er den Pavian.
"Offiziell nur Vitamine und Mineralien",antwortete der Doktor.
"Soso", murmelte Singh. "Auf jeden Fall erfüllt es seinen Zweck. Zweigir dreht durch. Meiner Meinung nach war er schon immer verrückt, selbst für einen Affen und sogar für einen Gorilla. Ich habe sein Angebot, in der kritischen Phase auf unserer Seite zu kämpfen, nur angenommen, weil ich hoffte, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Es wäre ideal gewesen, hätten er und die Invasoren sich gegenseitig eliminiert. Leider ging meine Rechnung nicht auf. Er wurde für das Volk zum Helden und der Präsident sieht ihn seitdem als Reinkarnation unseres berühmten Affengottes Hanuman."
Der Doktor lauste sein graues Kinn, während er laut nachdachte: "Das erinnert mich daran, wie die Europäer Südamerika eroberten. Sie waren lächerlich wenige, aber die Indio-Herrscher hielten sie für die die Götter ihrer Legenden und öffneten ihnen ergeben alle Tore."
Singh verdrehte die Augen, aber dann nickte er. "Da sind tatsächlich Parallelen. Es ist meine allergrößte Sorge, daß die Gorillas zu neuen Europäern werden. Einst hatten die Chinesen und auch wir Inder die Europäer in der Entwicklung weit abgehängt... Wir bauten bereits große Städte und kannten Geld, als die Europäer noch auf den Bäumen lebten, aber unbemerkt holten sie dann nach und nach langsam auf. Irgendwie blieben sie immer ein bischen Tiere, indem sie Artgenossen zuerst nach körperlicher Größe beurteilten und auf kleinwüchsigere Rassen herabblickten. Aufgrund dieser Vermessenheit entwickelten sie eine unglaubliche Skrupellosigkeit, mit der sie und ihre Abkömmlinge in Nordamerika es schafften, die viel älteren Kulturen zu demütigen und auszurauben."
"Fiel China nicht eher den Mongolen zum Opfer?", fragte der Doktor.
"Ja", sagte Singh, "das waren die ersten Barbaren, die China heimsuchten. Aber die Mongolen ließen sich noch assimilieren, was mit den weißen Kolonialherren nie gelingen konnte. Mit den Gorillas ist es genauso. Niemals werden sie einfach in der Menschheit aufgehen, dafür sind sie zu andersartig und bilden sich viel zuviel auf ihre körperliche Stärke ein. Wenn man den gleichen Fehler wie bei den Europäern macht und sie sich frei entwickeln läßt, werden sie irgendwann mit derselben Skrupellosigkeit die Macht an sich reißen."
Der Doktor überlegte. Wie die meisten Paviane hegte er einen tiefsitzenden Groll gegen die Gorillas, die sich als Herrenaffen fühlten und allenfalls die Bonobos als einigermaßen gleichwertig anerkannten, so daß dieser nur durch schiere tierische Aggressivität einflußreich gewordene Bananenbieger Zweigor sich selbst gegenüber einem Arzt unverschämt benahm, wenn der zufällig "nur" ein Pavian war. In betont sachlicher Manier fragte er: "Kennen sie den Lieblingsfilm von Zweigor?"
"Planet der Affen?", fragte Singh.
Der Pavian sagte: "Den guckt er sich immer wieder an."
Singh winkte ab. "Den habe ich mir als Kind auch immer wieder angesehen. Das ist schließlich ein Klassiker wie sonst höchstens noch die Geschichte des Grafen von Monte Christo oder der drei Musketiere... Davon kommen ja auch immer wieder neue Versionen raus."
"Zweigor guckt sich aber jedesmal die verbotene Splatter-Version an, in der alle Affenrollen von Gorillas gespielt und Menschen vor der Kamera real zu Tode geprügelt werden."
Singh atmete tief durch. "Helfen sie mir die Welt zu retten und ich empfehle sie dem Präsidenten als Nachfolger für Zweigor."
"In der Stunde der Not", sagte der Pavian scheinheilig seufzend, "müssen alle Gattungen zusammenhalten..."
*
Zweigor verneigte sich tief vor dem ergrauten Bonobo-Schimpansen Trattus, damit dieser ihm die Hand auf den Kopf legen und ein freundschaftliches Lausen andeute konnte. Während Trattus in einem Kunstbaum saß, ließ Zweigor sich auf dem Boden nieder.
"So, Du willst also, daß die Affen sich das Wahlrecht erkämpfen?", fragte Trattus. "Aber sind wir nicht viel zu wenige, um einen Affen ins Parlament zu bringen?"
"Stimmt", sagte Zweigor knapp."Das muß man zugeben."
"Er könnte dann natürlich bei manchen Abstimmungen das sprichwörtliche Zünglein an der Waage sein..."
Zweigor grunzte vergnügt. "Mit solchen Klinkerlitzchen halten wir uns erst garnicht auf! Nein, sobald Affen wählen und gewählt werden dürfen, kandidiere ich als neuer Präsident. Das indische Volk sieht mich als Wiedergeburt ihres Affengottes Hanuman. Das könnte mir genug Stimmen einbringen, um eine Koalition zu gründen und Präsident zu werden..."
Trattus nickte respektvoll."Ich wollte mich schon viel eher mal mit Dir unterhalten... Aber mein Arzt hat mir Reisen verboten..."
"Die meisten Ärzte sind Paviane!", polterte Zweigor dazwischen. "Gibt dir das nicht zu denken? Das sind doch alles Marionetten der Melanome!"
"Melanome ist ein Schimpfwort", mahnte Trattus. "Wir dürfen nicht vergessen, daß die Nacktaffen schon viel eher als wir vorausschauendes Denken praktizierten."
"Unsinn", widersprach Zweigor energisch. "Wieso haben sie denn dann die Ozonschicht verheizt, bis nur wir noch ohne Schutzkleidung draußen sein konnten, ohne sofort Hautkrebs zu kriegen? War das vorausschauend?"
Als Zweigor vor Erregung und zur Bekräftigung seiner Worte auf seiner Brust trommelte, kam eine maskierte menschliche Kommando-Truppe hereingestürmt und betäubte die beiden Affen gewaltsam. Der Offizier brach Trattus das Genick. Dann hielt er eine Disc hoch.
"Das zeigt Zweigors Mord an seinem Piloten und wie er hier Drohgebärden machte, ehe er Trattus tötete! Die Gorillas bleiben immer wilde Tiere! Das Sonnensystem den Menschen!"
Die anderen "Melanome" applaudierten und johlten.
Zweigors Traum vom Wahlrecht der Affen erfüllte sich nie mehr.
ENDE