Der gute Schneider

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Es ging einmal ein Mann zum Schneider,
um zu erwerben neue Kleider.
So einen Anzug, dunkelblau;
denn dieses wünschte seine Frau.

Und jener Meister maß mit Elle
aus noch die kleinste Falte, Delle,
die ihm der Körper ringsum bot,
damit auch alles ist im Lot,

daß es nicht zwickt und zwackt im Schritt,
so daß sein Kunde nirgends litt.
Noch an den Schultern und am Bauch.
Bein stimmt und Armeslänge auch.

Schließlich ward alles aufgeschrieben
und nun zu zweit dabei geblieben,
daß in etwa so zwanzig Tagen
man sei bereit, das Stück zu wagen.

Die Zeit verging fast wie im Fluge
und jener Kunde saß im Zuge
gespannt und hoch erwartungsvoll.
Ihn gleich zu tragen wäre toll!

Alsbald hält er das Stück in Händen
und kann die Neugier nicht abwenden,
was seine Holde wohl wird sagen,
wenn er heimkommt, ihn stolz zu tragen.

Nur muß er warten noch zwei Stunden,
bis er nach Hause hat gefunden.
Doch was ist, ach, der Ärger groß!
Die Gattin findet ’s nicht famos.

„Schau dir doch dieses Machwerk an!
Du kannst ’s nicht tragen, lieber Mann!
Die Beine sind verschieden lang.
Mir wird bei deinem Anblick bang.“

Also zurück in jene Stadt,
die einen solchen Schneider hat,
um mit Geduld zu reklamieren.
Ob man nicht könnt‘ sich arrangieren?

Der Schneider meint, in diesen Tagen,
tät man ‘nen Anzug anders tragen.
Man steht nicht steif, wie auf ‘nem Sockel.
Man wiegt sich sanft, so wie ein Gockel.

Nach ein paar Übungsschritten dann,
schaut sich der Anzug anders an.
Als sich im Spiegel hat gesehen
der Kunde: „Ach, es wird schon gehen.“

Zuhaus die Frau indes verstimmt
und ihren Mann zur Brust sich nimmt.
„Schau nur die Hüften hier, sie weiten
sich unterschiedlich in den Breiten!“

Was bleibt dem armen Mann zu tun,
wenn er in Zukunft sanft will ruh’n.
Er muß nochmal in Stadtes Mitte,
um dort zu äußern seine Bitte.

„Wie, guter Mann, Sie sich bewegen,
so kann kein Schnitt den Maßstoff pflegen.
Sie müssen Ihre Taille heben,
daß Anzug hat ein langes Leben.“

Gesagt, getan. Es fährt zurück
der Mann, der hofft auf bessres Glück.
Doch wieder gibt es neue Klagen.
Für ’n Träger ist’s nur schwer zu tragen.

Und wieder, wieder muß er schauen
wie er zum Schneider kann sich trauen.
Und wieder, wieder sagt ihm dieser:
„Wenn er dies tut, wird er Genießer.“

Letztendlich wird’s dem Mann zu dumm.
Er bummelt nachts im Ort herum.
Traut sich ins eigne Heim nicht mehr.
Die Schelte wiegen gar zu schwer.

Und so wankt er durch Abendlüfte.
Die Schultern schräg und schief die Hüfte.
Kein Bein ist wie das andre lang,
die Arme im verdrehten Zwang

und auch der Rücken ist nicht grade,
der Kopf geneigt, wie ist das schade,
daß auch der Bauch hängt wie die Brüste;
gleich Boschens Bild: Garten der Lüste.

Da kommen grad zwei Herrn gegangen
und haben just es eingefangen,
dies Bildnis von dem schrägen Mann
und wie er schwer nur kommt voran.

„Ach!“ meint der eine. „‘s is‘ schon schwer,
des Lebens schreckliches Malheur.
Was ist dem Bürger dort geschehen,
daß leidend muß durchs Leben gehen.

Vielleicht noch aus dem letzten Kriege?
Oder ein Sturz aus seine Wiege?
Hat ihn der Zug einst überfahren?
So was verwächst schwer mit den Jahren.“

Der andre nickt und will nur schweigen
und sich vor seinem Schicksal neigen.
Doch kurz bevor sie wandeln weiter:

„Zum Glück hat er ‘nen guten Schneider!“
 



 
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