Der Held

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Michele.S

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Bernd arbeitete seit sieben Jahren als Krankenpfleger im Universitätsklinikum Jena. Er liebte seinen Beruf. Nie hatte er sich vorstellen können, z.B BWL oder etwas in der Richtung zu studieren. Er wollte wirklich etwas bewirken, Menschen helfen, abends das Gefühl haben in der Welt einen Unterschied gemacht zu haben.
Jetzt saß er in der Kantine und genoss seine Kohlroulade.
Theresia hatte sich neben ihn gesetzt, obwohl noch fast alle Plätze frei gewesen waren. Außerechnet sie, die heißeste Krankenpflegerin in der ganzen Klinik.
"Das hättest du dir vor zwei Jahren auch noch nicht vorstellen können, nicht wahr?", sagte er sich. Aber viel war in der letzten Zeit geschehen.
Bernd war jetzt ein Held. Jeder in der Klinik kannte seinen Namen.

Schon als Kind hatte er davon geträumt, Superheld zu sein, den Menschen zu helfen und von allen gefeiert und respektiert zu werden.
Die Realität hatte allerdings meist anders ausgesehen. Er sah einfach nicht aus, wie man sich einen Superhelden vorstellte. Er war klein und schmächtig und nach den geltenden Maßstäben auch nicht sonderlich schön.
Zudem war er früher, bevor er ein Held geworden war, sehr schüchtern gewesen. Die Mädchen hatten ihn nicht mit Bewunderung, sondern eher mit Belustigung angeblickt.

Und dann im Juni letzten Jahres hatte sich für ihn doch die Möglichkeit ergeben, sich zu beweisen. Es allen zu zeigen. Eine Patientin hatte einen Herzstillstand gehabt und nur dank seines Einsatzes hatte sie überlebt. Die Ärzte sagten, sie hätten noch nie jemanden gesehen, der so gut und souverän eine Wiederbelebung durchgeführt hatte.
Das waren Zeiten damals. So stolz war er in seinem ganzen Leben noch nicht gewesen. Endlich war er jemand. Die ganzen Kollegen und vor allem die Kolleginnen behandelten ihn jetzt ganz anders.
Also zumindest für einige Zeit. Nach ein paar Wochen schienen seine Kollegen den Vorfall langsam wieder zu vergessen und zum Alltag zurückzukehren.
Die bewundernden Blicke waren ausgeblieben und oft hatte er in der Kantine dann wieder alleine essen müssen. Für Bernd hatte sich das damals angefühlt, als sei er aus einem warmen Bad einfach ausgekippt worden.

Doch schon bald boten sich neue Gelegenheiten, der eine Herztote blieb kein Einzelfall. Und immer, wenn es einen neuen Fall gab, wussten die Leute, wen sie rufen würden. Nämlich ihn, das Wiederbelebungs-Genie .
Die meisten von ihnen hatte er retten können, nämlich 128, und das war das schönste Gefühl der Welt. Einige waren sicher auch gestorben, um genau zu sein 74, aber das war unvermeidbar, bei manchen Fällen half selbst die optimale Wiederbelebung nichts mehr.
Und jetzt war er wieder ein Jemand, ganz ohne Zweifel. Er war der unumstrittene König der Reanimation. Noch nie in seinem Leben war Bernd so aufrecht gelaufen, hatte mit so fester Stimme gesprochen und so schlagfertige, oft lustige Antworten geben können. Für ihn hatte sich Alles zum Guten entwickelt.


Um 16:00 Uhr begann seine Schicht. Seine erste Patientin heute war Frau Yilmaz. Er betrat ihr Zimmer, nachdem er geklopft und drei Sekunden abgewartet hatte.
"Guten Nachmittag, Frau Yilmaz, wie geht es Ihnen heute. Ich hoffe das Mittagessen hat gut geschmeckt?", fragte er herzlich.
Während die Frau sich im Bett aufrichtete, bereitete er die Injektionslösung vor.
"Ja, hat geschmeckt", antworte diese wie immer einsilbig. Frau Yilmaz war eine ältere Türkin mit Kopftuch und , besonders Männern gegenüber, sehr zurückhaltend.
"Super, freut mich. Dann geb ich Ihnen jetzt noch ihre Injektion. Ist nur ein ganz kleiner Piekser. Machen sie die Hände mal zur Faust". Er band ihren Oberarm ab, um das Blut zu stauen ,desinfiszierte eine Stelle in ihrer Ellenbeuge und stach die Nadel vorsichtig aber zügig in die Vene. Dann drückte er mit gleichmäßiger Geschwindigkeit die Injektionslösung in Frau Yilmaz Unterarm.
"So, schon geschehen", sagte er tröstend.
Er blieb einige Sekunden neben ihrem Bett stehen. Dann sank Frau Yilmaz, wie von ihm erwartet, in sich zusammen.
"Now, it's showtime" flüsterte Bernd und krempelte sich die Ärmel hoch
 
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petrasmiles

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Mhm, das war erwartbar.
Und irgendwie mag ich es nicht, wenn solche Schlagzeilen-Typen die Literatur erreichen; ihre Motive sind so platt wie sie selbst psychologisch leicht lesbar. Wenn das in einem Krimi käme, würde man gähnen - was soll ich bei einer Kurzgeschichte damit machen?
Dass Du schreiben kannst, habe ich schon festgestellt, aber der Gegenstand ist entscheidend.

Liebe Grüße
Petra
 

Michele.S

Mitglied
Hallo Petra

Du hast Recht, wenn man weiß, dass dieser Fall auf einer wahren Begebenheit beruht, ist das Ende erwartbar. Wenn man den Fall nicht kennt, hatte ich gehofft das Ende wäre überraschend. Wollte mal was anderes versuchen. Es werden noch viele Geschichten kommen :)

Liebe Grüße
Michele
 

petrasmiles

Mitglied
Ich kannte die 'wahre Begebenheit' nicht, aber wenn jemand als so 'abhängig' von der Wahrhnehmung von außen dargestellt wird, ist es naheliegend, wenn er sich diese 'Droge' wiederbeschafft. Ich meinte tatsächlich den psychologischen Typ, der 'langweilig' ist.

Dann man los :D

Liebe Grüße
Petra
 

Michele.S

Mitglied
Du hast wohl Recht, Petra, der psychologische Typ ist nicht wirklich spannend. Ich hatte trotzdem irgendwie Lust mich in diesen Menschen hineinzuversetzen und eine Geschichte aus seiner Perspektive zu schreiben
 



 
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