Der Herr der Fliegen

solowasser

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Jeden Abend fliegen kleine Fliegen in meine Wohnung. Es werden erst immer mehr, bis es etwa zehn sind. Wenn es dunkel wird, sind sie wieder weg. Wohin fliegen sie?

Die Fliegen sind weg und ich schlafe ein. Danach wache ich auf und die Fliegen sind immer noch weg. Ruhig warte ich, weniger ruhig warte ich, zappelig warte ich. Ich ziehe die Rollläden nach oben und atme die frische Abendluft ein. Es ist heiß, aber nicht mehr stickig. Hastig öffne ich das Fenster und lasse die Fliegen hinein. Setze mich auf die Couch und sehe wie die erste verschüchtert in die Wohnung fliegt. Mein Blick folgt der ersten Fliege gebannt, die scheinbar erratisch durch das Zimmer fliegt. Die zweite kommt, die dritte kommt. Es wirkt so, als ob die Fliegen um die Vorherrschaft der Lampe an der Decke kämpfen. Es sitzt immer nur eine von ihnen auf der Lampe.

Ruhiger werdend warte ich. Auf mehr Fliegen. Die Dämmerung setzt ein, die Fliegenschar vermehrt sich und mein Tag beginnt. Ich mache Musik an und drehe mir einen Joint. Reiße jetzt alle Fenster auf. Fange an mich sachte im Takt der Fliegen zu bewegen. Versuche ihre Bewegungen zu erahnen und dann nachzuahmen. Die Musik verschmilzt mit allem, mit der Wohnung, meinen abfließenden Gedanken, die irgendwo hängen bleiben und sich im Schreibtischstuhl verkanten. Mit dem Schluck Bier, den ich nehme, mit dem Joint, den ich rauche, mit der Fliegenschar, die mit mir tanzt. Die Fliegen fangen an, sich selbst zu verfolgen, sodass ich sie mit den Augen nicht mehr wahrnehmen kann. Doch spüre ich sie ganz dicht bei mir. Das ist die magische Stunde. Ich bin der Herr der Fliegen.

Wenn es dunkel wird, sind sie wieder weg. Wohin fliegen sie? Sie sind weg und ich schlafe ein. Ich warte tagein und tagaus auf die Fliegen und auf die magische Stunde. Bis sie im Oktober nicht mehr kommen. Es waren Sommerfliegen, es ist ein Sommerleben. Ich lege mich schlafen, bis die Fliegen wieder kommen. Nein, alleine tanzen mag ich nicht.
 



 
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