Stefan Sternau
Mitglied
In einem großen Verlag in der Nähe von H.: Der Lektor sitzt missmutig, Nägel kauend hinter seinem Schreibtisch. Da hat ihm doch schon wieder so ein Schreiberling ein Manuskript geschickt. Die Autoren sind frech und dumm; frech, weil sie ihm einfach unaufgefordert ihre Manuskripte ins Haus schicken, und dumm, weil sie glauben, ihre Texte würden je genommen.
Er hat schließlich anderes zu tun, als diese Schmiertexte zu lesen. Lieber träumt er von dem Ruhm, den er erringen wird, wenn er selbst einmal einen großartigen Roman veröffentlichen wird. „Die Puttenbrocks - Auf der Suche nach dem verlorenen Schloss“, soll er heißen, eine Mischung aus Thomas Mann, Franz Kafka und Marcel Proust – dann müsste die Literaturge-schichte neu geschrieben werden.
Wenn er ehrlich ist, er hat keine Ahnung, wie er die Qualität und die Erfolgsaussichten eines Textes beurteilen soll. Meistens befragt er sein Pendel, aber die Antworten aus dem Übersinnlichen sind auch nicht immer verlässlich. Am liebsten sind ihm Lizenzausgaben; wenn ein Buch schon im Ausland Erfolg hatte, dass wird es doch wohl auch bei den dussligen deutschen Lesern Anklang finden.
Klar ist die Entscheidung, wenn der Chef irgendeine Verwandte oder Bekannte anbringt, die bekommt natürlich einen Vertrag. Oder wenn eine VIP anruft, die einen Autor sponsert und dem Verlag dafür eine Spende überweist. Es wird gemunkelt, dass manche junge Autorin sich schon einen Vertrag mit Sex ergattert hat. Leider hat er nie ein entsprechendes Angebot erhalten – natürlich, der Cheflektor und der Verleger, diese geilen Säcke, die greifen sich das ab.
Normalerweise antwortet der Lektor gar nicht auf Autorenschreiben und schickt die Manuskripte auch nicht zurück, der Reißwolf will schließlich auch etwas zu fressen haben. Oder er schickt Formbriefe: „ ... passt leider nicht in unser Verlagsprogramm ...“. Dabei kichert er glucksend, wenn er sich die bedröppelten Mienen der Autoren vorstellt.
Aber diesem besonderen Autor wird er einmal persönlich antworten – um ihn richtig fertig zu machen. Denn dieser Autor hat wirklich Talent, das spürt er irgendwie, und das geht gar nicht. Bildet der Kerl sich wohl ein, nur weil er Talent hat, müsste sein Dreckstext auch genommen werden. Mit mir nicht: „Leider erfüllt Ihr Text nicht die geringsten literarischen Kriterien.“ Er prustet los mit seiner grunzenden Lache, windet sich vor Schadenfreude, wischt sich dann die schmierigen, schuppenbehafteten Resthaare mit seiner fettigen, wulstigen Hand aus dem Gesicht.
Ja, beim Ablehnen, da hat er noch etwas zu bestimmen. Beim Annehmen eines Manuskriptes haben aber heute die Vertriebsleute das Sagen. Diese Heinis, faseln von Marktgängigkeit, Trendtexten usw. und lehnen von ihm vorgeschlagene Texte ohne mit der Wimper zu zucken ab. Inzwischen hat er richtig Angst, einen Roman vorzuschlagen, er will sich nicht durch erneute Ablehnungen kränken lassen. Wenn er sich nur einmal trauen würde, auf den Tisch zu hauen und diese Kulturbanausen in ihre Schranken zu verweisen!
Apropos Kränkung. Einmal hat er selbst eine Textprobe von seinem großen Werk an einen anderen Verlag geschickt. Die kam zurück mit der Notiz: „Lernen Sie erst einmal richtig schreiben! Und versündigen Sie sich nicht an den Klassikern!“ Welche Schmach, das ihm, dafür wird er sich rächen! Also fügt er seinem Brief an den Autor hinzu: „Mein lieber junger Herr, werden Sie Klempner, Briefträger oder notfalls Proktologe, solche Leute braucht es, als Autor sind Sie unzumutbar.“
Sein Meisterstück machte er aber mit einem anderen Autor. Er ließ ihn den Text dreimal umschreiben, machte ihm immer wieder Hoffnung, um dann zum Schluss doch noch abzulehnen (wie natürlich von Anfang an beschlossen): „Die erste Fassung war noch die beste.“ Er grinst tückisch, als er daran denkt.
Dann kratzt er sich genüsslich. Wenn es ihn nur nicht immer so jucken würde, hoffentlich hat er keine Filzläuse. „Das sind alles die Autoren schuld“, wütet er, „die schicken mir bestimmt verseuchte Manuskripte.“ Aber er sollte sich wirklich auch angewöhnen, die Wäsche öfters zu wechseln. Neulich wandte sich sogar sein Hund angewidert von ihm ab, er roch so streng, eine Beleidigung für die sensible Hundenase.
Doch seitdem seine Frau ihn verlassen hatte („Und Tschüss, du verhinderter Goethe“), vernachlässigte er sich zusehends. Einige Versuche, andere Frauen kennen zu lernen, waren kläglich gescheitert, so blieben ihm nur Pornofilme und die Hand in der Hose.
Einmal hatte ihm ein Witzbold den Originaltext „Der Idiot“ von Dostojewski geschickt. Der Lektor hatte den Text nicht erkannt und ihn abgelehnt, schon der Titel „Der Idiot“ sei indiskutabel. Der Witzbold hatte die Geschichte im Internet veröffentlicht, und der Lektor wurde, gerade auch für Kollegen, zur Spottfigur. Als er daran denkt, bleckt er die Zähne vor Wut.
Noch schlimmer für seine Karriere war aber, dass er einen Fantasy Roman als „kindisches Geschreibsel“ ablehnte, und dieser Roman dann bei einem anderen Verlag zum Bestseller wurde. Da lud ihn der Verleger vor und ermahnte ihn dringlich, nicht noch einmal eine solche Fehlentscheidung zu treffen: „Sonst könnte ich zu der Meinung kommen, dass Ihre Einstellung auch eine Fehlentscheidung war, die schnellstens korrigiert werden muss.“ Der Lektor verbeugte sich devot und versprach winselnd Besserung.
Und schon bald schien eine Gelegenheit dafür zu kommen. Eigentlich hasste er persönliche Autorenkontakte, aber diesmal hatte eine junge Autorin ein Bild mitgeschickt – rattenscharf sah die aus. Schreiben konnte die Blondine nicht, aber sie hatte tolle Titten, die erigiert durch die Bluse stachen. Er ging zum Verleger und sagte: „Wenn wir nur genügend Geld in die Werbung stecken, dann können wir aus dem Gekritzel von diesem Mäuschen einen Bestseller machen: laszive Posen, sexistische Fotos und das ganze Gedöns, Sie wissen schon.“
Aber da hatte er den Verleger auf dem falschen Fuß erwischt: „Wir sind ein seriöser Verlag, wir sind der Kultur verpflichtet, ja der Hochkultur, so etwas machen wir nicht – außerdem, so oberaffengeil finde ich diese Titten gar nicht ...“ Seitdem saß der Lektor auf einem Schleudersitz.
Dumpf stierend schlurft er aus dem Büro, die Sekretärinnen gucken ihm verächtlich bis mitleidig hinterher, er hört sie tuscheln. „Der ist auch bald weg vom Fenster, ist ja untragbar.“ Der Lektor ballt die Faust; bis sie ihn rausschmeißen, wird er jedes Manuskript ablehnen, das schwört er sich, keinem von diesen verdammten Autoren gönnt er einen Erfolg. Eine Welt von Abscheu liegt in seinem Blick.
Er hat schließlich anderes zu tun, als diese Schmiertexte zu lesen. Lieber träumt er von dem Ruhm, den er erringen wird, wenn er selbst einmal einen großartigen Roman veröffentlichen wird. „Die Puttenbrocks - Auf der Suche nach dem verlorenen Schloss“, soll er heißen, eine Mischung aus Thomas Mann, Franz Kafka und Marcel Proust – dann müsste die Literaturge-schichte neu geschrieben werden.
Wenn er ehrlich ist, er hat keine Ahnung, wie er die Qualität und die Erfolgsaussichten eines Textes beurteilen soll. Meistens befragt er sein Pendel, aber die Antworten aus dem Übersinnlichen sind auch nicht immer verlässlich. Am liebsten sind ihm Lizenzausgaben; wenn ein Buch schon im Ausland Erfolg hatte, dass wird es doch wohl auch bei den dussligen deutschen Lesern Anklang finden.
Klar ist die Entscheidung, wenn der Chef irgendeine Verwandte oder Bekannte anbringt, die bekommt natürlich einen Vertrag. Oder wenn eine VIP anruft, die einen Autor sponsert und dem Verlag dafür eine Spende überweist. Es wird gemunkelt, dass manche junge Autorin sich schon einen Vertrag mit Sex ergattert hat. Leider hat er nie ein entsprechendes Angebot erhalten – natürlich, der Cheflektor und der Verleger, diese geilen Säcke, die greifen sich das ab.
Normalerweise antwortet der Lektor gar nicht auf Autorenschreiben und schickt die Manuskripte auch nicht zurück, der Reißwolf will schließlich auch etwas zu fressen haben. Oder er schickt Formbriefe: „ ... passt leider nicht in unser Verlagsprogramm ...“. Dabei kichert er glucksend, wenn er sich die bedröppelten Mienen der Autoren vorstellt.
Aber diesem besonderen Autor wird er einmal persönlich antworten – um ihn richtig fertig zu machen. Denn dieser Autor hat wirklich Talent, das spürt er irgendwie, und das geht gar nicht. Bildet der Kerl sich wohl ein, nur weil er Talent hat, müsste sein Dreckstext auch genommen werden. Mit mir nicht: „Leider erfüllt Ihr Text nicht die geringsten literarischen Kriterien.“ Er prustet los mit seiner grunzenden Lache, windet sich vor Schadenfreude, wischt sich dann die schmierigen, schuppenbehafteten Resthaare mit seiner fettigen, wulstigen Hand aus dem Gesicht.
Ja, beim Ablehnen, da hat er noch etwas zu bestimmen. Beim Annehmen eines Manuskriptes haben aber heute die Vertriebsleute das Sagen. Diese Heinis, faseln von Marktgängigkeit, Trendtexten usw. und lehnen von ihm vorgeschlagene Texte ohne mit der Wimper zu zucken ab. Inzwischen hat er richtig Angst, einen Roman vorzuschlagen, er will sich nicht durch erneute Ablehnungen kränken lassen. Wenn er sich nur einmal trauen würde, auf den Tisch zu hauen und diese Kulturbanausen in ihre Schranken zu verweisen!
Apropos Kränkung. Einmal hat er selbst eine Textprobe von seinem großen Werk an einen anderen Verlag geschickt. Die kam zurück mit der Notiz: „Lernen Sie erst einmal richtig schreiben! Und versündigen Sie sich nicht an den Klassikern!“ Welche Schmach, das ihm, dafür wird er sich rächen! Also fügt er seinem Brief an den Autor hinzu: „Mein lieber junger Herr, werden Sie Klempner, Briefträger oder notfalls Proktologe, solche Leute braucht es, als Autor sind Sie unzumutbar.“
Sein Meisterstück machte er aber mit einem anderen Autor. Er ließ ihn den Text dreimal umschreiben, machte ihm immer wieder Hoffnung, um dann zum Schluss doch noch abzulehnen (wie natürlich von Anfang an beschlossen): „Die erste Fassung war noch die beste.“ Er grinst tückisch, als er daran denkt.
Dann kratzt er sich genüsslich. Wenn es ihn nur nicht immer so jucken würde, hoffentlich hat er keine Filzläuse. „Das sind alles die Autoren schuld“, wütet er, „die schicken mir bestimmt verseuchte Manuskripte.“ Aber er sollte sich wirklich auch angewöhnen, die Wäsche öfters zu wechseln. Neulich wandte sich sogar sein Hund angewidert von ihm ab, er roch so streng, eine Beleidigung für die sensible Hundenase.
Doch seitdem seine Frau ihn verlassen hatte („Und Tschüss, du verhinderter Goethe“), vernachlässigte er sich zusehends. Einige Versuche, andere Frauen kennen zu lernen, waren kläglich gescheitert, so blieben ihm nur Pornofilme und die Hand in der Hose.
Einmal hatte ihm ein Witzbold den Originaltext „Der Idiot“ von Dostojewski geschickt. Der Lektor hatte den Text nicht erkannt und ihn abgelehnt, schon der Titel „Der Idiot“ sei indiskutabel. Der Witzbold hatte die Geschichte im Internet veröffentlicht, und der Lektor wurde, gerade auch für Kollegen, zur Spottfigur. Als er daran denkt, bleckt er die Zähne vor Wut.
Noch schlimmer für seine Karriere war aber, dass er einen Fantasy Roman als „kindisches Geschreibsel“ ablehnte, und dieser Roman dann bei einem anderen Verlag zum Bestseller wurde. Da lud ihn der Verleger vor und ermahnte ihn dringlich, nicht noch einmal eine solche Fehlentscheidung zu treffen: „Sonst könnte ich zu der Meinung kommen, dass Ihre Einstellung auch eine Fehlentscheidung war, die schnellstens korrigiert werden muss.“ Der Lektor verbeugte sich devot und versprach winselnd Besserung.
Und schon bald schien eine Gelegenheit dafür zu kommen. Eigentlich hasste er persönliche Autorenkontakte, aber diesmal hatte eine junge Autorin ein Bild mitgeschickt – rattenscharf sah die aus. Schreiben konnte die Blondine nicht, aber sie hatte tolle Titten, die erigiert durch die Bluse stachen. Er ging zum Verleger und sagte: „Wenn wir nur genügend Geld in die Werbung stecken, dann können wir aus dem Gekritzel von diesem Mäuschen einen Bestseller machen: laszive Posen, sexistische Fotos und das ganze Gedöns, Sie wissen schon.“
Aber da hatte er den Verleger auf dem falschen Fuß erwischt: „Wir sind ein seriöser Verlag, wir sind der Kultur verpflichtet, ja der Hochkultur, so etwas machen wir nicht – außerdem, so oberaffengeil finde ich diese Titten gar nicht ...“ Seitdem saß der Lektor auf einem Schleudersitz.
Dumpf stierend schlurft er aus dem Büro, die Sekretärinnen gucken ihm verächtlich bis mitleidig hinterher, er hört sie tuscheln. „Der ist auch bald weg vom Fenster, ist ja untragbar.“ Der Lektor ballt die Faust; bis sie ihn rausschmeißen, wird er jedes Manuskript ablehnen, das schwört er sich, keinem von diesen verdammten Autoren gönnt er einen Erfolg. Eine Welt von Abscheu liegt in seinem Blick.