Der Hüpfer

Kayl

Mitglied
Mit einundzwanzig Jahren hatte ich als Segelflieger meinen B-Schein, durfte also allein fliegen. Wie ich nun in meinem Flugbuch sehe, war ich aber erst ein halbes Dutzend Mal allein geflogen mit Windenstart, wobei der Segler mit Motorwinde und Drahtseil auf etwa dreihundert Meter gezogen wird. In dieser Höhe findet man nur mit viel Glück Aufwinde, deshalb war ich immer nach ungefähr fünf Minuten wieder am Boden.
Unser Verein flog in Radevormwald, einem Ort im Bergischen Land. Das Wetter war gut, windstill. Ich durfte mit unserem Doppelraab an den Start, einem robusten, stebigen Gerät, das die Segelflieger heute nach einem halben Jahrhundert nur noch belächeln. Man sagte im Spaß, dass es mehr sinkt als fliegt, und es dürfte wohl nur noch in Museen zu finden sein.
Ich erreichte nach dem Windenstart wieder knapp dreihundert Meter, klinkte das Seil aus und begann meine Route. Ich genoss das ruhige Wetter, das gleichmäßige Rauschen der Tragflächen, das langsam unter mir vorbeiziehende Bergische Land, das Schachbrett der Wiesen und Wälder, die vereinzelten Gehöfte. Wer weiß, ob mir heute ein weiterer Flug erlaubt würde, also dehnte ich, jung und unbekümmert, die Parallelstrecke zum Flugfeld weit aus.
Beim Ansteuern des Flugplatzes, dem Landeanflug, zog ich die Landeklappen, die das Sinken beschleunigen, fuhr sie aber schnell wieder ein. Der Landeplatz war doch ungewohnt weit entfernt! Gut getan, denn je näher ich kam, umso besser konnte ich abschätzen, dass meine Höhenreserve verdammt knapp wurde.
Vor dem Flugfeld verlief eine Straße mit vielen Zuschauern, die an ihren Autos stehend meinen Flug beobachteten. Beiderseits der Straße ein Stacheldrahtzaun.
Als ich dieser Straße näher kam, erkannte ich mit Schrecken, dass ich in den Stacheldraht und die Autos donnern würde, flöge ich so weiter. Was tun?
Ansonsten ruhiger Natur, wurde ich nervös. Waren es meine letzten Augenblicke? Die Katastrophe vor Augen zog ich die Schultern hoch und den Kopf ein, knetete den Knüppel verzweifelt mit beiden Händen – und schob ihn ordentlich nach vorn. Der Doppelraab beschleunigte aus seinen geruhsamen achtzig Stundenkilometern, das Rauschen der Tragflächen wurde zum Singen. War es mein Requiem? Die abgesenkte Nase des Fliegers schoss nun tatsächlich geradewegs auf Zäune, Autos und Schaulustige zu. Sie sprangen hinter die Autos in Deckung, flüchteten hinein, hätten aber keine Sekunde mehr gehabt zum Wegfahren.
Kurz vor dem großen Knall zog ich den Knüppel wieder her. Meine Maschine machte dank des Schwungs, den ich ihr gegönnt hatte, einen eleganten Hüpfer über Zäune und Autos und setzte schließlich ohne den geringsten Schaden am Anfang des Flugfeldes auf.
„Seht her!“, dachte ich noch, mich selbst von der überstandenen Gefahr ablenkend, „ich habe euch den Flieger bequem an den Start gesetzt.“ In Erwartung einer deftigen Strafe blieb ich aber unter dem Glasdach sitzen. Wie würde sie ausfallen? Flugverbot für den Rest des Tages, für die nächsten Flugtage? Mein Fluglehrer kam, klopfte mit ernster Miene an die Haube. Es war ihm nachzufühlen: Sollte er mich ob meines Leichtsinns tadeln oder loben wegen des rettenden Hüpfers?
Die Strafe war milde und pädagogisch geschickt: „Du kannst gleich sitzen bleiben für die nächste Runde, aber …“ er hob drohend den Finger, „ …diesmal ohne Zirkusnummer!“
 
D

Die Dohle

Gast
Guten Morgen Kayl,
Deine Geschichte, ich denk mal, die ist sozusagen echt, gefällt mir sehr gut. Bin neugierig auf den Fortgang Deines Tagebuchs.

lg
die dohle
 



 
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