Der Isolant – Ein Leben in der Warteschleife

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MP_Scotty

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ACHTUNG, ALLES IST FIKTION, NICHTS DAVON IST WAHR! Alle Personen und die Handlung des Textes sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden Personen wären rein zufällig!


Teil 1

1.


Bis Ende der 90er gingen wir in Geschäften einkaufen. Das war noch die Zeit, in der man Telefonzellen suchen und mit Verkäufern reden musste. Heute haben wir das World Wide Web, meiden Menschen wie Viren, lassen uns alle 6 Monate genetisch upgraden, früher sagte man impfen dazu. Aber wir lassen uns nicht impfen, wir optimieren den genetischen Quellcode.

Heute kann man über das Internet alles bestellen. Das alles funktioniert per Mausklick. Viele kryptische Vorgänge, die sich im Hintergrund abspielen, beeinflussen das Leben. So wurden zwischenmenschliche Beziehungen überflüssig. Es stellte sich heraus, dass jeder am Besten für sich ist und bleibt. So erfahren wir am besten die Transformation zum totalen Ich.

Hat man was im Internet bestellt, wartet man bis der Mensch mit Scanner vor der Tür steht. Dann darf man die Sendung entgegen nehmen und sich einen guten Tag wünschen und dann verschwindet man mit seinem Paket in der Wohnung.

Alle Kontakte sind flüchtig. Jeder bleibt für sich. Und das ist auch gut so! Denn wir sind Konsumenten, Endverbraucher, eine binäre Identität des digitalen Raumes. Wir warten auf Sendungen. Versichert, unversichert, mit oder ohne Sendungsverfolgung. Wir freuen uns auf die Dinge die uns geliefert werden und selbstverständlich auf die genetische Optimierung. Das wird das Fleisch und die damit einher gehenden Leiden besiegen. Das Fleisch wird zur Maschine.

Die Mitarbeiter der Paketdienste sind geschäftige Menschen. Es geht darum jeden Tag ein Maximum an Dingen in einem Minimum an Zeit von A nach B zu transportieren.

Da bleibt keine Zeit für unnötiges Gerede. Klingeln, Treppen steigen, quittieren und auf zum Nächsten. Läuten, Treppen steigen, quittieren.

So ziehen die Tage in den digitalen Kosmos. Ein Kosmos aus Verbrauchern, Paketdienst Mitarbeitern, Drohnen, Maschinen und Algorithmen. Während auf den Straßen die gelben, braunen und weißen Kastenwägen hin und her fahren überwachen die Drohnen die Logistik.

Ab und zu ist keiner zuhause, dann muss der Zusteller entweder bei einem Nachbarn klingeln oder die Sendung wieder mitnehmen. Dann versucht er es am nächsten Tag noch mal. Oder das Paket wird in eine Filiale gebracht. Dann liegt im Briefkasten die Benachrichtigung, wann man das Paket wo abholen darf. In den meisten Fällen funktionieren die Prozesse einwandfrei. Aber manchmal passiert ein Fehler. Ein Fehler mit Konsequenzen. Aber das System wird jeden Fehler ausmerzen. Die Prozesse haben keine Pause und machen vor nichts halt.

Von Arzneimitteln über Lebensmitteln bis hin zu Dienstleistungen lässt sich alles übers Internet bestellen. Nur ein Online Formular ausfüllen, eine Zahlungsmethode wählen, auf den Knopf drücken und schon bewegen sich die Dinge auf einen zu. Und fühlt man sich mal alleine, dann spricht man mit Alexa oder Siri oder wie auch immer die Stimme heißt und sagt: „wann geht die Welt unter.“ Die Freude über die Antwort ist programmiert.

Alles sind Automaten und alles geht automatisch. Sogar Sex wird auf dieselbe Weise abgewickelt. Man befriedigt sich online. Das ist sauber und erzeugt keinen Nachwuchs. Was für ein logistisches Meisterwerk. Ein komplexes Zusammenspiel aus Millionen kleiner Maschinchen und Programmen. Und inmitten davon hocken wir in einer Zelle auf Standby. Eine Trichine im binären Körper oder besser gesagt in der Marionette, die an unsichtbaren Fäden hängt und von unsichtbarer Hand gesteuert wird.

In den Gen-Upgrade-Verweigerer-Ghettos (GUVGs) leben die Leute, die zu fest in die unsichtbare Hand gebissen haben. Ich frage mich warum? Warum gegen die Transformation ankämpfen? Man beißt nicht in die Hand die einen füttert. Und außerdem haben wir keine andere Wahl. Die Prozesse sind irreversibel.

Unsere K. von Laubendach & K. Grab (K&K) digital-humanistische-Transformationskirche, kurz die KKDHT-Church zeigte uns vor Jahren, wohin unsere Reise geht und langsam kommen wir am Ende des Weges an. Bewegen uns in Richtung einer Morgendämmerung der wunderbaren Menschmaschinenwelt.



2.


Heute sollte eigentlich mein Paket ankommen. Ich schaute aus dem Fenster, suchte die Straße nach dem Kastenwagen ab. Leider hatte ich die Zustellung einmal verpasst.

Und weil die Sendung nicht immer bei einem Nachbarn abgegeben werden kann, was unpraktisch ist, muss der Zusteller unverrichteter Dinge weiter fahren. Im Internet kann man seine Statusmeldung abfragen. Dort steht dann: „Der Empfänger wurde nicht angetroffen“ oder „Wir werden einen weiteren Zustellversuch durchführen.“

Zum Glück hatte ich einen halben Tag frei. Ich konnte also länger auf das Paket warten.

Bis 13 Uhr verbrachte ich die Zeit mit aufräumen und staubsaugen. Dann musste ich los. Leider war kein Zusteller gekommen. Kein Zusteller, kein Paket. Frustrierend.

Des Umstandes wegen verstimmt, überquerte ich die Straße zur Haltestelle.

Bevor ich mich zur Arbeit aufmachte, warf ich einen gehetzten Blick die Straße hinauf und hinunter. Die Vorstellung, ein Paketdienst um ein Haar zu verpassen, war entsetzlich.

Einmal musste ich mein Paket in einem Getränke-Markt abholen. Das war ziemlich unangenehm.

Die Scanner sind heutzutage überall in Anwendung. Natürlich auch bei jeder Paketzustellung. Die Scanner helfen uns die Welt auszusortieren. Denn nur das Optimale garantiert uns eine Zukunft.

Als ich das Paket in dem Getränke-Markt abholen wollte, konnte der Scanner meinen Ausweis nicht mit den Angaben auf dem Paket in Übereinstimmung bringen. Stattdessen gab der Scanner einen hässlichen Ton von sich. Der Grund hierfür war der fehlende Zweitname.

In meinem Ausweis war mein Zweitnamen vermerkt, auf dem Paket nicht. Das gefiel dem Scanner nicht und der sture Typ im Spätkauf verweigerte mir das Paket.

Mit seinem Vollbart, seinem langen, graumelierten Haar, seinem protzigen Goldring und Goldkette stand er hinter seiner Theke und schüttelte den großen Kopf.

Keine Chance. Auf meinem Ausweis stand ein Zweitname, auf dem Paket nicht. Keine Übereinstimmung. Kein Paket. Die binäre Welt ist kompromisslos. Es passiert genau das, was gemäß eines Algorithmus passieren muss.

„Da kann man nichts machen, das erkennt der nicht!“, sagte der Mann und zeigte mit seinem dicken kurzen Finger auf den Scanner.

„Ich darf Ihnen das Paket nicht geben, tut mir leid! So sind nun mal die Vorschriften“

Es tat ihm genauso wenig leid, wie ich ihn leiden konnte. Aber er hatte recht. So sind die Vorschriften und man muss sich an sie halten. Die Sendung ging zurück und ich ohne Paket nach Hause.


3.


Manchmal sitze ich in meiner Küche, starre auf die Raufasertapete und denke, „alle Dinge müssen gleich bleiben, alle Tage sich wie ein Haar dem Anderen gleichen, keine Veränderung, nirgendwo, niemals!“

Leider kann mir das mit dem Zurückschicken des Paketes jetzt wieder blühen. Denn ich meine, ich habe es bei dieser Bestellung leider wieder versäumt, meinen Zweitnamen anzugeben. Und da vielleicht der Ausweis verlangt wird, könnte der Scanner auf den Unterschied aufmerksam werden und sich der Zusteller wieder weigern, mir das Paket auszuhändigen. Was für eine entsetzliche Aussicht!

Wieso muss ich diesen dämlichen Zweitnamen haben, wäre eine schlichte vier oder fünfstellige Nummer nicht ausreichend? Das würde mir einiges erleichtern. Ich hielt inne. Plötzlich wurde mir klar, das ich keinen blassen Schimmer mehr hatte, wer meine Eltern waren. Ich wusste nicht mehr, wie sie aussahen. Ich hatte sie vergessen.

„Was soll´s!“, dachte ich, genau genommen sind wir ohnehin nichts als Nummern. Nummern, die von Algorithmen durchs Leben gelenkt werden. Wen kümmert woher wir stammen?

Ich arbeite seid vier Jahren als Datenverwalter bei einer Versicherung. Ich sitze täglich in einer kleinen Zelle, vergleiche Datensätze, aktualisiere Datensätze, synchronisiere Datensätze. Der beste Job den ich mir vorstellen kann!

Seit einiger Zeit auch zeitweise von Zuhause. Das spart Ressourcen, behauptet das Unternehmen. Mir ist das recht, ich lege keinen Wert auf soziale Kontakte. Vor drei Jahren wurden, einer ansteckenden Krankheit wegen, spitzenmäßige Maßnahmen eingeführt. Mittlerweile wurden viele davon wieder außer Kraft gesetzt. Was mich nicht daran hindert, sie beizubehalten. Ich bedauere die Laxheit einiger Entscheidungsträger.

Denn diese Regeln kommen meiner Lebensstrategie mehr als entgegen. Und natürlich entsprechen sie den Lehrsätzen der KKDHT-Church. Dort steht geschrieben: „Du sollst nicht zusammenkommen mit Deinesgleichen, halte deinen genetischen Quellcode rein und sauber!“

Die KKDHT-Church lehrt uns, „Um so weniger zwischenmenschliche Interaktionen stattfinden, desto weniger Pestilenz und Elend müssen wir ertragen! Das Glück liegt in der Isolation und der Nabel zur Welt ist das Datenkabel. Was braucht man mehr?!“

Meine Arbeit besteht darin, auf den Bildschirme zu starren und Datensätze zu synchronisieren. Da brauche ich keine zwischenmenschlichen Ablenkungen.



4.


Zuhause angekommen, schaute ich gleich in meinen Briefkasten. Es lag aber keine Benachrichtigungskarte darin, nur die Wurfsendung eines Mobilfunkanbieters.

Ich ersparte es mir, die Wurfsendung zu öffnen und warf sie in den überfüllten Mülleimer unter dem Briefkasten.

Obgleich man in diesen Wurfsendungen manchmal beim Namen genannt wird, sollte man nicht vergessen, das eine Maschine ihn geschrieben hat. Aber ich sehe ohnehin keinen Unterschied darin, ob mir eine Siri, eine Alexa, eine Susanne, die Nachbarin oder irgend eine KI einen guten Morgen wünscht. Was ist schon echt?

Meine gesamte Post wird von Maschinen geschrieben. Alles läuft automatisch. Ein Datum fällt mit einem Ereignis zusammen und ein Algorithmus tritt in Aktion und generiert eine Nachricht. Ein weiterer Algorithmus kümmert sich dann um alles Weitere. Wahrscheinlich schreiben sich Maschinen gegenseitig Briefe. Maschinen, die mit Maschinen kommunizieren. Ein Barcode scannt einen anderen Barcode. Ein binäres Hintergrundrauschen aus Nullen und Einsen das mich angenehm einhüllt. Das ist meine Matrix.

Bis vielleicht ein gigantischer elektromagnetische Impuls alles lahm legt. Dann würde Funkstille herrschen. Aber das wird nie passieren! Hoffe ich doch zumindest.

Jedenfalls erhalte ich schon lange keine Briefe oder Postkarten mehr, die richtige, echte Menschen aus Fleisch, Knochen, Nerven und Blut geschrieben haben. Warum auch?

Allerdings kann ich mich auch kaum noch an diese Art von Nachrichten erinnern. Es sieht so aus, als würde ein Lebensabschnitt über die Klippe des Vergessens stürzen, aus meinem Ereignishorizont verschwinden. Wahrscheinlich ist das ein Aspekt der Transformation.

Es soll ja Menschen geben, die sich eine kostspielige Bibliothek mit teuren Büchern zu legen und niemals eines ihrer Bücher aufschlagen. Wen kümmern Inhalte solange von außen alles hübsch und farbig aussieht?

Während wir tiefer in der traumlosen Nacht der Programmen ertrinken, ziehen die Algorithmen alles aus uns heraus, alle Informationen unseres Lebens. So ist das nun mal. Der binäre Kosmos muss gefüttert werden und wir sind die Nahrung.

Dinge hängen zusammen und wir an Maschinen. Hauptsache die Pakete kommen! Und solange es mir an nichts fehlt, ich alles ins Haus geliefert bekomme, ist doch alles prima!



5.


Nachdem ich die Haustür hinter mir verriegelt hatte, schaltete ich den Rechner an und überprüfte auf der Seite des Paketzustellers die aktuelle Statusmeldung. So etwas geht schnell, Bestellnummer eintippen, Knopf drücken und schon ist man informiert.

Erstaunlich, was alles durch das bloße drücken eines Knopfes in Gang gesetzt werden kann. Von der Treppenhausbeleuchtung bis hin zum Marschflugkörper mit Nuklearsprengköpfen.

Und keiner erkennt das Muster zwischen dem Knopfdruck und der Sache, die dann passiert. Das ist der Zwischenraum wo wir leben, im blinden Fleck. In der Grauzone der Ereignisse.

Keiner kennt den Quellcode hinter den Dingen. Versteht das Glasfaserkabel, die Nullen die Einsen, die Informationsübertragungen die Lichtblitze. Wichtig ist, was man bekommt, und was man bestellt. Warum sich Sorgen über Scanner machen. Die globale Überwachung all unserer Bewegungen und Handlungen? Das ist die neue Ordnung.

Denn alle Scanner schützen uns vor Terroristen, dienen unserem Schutz. Dem Schutz des genetischen Quellcodes.

Mein Paket befand sich in Zustellung. Mittlerweile war es jedoch 21 Uhr. Anscheinend war das System nicht auf dem aktuellen Stand oder ein unachtsamer Mitarbeiter hat nicht richtig geschaltet und einen Arbeitsschritt nicht ordnungsgemäß abgearbeitet!

Ich saß noch bis 23 Uhr vor dem Rechner und klickte mich gelangweilt durch belanglose Internetseiten. Ich überflog einen Artikel über das korrekte Schälen einer Ananas.

Am liebsten scrolle ich Kommentare und Threads. Wenn ich Kommentare lese, egal wo und über was, bekomme ich genug Nähe für ein Jahr. Diese kleinen, eingefrorenen Emotionen geben mir die optimale Portion Gesellschaft.

Am nächsten Morgen erwachte ich früher als sonst. Mit einem zuckenden Augenlid stand ich auf, kochte Kaffee und setzte mich an den Rechner.

Die aktuelle Statusmeldung hatte sich seit gestern nicht geändert. „Die Sendung befindet sich in Zustellung!“, stand dort.

Demoralisiert scrolle ich mich durch die Kommentare des Artikels über eine berühmte Schauspielerin, die sich an einem minderjährigen Jungen vergriffen hatte. Einige forderten die Todesstrafe. Andere fanden, das moralische Schranken niedergerissen werden müssen, „erlaubt ist, was Spaß macht!“, wieder andere machten sich lustig oder beneideten den Jungen. Ich hatte aufgehört, mir eine Meinung zurecht zu biegen. Warum auch? Man kauft, man verbraucht man macht was von einem verlangt wird und darüberhinaus, wen kümmert es, was ich für eine Meinung habe?

Warum ich so bin wie ich bin? Weil ich ein ergebener Jünger der K & K digital-humanistischen-Transformationskirche bin.

Vielleicht sitze ich aber auch nur zu lange vor dem Bildschirm, vor diesem weißen Rauschen und versuche die weißen von den schwarzen Kästchen zu trennen.



6.


Zum Glück musste ich am nächsten Tag erst um 15 Uhr das Hause verlassen. Das heißt ich konnte bis 15 Uhr auf das Paket warten. Ab 10 Uhr überprüfte ich alle zwanzig Minuten die Statusanzeige. „Ihre Sendung befindet sich in Zustellung!“ stand da. Als ich das las kam Freude auf. Natürlich durfte ich unter keinen Umständen die Wohnung verlassen. Ich trank viele Tassen Kaffee. Irgendwann aß ich ein Knäckebrot. Die Stunden verstrichen. Aber kein Paketdienst. Die Statusmeldung blieb unverändert. Ich wurde unruhig. Schließlich riss mein Geduldsfaden, ich rief die Hotline an. Am anderen Ende der Leitung die freundliche automatische Frauenstimme.

„Wenn Sie Fragen zu Ihrer Sendung haben, drücken Sie die Zwei.“ Ich drückte die Zwei. Nachdem ich mich durch das Menü hindurch gedrückt hatte, erhielt ich die Information, dass meine Sendung zwischen 9 Uhr und 20 Uhr zugestellt werden wird. Leider war aus technischen Gründen keine genauere Zeitangabe möglich. Es war zum verrückt werden.

Um meiner Nervosität Herr zu werden, versuchte ich den schwarzen Schimmel auf den Kachelfugen meines Bades mit einer Zahnbürste und einem chlorhaltigen Reinigungsmittel wegzuschrubben. Vergeblich. Um 14 Uhr stand immer noch kein Paketdienstmitarbeiter vor meiner Tür. Die letzte Stunde verbrachte ich resigniert vor dem Küchenfenster und zählte gelbe E-Autos. Um 15 Uhr verließ ich am Boden zerstört das Haus.

Auf dem Weg zur Arbeit, hinter meiner FFP30 Maske, musste ich die ganze Zeit an das Paket denken und wo es gerade sein könnte. In der U-Bahn trugen einige FFP30 Maske. Das Tragen von Masken in der Öffentlichkeit war vor einem Jahr noch Pflicht. Ich finde jeder sollte zu jeder Zeit eine FFP30 Maske tragen. Ich fühle mich wesentlich sicherer hinter dieser Maske, man bleibt vor unnötiger und lästiger Kommunikation verschont und es trägt zur Volkshygiene bei. Denn man weiß nie, was für Keime ein Anderer in die Welt hinein atmet.



TEIL 2



7.


An diesem Tag sollte ich bis zum späten Abend in der Versicherung arbeiten. Es waren nur noch wenige Mitarbeiter im Büro. Merkwürdig war, das ausgerechnet an diesem Abend einige der Mitarbeiter so ungewöhnlich nett zu mir waren. Frau Wegener aus der Buchhaltung zum Beispiel bot mir in der Teeküche ein Stück Sandkuchen an.

Ich saß zerknirscht hinter einer Kaffetasse auf der „zu früh, zu kalt, zu Montag!“, stand und las den dämlichen Satz immer wieder von oben nach unten in einer Endlosschleife, als Frau Wegener plötzlich neben mir stand.

„Was ist denn mit Ihnen los? Sie sehen ja noch schlimmer aus als sonst und sonst sehen Sie schon schlimm genug aus! Wollen Sie ein Stück Kuchen, ist noch übrig vom Geburtstag von Frau Hauser?“.

Ich machte mir nicht die Mühe, zu ihr hinauf zu gucken. Sie hielt mir den Kuchen vor die Nase.

„Stellen Sie ihn auf den Tisch“ sagte ich. Wahrscheinlich sah man mir mein Unglück an der Nasenspitze an. Denn plötzlich kam auch noch Frau Krüger aus der Personalabteilung. „Sie sehen aber blass aus? Geht es Ihnen nicht gut?“. Angewidert sprang ich vom Stuhl auf.

„Ich hab genug von euch! Lasst mich in Ruhe! Ich will keinen Kuchen! Ich will nichts hören, ich will nichts, ich will nur mein Paket!“, rief ich blind in den Raum und stürmte in die Toilette.

Im Spiegel sah ich mein Gesicht. Es sah wirklich blass aus. Es war, als würde mich jemand, den ich mal kannte, erschrocken, krank und vorwurfsvoll aus dem Spiegel ansehen. So, als ob ich ihm etwas angetan hätte.

Wie mir diese Mitarbeiter auf die Nerven gingen. Wieso konnten sie nicht vor ihren Bildschirmen sitzen wo sie hingehören, ihre Maske tragen und ansonsten die Klappe halten. Warum kann nicht jeder durch einen Automaten ersetzt werden? Ich verachtete den Rest an menschlichen Zügen in mir. Diese Grauzone, dieser Schatten. Wie beruhigend ist im Gegensatz dazu der bereits transformierte, genetische Quellcode.



8.


Um 21 Uhr verließ ich die Versicherung. Auf dem Rückweg fiel mir ein, dass ich noch Lebensmittel einkaufen musste. Der Supermarkt hat täglich bis 22.30 geöffnet. Normalerweise kaufe ich alles übers Internet. Lebensmittel kaufe ich allerdings nach wie vor im Supermarkt. Auch wenn mich die Leute anwidern. Es ist einfacher und leider immernoch billiger.

Vor dem Supermarkt saß wie jeden Tag die alte Romafrau auf ihrem bescheuerten Klappstuhl, braungebrannt, zerfaltetes Gesicht, Kopftuch. Auf ihrem altbackenen Faltenrock, in ihrem Schoss, stand ihr alberner Holzbecher für das Geld. Die hatte noch nicht mal den Anstand einen Mundschutz zu tragen. Weiß Gott, was die für Krankheiten in die Welt hinein schnauft.

Geht man an ihr vorbei, setzt sie immer das dämliche Grinsen auf. Aber damit hat sie mich noch nie rum gekriegt. Ich wette, das sie jünger ist als sie aussieht.

Seltsamerweise musste ich heute, als ich an der Alten vorbei ging, an diesen Buddha denken. Nicht das ich viel über ihn wusste, ich kannte nur, was ich im Internet mal über ihn gelesen hatte.

Wie sie so auf diesem Klappstuhl saß, sah sie wie dieser Buddha aus. Auch diese runde, gedrungene Figur passte. Der Buddha soll ein richtiger Influencer gewesen sein und der Ursprung einer globalen Bewegung. So wie unsere K. & K.´s ohne die es die KKDHT-Church nicht gäbe und ohne KKDHT-Church keine genetische Upgrades und ohne genetische Upgrades keine Transformation und ohne Transformation keine Singularität von Mensch und Maschine.

Jemand sollte ihr Nanobots ins Gehirn spritzen, damit sie einer anständigen Tätigkeit nachgeht. Nanobots lassen sich gut über eine Verhaltenssoftware steuern. Das wird demnächst das Gesindel von unseren Straßen fegen.

Meistens murmelte die Alte unverständliches Zeug. Als würde beim Vorbeigehen eine Lichtschranke in ihrem Kopf einen Schalter aktivieren.

Diese Buddhisten sollen Tagelang auf ihrem Hintern sitzen und darauf warten bis etwas abgefahrenes mit ihrem Bewusstsein passiert. Allerdings tut ihnen in der Regel nur der Hintern weh. Da haben wir es in der KKDHT-Church besser, wir bekommen alle 6 Monate die Injektion damit die Transformation auf genetischer Ebene stattfinden kann. Das Bewussten ist der biologische Quellcode. Einen Geist gibt es zum Glück in der KKDHT-Church nicht.

Im Supermarkt war ich einer der wenigen, der die Maske korrekt trug. Die meisten Menschen verhalten sich fahrlässig. Die sehen nicht, wie sie krank machende Erreger in die Luft spucken. Am schlimmsten sind diese Kinder, die alles mit ihren infektiösen Händchen betatschen müssen. Die Menschen verstehen nicht, dass sie mittelmäßige, in Fleisch eingebettete Betriebssysteme sind ohne Firewall und einer veraltete Antivirensoftware. Es wird Zeit, das alle ihre Upgrades erhalten. Schluss mit den halbherzigen Experimenten.



9.


Als ich aus dem Supermarkt kam und an der Alten vorbei ging, natürlich gab ich ihr keinen Cent, mal davon abgesehen, dass demnächst sowieso kein Bargeld mehr im Umlauf sein wird, dann kann sie sich vom Acker stehlen, jedenfalls nahm sie ihr Bein zur Seite. Ich wusste nicht, ob sie das tat, um mich zu erpressen oder weil sie Angst um ihr krankes Bein hatte. Jedenfalls kippte ihr Regenschirm auf den Gehweg.

Ich weiß nicht, was in mich gefahren war, ich beugte mich runter, um ihn ihr aufzuheben. Aber ich konnte es nicht zu Ende bringen. Ich ließ den Regenschirm auf halber Strecke fallen. Der Ekel war zu groß.

Auf ihrem Schoss lag wie immer eine Tüte Sonnenblumenkerne. Ihr faltiger Mund kaute auf einem Kern herum und zwei Finger fischten die Schale heraus. Sie schaute mich an, als wollte sie etwas sagen. Aber stattdessen fing sie an zu grinsen. Ich konnte meinen Brechreiz gerade noch unterdrücken. „Wieder dieser Buddha?“, dachte ich plötzlich.

Was war nur mit mir los? Die Alte und Buddha, ein und dieselbe Person? Diese Idee, diese verrückte Idee; „ein und dieselbe Person!“, hämmerte sich in meinen Verstand. Aber es gab doch nur die KKDHT-Church, die Upgrades, die Transformation. Etwas schien sich zu verselbständigen. Ich stand buchstäblich neben mir und sah, wie ich verwirrt vor der Alten stand.

Was passierte? Ich verspürte den unwiderstehlichen Drang mich wie die Alte auf einen Klappstuhl zu setzen, um diese rätselhafte Bewusstseinsexplosion zu erleben.

Wie kann man so etwas wollen? Schließlich ist das Bewusstsein nur ein Quellcode. Der kann nicht explodieren. Da gibts nur Nullen und Einsen.

Wie kann man tagelang auf einem Klappstuhl sitzen, auf Sonnenblumenkernen herumkauen, sich die Sonne ins Gesicht scheinen lassen, dabei grinsen und nicht durchdrehen? Die Vorstellung brachte mich halb um meinen Verstand.

Mit meinem albernen Baumwollbeutel mit Lebensmitteln musste ich mich vor Erschöpfung auf die Parkbank setzen. Die Erschöpfung ergab keinen Sinn, ich mache doch alles richtig. Ich habe sogar ein eingerahmtes Foto von K & K über meinem Schuhregal hängen.

K & K & Co. hatten uns in dieser bösartigen Pandemie den einzig korrekten Weg hinaus gezeigt. Der Weg zur wahren Wissenschaft, die uns zur Wirkung der unumstößlichen Ursache gemacht hat. Der einzigen Ursache, die uns zum ergebenen Untertanen bestimmte und uns den nötigen Gehorsam dem heiligen genetischen Quellcode abverlangte.

Was letztendlich darauf hinauf läuft, dass wir alle besser genau das tun, was uns die KKDHT-Church aufträgt zu tun. Das wir das Denken den Algorithmen und Maschinen überlassen. Denn im Gegensatz zu uns sind die an Perfektion nicht zu überbieten. Die KKDHT-Church lehrt uns den nötigen Respekt- „Denn dein ist der Algorithmus, das Programm, der Prozess und die heilige Injektion!“

Daher beschloss ich, nichts anderes mehr zu tun als auf Sendungen zu warten, in einer Versicherung Datensätze zu synchronisieren, in einer schlecht belüfteten Wohnung vor einem Bildschirmen zu sitzen und ansonsten dem Leben den Rücken zu kehren. Denn das einzig wahre Lebensmodel ist die Isolation.

Alternativen interessieren mich nicht, weil ich es mag, wenn Dinge immer gleich bleiben. Mich interessieren keine Leute, weder was sie sagen noch was sie tun. Die wichtigste Aufgabe meines Daseins besteht darin, die Kette an Bestellungen nicht abreißen zu lassen.

Ich sehe meine Verantwortung darin auf korrekte Statusmeldungen und fehlerfrei ausgefüllte Bestellformulare zu bestehen. Die Kooperation mit dem digitalen Raum ist meine Fahrkarte zur digital, biologischen Singularität.

Das einzige das mich interessiert, sind hin und her fahrende Kastenwägen, Scanner, Maschinen, Programme und die Algorithmen die uns verbinden. Mich interessiert kein Nachbar, keine Figuren aus meiner Vergangenheit. Diese Konstrukte, Gestalten, Illusionen sind allesamt das Produkt eines unvollkommenen Quellcodes und der einzige Weg aus dieser Hölle sind injizierte Nanobots, die diesen Quellcode upgraden.

Aber warum erschien mir dann alles plötzlich dennoch so absurd, wo ich doch der einzigen Wahrheit so nahe stand? Wahrscheinlich lag es an dieser Alten, die auf ihrem Hocker meinen Verstand infiltrierte, das würde es erklären, warum ich diese schlimmen Dinge dachte. Wahrscheinlich hatte die Alte meinen Verstand gehackt! Sie war nichts anderes als ein Virus.

Ich saß noch eine ganze Weile auf der Bank, der Schrecken saß tief. Irgendwann entdeckte ich meine Schuhspitzen, einige Kieselsteine, ein Blatt, zwei Zigarettenstummel, ein zertretenes Schneckenhaus und meine blassen Finger mit diesen wächsernen Fingernägeln und diesen weißen Schlieren, meinen unappetitlichen Bauch, diese unsportlichen Beine. Alles zusammengenommen eine optische Katastrophe. Was passierte mit mir, mit meinem Körper?

Aber wir brauchen doch die Transformation, die genetischen Upgrades ansonsten fällt doch das ganze System auseinander. Wir haben doch eine Verpflichtung der KKDHT-Church gegenüber. Ich muss doch gehorchen, tun, was die KKDHT-Church von mir verlangt. Es gibt doch keine Alternative!

Ich rappelte ich mich auf, bewegte diesen trägen, unwirklichen Körper nach Hause.

Spatzen flatterten vom Ast und hüpften aufdringlich vor mir herum. Ich hörte wie sie sagten: „Los, rück dein Fressen raus! Du hast genug, wir wissen es. Spiel nicht das Unschuldslamm!“, trotz meiner Abneigung Vögeln gegenüber, warf ich ihnen eine Schrippe in den Dreck. Gierig hackten sie ihre kleinen, schmutzigen Schnäbel in den gebackenen Teig. Die Natur ist gnadenlos, machen wir uns nichts vor. Und ich bin ihr letztendlich gnadenlos ausgeliefert.




Teil 3



10.


Eine Zeit lang stand immer derselbe Zusteller vor meiner Tür. Ein großer, schlaksiger Mann, eingefallenen Augen, kurzen blonden Haaren, blassem Gesicht und Headset. Irgendwann kam er nicht mehr. Warum, ich weiß es nicht, weil ich nie ein überflüssiges Wort mit ihm wechselte. Irgendwann erlebte ich, zu meiner eigenen Überraschung etwas wie Freude wenn ich ihn sah. Einmal wollte ich ihn fragen, wie es ihm geht. Aber dann war er weg. Kam einfach nicht mehr.

Während alles unverändert immer weiter ging, hangelte ich mich durch die Veränderung der Statusmeldungen. Die einzigen Veränderungen, die mir wichtig waren. Denn sie zeigten den Fluss der Sendungen.

Was aber, wenn dieser Fluss abbricht?



11.


Zuhause angekommen, sah ich, das mein Rechner noch an war. Ich wackelte mit der Maus und checkte die Statusmeldung: „Wir werden einen weiteren Zustellversuch durchführen!“

Es war zum Verzweifeln!

„Morgen ist Samstag!“, dachte ich. Ich werde es nicht vermasseln. Ich werde meine Sendung entgegennehmen. Ich werde wie dieser Buddha sein, wie die Alte auf ihrem Klappstuhl. Ich werde sitzen, warten und auf das eingerahmte Foto von K & K starren. K & K waren die, die alles möglich machten. Das genetische Upgrade, die Transformation, die neue Ordnung- da wo das Böse von dem Guten schön voneinander getrennt existiert. Da wo die Bösen in die Gen-Upgrade-Verweigerer-Ghetto gesteckt wurden, den GUVGs und die Guten in brüderlicher Verbindung mit dem World Wide Web und der KKDHT-Church koexistieren.

Ich werde warten bis ich die Sendung in meinen Händen halte. Denn dann ist alles gut!



12.


Ich packte die Lebensmittel in die Schränke, kochte eine Suppe und versuchte mich zu beruhigen. Vor mir im Teller schwammen in der Brühe kleine Nudeln als Buchstaben. Beim Essen versuchte ich mit dem Löffel, die Buchstaben zu Worten zusammen zu fügen. Ich entdeckte Kombinationen und fremde Bedeutungen. Ich sah Antworten auf merkwürdige Fragen die wie zufällig in der Brühe auftauchten und wieder verschwanden. Das kleine B auf meinem Löffel verschwand als Informationseinheit in meinen Mund.

Es wäre doch denkbar, dass wir über verborgene Kanäle Informationen erhalten, die uns von innen beeinflussen. Was, wenn all die Wünsche, die ich habe oder nicht mehr habe über unbekannte Kanäle in mich eingedungen sind? Was, wenn das B, das ich gegessen habe, in mir einen Prozess startet? Was, wenn Informationen Viren sind?

Ich kann diese Botschaften nicht entschlüsseln. Vielleicht weil ich nicht über nötigen Administrationsrechte verfüge.

Ich bin Schrödingers Katze, die Katze die nicht weiß, ob sie tot oder lebendig ist.



13.


Vielleicht sitzt die Alte garnicht aus finanziellen Gründen jeden Tag auf ihrem Klappstuhl?

Blitzartig kam mir der Gedanke. Was, wenn es keine Frau, im Grunde nicht mal ein Mensch ist. Es könnte doch sein, dass sie in Wirklichkeit ein Interface, die Schnittstelle zu einer Datenwolke ist. Sie hackt und infiziert uns mit virulenten Programmen?

Nachdem mir das alles zu schwindelerregend wurde, ging ich zu meinem Wandschrank und zog einen Ordner aus dem Regal. Denn ich hatte es mir zur Aufgebe gemacht, alle Bestellungen auszudrucken und sie in einen Ordner nach Datum sortiert abzuheften. Mittlerweile hatte ich eine stattliche Anzahl an Ordnern mit Bestellformularen und Sendungsverfolgung in meinem Regal stehen.

Zusätzlich zu meinem Keller musste ich die Hausverwaltung dazu überreden mir noch zwei weitere Keller für einen fairen Preis zur Verfügung zu stellen. Warum? Um die Menge an Bestellungen lagern zu können. Schließlich ging es nicht um die Dinge, sondern darum, das System und somit unsere KKDHT-Church am Leben zu erhalten!

Tatsächlich bin ich kein Konsument oder Verbraucher, ich bin die systemerhaltende Subroutine.



14.


Meine wasserdichte Quarz-Uhr zeigte exakt 23 Uhr und 42 Minuten. Es war Freitag Nacht und ich saß in meiner Küche. Ich war damit beschäftigt, Zahlen zu Blöcken mit je acht Zeilen und Spalten in willkürlicher Reihenfolge auf einen A5 großen Bogen Papier aufzuschreiben

Ich fischte einen Beleg aus einem Schuhkarton heraus und klammerte ihn an den A5 Papierbogen, umkringelte einige Ziffern mit gelb und legte es alphabetisch sortiert in einer Schublade ab.

Seit einiger Zeit sehe ich eindeutige Zeichen der bevorstehenden Singularität, der Verschmelzung des binären-Raum-Maschinen-Kosmos mit meinem biologischen Quellcode. Aber bis es soweit ist, müssen viele Bestellungen abgewickelt werden. Ich gibt in meinem Keller noch Platz.



15.


Morgen steht mir der ultimative Tag bevor. Der Tag der Zustellung. Nichts wird dazwischen kommen. Alles wird reibungslos und planmäßig ablaufen. Alle Ereignisse werden sich an einem exakten Zeitpunkt überschneiden. Dann wird folgendes geschehen:

1. Der Zusteller wird läuten.

2. Er wird die Treppe nach oben kommen und mir das Paket übergeben.

3. Der Scanner wird meine Unterschrift aufzeichnen und akzeptieren.

4. Die aktualisierten Daten werden die Statusmedung auf „Zugestellt“ schalten.

5. Wir werden uns einen guten Tag wünschen!.

6. Es wird ein guter Tag werden und alles wird einen Sinn ergeben.



16.


Die Nacht war entsetzlich. Seit meinem letzten genetischen Uporade wache ich regelmäßig schweißgebadet auf, mein Körper zittert und mir ist schwindelig. Aber es wird schon alles in Ordnung sein. Die KKDHT-Church macht keine Fehler.

Ich träumte von einem Gnom mit Glatze, roter Arbeitslatzhose und Clipboard. Der Gnom stand vor meiner Wohnungstür. In seiner Brusttasche steckten gelbe Kugelschreiber. Es verging eine Ewigkeit. Dann sagte er:

„In Deinem System wurde ein Fehler gefunden, es besteht aber die Aussicht,“ dann klopfte er mit dem Kugelschreiber auf das Clipboard. Das Klopfen machte ein entsetzliches Geräusch.

„Es besteht noch die Aussicht, dass wir Dir ein Upgrade verpassen. Allerdings kann das zu einem Totalausfall, einer Kernel-panic führen!“.

Der Gnom schrumpfte, dann lag ans einer Stelle ein Sprengsatz vor mir und ich hielt plötzlich den Fernzünder in meiner Hand.

Dann sollte ich die Bestellung quittieren. Aber es war kein Scanner sondern der Fernzünder. Ich sagte, „Soll ich mit Sprengstoff quittieren?“, Ich versuchte den Knopf zu drücken, aber meine Hand bewegte sich nicht.

Dann tauchte die alte Frau mit Putzeimer auf. Sie kam die Treppe hoch, völlig außer Atem und sagte:, „Mach Dir kein Kopf, der Fehler wird rausgeholt!“,

Ich bekam Angst, dass sie in den Flur kotzt. Und was Bitteschön wird rausgeholt? Dann war ich in der Küche, um das Fenster zu schließen. Aber es gab keine Fenster nur Schalter.

Die Transformation geht mit bizarren Ereignissen einher, allesamt mental.

Wo gehobelt wird, fallen Späne!



17.


Damit bei der Zustellung nichts mehr schief gehen konnte überprüfte ich sicherheitshalber die Gegensprechanlage. Nahm den Hörer ab, klopfte ihn gegen die Wand und lauschte in die Muschel. Nur ein Rauschen. Es wird passieren, was passieren muss. Das war beruhigend. Danach schaltete ich den Rechner an und wartete bis er hochfuhr.

Bald werden alle digitalen Geräte und Einheiten um uns herum die Wünsche und Befehle der KKDHT-Church an uns telepathisch weiter leiten. Maschinen, die aussehen wie Menschen, werden dafür sorgen, dass wir den Wünschen und Befehlen gehorchen. Es werden magische Maschinen sein. Die Kreuze der Kirchen werden Halbleiterchips sein. Näher kann man Gott nicht kommen!



18.


Ich öffnete die Internetseite des Paketdienstes: „Die Sendung befindet sich in der Zustellung.“

Die Variationsmöglichkeiten der Statusmeldungen sind begrenzt. Trotzdem rief ich sicherheitshalber die Hotline an, nichts durfte dem Zufall überlassen werden. Wieder drückte ich mich durch das Menü. Die Roboter-Frauenstimme führte mich freundlich wie immer durch das Sprachdialogsystem.

„Herzlich willkommen bei…, um unsere Service Qualität zu verbessern, zeichnen wir in Einzelfällen das Gespräch auf, wenn Sie damit nicht einverstanden sind, drücken Sie die zwei …, um den Status ihrer Lieferung zu erfahren drücken Sie die vier. Ihre Lieferung wird zwischen 9 und 20 Uhr zugestellt, genauere Angaben sind aus technischen Gründen leider nicht möglich, wir bitten um Ihr Verständnis.“

Ich beendete das Gespräch ohne mich zu verabschieden.

Maschinen legen keinen Wert auf Höflichkeit. Ich ging zum Fenster und schaute auf die Straße. Eine Frau auf einem Fahrrad stand an der Ampel im Regen und wartet auf grün.

Ich setzte ich mich auf einen Klappstuhl in den Flur und guckte auf das eingerahmte Foto von K & K, ihre strahlenden Gesichter lieferten den Beweis dafür, dass alle Fragen beantwortet wurden und schon alles seine Richtigkeit hat. Warum also Zweifeln?

Nachdem ich eine halbe Stunde so da saß, läutete unerwartet das Festnetztelefon.

Aus unbekannten Gründen besitze ich noch einen Festnetz Anschluss. Ich nahm den Hörer ab.

Eine Katja Engels von einer unbekannten Buchhaltungszentrale war am anderen Ende zu hören. Es ging um eine Angelegenheit, die, wenn sie nicht auf der Stelle erledigt wird, einer Rechtsabteilung übergeben werden muss.

Das klang bedrohlich. Ich erkundigte mich, um welche Forderung es sich dabei handelt und wer ihr Auftraggeber sei. Darüber dürfe sie mir keine Auskunft geben und legte auf.

Während ich den Hörer noch am Ohr hielt, überlegte ich, ob die Geräusche am anderen Ende echt oder vom Band waren. Automat oder lebendig. Aber was ist schon lebendig? Vielleicht die Spatzen im Baum.

Ich setzte mich wieder auf den Klappstuhl und starrte auf K & K.



19.


Wahrscheinlich hat sich die Statusmeldung seit Stunden nicht verändert. Nichts hatte sich verändert.

Gut Ding will Weile haben! Wen kümmert es, ob dabei Stunden, Tage oder Wochen vergehen?

Das wichtigste ist, dass die Sendungen auf dem Weg sind. Und ich auf einem Klappstuhl sitze.

Das System muss am Laufen bleiben.

Die schützende Hand der KKDHT-Church wacht über alle Prozesse. Das ist beruhigend.

Sie sorgt für meine Transformation.

Sie sorgt für meine Optimierung. Ich werde zur Mensch-Maschine.

Aber irgend etwas, vielleicht war es der Anblick dieser Alten oder die Assoziation mit diesem Buddha, hatte einen Schlüssel in das verbotene Schloss gesteckt. Und langsam aber stetig drehte sich dieser Schlüssel und öffnete eine Tür einen Spalt weit.

Etwas hackte mein Bewusstsein mit einem äußerst bösartigen Gedanken.

Es war ein kleiner aber sehr zersetzender Gedanke:

„Was, was wenn ich am Ende feststelle, das etwas Grundlegendes nicht stimmt, was, wenn etwas falsch ist?“




ENDE
 

Hagen

Mitglied
Hallo Scotty,
vielen Dank für diese mehr oder weniger erbauliche Story.
Seltsamer Weise passiert mir 'sowas' auch laufend; - zum Glück bin ich endlich Rentner. Verzeihung Freischaffender und 'Privatgelehrter'.
(aber als Rentner haben sie ja viel Zeit! Da können sie sich ja für meine Fehler ruhig mal eben für ein Stündchen in Bewegung setzen ...)
usw.
Ich hab's langsam satt ein guter Mensch zu sein!

Nun denn, in diesem Sinne, wir sehen uns in der ScheinBAR!
Zudem lesen wir uns weiterhin!
... und bleibt schön fröhlich, guter Dinge, gesund und munter, weiterhin positiv motiviert, negativ getestet und stets heiteren Gemütes!
Herzlichst
Yours Hagen
________________________________________________
Bedenke: Wenn du das Licht am Ende des Tunnels erkennst und diesem zustrebst,
wirst du, nachdem eine Rückkehr unmöglich ist erkennen,
dass es sich um das Licht eines sich schnell nährenden D-Zugs handelt!

Merke: In Eisenbahntunnels sind keine Notfallbuchten vorgesehen!
 

MP_Scotty

Mitglied
Hallo Hagen,

Haben Sie vielen Dank für den inspirieren Feedback ...
ja, gute Menschen werden gerne benutzt damit die
nicht so guten ihre Taschen mit Geld stopfen können,
verzeihen Sie meine direkte Art.

Ich mach das Beste aus: "fröhlich, guter Dinge, gesund und munter, weiterhin positiv motiviert, negativ getestet und stets heiteren Gemütes!"
Freu mich auf weiteren Interessanten Ideen Austausch

MP.
 



 
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