Der Junge

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Tim K

Mitglied
Wenn man ganz genau hinschaute, sah man den Jungen in der hintersten Ecke sitzen. Das Flimmern der Kerze, die auf dem Tisch auf der anderen Seite des Zimmers stand, beleuchtete sein erschöpftes Gesicht. Er wusste nicht mehr, wie es sich anfühlte seine Ecke zu verlassen, also hatte er beschlossen sich noch stärker zusammenzukauern. Wahrscheinlich konnte er gar nicht mehr gerade stehen, geschweige denn weit gehen. Jeder Gedanke an die Zukunft ließ ihn ermüden, jeder Gedanke an die Vergangenheit ließ ihn erstarren. Das Kerzenlicht stand im Kampf mit der Dunkelheit, die versuchte alles aufzufressen.

Wenn sein Blick sich hob, waren seine Augen leer. Er hatte sich angewöhnt, seine Gedanken zu unterdrücken. Wäre er eine Raupe gewesen, hätte man gedacht, dass sein Körper nur die übriggebliebene Schale nach dem Häuten sei. Seine Erscheinung war seelenlos. Sobald man das Zimmer betrat, überkam einen eine tiefsitzende Kälte und eine tiefe Trauer. Obwohl der Junge sich isoliert hatte, vereinnahmte er jeden, der sich ihm näherte, mit seiner Dunkelheit und Leere. Es hieß, dass es niemand schaffe länger als 5 Minuten mit ihm in einem Raum zu sein, ohne sich danach das Leben zu nehmen.

Es gab Leute, die versuchten die hellste Lampe der Welt zu nutzen, um den Raum mit Licht zu fluten. Es dauerte keine 3 Minuten und die Lampe erlosch, eingenommen von der Dunkelheit. Andere versuchten ihm näher zu kommen, ihn zu berühren, um ihm durch die Nähe ein Gefühl von Liebe und Geborgenheit zu geben. Sobald sie sich ihm jedoch näherten, fingen sie an schweißgebadet mit ihren größten Ängsten konfrontiert zu werden. Es war so als würden alle negativen Gedanken, die er verdrängt hatte, um ihn herum schwirren. Jeder der nur mit einem Bruchteil dieser Gedanken konfrontiert wurde, wurde sofort verrückt.

Eines Tages fing die Dunkelheit an sich über das Zimmer hinaus auszubreiten. Aus Angst, sie könne die ganze Stadt einnehmen, überlegte das ganze Land, was man tun könne, um die Ausbreitung zu stoppen. Es wurde sogar überlegt, ob man ihn nicht einfach erschiessen könne, jedoch wurde schnell der Einwand laut, dass die Dunkelheit mittlerweile so stark sei, dass diese alles und jeden einnehmen würde, der sich dem Haus nähere. Also versuchte man eine Bombe auf das Haus abzuwerfen. Diese verschwand in der Dunkelheit ohne dass je eine Explosion gehört oder gesehen wurde.

Was alle vergessen haben, ist, dass das Problem nicht die Dunkelheit, sondern die Einsamkeit, die der Junge über Jahre erlitten hatte, war. Der Schmerz der Einsamkeit wurde so stark, dass dem Jungen nur die Wahl blieb entweder sich sein Leben zu nehmen oder die Gedanken zu verdrängen.

Nun geschah etwas ganz außergewöhnliches. Das erste Mal in Jahren kam der Junge zu vollem Bewusstsein. Als er gesehen hatte, was passierte, wusste er, dass er nur zwei Möglichkeiten hatte: entweder er wird verantwortlich sein, dass viele Menschen sterben oder er muss sich seinen Gedanken stellen. Er schaute nach oben und mit einem Mal verschwand die komplette Dunkelheit in ihm. Man hörte einen lauten Schrei. Kurz danach schien die Welt still zu stehen. Als man sich ihm langsam näherte, war nur noch ein Stück Asche von ihm übrig.

Seit diesem Vorfall hat man ein Gesetz erlassen, das besagt, dass niemand mehr isoliert und einsam leben darf, egal was komme. Wenn man ganz genau hinhört, kann man um das Haus herum ein Lachen hören. Einige behaupten, dass der Junge diese fröhliche Erinnerung hinterlassen hat, um sich für die Traurigkeit, die er unwillentlich in die Welt gebracht hatte, zu entschuldigen.
 
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Matula

Mitglied
Es fällt mir schwer, diesen Text zu verstehen. Da sitzt in einem Zimmer ein allmächtiger Junge, der mir nichts dir nichts Menschen dazu bringt, sich das Leben zu nehmen und seine Umgebung in Finsternis taucht. Er unterdrückt/"verdrängt" Gedanken, die leider nicht benannt werden. Vermutlich ziemlich unfreundliche.
Als er sich diesen Gedanken stellt, zerfällt der allmächtige Junge zu Asche und hinterlässt eine fröhliche Erinnerung. Leider erfährt man nicht, um welche es sich handelt. Man kann vermuten, dass am Ende ein ganz gewöhnlicher Junge lacht.
Das Gesetz, das in Folge erlassen wird, ist zur Verallgemeinerung nicht geeignet. Menschen mögen auch den Rückzug und die Isolation, befristet oder auch für längere Zeit. Das gilt natürlich nicht für sehr junge Menschen.

Freundliche Grüße,
Matula
 

Tim K

Mitglied
Hallo Matula,

danke für das Feedback. Ich finde es interessant, wie du meinen Text deutest. Es geht in dem Text nämlich nicht um einen allmächtigen Jungen, sondern ganz im Gegenteil. Es ist eine Auseinandersetzung mit dem Thema Depression und soll den Leser bildlich auf eine emotionale Reise mitnehmen. Wie sehr wird die Außenwelt in die Krankheit mit reingezogen? Wie stark leidet der Betroffene selbst?...
Das Gesetz ist angelehnt an die typischen Märchen, die versuchen, ein komplexes Thema in einem einfachen Satz Zusammenzufassen. Und dies um eines Happy Ends Willen. Genau darum geht es, dass das nicht möglich ist. Es wäre zu schön, wenn es so einfach wäre, das Problem zu lösen. Trotzdem hat uns die Lockdownzeit gelehrt, dass wir soziale Wesen sind und Kontakt zu anderen Menschen brauchen.
Ich finde es schön, hier einen Diskurs zu beginnen, der dazu führt, dass wir uns dem Thema mentale Gesundheit öffnen und sehen, wie viel Leid die Vernachlässigung der Heilung verursacht. Es wäre meiner Meinung nach für die Gesellschaft ein großer Zugewinn, wenn wir noch offener mit psychischen Krankheiten umgehen würden. Es kann nämlich am Ende der Krankheit ein Lachen stehen. Ein Lachen, das Mut macht und Freude schenkt.

Herzliche Grüße
Tim
 
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Blue Sky

Mitglied
Hi Tim K,

Willkommen in der Leselupe!

Ja, es wäre schön, wenn man es so einfach lösen könnte. Es fängt allerdings schon damit an, dass bei der Entwicklung einer Depression der Betroffene es selbst nicht merkt und schon gar nicht, dass er sich selbst immer mehr zurückzieht. Dabei macht er sich auch die wenigsten Gedanken über seine Wirkung auf die Mitmenschen, im Gegenteil er wendet sich immer mehr ab, bis er schließlich in dem Strudel versunken ist. Da kommt man allein aus eigener Kraft nicht mehr heraus.
Aber ein sehr schöner Gedankenansatz Vielen Dank dafür!
Gern gelesen.:)

LG
BS
 
Lieber Tim K.,
wenn du auf das Thema mentale Gesundheit aufmerksam machen möchtest, finde ich den letzten Satz sehr problematisch. Gerade Menschen mit Depressionen kämpfen mit schweren Schuldgefühlen, die teilweise verantwortlich für ihre Depression sind. Sie sind aber eben nicht Schuld an ihrer Krankheit, und es ist Teil der Therapie, ihnen dies zu vermitteln. Eine so schwere Depression, wie du sie mit der alles verschlingenden Dunkelheit beschreibst, kann nur mit professioneller Hilfe bewältigt werden und ganz sicher nicht dadurch, dass der betroffenen Person klar wird, was sie auslöst. Für eine betroffene Person muss das wie Hohn klingen, das bitte ich dich zu bedenken. Einer depressiven Person nun auch noch die Verantwortung nicht nur für das eigene Leid zuzusprechen, was zynisch genug wäre, sondern auch noch für das Leid, welches sie anderen Personen mit der sie umgebenden Dunkelheit zufügten, halte ich für sehr bedenklich. Das hier ist die Perspektive einer Gesellschaft, die es braucht, dass vordergründig immer alles im Lot ist und es sich ersparen möchte, Hintergründiges zu betrachten.
Falls das Ende (und auch die schon früher anklingende Idee, dass der Junge plötzlich "Verantwortung" übernimmt), Fragen aufwerfen soll, bzw. diese Idee in Frage stellen sollte, so wäre dieses Ziel meiner Auffassung nach nicht erreicht. Nirgendwo klingt etwa Ironie an, oder wird etwas durch Übertreibung auf die Spitze getrieben, sodass wir Leser merken würden, so kann es nicht gehen, oder Ähnliches.
 

Tonmaler

Mitglied
Lieber Tim K.,
wenn du auf das Thema mentale Gesundheit aufmerksam machen möchtest, finde ich den letzten Satz sehr problematisch. Gerade Menschen mit Depressionen kämpfen mit schweren Schuldgefühlen, die teilweise verantwortlich für ihre Depression sind. Sie sind aber eben nicht Schuld an ihrer Krankheit, und es ist Teil der Therapie, ihnen dies zu vermitteln. Eine so schwere Depression, wie du sie mit der alles verschlingenden Dunkelheit beschreibst, kann nur mit professioneller Hilfe bewältigt werden und ganz sicher nicht dadurch, dass der betroffenen Person klar wird, was sie auslöst. Für eine betroffene Person muss das wie Hohn klingen, das bitte ich dich zu bedenken. Einer depressiven Person nun auch noch die Verantwortung nicht nur für das eigene Leid zuzusprechen, was zynisch genug wäre, sondern auch noch für das Leid, welches sie anderen Personen mit der sie umgebenden Dunkelheit zufügten, halte ich für sehr bedenklich. Das hier ist die Perspektive einer Gesellschaft, die es braucht, dass vordergründig immer alles im Lot ist und es sich ersparen möchte, Hintergründiges zu betrachten.
Falls das Ende (und auch die schon früher anklingende Idee, dass der Junge plötzlich "Verantwortung" übernimmt), Fragen aufwerfen soll, bzw. diese Idee in Frage stellen sollte, so wäre dieses Ziel meiner Auffassung nach nicht erreicht. Nirgendwo klingt etwa Ironie an, oder wird etwas durch Übertreibung auf die Spitze getrieben, sodass wir Leser merken würden, so kann es nicht gehen, oder Ähnliches.
Sehr guter Kommentar! Denke auch, 'Entschuldigung' setzt ... Schuld voraus.
Wenn man ganz genau hinschaute, sah man den Jungen in der hintersten Ecke sitzen
Wer sah ihn sitzen?

Das flimmern der Kerze
Flimmern -- du solltest allgemein die Rechtschreibung noch mal anschauen.
stand, erleuchtete sein erschöpftes Gesicht
beleuchtet; Erleuchtung ist das, was Buddha erlebte.

konnte er garnicht mehr
gar nicht

Das Kerzenlicht stand im Kampf mit der Dunkelheit, die versuchte alles aufzufressen.
Hier und an weiteren Stellen -- schau dir noch die Ausdrücke an.

Danach wird die Geschichte immer absonderlicher; da werden Alternativen exklusiv angeboten (sogar, den Jungen wegzubomben), die keine sind. Die Lösung des Protas ist nicht nur bedenklich, sondern auch nicht möglich, während Lösungen, die möglich sind, gar nicht auftauchen. Die abstruse Annahme einer Schuld am Tod vieler als Initial einer Heilung -- zeigt mir, dass du dich dem Kern dieser Erkrankung nicht nähern konntest. Auf einmal kommt er zu Bewusstsein? ... als ob fehlendes Bewusstsein -- und ich ergänze mal: Schuldbewusstsein -- das Problem wäre.

Gruß
T.
 

Blue Sky

Mitglied
Das hier ist die Perspektive einer Gesellschaft, die es braucht, dass vordergründig immer alles im Lot ist und es sich ersparen möchte, Hintergründiges zu betrachten.
Da hast du meines Erachtens den Pudel doch entkernt. Die Ironie besser der Sarkasmus liegt in der Krankheit selbst, denn die ist ja ein Arschloch!
Je mehr das Umfeld versucht, Licht in das Leben des Betroffenen zu bringen, desto mehr kommt (unterschwellig) bei ihm an, es wäre für uns besser, wenn du keine Dunkelheit mehr verbreiten würdest. So hätte ich das Märchen verstanden. Damit möchte ich als Kranker in ersterlinie mich und als guten Zweck und dazu meine Lebenswelt von mir erlösen.
Ha, in manchen Fällen mag das vielleicht sogar gelingen, aber meist ruft es bei Hinterbliebenen leider kein Licht hervor.

LG
BS
 

Tim K

Mitglied
Liebe Alle,

danke für diese Rückmeldungen. Danke auch für die Korrekturen, die ich nach und nach einarbeiten werde. Ich bin wirklich glücklich darüber, dass mein Text zu so einer Diskussion beiträgt. Der Text sollte nur eins: emotional bewegen. Ich habe ihn geschrieben, als ich vor etwa 2,5 Jahren an meinem absoluten Tiefpunkt angelangt bin. Ich konnte das Haus nicht mehr verlassen, konnte aus Angst, dass mir was passiert, keine Nacht alleine sein. In so einem Moment macht man sich keine Gedanken, ob die einzige Lösung die man als positiv erachtet, wirklich positiv ist. Man hofft auf eine einfache Lösung, die es nicht gibt. Es ist aus der Perspektiv der Krankheit gesprochen. Es zeigt wie ich mich von außen gesehen habe, als die allverschlingende Dunkelheit, die jedem schadet und die sich bei allen entschuldigen will. Mir war es im Moment der Klarheit wichtiger, sich zu entschuldigen, als an mich selbst zu denken.

Ich wollte hier nicht so persönlich werden, meines Erachtens nach war es aber nun nötig dies zu tun, um Klarheit zu schaffen. Weil ich den Vorwurf, mich mit der Krankheit nicht genug befasst zu haben, so nicht stehen lassen kann.

Zum Glück hatte ich immer ein sehr starkes Sicherheitsnetz und Leute um mich herum, die mich unterstützt und geliebt haben und immer für mich da waren. Das hat nicht jeder. Bei mir wurde vieles der Krankheit durch ein völliges Ungleichgewicht im Darm ausgelöst. Das Verrückte ist, dass mir das lange bewusst war, mich aber kein Arzt ernst genommen hat. Ich musste selber Hilfe finden und habe diese gefunden. Nach einem langen Programm mit vielen Schritten, habe ich es geschafft aus dieser Dunkelheit rauszukommen. Sie war einfach von einem Tag auf den Anderen weg. Ich weiß, dass ich Glück habe, dass mein Grund von der Körperlichkeit her aufgebrochen werden konnte. Trotzdem war das Wichtigste, die 3 Menschen um mich zu haben, die mich jederzeit unterstützt haben.

Es kann nicht sein, dass ein Betroffener in dieser Situation nicht sofort Hilfe erhält. Es sollte möglich sein, eine erste Therapiesitzung in so einer Situation online buchen zu können. Die eigene Scham kann nämlich so groß sein, dass man nicht erst mit jemandem telefonieren möchte, um dann vielleicht einen Therapieplatz zu erhalten. Natürlich, wenn es dann um suizidiale Gedanken geht, kann man schnell Akuthilfe erhalten. Kann das aber nicht früher passieren? Muss die gesellschaftliche Scham so groß sein, dass man wartet, bis es dazu kommt? Ist das im gesellschaftlichen Interesse?

Heute geht es mir deutlich besser, aber die Angst, wieder in diese Dunkelheit zu rutschen ist ein Begleiter, der mal sehr weit nach hinten rückt, mal näher kommt. Ich wünsche jedem, der nur in die Nähe einer Depression kommt, dass sie/er sich nicht dafür schämt und sich sofort Hilfe holt und diese auch ohne ewige Wartezeiten bekommt.

Danke für euren Austausch und eure Gedanken.

Liebe Grüße
Tim
 

Tim K

Mitglied
Da hast du meines Erachtens den Pudel doch entkernt. Die Ironie besser der Sarkasmus liegt in der Krankheit selbst, denn die ist ja ein Arschloch!
Je mehr das Umfeld versucht, Licht in das Leben des Betroffenen zu bringen, desto mehr kommt (unterschwellig) bei ihm an, es wäre für uns besser, wenn du keine Dunkelheit mehr verbreiten würdest. So hätte ich das Märchen verstanden. Damit möchte ich als Kranker in ersterlinie mich und als guten Zweck und dazu meine Lebenswelt von mir erlösen.
Ha, in manchen Fällen mag das vielleicht sogar gelingen, aber meist ruft es bei Hinterbliebenen leider kein Licht hervor.

LG
BS
Das trifft tatsächlich den Nagel auf den Kopf. Interessanter weise war ich mir dessen selbst gar nicht so bewusst, aber genau das ist die Aussage. Das stärkste Licht kann in einem solchen Moment nicht helfen. Es ist gut gemeint, aber es führt dazu, dass man noch mehr Schuldgefühle aufbaut.

Und ja, die Krankheit ist ein absolutes Arschloch!
 
Lieber Tim,
vielen Dank für deine Offenheit!
Nun verstehe ich manches besser.
Ich hoffe, du hast auch ein wenig Nachsicht mir meiner vielleicht in manchen Punkten vorschnellen Reaktion. Zwar musste ich diese Finsternis bisher nie selbst in diesem Ausmaß erleben, doch in meinem unmittelbaren familiären Umfeld miterleben, und da sind bei mir bei Lesen deines Textes einige Triggerpunkte angesprungen.
Es hieß, dass es niemand schaffe länger als 5 Minuten mit ihm in einem Raum zu sein, ohne sich danach das Leben zu nehmen.
Diese Aussage ist natürlich paradox, da Suizidalität die gefährliche Problematik mancher an Depressionen Erkrankter ist, welche hier jedoch auf die Außenwelt projiziert wird. Dass es sich um eine Projektion handelt, bzw. darum, welche Reaktion auf seinen Zustand der Erkrankte in die Außenwelt hineininterpretiert, und das aufgrund dessen, dass er sich schuldig fühlt, habe ich jedoch erst mit Hilfe deiner Erläuterung überhaupt verstanden:
. Es zeigt wie ich mich von außen gesehen habe, als die allverschlingende Dunkelheit, die jedem schadet und die sich bei allen entschuldigen will. Mir war es im Moment der Klarheit wichtiger, sich zu entschuldigen, als an mich selbst zu denken.
Das könnte auch mit der erzählerischen Herausforderung zusammenhängen, sprachlich unterschiedliche Perspektiven kenntlich zu machen. Hier ist die Perspektive an sich komplex: Der Junge sieht sich selbst von außen in dieser Situation, was aber inhaltlich keine objektive Perspektive darstellt, wie der von dir verwendete allwissende Erzähler es jedoch glauben machen möchte. Also irgendwie ist diese Außensicht ja in Wirklichkeit die Perspektive des Jungen von innen. Gleichzeitig ist es aber nicht seine Sicht auf die Welt in Reinform, sondern, was erschwerend hinzukommt, seine Annahme darüber, wie die anderen die Situation sehen. Die Perspektiven sind also sehr verschachtelt. Das alles aus ein- und derselben erzählerischen Perspektive darzustellen, wird der Komplexität des Ganzen wahrscheinlich einfach nicht gerecht. Und ein allwissender Erzähler suggeriert nun einmal Objektivität.
Wenn man ganz genau hinhört, kann man um das Haus herum ein Lachen hören. Einige behaupten, dass der Junge diese fröhliche Erinnerung hinterlassen hat, um sich für die Traurigkeit, die er unwillentlich in die Welt gebracht hatte, zu entschuldigen.
Den von mir fett markierten Einschub von dir im obigen Zitat finde ich beispielsweise einen guten Ansatz. Diese Stelle hatte ich anfangs überlesen. Hier klingt durchaus an, dass es sich um die Perspektive der anderen handelt.
Vielleicht fallen dir ja noch weitere Möglichkeiten ein, an anderen Stellen mit der Erzählperspektive zu experimentieren, um der Darstellung der Sicht des Jungen näherzukommen.
Viel wichtiger aber: Ich wünsche dir, dass du so etwas nie wieder durchstehen musst, und ich gebe dir Recht, dass es nicht sein kann, dass Menschen, die durch psychische Erkrankungen in eine schwere, teilweise gefährliche Lage kommen, ewig auf Hilfe warten bzw. Kräfte aufwenden müssen, die sie eigentlich nicht haben, um die geeignete Hilfe zu finden, denn das geht ja nicht immer gut.
Alles gute für die Zukunft!
LG!
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich habe diesen Text als eine kafakeske Situation gedeutet, mit Ausweglosigkeit, Trauer, Tod und einem winzigen Hoffnungsschimmer. Erklärungen waren für mich nicht nötig.
Ich finde es immer sehr schade, wenn der Autor sich quasi nackt auszieht und den Enstehungszusammenhang erklärt.
Krankengeschichten sind m. E. Privatsache.

Gruß DS
 

Tim K

Mitglied
Ich habe diesen als eine kafakeske Situation gedeutet, mit Ausweglosigkeit, Trauer, Tod und einem winzigen Hoffnungsschimmer. Erklärungen waren für mich nicht nötig.
Ich finde es immer sehr schade, wenn der Autor sich quasi nackt auszieht und den Enstehungszusammenhang erklärt.
Krankengeschichten sind m. E. Privatsache.

Gruß DS
Freut mich, dass du den Text gleich so verstanden hast. Es ist sicher eine Einfluss von Kafka dabei.

Du hast recht. Wahrscheinlich war ich vorschnell damit, meine private Situation zu erläutern. Ich lerne dazu und lass mich in Zukunft nicht so schnell dazu bewegen, gleich alles offenzulegen.

Danke für das Feedback.

Gruß
Tim
 

Blue Sky

Mitglied
Im Grunde könnte man die Erkrankung selbst als kafkaesk bezeichnen. Die Gefühle und Emotionen, mit denen sich Betroffene herumschlagen müssen, sind für die meisten Mitmenschen so unverständlich wie für den Leidenden gefährlich bis hin zu lebensbedrohlich.

Gruß
BS
 

Johnson

Mitglied
Die Geschichte ist so verwirrend, weil
Er wusste nicht mehr, wie es sich anfühlte seine Ecke zu verlassen, also hatte er beschlossen sich noch stärker zusammenzukauern.
die Geschichte ist so verwirrend, weil es den Erzähler gibt und den Jungen. Und dann aus beiden Perspektiven irgendwas geschrieben wird. Diese beiden „Welten“ vermischen sich.
Entweder hält man am allwissenden Erzähler fest, oder man ist selber der Junge und erzählt aus seiner Perspektive.

wenn man aufmerksam einem x-beliebigen Roman liest bemerkt man, dass die Perspektiven nicht wechseln. Selbst beim beschworen kafkaesken….da kommt das kafkaeske nicht aus diesem Wechsel…………………..
 

Tonmaler

Mitglied
weil es den Erzähler gibt und den Jungen. Und dann aus beiden Perspektiven irgendwas geschrieben wird. Diese beiden „Welten“ vermischen sich.
Entweder hält man am allwissenden Erzähler fest, oder man ist selber der Junge und erzählt aus seiner Perspektive.

wenn man aufmerksam einem x-beliebigen Roman liest bemerkt man, dass die Perspektiven nicht wechseln. Selbst beim beschworen kafkaesken….da kommt das kafkaeske nicht aus diesem Wechsel…………………..
Wenn es einen allwissenden Erzähler gibt, schließt das nicht die Sicht des Jungen ein? Ist also das Personale nicht eine Teilmenge des Auktorialen? Es ist doch die Entscheidung des Erzählers, wie weit er geht? Das Problem ist vielmehr, dass der Erzähler seine Allwissenheit nicht durchzieht:
Wahrscheinlich konnte er gar nicht mehr gerade stehen, geschweige denn weit gehen
Denn dieses 'wahrscheinlich' bedeutet, dass es eine Vermutung ist, der Erzähler es eben nicht weiß, da klingt es, als wäre er ein personaler Beobachter; während er an anderen Stellen das Innenleben aller kennt:
Sobald man das Zimmer betrat, überkam einen eine tiefsitzende Kälte und eine tiefe Trauer.
Hier betritt 'man' das Zimmer, daraufhin überkommt 'einen' -- also jeden, der das Zimmer betritt -- eine tiefe Trauer; da weiß der Erzähler wieder alles Innere sehr genau.


(Übrigens, als Kafka-Fan sage ich mal, mit Kafka hat der Text gar nichts zu tun, weder inhaltlich noch stilistisch.)
 

Johnson

Mitglied
Wenn es einen allwissenden Erzähler gibt, schließt das nicht die Sicht des Jungen ein? Ist also das Personale nicht eine Teilmenge des Auktorialen? Es ist doch die Entscheidung des Erzählers, wie weit er geht? Das Problem ist vielmehr, dass der Erzähler seine Allwissenheit nicht durchzieht:

Denn dieses 'wahrscheinlich' bedeutet, dass es eine Vermutung ist, der Erzähler es eben nicht weiß, da klingt es, als wäre er ein personaler Beobachter; während er an anderen Stellen das Innenleben aller kennt:

Hier betritt 'man' das Zimmer, daraufhin überkommt 'einen' -- also jeden, der das Zimmer betritt -- eine tiefe Trauer; da weiß der Erzähler wieder alles Innere sehr genau.


(Übrigens, als Kafka-Fan sage ich mal, mit Kafka hat der Text gar nichts zu tun, weder inhaltlich noch stilistisch.)
Danke für die schnelle Rückmeldung…solche Erzähltheorien sind kompliziert……uns beiden fiel auf , dass wir merkten dass irgendwas an der Struktur des Textes nicht stimmt……..du bringst es auf dem Punkt, dass er Erzähler sein Wissen nicht durchzieht……die Nullfokalisierung wurde gebrochen………..

ja, bei Kafka wird aus dem „Blickwinkel“ einer einzelnen Person erzählt. Aber was die Person nicht weiß, das weiß der Erzähler auch nicht….. und die Erzähl-Struktur wird nicht verlassen………..

man muss aber nicht so hoch ansetzen um zu verstehen, wie Texte funktionieren. Selbst bei Groschen-Heften wird die Erzähl-Struktur niemals verändert….
 
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Tonmaler

Mitglied
die Nullfokalisierung wurde gebrochen………..

ja, bei Kafka wird aus dem „Blickwinkel“ einer einzelnen Person erzählt. Aber was die Person nicht weiß, das weiß der Erzähler auch nicht….. und die Erzähl-Struktur wird nicht verlassen………..

man muss aber nicht so hoch ansetzen um zu verstehen, wie Texte funktionieren. Selbst bei Groschen-Heften wird die Erzähl-Struktur niemals verändert….
Ja, die Fokalisierung fluktuiert im besprochenen Text. Bei Kafka übrigens doch auch ein Mal: In seiner ersten Erzählung 'Die Verwandlung', wird nach Samsas Tod weitererzählt, aus dessen Fokus alles Vorangegangene berichtet wurde. Ich mache das aus experimentellen Gründen (wegen bestimmter Effekte) auch, allerdings selten. Ist heikel.

An den Autor: Habe den Eindruck, du bist an Textarbeit nicht interessiert, weil du gar nichts dazu sagst; führt natürlich dazu, dass ich mich hier nicht weiter engagieren will. Hoffe nur, du nimmst Kritiken nicht persönlich oder fasst sie als Angriff auf. Am meisten lerne ich durch Verrisse und die bekam und bekomme ich auch nicht allzu knapp :) Muss halt immer schauen, was ist hilfreich ...
 
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Tim K

Mitglied
Ja, die Fokalisierung fluktuiert im besprochenen Text. Bei Kafka übrigens doch auch ein Mal: In seiner ersten Erzählung 'Die Verwandlung', wird nach Samsas Tod weitererzählt, aus dessen Fokus alles Vorangegangene berichtet wurde. Ich mache das aus experimentellen Gründen (wegen bestimmter Effekte) auch, allerdings selten. Ist heikel.

An den Autor: Habe den Eindruck, du bist an Textarbeit nicht interessiert, weil du gar nichts dazu sagst; führt natürlich dazu, dass ich mich hier nicht weiter engagieren will. Hoffe nur, du nimmst Kritiken nicht persönlich oder fasst sie als Angriff auf. Am meisten lerne ich durch Verrisse und die bekam und bekomme ich auch nicht allzu knapp :) Muss halt immer schauen, was ist hilfreich ...
Ich kam erst heute wieder dazu hier reinzuschauen. Ich finde alle Kommentare extrem spannend und aufschlussreich. Ich bin normalerweise in einer anderen Kunstform zu Hause, in der ich auch genau weiß, wie ich was erreiche. Das Schreiben ist eine spannende Abwechslung, durch die ich neue Dinge lernen darf. Wenn ich wieder mehr Zeit habe, werde ich mich an den Text setzen und ihn überarbeiten. Jetzt weiß ich nämlich, wo ich ansetzen muss.

Danke also für das hilfreiche Feedback!
 
Ja, die Fokalisierung fluktuiert im besprochenen Text. Bei Kafka übrigens doch auch ein Mal: In seiner ersten Erzählung 'Die Verwandlung', wird nach Samsas Tod weitererzählt, aus dessen Fokus alles Vorangegangene berichtet wurde. Ich mache das aus experimentellen Gründen (wegen bestimmter Effekte) auch, allerdings selten. Ist heikel.
Da bringst du es auf den Punkt: Wenn man mit einem bestimmten Ziel die Erzählperspektive wechselt, ist es etwas anderes, als wenn dies zufällig passiert. Wenn es gelungen ist, kann man im ersten Fall etwas damit erreichen. Im zweiten Fall ist es nur verwirrend.
 



 
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