Der Klang der Einsamkeit

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Tabasco

Gast
Der Klang der Einsamkeit

Diesmal hatte ich die Kippe nicht zertreten. Nachdem es beim Ziehen an den Lippen schon heiß wurde, schmiss ich sie einfach auf den Boden. Es regnete, wie es schon die letzten drei Tage geregnet hatte. Meine Bahn kam noch nicht. So setzte ich mich also auf den nassen Boden der Haltestelle und wartete darauf, dass irgendein auf meinen glühenden Kippenstummel fallen und ihn erlöschen würde. Ich schloss die Augen und wartete auf den zischenden Ton der dabei entsteht. Ich hörte wie Leute sich über mich unterhielten und amüsierten. Ein paar von ihnen lachten. Beim genauen Zuhören hörte sich ihr Gelächter wie ein schlechter Kanon an, doch zusammen mit dem prasselnden Geräusch der Regentropfen die in regelmäßigen Abständen immer auf das Blechdach gegenüber fielen, klang esnach einem richtig gutem Jazz-Song. Und dann die Poente. Als das Lachen der Leute langsam leiser wurde und das Prasseln der Regentropfen erheblich zunahm, härte man vom Weiten den dumpfen Klang einen grandiosen Basses im 4/4 Takt. Es war der Klang einer alten, unverkennbaren Wild-West-Lokomotive. Beim Näherkommen bekam ich immer mehr das Gefühl, dass mein Jazz-Song eine Wandlung zu einem Mega-Bass-Underground-Spektakel vornimmt. Doch dazu kam es vorerst nicht. Das quietschende Geräusch der Bremsen-->Der Ausklang! Die scheppernde Klingel beim Einsteigen-->Der Schluss? Leute trafen mich versehendlich mit ihren Füßen und Taschen beim Betreten der Bahn. Das Ende eines Liedes, das mit Sicherheit Platz 1 der Charts eingnommen hätte...Doch dann!!! Rumms! Die Türen der Bahn fielen hardcore-mäßig zu. Der grandiose Mega-Underground-Bass nahm seinen Lauf. Langsam setzte er sich in Bewegung und schob seinen wahnsinns Klang vor sich her. Es wurde schneller und schneller. Lauter und lauter. Schneller und schneller. Leiser und leiser. Irgendwann war es weg...
Totenstille...
Nur das prasselnde Geräusch auf dem Blechdach war mir geblieben. Meine Hose war durchgeweicht. Meine Angst vor Hemoriden war berechtigt.
Dann! Plötzlich! Ein lautes Zisch in der Stille. Ich öffnete meine Augen. Ein Regentropfen hatte meine Kippe kurz vor ihrem Selbstmord erloschen...
Es war schon dunkel. Verdammt dunkel! Erst jetzt wurde mir bewsst, dass ich vorhin die letzte Bahn an mir vorbei hab fahren lassen. ich schaute die Schienen hinunter. Nichts...
Bäume und Wiesen. Sonst nichts. Eine Uhr hatte ich nicht um. Es war mir auch egal wie spät es war. Zeit spielt keine Rolle. Ich setzte mich also wieder auf die vorgewärmte Stelle, wo sich vor einer Minute noch mein durchgeweichter Hintern platziert hatte.
Ich zündete mir eine Zigarette an,
nahm davon zwei bis drei Züge
und legte sie dann wieder auf den nassen Boden.
Ich schloss die Augen und warte auf den zischenden Ton beim Erlöschen...
Tabasco 1998 (unüberarbeitete Fassung)

(Übernommen aus der 'Alten Leselupe'.
Kommentare und Aufrufzähler beginnen wieder mit NULL.)
 



 
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