Der kleine Unfall

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Johnson

Mitglied
Ein Auto fährt durch
den Nebel und bremst
ein Reh fliegt
geräuschlos auf den kalten Asphalt
der Fahrer steigt aus
Wind kommt auf
im Wind ein Hauch Schnee
Blut fließt aus dem Auge
des Rehs
jedes Leben ist weg
Der Fahrer kann nicht anders
und streichelt das Fell
es ist sehr weich
das merkt er
Er steigt ein
starte den Motor, rollt
los, schaut
nicht in den Rückspiegel
zündet sich eine Zigarette an
das Radio spielt
nur Rauschen
danach gar nichts mehr
 

sufnus

Mitglied
Hey Johnson,
offenbar ein Versuch, Lyrik und einfache (oder leichte?) Sprache zu verbinden. Ich wollte mich hiermit schon seit geraumer Zeit mehr beschäftigen, gerade vor dem Hintergrund meiner Neigung, gewisse mäandrisierende Satzperioden zu produzieren, mit allerlei Einschüben versehen, und leider häufig von Stock auf Stöckchen kommend, wäre diese wohl eine lohnende Aufgabe.
Gefällt mir Dein Versuch?
Hm... so lala... dass das Reh geräuschlos fliegt, der Asphalt kalt ist und ein Hauch von Schnee die Szenerie abrundet sind etwas schematische Elemente, die für mein Liking ein bisschen ins Kitschige spielen.
Aber die Grundkonzeption finde ich sehr anregend. :)
LG!
S.
 

sufnus

Mitglied
Also... bei nochmaligem Nachdenken gefällt mir das Gedicht aufgrund der sehr schönen Konzeption und auch der Umsetzung doch deutlich besser als nur lala... ich mags!!! :)
LG!
S.
 

Johnson

Mitglied
Also... bei nochmaligem Nachdenken gefällt mir das Gedicht aufgrund der sehr schönen Konzeption und auch der Umsetzung doch deutlich besser als nur lala... ich mags!!! :)
LG!
S.
Danke mich treibt die Frage um, ob es Gedichte gibt die bewusst wenig künstlerischen Anspruch haben und mit geringen Aufwand geschrieben wurden. So ähnlich wie B-Movies…
 

sufnus

Mitglied
Danke mich treibt die Frage um, ob es Gedichte gibt die bewusst wenig künstlerischen Anspruch haben und mit geringen Aufwand geschrieben wurden. So ähnlich wie B-Movies…
Hey Johnson,

auf den ersten Blick lässt sich die Grundidee von klassischen B-Movies nicht ganz ohne weiteres auf Gedichte übertragen, insofern als bei den klassischen B-Movies eine möglichst reißerische Aufmachung plus bewusst niedrig gehaltene Produktionskosten den wirtschaftlichen Gewinn maximieren soll, während bei Lyrik, zumindest im deutschsprachigen Raum in der heutigen Zeit eine Ökonomisierung üblicherweise nicht so richtig toll funktioniert.

Allerdings gibt es natürlich schon neuerdings Ansätze in der deutschsprachigen Lyrik, die auf eine größere Breitenwirkung zielen und die sich aus der Instapoetry und der Poetryslam-Bewegung speisen. Julia Engelmann könnte man hier als leuchtendes Beispiel nennen, eine der ganz wenigen Lyriker*innen, die es regelmäßig in Bestsellerlisten schafft. Bei ihr dürfte es sich dann sogar ökonomisch rechnen (hoffe ich mal für sie :) ).

Da wäre dann der Ansatz - durchaus ähnlich wie bei B-Movies, durch eine regelmäßige Produktion und ein gewisses gleichbleibendes Schema für verlässlichen "Nachschub" von Gedichten zu sorgen, dabei den Leser*innen etwas anzubieten, was sie emotional berührt und durch eine relativ niedrige Zugangsschwelle (eher einfache und direkte Sprache) möglichst breite Kreise anzusprechen. Da lassen sich jetzt doch Parallelen finden.

Lyrikpuristen finden die Produkte von Engelmann & Co. aufgrund in der Regel nicht so toll - der Anspruch ist naturgemäß nicht gerade sehr hoch - aber was mich persönlich schon daran interessiert, das ist der Aspekt der niedrigen Zugangsschwelle, man könnte hier das Buzzword der Inklusion bemühen. Es ist ja schon (abseits pekuniärer Interessen) eigentlich ein ganz schöner Ansatz auch solchen Menschen mit niedrigem Bildungsniveau und gewissen Aufmerksamkeits- und Leseschwächen die Möglichkeit zu bieten sich an Lyrik zu erfreuen. Daran ist ja nun kaum etwas Falsches zu finden. :)

Gerade weil ich persönlich eher zu komplizierter Schreibe neige und einiges an Bildungsballast in meine Texte packe, fasziniert mich dieser ganz andersartige Ansatz besonders. Eine zweite Julia Engelmann (oder meinethalben Rupi Kaur, um einen internationalen Namen zu bemühen) werd ich aber wohl nicht mehr werden.... da fehlen mir einfach ein paar schreibtechnische Voraussetzungen. Und das meine ich jetzt wirklich nicht maliziös. Ich freue mich sehr über den Erfolg dieser "B-Movie"-Poet*innen (und bin übrigens durchaus Fan einiger B-Movies, Stichwort Roger Corman, bei denen dann eben doch eine besondere Ästhetik und damit auch künstlerische Aspekte ins Spiel kommen).

LG!

S.
 

Johnson

Mitglied
Hey Johnson,

auf den ersten Blick lässt sich die Grundidee von klassischen B-Movies nicht ganz ohne weiteres auf Gedichte übertragen, insofern als bei den klassischen B-Movies eine möglichst reißerische Aufmachung plus bewusst niedrig gehaltene Produktionskosten den wirtschaftlichen Gewinn maximieren soll, während bei Lyrik, zumindest im deutschsprachigen Raum in der heutigen Zeit eine Ökonomisierung üblicherweise nicht so richtig toll funktioniert.

Allerdings gibt es natürlich schon neuerdings Ansätze in der deutschsprachigen Lyrik, die auf eine größere Breitenwirkung zielen und die sich aus der Instapoetry und der Poetryslam-Bewegung speisen. Julia Engelmann könnte man hier als leuchtendes Beispiel nennen, eine der ganz wenigen Lyriker*innen, die es regelmäßig in Bestsellerlisten schafft. Bei ihr dürfte es sich dann sogar ökonomisch rechnen (hoffe ich mal für sie :) ).

Da wäre dann der Ansatz - durchaus ähnlich wie bei B-Movies, durch eine regelmäßige Produktion und ein gewisses gleichbleibendes Schema für verlässlichen "Nachschub" von Gedichten zu sorgen, dabei den Leser*innen etwas anzubieten, was sie emotional berührt und durch eine relativ niedrige Zugangsschwelle (eher einfache und direkte Sprache) möglichst breite Kreise anzusprechen. Da lassen sich jetzt doch Parallelen finden.

Lyrikpuristen finden die Produkte von Engelmann & Co. aufgrund in der Regel nicht so toll - der Anspruch ist naturgemäß nicht gerade sehr hoch - aber was mich persönlich schon daran interessiert, das ist der Aspekt der niedrigen Zugangsschwelle, man könnte hier das Buzzword der Inklusion bemühen. Es ist ja schon (abseits pekuniärer Interessen) eigentlich ein ganz schöner Ansatz auch solchen Menschen mit niedrigem Bildungsniveau und gewissen Aufmerksamkeits- und Leseschwächen die Möglichkeit zu bieten sich an Lyrik zu erfreuen. Daran ist ja nun kaum etwas Falsches zu finden. :)

Gerade weil ich persönlich eher zu komplizierter Schreibe neige und einiges an Bildungsballast in meine Texte packe, fasziniert mich dieser ganz andersartige Ansatz besonders. Eine zweite Julia Engelmann (oder meinethalben Rupi Kaur, um einen internationalen Namen zu bemühen) werd ich aber wohl nicht mehr werden.... da fehlen mir einfach ein paar schreibtechnische Voraussetzungen. Und das meine ich jetzt wirklich nicht maliziös. Ich freue mich sehr über den Erfolg dieser "B-Movie"-Poet*innen (und bin übrigens durchaus Fan einiger B-Movies, Stichwort Roger Corman, bei denen dann eben doch eine besondere Ästhetik und damit auch künstlerische Aspekte ins Spiel kommen).

LG!

S.
Interessante Ausführung von dir. Sehr ausführlich.
Genannte Lyriker lese ich nicht…gelesen wird generell wenig, ich kenne persönlich niemand der liest…ausgenommen aus der direkten Familie…
Cormans Filme sind großartig….das Subversive seiner Filme sieht man aber erst nach einer gewissen Erfahrung…
 

sufnus

Mitglied
Ich denke viel-lesende Zeitgenossen sind zu den meisten Zeiten eher in der Minderzahl gewesen, wobei in den ganz alten Zeiten natürlich die unvollständige Alphabetisierung, die fehlende Verfügbarkeit adäquater Lesehilfen für altersweitsichtige Mitmenschen sowie der relativ hohe Preis und das unhandliche Format von Lese-Medien die Lese-Operation noch schwieriger gestaltet haben, als dies heute der Fall ist. ;)
Es ist daher schon nicht ganz blöd, durch eine einfachere Sprache Lese-Hürden abzubauen. Gerade in der Lyrik. Auf der anderen Seite sollen natürlich auch anspruchsvolle Leser*innen, die sich den Zugang zu einem Gedicht gerne genussvoll erarbeiten nicht total vernachlässigt werden. Bei zeitgenössicher Lyrik sind aber die letztgenannten Leser*innen doch etwas zu ausführlich bedacht und für Menschen mit dem Bedürfnis nach einfacherer Lektüre gibts zu wenig gute (!) Angebote. Auch ein Gedicht in einfacher Sprache kann ja trotzdem hervorragend "gemacht" sein und von solchen Gedichten bräuchten wir sicher mehr. :)
LG!
S.
 

Outymier

Mitglied
beim Lesen dieses Textes kam ich auf die Idee, welche von Schülern aus der dritten Grundschulklasse (natürlich ohne Quellenangabe) hier reinzustellen, um zu schauen, was die Exegeten an zweiter Ebene da hineininterpretieren würden. Wäre doch mal ein Spass, hintergründlich gesehen.
 

Johnson

Mitglied
beim Lesen dieses Textes kam ich auf die Idee, welche von Schülern aus der dritten Grundschulklasse (natürlich ohne Quellenangabe) hier reinzustellen, um zu schauen, was die Exegeten an zweiter Ebene da hineininterpretieren würden. Wäre doch mal ein Spass, hintergründlich gesehen.
Ganz ganz genau outymier…exakt. Das wäre ein ganz großer Spaß
 

Scal

Mitglied
Hallo Johnson,

da ließe sich wohl noch ein wenig dran arbeiten, an Deinem Text; gleichwohl, mir gefällt der "Grundtenor" des Erzählens, die Zeilen hindurch.
Zu den Anmerkungen von @sufnus: Was Du andeutest (... Bildungsballast ... einfache Sprache) hat mich an Gedichte von Peter Rosei erinnert, vor Jahrzehnten publiziert. Die "B-Movies-Welt" spielte freilich dabei noch keinerlei Rolle.
Anregend.

LG
Scal
 



 
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