Der König und seine Minister

3,00 Stern(e) 1 Stimme

Mistralgitter

Mitglied
Der König und seine Minister

Es war einmal ein König. Er herrschte über ein großes, schönes Land. Viele Berge gab es dort, auch Seen und Flüsse, Wälder und Wiesen. Doch den Menschen ging es nicht gut. Sie waren sehr arm: Die Fischer waren arm, die Bauern waren arm, die Holzfäller auch. Sie wohnten in kleinen verfallenen Hütten und hatten nur das Nötigste zum Anziehen, zum Essen und um Feuer zu machen. Die Diener der königlichen Minister kamen jede Woche und verlangten viel Geld als Abgabe für den König. So behaupteten sie. Doch sie steckten es heimlich in ihre eigene Tasche. Jede Woche rief der König seine Minister zu sich und fragte nach, wie es seinem Land und den Leuten ginge. Dann brachten die Minister Geschenke für den König mit, verneigten sich ehrerbietig vor ihm und gaben höflich Auskunft. „Alles ist gut“, sagte der 1. Minister. „Es herrscht Frieden“, behauptete der 2. Minister. „Den Leuten geht es bestens“, meinte der 3. Minister.

Eines Tages stellte sich ein mutiger Bauer vor das Tor des Palastes und forderte laut: „Ich will zum König!“ Da packten ihn die Wachen am Arm und zogen ihn weg, gaben ihm einen Schlag auf den Rücken, dass er fast stolperte und riefen: „Weg mit dir, du lumpiger Kerl. Du hast hier nichts zu suchen. Zum König dürfen nur die Minister.“ Am nächsten Tag aber brachte der mutige Bauer zwei andere mutige Bauern mit. Zu dritt kletterten sie auf die Gartenmauer des Palastes, stellten sich aufrecht hin und riefen laut: „Wir brauchen Geld für Brot, sonst verhungern wir. Wir brauchen Geld für Kleider, sonst frieren wir.“
Da stießen die Wachen die drei Männer von der Mauer, verprügelten sie und jagten sie davon. Der König aber hatte den Lärm gehört und fragte seine Minister, was denn los sei. Doch sie antworteten: „Es ist alles in Ordnung und gut in deinem Land.“

Am dritten Tag hörte der König noch mehr Lärm als zuvor. Und als er zusammen mit seinen Ministern aus den Palastfenstern hinausschaute, zog gerade eine große Menge Bauern und Fischer und Holzfäller vorbei mit ihren Frauen, den Kindern und den Großeltern. „Gib uns Brot!“, hörte er sie rufen. „Gib uns warme Decken und Kleider. Lass uns genug Geld, damit wir Arznei für unsere Kranken kaufen und leben können.“
„Dumm und undankbar ist das Volk“, schimpfte der 1. Minister. „Das sind nur ein paar Verrückte“, behauptete der 2. Minister. „Das hat nichts zu bedeuten“, meinte der 3. Minister.
„Macht, dass ihr davon kommt, ihr elendes Gesindel!“, befahl der 1. Minister und hob die Faust gegen die Leute. „Sonst werden wir euch ins Gefängnis werfen!“, rief der 2. Minister hinterher. „Ihr stört unsere Ordnung und den Frieden im Land mit eurem Gebrüll!“, entrüstete sich der 3. Minister.

Doch der König war beunruhigt. Das alles kam ihm seltsam vor. Misstrauisch wollte er selber herausfinden, ob in seinem Land wirklich alles in Ordnung sei. Und er machte einen Plan, wie das zu bewerkstelligen sei. Er rief seinen treuen ältesten Diener herbei, teilte ihm seinen Entschluss mit und verabredete ein Losungswort, mit dem er sich zu erkennen geben wollte, falls er in Gefahr käme. Dann ließ er sich von ihm alte graue Hosen, ein zerlumptes dreckiges Hemd und einen schwarzen Hut mit breiter Krempe in sein Schlafgemach bringen. Am frühen Morgen verließ der König verkleidet wie ein armer Bauer unbemerkt seinen Palast und mischte sich unter das Volk, das schon unterwegs war.
Er achtete darauf, was die Leute so sagten, hörte ihr Stöhnen, sah, wie sie sich plagten. Er bemerkte auch, wie die Diener der Minister von Haus zu Haus gingen und von den Leuten Geld verlangten. „Im Namen des Königs!“, riefen sie dann jedes Mal und taten damit so, als ob der König hohe Steuern verlangte. Wer nicht bezahlen konnte, wurde geschlagen, wer zweimal nicht bezahlen konnte, wurde ins Gefängnis gesteckt. Doch der König erinnerte sich nicht daran, dass er jemals solch einen Befehl gegeben hatte. Er war entsetzt und zornig, weil nichts in seinem Land in Ordnung war. Und obendrein hatten sie ihn, den König, sogar belogen. Das war respektlos. Traurig stellte er fest, dass sie ihn und sein Volk verachteten.

So lumpig wie er war, ging er zum Haus des 3. Ministers, einer geräumigen Villa mit Rosengarten, und wollte ihn zur Rede stellen. Doch die Diener des 3. Ministers ließen ihn nicht hinein, denn er sah ja nicht aus wie der König, sondern wie ein armer Mann.
„Solche Leute wie du haben hier nichts zu suchen“, sagten sie streng, packten ihn am Arm und verdrehten ihn so lange, dass sie ihm die rechte Schulter ausrenkten. Er schrie auf vor Schmerz, sie aber lachten ihn aus.
Der König schleppte sich zum Haus des 2. Ministers. Das war noch prächtiger als das des 3. Ministers. Denn eine große breite Treppe wand sich in elegantem Bogen von der Straße bis zur Eingangstür empor. Die Diener des Ministers sahen zwar, dass ein Mensch mit Schmerzen vor ihnen stand. Doch da er kein Geld bei sich hatte, ließen sie ihn nicht herein, sondern stießen ihn die Treppe hinunter. Sie lachten ihn sogar aus, als er kaum mehr aufstehen und auftreten konnte. Anscheinend hatte er sich den linken Fuß schlimm verletzt. Nur ein Junge kam von der andren Straßenseite schnell herüber gelaufen, half ihm auf und stützte ihn.
So kam er mühsam zum Haus des 1. Ministers und bat die Diener, ihn vorzulassen, denn er sei der König und hätte mit dem Minister Wichtiges zu bereden.
„Der König bist du? Du hast wohl den Verstand verloren. Das kann ja jeder sagen, du dreckiger Kerl. Wasch dich erst einmal, zieh dir was Vernünftiges an!“, schrie er ihn an. „Der Minister empfängt kein Gesindel.“ Die Diener lachten ihn aus, und einer gab ihm einen solch heftigen Schlag ins Gesicht, dass er nach hinten kippte, mit dem Kopf aufschlug und benommen liegen blieb. Entsetzt lief der Junge weg, kam aber bald mit einem Leiterwagen zurück. Er hatte auch ein kühles feuchtes Tuch dabei, das er über die blutende Nase des Königs und auf sein geschwollenes Gesicht legte. Dann half er dem König, sich in den Wagen zu setzen, und zog ihn durch die Straßen.
Der Junge wollte gerade den Leiterwagen mit dem König am Palast des Königs vorbeiziehen, da bat der König: „Halt an!“ Und zu den Wachen vor dem Tor sprach er mit schwacher heiserer Stimme: „Ruft den alten Diener des Königs.“ Erstaunt riefen sie nach ihm. Der eilte herbei, doch er erschrak, als er die übel zugerichtete Gestalt in dem Leiterwagen erblickte. Er erkannte jedoch seinen König nicht, sondern beugte sich herab und sagte: „Wenn du zum König willst, musst du ein anderes Mal kommen. Der König ist unterwegs.“ Da flüsterte der König ihm das Losungswort zu, das nur sie beide kannten. Der Diener wurde kreidebleich. Er nahm jetzt selber die Deichsel des Leiterwagens, entließ den verdutzten Jungen und befahl den Wachen: „Lasst den König herein.“ Entsetzt und bestürzt öffneten die Wachen das Tor und ließen den König in seinen Palast.

Da es gerade die übliche Zeit für den Empfang der Minister war, ließ sich der König nur schnell seinen Königsmantel über die zerlumpten Kleider legen, säuberte kurz sein Gesicht und ließ sich vom Diener die Krone aufsetzen und auf den Thron helfen. Wie gewohnt kamen die Minister, verbeugten sich vor dem König und gaben ihm Auskunft, wie es um das Land stünde.
„Es ist Frieden im Land“, sagte der 3. Minister. „Die Menschen sind glücklich“, berichtete der 2. Minister. „Es ist alles bestens“, behauptete der 1. Minister.
Der König jedoch krempelte vor den erstaunten Blicken der Anwesenden seinen Ärmel hoch und zeigte den verrenkten Arm. „Wie aber kann es sein, dass man befohlen hat mich zu verletzen, wenn im Land Frieden ist?“ fragte er aufgebracht.
Der 3. Minister ereiferte sich: „Derjenige, der so etwas Abscheuliches getan hat, mein König, muss in Ketten gelegt und ausgepeitscht werden. So ein Schuft muss streng bestraft werden.“
„Das ist eine gerechte Strafe“, bestätigte der König, und der 3. Minister reckte sich und lächelte zufrieden.
Da schob der König seinen Mantel bis zum Knie hoch und zeigte den gebrochenen linken Fuß vor. „Wie kann es sein, dass man mich die Treppe hinunter stieß, so dass ich hinfiel, wenn doch alle im Land ihr Auskommen haben und friedlich sind?“ Der 2. Minister wollte sich beim König ebenfalls beliebt machen und schlug daher vor: „Wer das getan hat, soll sein Leben lang im Gefängnis sitzen und täglich nur Brot und Wasser bekommen.“
„Das ist eine gerechte Strafe“, antwortete der König. Und der Minister reckte sich und lächelte zufrieden.
Der 1. Minister hatte die ganze Zeit auf seine Gelegenheit gewartet, dem König einen Gefallen zu tun. Er hatte den König genau beobachtet und rief daher eilfertig, bevor der König reden konnte: „Und derjenige, der des Königs Gesicht so verunstaltet hat, soll geköpft werden!“ „Das ist eine gerechte Strafe“, sagte traurig der König. Und der Minister reckte sich und lächelte zufrieden.

Doch zum Entsetzen aller nahm der König unvermutet die Krone vom Kopf, setzte sich den alten schwarzen Hut auf und legte den Königsmantel ab. Jetzt stand er wie ein armer Bauer mit zerlumptem Hemd und grauer Hose vor ihnen.
„Ihr habt mich verachtet und geschlagen, als ich unerkannt unter euch umherging. Ihr habt mich so ungerecht behandelt, wie ihr es mit meinem Volk auch tut. Ihr seid unbrauchbare Minister und denkt nur an euer Ansehen und an euer Geld. Ja, ihr verachtet sogar mich, den König, dem ihr jede Woche Lügen erzählt. Die gerechte Strafe habt ihr selber über euch ausgesprochen. Geköpft solltest du, der 1. Minister werden. Und du, 2. Minister, solltest ein Leben lang bei Wasser und Brot im Gefängnis sitzen. Und der dritte Minister müsste in Ketten gelegt und ausgepeitscht werden.“ Da schrien die Minister laut auf, warfen sich vor dem König auf den Boden und baten inständig um Erbarmen. „Doch ich bin nicht so wie ihr“, fuhr der König fort. „Meine Strafe sieht anders aus. An eurer Stelle werde ich Menschen einsetzen, die ihr verachtet habt. Der 1. Minister meines Landes soll ab jetzt mein alter Diener sein, der 2. Minister wird der mutige Bauer sein, den ihr vor Tagen nicht hereingelassen habt, als er sein Anliegen vorbringen wollte, und mein 3. Minister wird der Junge sein, der mir in meiner schlimmsten Not beigestanden hat. Sie haben mehr Verstand als ihr. Ihr aber werdet in euren Häusern und Villen Menschen aufnehmen, die in Geld-Not oder krank sind und werdet sie behandeln wie Könige, solange sie eure Hilfe brauchen. Dann wird wieder Ordnung und Friede in meinem Land sein.“

Und so geschah es. Die Minister mussten wohl oder übel ihren Reichtum und ihr Wohlleben mit anderen teilen. Der König jedoch und auch seine neuen Minister gingen immer wieder unerkannt als arme Bauern oder Fischer oder Holzfäller durchs Land und schauten danach, ob es den Menschen wirklich besser ging.
 

ThomasQu

Mitglied
Hallo Mistralgitter,
eine super geschriebene Geschichte, leider ist die Handlung etwas vorhersehbar.
Gruß Thomas
 

steyrer

Mitglied
Gutenachtgeschichte

Das Motiv vom gerechten, aber leider falsch informierten Herrscher ist ein wahrer Dauerbrenner. Die Vorhersehbarkeit stört da nicht, sondern gehört einfach dazu.

Empfehlung: zum Einschlafen zu sagen. ;)

steyrer
 



 
Oben Unten