Der König von Schlaraffia

Fabian

Mitglied
Der König von Schlaraffia

Andreas steht am Fenster und denkt nach.
Dicke, fette Regentropfen prasseln gegen die Scheiben, und schwere Wolken hängen träge ober der Stadt, berühren die Spitzen des Kirchturms, und tauchen alles in milchig, weißes Licht.

„Mist! Was für ein Wetter!“, schimpft Angelika vor sich hin, und sucht ihren Regenschirm.
„Seid brav, und vergesst nicht, Flocki zu füttern. Ich bin am Abend wieder da. Tschüüß, hab euch lieb!“, und schon ist sie zur Tür hinaus.

Susi hält Flocki am Halsband fest. „Jetzt gibt’s Frühstück!“. Doch während Andreas das Hundefutter sucht, reißt sich der kleine, weiße Spitz los, und läuft zum Türspalt hinaus.

„Komm sofort zurück!“, schreit Susi, und rennt ihm nach.
Andreas schwingt sich auf`s Geländer und rutscht die 3 Stockwerke hinunter. Rechts oder links? Er entscheidet sich für links, und pirscht durch die Kellerabteile. Flockis aufgeregtes Bellen, führt genau zum Waschmaschinenraum. Andreas öffnet die Tür, aber da ist niemand zu sehen.

„Nicht so schnell, warte auf mich!“. Das ist die Stimme von Susi. Und sie kommt aus einer der großen Waschmaschinen.
„Die spinnt!“, denkt Andreas, bückt sich zur Luke, und schimpft: „Komm sofort da raus. Das ist gefährlich!“. Da sieht er das riesige Loch in der Rückwand der Maschine.
„Seid ihr da drinn?“, ruft er ängstlich.
Flockis aufgeregtes Bellen ist nicht zu überhören.
„Komm schon, das mußt du dir ansehen!“, dröhnt Susis Stimme in der Ferne.

Andreas schlüpft zaudernd hinein, und krabbelt durch das Loch hindurch, in einen engen, finsteren Tunnel.
Zuerst sieht er gar nichts, nur spitze Steine fühlt er, und nasses Glitschiges. Langsam wird der Tunnel weiter und in der Ferne sieht er Flocki und Susi im grellen Sonnenlicht stehen.





„Wo sind wir?“, fragt Andreas, als er bei ihnen ist, und blickt verwundert um sich
Die kleine Anhöhe auf der sie stehen, ist übersäht mit Blumen und Gräsern.
Ein kleiner Pfad führt von der Tunnelröhre im Berg, den Hügel hinunter, und schlängelt sich durch einen wilden Urwald.
Riesige moosbewachsene Bäume ragen hoch hinauf in den blitzblauen Himmel.
Es zwitschert und summt, es raschelt und brummt, im Geäst hocken bunte Vögel und klappern hölzern mit ihrem Schnabel. Da wackelt eine lange bunte Feder, und dort, hinterm Strauch, sieht Andreas das Schwänzchen einer kleinen Eidechse, schon ist sie fort.

„Komm weiter!“, sagt Susi, und zieht ihren Bruder hinter sich her. Flocki rennt bellend voraus.
Plötzlich bewegt sich das Dickicht, und eine Gruppe seltsamer kleiner Tiere kriecht aus den riesigen Farnen.

„Reechts-links, hihi, liinks-rechts, haha. Voorwärts Marsch!“, kommandiert das Vorderste von ihnen, und alle strecken schwerfällig, das rechte Beinchen unter einem schuppenbedeckten Panzer hervor.
Jedes von ihnen trägt ein großes grünes Blatt mit Früchten auf dem Rücken, und nun zappeln sie langsam, und im Gleichschritt den Weg entlang, und verschwinden wieder im Dickicht des Urwaldes.

„Krawuzi, Kapuzi!“, dröhnt es laut aus dem Urwald. „´Kerzliche Einladung´, wie schreibt man ´Kerzliche Einladung´?“.

Andreas und Susi schauen sich verdutzt an. Plötzlich ist der ganze Wald in heller Aufregung. Bunte Vögel mit großen, gelben Schnäbeln fliegen kreischend aus dem Gebüsch hinter ihnen, kleine Äffchen springen aufgeregt auf den Ästen der Bäume hin und her, Schmetterlinge flattern aufgescheucht durcheinander, und der kleine Pfad, scheint zu eng zu sein, für die vielen seltsamen Tiere, die nun nervös, aufgescheucht hin und her laufen.

„Iiii, geh von meinem Kopf herunter! Hilfe, Andreas hilf mir!“, schreit Susi,
springt herum, und schüttelt wie wild ihre Haare. In ihrem Nacken sitzt eine kleine geflügelte Eidechse, und klammert sich fest. Andreas versucht vorsichtig, die Klammerfüßchen aus dem Haarschopf zu lösen. Endlich hat er die kleine Echse aus Susis Haaren heraus befreit, und hält sie ihr vors Gesicht.

„Igitt, eine Fledermaus!“, schreit Susi, springt zurück und fällt in ein stacheliges Gestrüpp.
„Wer neckt mich da, und streckt seine groben Finger nach mir aus? Siehst du nicht, daß ich eine neue Frisur habe?“, jammert das Stachelschwein, und als Susi schnell aufsteht, krabbelt es aus dem Gebüsch.

Da hören sie wieder diese komische Stimme,donnernd laut durch den ganzen Wald hallen: „Krawuzi, Kapuzi, konn denn hier niemant schraibn?“

„Oje, oje!“, jammert das Stachelschwein, und duckt sich. „Na das kann ja heiter werden! Niemand im ganzen Land kann schreiben, und ausgerechnet ÈR`will heuer geschriebene Geburtstagseinladungen verschicken!“

Andreas und Susi schauen sich erstaunt an. „Schreiben können? Wer will schreiben können?“, fragt Andreas aufgeregt.

„Der König!“, sagt das Stachelschwein, und verschwindet hurtig im Unterholz.

Andreas, Susi und Floki folgen ihm in das Dickicht, vorbei an Riesenfarnen und vermoderten, mit Flechten bewachsenen Baumstämmen.
„A-B-C tut niemand weh!“, krächzt ein Vogel im Geäst ober ihnen, und bald stehen sie vor einer Lichtung.

In der Mitte der Wiese sitzt ein überaus dicker, kleiner Nasenbär mit einer Krone auf dem Kopf, an einem Schreibtisch.
„Au weh, au weh!“, jammert er, und radiert auf einem Stück Papier herum.
Zu seinen Füßen hocken viele große und kleine Tiere und helfen ihm beim Schreiben.
Gerade kommt ein papageienähnlicher Vogel angeflogen, setzt sich auf den Rand des Schreibtisches, und macht eine Verbeugung.

„Wenn ich ihnen behülflich sein dürfte, Matschestät!“, flötet er, nimmt dem König den Zettel aus der Hand und beginnt laut zu lesen:
„Sur Feier meines Dausensden Geburstags lade ich sie kerzlichst für heit abend
alle su mir auf mei Schloß ein.
Eure Matschestät der Könich von Schlaraffia!“

Andreas und Susi schauen sich verdutzt an.
„Schlaraffia?“, sagt Andreas, „Das kenn` ich doch! Ist das nicht in Afrika?“
„Nein, du Blödmann! Das ist in Brasilien!“, antwortet Susi altklug.

Plötzlich stürmt Flocki laut bellend zum Schreibtisch des Königs, und reißt dem
Papageienvogel eine Feder aus. Erschreckt fliegt der hoch, und setzt sich genau auf die Krone des dicken Königs von Schlaraffia.

„Gemeinheit! Gemeinheit!“, krächzt der Vogel, und putzt sich beleidigt sein Federkleid.
Immer noch laut bellend, rennt Flocki nun um den Schreibtisch und den Papagei herum, bis der kleine König zornig aufsteht.
Erstaunt bemerkt er den kleinen, weißen Spitz, Susi und Andreas.
„Oooh!“, sagt er überrascht, bückt sich und schüttelt Flocki erfreut die Pfote.
„Oooh, die ersten Gäste sind schon eingetroffen! Es ist Mirr eine grose Ehre,
sie hier in mei Schlaraffia, als meine wohlgeehrten Käste empfangen zu dürfen!“, sagt er zu Flocki, und verbeugt sich hinunter bis zu Flockis Pfoten.

„Heute hob ich Geburtsdag und ich muss noch fiele Einladungen schreibn, für das Fest am Obend! Leider hatt ein schnecklicher Vulkanausbruch im vurign Johr, olle meine Diener und olle meine Puchstaben aus mein Schlaraffia verjagd.
Seit dem is olles Durchanander, und wia kunnten den Vulkan und die wegglaufenen Puchstaben nit mehr einfaungan! Wenn ihr mir also hülfen möget...?“

„Hierher! Tatzher!“, befiehlt er plötzlich, und zwei Riesenschildkröten krabbeln im Gleichschritt heran.
Der König deutet Susi und Andreas, sich neben ihn zu setzen, und dann geht er zu Flocki.
„Würden sie bitte auf diesem, besonders für sie ausgewählten Sitz Plotz nehmen?“, sagt er, und zeigt auf eine besonders alte und verbeulte Schildkröte mit purpurrotem Gesicht.
„Dracu Draci!“, stellt er kurz vor, und setzt sich wieder an seinen Schreibtisch.

Nun geht es aber hurtig voran.
Im Nu haben Susi, Andreas und Flocki, die Schreibfehler ausgebessert, die Brieftauben und Postfalken werden mit den Einladungen zum Fest fortgeschickt, Papageien und Papagreifen schmücken die große Festwiese mit Blumen, und bunten Girlanden, Paradiesvögel üben noch einmal flötend und singend das Geburtstagslied, und alle Darcu-Dracis platzieren sich neben die Riesenschildkröten um den großen Tisch herum.





Endlich, am frühen Abend, treffen die erwarteten Gäste ein. Alle versammeln sich auf der großen Festwiese, und nun kommt auch der König von Schlaraffia, begleitet von seinem Gefolge, den Papameisen und Papagreifen, und führt alle an den gedeckten Tisch.

Zwei große Riesenschildkröten schleppen eine dreistöckige Himbeertorte mit Schlagobers auf dem Rücken.

„Reeechts hihi, und links haha, rundum den Tisch, rechts-links, da-da!“, kommandiert die Vordere, und die Gäste dürfen sich soviel Tortenstücke runterbeißen, wie sie wollen.

„Es gibt nirgendwo Besteck!“, flüstert Susi, die auf einem sehr unruhigen Dracu-Draci Platz genommen hat, zu Andreas.
Neugierig sehen sie sich um. Neben Andreas sitzt ein dunkelhäutiger Kautz mit langen, grau gekräuselten Haaren auf der Brust. Viele Goldreifen schmücken seine Arme und um den Hals trägt er ein lebendiges Insekt an einer Kette. Auf seinem Kopf sitzt eine kleine, rosa Papameise, und erklärt ihm das Geschehen.
Susi blickt in das bleiche, langgezogene Gesicht einer eleganten Dame mit großen, himmelblauen Glupschaugen und sehr langen Wimpern. Sie trägt die Festtagsbemalung ihres Stammes, schwarzweiße Streifen auf den Wangen, und lichtblaue Punkte um die Augen und auf der Stirn. Auch sie wird von einer Papameise begleitet.

Der König von Schlaraffia hat sein Festtagskleid, einen Mantel aus gelben und blauen, geflochtenen Urwaldblumen mit eingearbeiteten vergoldeten Farnen an, und unterhält sich angeregt mit Flocki, der an seiner linken Seite Platz genommen hat.
Da bleiben die Riesenschildkröten mit der Geburtstagstorte plump vor ihnen stehen.

„Daaas Feeest is erüffnett!“, ruft er, und als er gerade den 1. Riesenbissen von der Torte macht, schreit plötzlich die elegante Dame neben Susi auf.
Nun springen auch alle anderen Gäste ängstlich von ihren Sitzen hoch, und laufen wild durcheinander.
Andreas und Susi werden von zwei Papagreifen gepackt, mit schnellen Flügelschlägen ins Schloß des Königs geflogen, und die ganze Schar der Geburtstagsgäste flieht aufgeregt ins Schloß.
Alle drängeln sich an den Fenstern.

Draußen ist der ganze Himmel feuerrot, der Urwald brennt, und mitten auf der Festwiese hockt ein feuerspeiendes Untier.

„Der Vulkan,...der usgeprochene Vulkan!“, schreit der König und alle anderen.
„Wir missn ihn wieda einfangen, sunst verbrennt er unser ganzes Schlaraffia!“

Bald ist ein Plan gefasst. Gartenschläuche werden zusammengetragen, Bottiche, Kübel, Töpfe werden ans Fenster platziert und mit Wasser gefüllt, und nun stürmt Flocki auf den großen Platz, und rennt bellend, flankiert von einigen mutigen Papagreifen, um den feuerspeienden Vulkan herum, der immer zorniger wird, und giftige Dämpfe ausspeit.
Schnell laufen sie ins Schloß zurück, der ausgebrochene Vulkan schimpfend hinterher, und als er genau vor den Fenstern steht, schütten die Gäste alles Wasser aus den Kübeln, Bottichen und Töpfen, auf ihn hinauf, und besprühen ihn mit den Gartenschläuchen.





Endlich ist das Feuer gelöscht und der ausgebrochene Vulkan sitzt da, wie ein armes Häufchen und weint.
„Das du mir nie wieda usbrichst!“, sagt der König von Schlaraffia, und krault den zerknirschten Vulkan hinter seinem rauchigen Ohr.
Zu guter Letzt, stürmen nun auch die verloren gegangenen Buchstaben aus dem Dickicht, schwarz verbrannt und voll Vulkanasche, und auch die Wörter und die Rufzeichen, und die Hausdiener sind wieder da, umarmen den König, und schmeißen sich vor ihm nieder.
„Wir sind ja so froh, Sie wiedergefunden zu haben. Es war schrecklich, schrecklich!“, jammern sie, und küssen seine großen Füße.
Und auch der König von Schlaraffia kann seine Freude kaum verbergen, so sehr haben ihm seine Buchstaben und Wörter gefehlt.

Nun wagen sich auch die übrigen Gäste wieder auf die Festwiese. Die guten Dracu-Dracis scharen sich um den Tisch, und die zwei alten Riesenschildkröten marschieren zum zweiten Mal mit der dreistöckigen Geburtstagstorte heran.
Jeder Gast beißt sich eine große Ecke herunter, und die Torte wird sichtbar kleiner.
Voller Freude umarmen und küssen sich nun auch alle Gäste.
Papagreifen und Papameisen, Turteln und Tauben jubilieren und dirilieren,
und singen ihr schönstes Geburtstagslied.
Große und kleine Dracu-Dracis tanzen mit den Riesenschildkröten, lachende Pferde kümmern sich um die Abendbeleuchtung, und die zahlreichen Lakeien servieren auf großen, grünen Blättern, die allerfeinsten Leckereien aus Schlaraffia.





Der König unterhält sich noch lange mit Flocki, und erst, als die Sonne nicht mehr zu sehen ist, erinnern sich Andreas und Susi an zu Hause.
Schnell verabschieden sie sich vom König von Schlaraffia.

„Ich hoffe, euch alle bei meiner nächsten Geburtstagsfeier wieder zusehen!“ sagt er lachend, sichtlich erleichtert, daß er wieder fehlerfrei sprechen kann, und ein großer Dracu-Draci bringt sie sicher zum Tunnel auf dem Hügel.

„Auf Wiedersehen Schlaraffia!“, rufen die drei.
„Auf Wiedersehen-Wi-iedersehen!“, hallt es von den Bäumen, in der Luft, und in ganz Schlaraffia, und nachdem sie sich von allen verabschiedet haben, krabbeln Andreas, Susi und Flocki wieder durch den Tunnel zurück.





Als Angelika spät abends nach Hause kommt, ist alles still. Leise öffnet sie die Tür zum Kinderzimmer. Susi und Andreas schlafen tief und fest in ihren Betten, und Flocki schnarcht vor sich hin. In seinen Pfoten hält er eine lange, bunte Feder.
Leise, und auf Zehenspitzen geht Angelika aus dem Kinderzimmer, da hört sie Susi im Traum reden: „Ich bin der König von Schlaraffia, der König von Schlaraffia....!“
 

Fabian

Mitglied
Der König von Schlaraffia

Andreas steht am Fenster und denkt nach.
Dicke, fette Regentropfen prasseln gegen die Scheiben, und schwere Wolken hängen träge ober der Stadt, berühren die Spitzen des Kirchturms, und tauchen alles in milchig, weißes Licht.

„Mist! Was für ein Wetter!“, schimpft Angelika vor sich hin, und sucht ihren Regenschirm.
„Seid brav, und vergesst nicht, Flocki zu füttern. Ich bin am Abend wieder da. Tschüüß, hab euch lieb!“, und schon ist sie zur Tür hinaus.

Susi hält Flocki am Halsband fest. „Jetzt gibt’s Frühstück!“. Doch während Andreas das Hundefutter sucht, reißt sich der kleine, weiße Spitz los, und läuft zum Türspalt hinaus.

„Komm sofort zurück!“, schreit Susi, und rennt ihm nach.
Andreas schwingt sich auf`s Geländer und rutscht die 3 Stockwerke hinunter. Rechts oder links? Er entscheidet sich für links, und pirscht durch die Kellerabteile. Flockis aufgeregtes Bellen, führt genau zum Waschmaschinenraum. Andreas öffnet die Tür, aber da ist niemand zu sehen.

„Nicht so schnell, warte auf mich!“. Das ist die Stimme von Susi. Und sie kommt aus einer der großen Waschmaschinen.
„Die spinnt!“, denkt Andreas, bückt sich zur Luke, und schimpft: „Komm sofort da raus. Das ist gefährlich!“. Da sieht er das riesige Loch in der Rückwand der Maschine.
„Seid ihr da drinn?“, ruft er ängstlich.
Flockis aufgeregtes Bellen ist nicht zu überhören.
„Komm schon, das mußt du dir ansehen!“, dröhnt Susis Stimme in der Ferne.

Andreas schlüpft zaudernd hinein, und krabbelt durch das Loch hindurch, in einen engen, finsteren Tunnel.
Zuerst sieht er gar nichts, nur spitze Steine fühlt er, und nasses Glitschiges. Langsam wird der Tunnel weiter und in der Ferne sieht er Flocki und Susi im grellen Sonnenlicht stehen.





„Wo sind wir?“, fragt Andreas, als er bei ihnen ist, und blickt verwundert um sich
Die kleine Anhöhe auf der sie stehen, ist übersäht mit Blumen und Gräsern.
Ein kleiner Pfad führt von der Tunnelröhre im Berg, den Hügel hinunter, und schlängelt sich durch einen wilden Urwald.
Riesige moosbewachsene Bäume ragen hoch hinauf in den blitzblauen Himmel.
Es zwitschert und summt, es raschelt und brummt, im Geäst hocken bunte Vögel und klappern hölzern mit ihrem Schnabel. Da wackelt eine lange bunte Feder, und dort, hinterm Strauch, sieht Andreas das Schwänzchen einer kleinen Eidechse, schon ist sie fort.

„Komm weiter!“, sagt Susi, und zieht ihren Bruder hinter sich her. Flocki rennt bellend voraus.
Plötzlich bewegt sich das Dickicht, und eine Gruppe seltsamer kleiner Tiere kriecht aus den riesigen Farnen.

„Reechts-links, hihi, liinks-rechts, haha. Voorwärts Marsch!“, kommandiert das Vorderste von ihnen, und alle strecken schwerfällig, das rechte Beinchen unter einem schuppenbedeckten Panzer hervor.
Jedes von ihnen trägt ein großes grünes Blatt mit Früchten auf dem Rücken, und nun zappeln sie langsam, und im Gleichschritt den Weg entlang, und verschwinden wieder im Dickicht des Urwaldes.

„Krawuzi, Kapuzi!“, dröhnt es laut aus dem Urwald. „´Kerzliche Einladung´, wie schreibt man ´Kerzliche Einladung´?“.

Andreas und Susi schauen sich verdutzt an. Plötzlich ist der ganze Wald in heller Aufregung. Bunte Vögel mit großen, gelben Schnäbeln fliegen kreischend aus dem Gebüsch hinter ihnen, kleine Äffchen springen aufgeregt auf den Ästen der Bäume hin und her, Schmetterlinge flattern aufgescheucht durcheinander, und der kleine Pfad, scheint zu eng zu sein, für die vielen seltsamen Tiere, die nun nervös, aufgescheucht hin und her laufen.

„Iiii, geh von meinem Kopf herunter! Hilfe, Andreas hilf mir!“, schreit Susi,
springt herum, und schüttelt wie wild ihre Haare. In ihrem Nacken sitzt eine kleine geflügelte Eidechse, und klammert sich fest. Andreas versucht vorsichtig, die Klammerfüßchen aus dem Haarschopf zu lösen. Endlich hat er die kleine Echse aus Susis Haaren heraus befreit, und hält sie ihr vors Gesicht.

„Igitt, eine Fledermaus!“, schreit Susi, springt zurück und fällt in ein stacheliges Gestrüpp.
„Wer neckt mich da, und streckt seine groben Finger nach mir aus? Siehst du nicht, daß ich eine neue Frisur habe?“, jammert das Stachelschwein, und als Susi schnell aufsteht, krabbelt es aus dem Gebüsch.

Da hören sie wieder diese komische Stimme,donnernd laut durch den ganzen Wald hallen: „Krawuzi, Kapuzi, konn denn hier niemant schraibn?“

„Oje, oje!“, jammert das Stachelschwein, und duckt sich. „Na das kann ja heiter werden! Niemand im ganzen Land kann schreiben, und ausgerechnet ÈR`will heuer geschriebene Geburtstagseinladungen verschicken!“

Andreas und Susi schauen sich erstaunt an. „Schreiben können? Wer will schreiben können?“, fragt Andreas aufgeregt.

„Der König!“, sagt das Stachelschwein, und verschwindet hurtig im Unterholz.

Andreas, Susi und Floki folgen ihm in das Dickicht, vorbei an Riesenfarnen und vermoderten, mit Flechten bewachsenen Baumstämmen.
„A-B-C tut niemand weh!“, krächzt ein Vogel im Geäst ober ihnen, und bald stehen sie vor einer Lichtung.

In der Mitte der Wiese sitzt ein überaus dicker, kleiner Nasenbär mit einer Krone auf dem Kopf, an einem Schreibtisch.
„Au weh, au weh!“, jammert er, und radiert auf einem Stück Papier herum.
Zu seinen Füßen hocken viele große und kleine Tiere und helfen ihm beim Schreiben.
Gerade kommt ein papageienähnlicher Vogel angeflogen, setzt sich auf den Rand des Schreibtisches, und macht eine Verbeugung.

„Wenn ich ihnen behülflich sein dürfte, Matschestät!“, flötet er, nimmt dem König den Zettel aus der Hand und beginnt laut zu lesen:
„Sur Feier meines Dausensden Geburstags lade ich sie kerzlichst für heit abend
alle su mir auf mei Schloß ein.
Eure Matschestät der Könich von Schlaraffia!“

Andreas und Susi schauen sich verdutzt an.
„Schlaraffia?“, sagt Andreas, „Das kenn` ich doch! Ist das nicht in Afrika?“
„Nein, du Blödmann! Das ist in Brasilien!“, antwortet Susi altklug.

Plötzlich stürmt Flocki laut bellend zum Schreibtisch des Königs, und reißt dem
Papageienvogel eine Feder aus. Erschreckt fliegt der hoch, und setzt sich genau auf die Krone des dicken Königs von Schlaraffia.

„Gemeinheit! Gemeinheit!“, krächzt der Vogel, und putzt sich beleidigt sein Federkleid.
Immer noch laut bellend, rennt Flocki nun um den Schreibtisch und den Papagei herum, bis der kleine König zornig aufsteht.
Erstaunt bemerkt er den kleinen, weißen Spitz, Susi und Andreas.
„Oooh!“, sagt er überrascht, bückt sich und schüttelt Flocki erfreut die Pfote.
„Oooh, die ersten Gäste sind schon eingetroffen! Es ist Mirr eine grose Ehre,
sie hier in mei Schlaraffia, als meine wohlgeehrten Käste empfangen zu dürfen!“, sagt er zu Flocki, und verbeugt sich hinunter bis zu Flockis Pfoten.

„Heute hob ich Geburtsdag und ich muss noch fiele Einladungen schreibn, für das Fest am Obend! Leider hatt ein schnecklicher Vulkanausbruch im vurign Johr, olle meine Diener und olle meine Puchstaben aus mein Schlaraffia verjagd.
Seit dem is olles Durchanander, und wia kunnten den Vulkan und die wegglaufenen Puchstaben nit mehr einfaungan! Wenn ihr mir also hülfen möget...?“

„Hierher! Tatzher!“, befiehlt er plötzlich, und zwei Riesenschildkröten krabbeln im Gleichschritt heran.
Der König deutet Susi und Andreas, sich neben ihn zu setzen, und dann geht er zu Flocki.
„Würden sie bitte auf diesem, besonders für sie ausgewählten Sitz Plotz nehmen?“, sagt er, und zeigt auf eine besonders alte und verbeulte Schildkröte mit purpurrotem Gesicht.
„Dracu Draci!“, stellt er kurz vor, und setzt sich wieder an seinen Schreibtisch.

Nun geht es aber hurtig voran.
Im Nu haben Susi, Andreas und Flocki, die Schreibfehler ausgebessert, die Brieftauben und Postfalken werden mit den Einladungen zum Fest fortgeschickt, Papageien und Papagreifen schmücken die große Festwiese mit Blumen, und bunten Girlanden, Paradiesvögel üben noch einmal flötend und singend das Geburtstagslied, und alle Darcu-Dracis platzieren sich neben die Riesenschildkröten um den großen Tisch herum.





Endlich, am frühen Abend, treffen die erwarteten Gäste ein. Alle versammeln sich auf der großen Festwiese, und nun kommt auch der König von Schlaraffia, begleitet von seinem Gefolge, den Papameisen und Papagreifen, und führt alle an den gedeckten Tisch.

Zwei große Riesenschildkröten schleppen eine dreistöckige Himbeertorte mit Schlagobers auf dem Rücken.

„Reeechts hihi, und links haha, rundum den Tisch, rechts-links, da-da!“, kommandiert die Vordere, und die Gäste dürfen sich soviel Tortenstücke runterbeißen, wie sie wollen.

„Es gibt nirgendwo Besteck!“, flüstert Susi, die auf einem sehr unruhigen Dracu-Draci Platz genommen hat, zu Andreas.
Neugierig sehen sie sich um. Neben Andreas sitzt ein dunkelhäutiger Kautz mit langen, grau gekräuselten Haaren auf der Brust. Viele Goldreifen schmücken seine Arme und um den Hals trägt er ein lebendiges Insekt an einer Kette. Auf seinem Kopf sitzt eine kleine, rosa Papameise, und erklärt ihm das Geschehen.
Susi blickt in das bleiche, langgezogene Gesicht einer eleganten Dame mit großen, himmelblauen Glupschaugen und sehr langen Wimpern. Sie trägt die Festtagsbemalung ihres Stammes, schwarzweiße Streifen auf den Wangen, und lichtblaue Punkte um die Augen und auf der Stirn. Auch sie wird von einer Papameise begleitet.

Der König von Schlaraffia hat sein Festtagskleid, einen Mantel aus gelben und blauen, geflochtenen Urwaldblumen mit eingearbeiteten vergoldeten Farnen an, und unterhält sich angeregt mit Flocki, der an seiner linken Seite Platz genommen hat.
Da bleiben die Riesenschildkröten mit der Geburtstagstorte plump vor ihnen stehen.

„Daaas Feeest is erüffnett!“, ruft er, und als er gerade den 1. Riesenbissen von der Torte macht, schreit plötzlich die elegante Dame neben Susi auf.
Nun springen auch alle anderen Gäste ängstlich von ihren Sitzen hoch, und laufen wild durcheinander.
Andreas und Susi werden von zwei Papagreifen gepackt, mit schnellen Flügelschlägen ins Schloß des Königs geflogen, und die ganze Schar der Geburtstagsgäste flieht aufgeregt ins Schloß.
Alle drängeln sich an den Fenstern.

Draußen ist der ganze Himmel feuerrot, der Urwald brennt, und mitten auf der Festwiese hockt ein feuerspeiendes Untier.

„Der Vulkan,...der usgeprochene Vulkan!“, schreit der König und alle anderen.
„Wir missn ihn wieda einfangen, sunst verbrennt er unser ganzes Schlaraffia!“

Bald ist ein Plan gefasst. Gartenschläuche werden zusammengetragen, Bottiche, Kübel, Töpfe werden ans Fenster platziert und mit Wasser gefüllt, und nun stürmt Flocki auf den großen Platz, und rennt bellend, flankiert von einigen mutigen Papagreifen, um den feuerspeienden Vulkan herum, der immer zorniger wird, und giftige Dämpfe ausspeit.
Schnell laufen sie ins Schloß zurück, der ausgebrochene Vulkan schimpfend hinterher, und als er genau vor den Fenstern steht, schütten die Gäste alles Wasser aus den Kübeln, Bottichen und Töpfen, auf ihn hinauf, und besprühen ihn mit den Gartenschläuchen.





Endlich ist das Feuer gelöscht und der ausgebrochene Vulkan sitzt da, wie ein armes Häufchen und weint.
„Das du mir nie wieda usbrichst!“, sagt der König von Schlaraffia, und krault den zerknirschten Vulkan hinter seinem rauchigen Ohr.
Zu guter Letzt, stürmen nun auch die verloren gegangenen Buchstaben aus dem Dickicht, schwarz verbrannt und voll Vulkanasche, und auch die Wörter und die Rufzeichen, und die Hausdiener sind wieder da, umarmen den König, und schmeißen sich vor ihm nieder.
„Wir sind ja so froh, Sie wiedergefunden zu haben. Es war schrecklich, schrecklich!“, jammern sie, und küssen seine großen Füße.
Und auch der König von Schlaraffia kann seine Freude kaum verbergen, so sehr haben ihm seine Buchstaben und Wörter gefehlt.

Nun wagen sich auch die übrigen Gäste wieder auf die Festwiese. Die guten Dracu-Dracis scharen sich um den Tisch, und die zwei alten Riesenschildkröten marschieren zum zweiten Mal mit der dreistöckigen Geburtstagstorte heran.
Jeder Gast beißt sich eine große Ecke herunter, und die Torte wird sichtbar kleiner.
Voller Freude umarmen und küssen sich nun auch alle Gäste.
Papagreifen und Papameisen, Turteln und Tauben jubilieren und dirilieren,
und singen ihr schönstes Geburtstagslied.
Große und kleine Dracu-Dracis tanzen mit den Riesenschildkröten, lachende Pferde kümmern sich um die Abendbeleuchtung, und die zahlreichen Lakeien servieren auf großen, grünen Blättern, die allerfeinsten Leckereien aus Schlaraffia.





Der König unterhält sich noch lange mit Flocki, und erst, als die Sonne nicht mehr zu sehen ist, erinnern sich Andreas und Susi an zu Hause.
Schnell verabschieden sie sich vom König von Schlaraffia.

„Ich hoffe, euch alle bei meiner nächsten Geburtstagsfeier wieder zusehen!“ sagt er lachend, sichtlich erleichtert, daß er wieder fehlerfrei sprechen kann, und ein großer Dracu-Draci bringt sie sicher zum Tunnel auf dem Hügel.

„Auf Wiedersehen Schlaraffia!“, rufen die drei.
„Auf Wiedersehen-Wi-iedersehen!“, hallt es von den Bäumen, in der Luft, und in ganz Schlaraffia, und nachdem sie sich von allen verabschiedet haben, krabbeln Andreas, Susi und Flocki wieder durch den Tunnel zurück.





Als Angelika spät abends nach Hause kommt, ist alles still. Leise öffnet sie die Tür zum Kinderzimmer. Susi und Andreas schlafen tief und fest in ihren Betten, und Flocki schnarcht vor sich hin. In seinen Pfoten hält er eine lange, bunte Feder.
Leise, und auf Zehenspitzen geht Angelika aus dem Kinderzimmer, da hört sie Susi im Traum reden: „Ich bin der König von Schlaraffia, der König von Schlaraffia....!“
 



 
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