Der Kunde

1,50 Stern(e) 2 Bewertungen

Ike Van Dayk

Mitglied
DER KUNDE IN XZIYASHAOUO

( Diese Geschichte spielt in einem entlegenen Winkel der Erde, welcher bisher noch nicht kartographiert wurde. )

Kapitel 1: Das Tal der Schuhe

\"Durch das Tal der Schuhe sollst du gehen und im Ort Schuh den Pater Peter nach dem Schuh der Macht fragen\"! Diese Mission war dem Kunden aufgetragen worden. In seiner traditionellen Kunden-Bekleidung, nämlich einer schwarzen Adidas-Jogging-Hose, Turnschuhen und einem hellgrünen Kapuzen-Pullover hatte er sich schon früh morgens auf den Weg gemacht. Den Flug hatte er bezahlt bekommen, jedoch lag Xziyashaouo so abgelegen, dass er vom Flughafen aus erst noch ein Taxi nehmen musste, welches aber auch nur bis zum Ort Arshderweld fuhr, weil es ab dort keine Strassenkarten mehr gab. Also musste er noch ein Stück weit trampen und noch ein gutes Stück zu Fuß gehen, bis er Xziyashaouo erreichte. Naja, und dass es von hier aus sowieso nur noch zu Fuss weiter gehen würde, war ihm klar. Die erste Station in Xziyashaouo war also das Tal der Schuhe, ein bewaldetes, knapp hundert Kilometer langes Tal am Rande eines Gebirges. Schuh, so hies der einzige Ort am Ende dieses Tals, war das Ziel.

Es begann schon dunkel du werden, als der Kunde die ersten Lichter von Schuh am Horizont erkannte. Die Lichter erinnerten irgendwie an die Form eines Schuhs. Seltsam, dachte der Kunde. ... . Jedenfalls wollte er sich lieber erst mal niederlassen für diese Nacht, also packte er sein mit einem Knopfdruck aufblasbares Gummizelt aus der Hosentasche und drückte den Knopf.
Geniale Sache, dachte der Kunde. ... . Er setzte sich auf einen kleinen Baumstumpf neben dem Zelt und kramte eine Schachtel Zigarren aus seinem Rucksack. Nur noch drei Stück drin, dachte der Kunde. ... . Mit seinem goldenen Benzinfeuerzeug zündete er die Zigarre an und fing an zu rauchen. Die Atmosphäre war chillig. Das Tal erschien im Licht des Vollmonds wie ein herrliches Gemälde von poetischer Tiefe. Der Himmel war sternenklar. Und am Ende des Tals erstrahlte Schuh. Von diesem etwas erhöhten Punkt innerhalb des Tales hatte man eine wahrfhaft grossartige Aussicht auf das breite und weite Tal und das daneben verlaufende Gebirge. Der Kunde erinnerte sich an alte Heldentaten, wie er zum Beispiel die Invasoren aus dem Rathaus einer Kleinstadt verjagte und nebenbei die miserablen Zustände der hiesigen sanitären Anlagen aufdeckte. Oder wie er seinen ärgsten Feind mit der Geheimwaffe zu Tode stach, nachdem er zuvor schon seine Hand verdalbt hatte.

Doch diese Taten lagen lange zurück. Es musste vorwärts gehen. Zeit für neue Heldentaten. Also Ende der Zigarre und ab ins Zelt.

Am nächsten Morgen wachte der Kunde schon früh auf, stieg aus dem Zelt und drückte den Zusammenklapp-Knopf mit Eleganz. Er packte das Zelt wieder in die Hosentasche, schnallte den Rucksack um und wanderte los. Aus Schuh hörte man Kirchenglocken läuten. So isses, dachte der Kunde. ... . Sein weiterer Weg verlief an einem kleinen aber feinen Bach entlang, der aus der Richtung Schuhs kam, so konnte er sich wunderbar an diesem Gewässer orientieren. Bei genauem Hinsehen fielen dem Kunden Fische im Bach auf. Angeln, dachte der Kunde. ... . Oder ne, doch nicht. ... . Schliesslich war es ja nicht mehr allzu weit bis Schuh, und dort würde es sicher ein gutes Restaurant oder vielleicht sogar einen gastfreundlichen Bewohner geben, der ihn zum Essen einladen würde. Denn in Schuh gibt es sicher nicht oft Gäste. Der Kunde war gespannt auf die Mentalität einer Bevölkerung, die an einem Ort lebt, der so abgeschieden ist. Eine Strasse nach Schuh gab es auch nicht. Schien sich um eine interessante Sache zu handeln.

Doch ... was war denn das da plötzlich? Am Rande des Baches stand eine kleine Hütte und davor eine Zapfsäule. Eine Tankstelle, hier??? Mitten auf einer Lichtung in diesem Tal, in dem es nicht mal eine Strasse gibt. Doch der Kunde wusste sofort, was er wollte. Er ging an das kleine Fenster und klopfte an. Von innen kam ein alter Mann an das Fenster, er sah aus wie ein Mechaniker, blauer Arbeitsanzug, von oben bis unten schwarz befleckt. Selbst sein weißer Bart hatte ein paar schwarze Stellen. Er klaptte das Fenster nach oben. \"Guten Tag\" sagte er mit einer freundlichen, verkratzten Stimme. \"Guten Tag\", antwortete der Kunde, \"ich hätte gerne eine Portion Spaghetti\". Der Alte klappte das Fenster wieder zu und öffnete die Türe der alten Holzhütte. Wortlos schritt er zur Zapfsäule und fing an an einem Hebel herumzuziehen. Es schien nicht den gewünschten Effekt zu haben, das machte ihn wütend und er zog und riss heftiger an diesem Hebel, scheinbar in einem bestimmten Rhytmus. Dann trat er drei mal gegen die Zapfsäule. Grinsend erhob er die Zapfpistole und blickte hinüber zum Kunden. Der Kunde lief rüber und stellte sich vor den Alten. Der Alte richtete die Zapfpistole auf den Mund des Kunden, woraufhin der Kunde seinen Mund öffnete. Schon schossen aus der Pistole leckere Spaghetti mit feiner, frischer Tomatensauce hervor.

Während der Kunde seine Mahlzeit genoss sass die Frau des Alten im Keller und warf massenweise Spaghetti in einen grossen Metalltopf, wo aus einer Leitung Tomatensauce hinzufloss. Am Boden des Topfes war eine Absauganlage angebracht, die die Spaghetti nach oben manövrierte. Grinsend sah die Alte aus einem verstaubten und vergitterten Kellerfenster unter der Hütte, es schien ja eine gelungene Mahlzeit zu sein. Dann waren schliesslich alle Spaghetti restlos aufgebraucht. Der Alte steckte die Pistole zurück in die Halterung. Der Kunde bedankte sich freundlich und machte sich wieder auf den Weg. Der Alte blieb zurück und winkte dem Kunden grinsend hinterher, bis er wieder in den Wald verschwunden war.

Gestärkt von dieser Mahlzeit schritt der Kunde nun wieder voller Elan voran. Schuh musste schon bald in Sichtweite sein. Ihm fiel auf, dass er ja keine Ahnung hatte, wie groß der Ort ist. Je nach Grösse könnte es schwierig werden, den Pater Peter zu finden. Andererseits hält sich ein Pater meist in der unmittelbaren Nähe einer Kirche auf. Es sei denn, er ist gerade im Urlaub.

Und dann stand er auch schon bald am Ortseingang von Schuh, das hölzerne Ortsschild hatte die Form eines Schuhs. Naheliegend, dachte der Kunde. ... . Als er sich die Häuserreihen links und rechts von der Strasse, naja eigentlich war es doch eher ein Weg, ansah, fiel ihm auf, dass es hier im ganzen Ort keinen einzigen rechten Winkel zu geben schien. Es war nicht so, dass alles krumm und schief gebaut wäre, aber auch nichts wirklich gerade. Sei es ein seltsamer Bogen in der Haustür oder kaum sichtbare Winkelabweichungen an den Fensterrähmen. Mit seinen Argusaugen erkannte der Kunde einen verwirrenden Baustil in diesem Ort, eine Ode an das Schräge. Schräg waren auch die Blicke der Bewohner, die meisten waren mit Arbeiten im Garten oder sonstwo um ihr Haus herum beschäftigt. Sie waren entweder wie Bauern oder wie Gärtner gekleidet. Die meisten Häuser bestanden ausschliesslich aus Holz. Hölzern auch manche Mimik, die hinter den Vorhängen eines Fensters hervorblitzte.

Eine abstrakte Atmosphäre lag über Schuh. Das musste man schon sagen. An diesem strahlend hellen Tag schien hier eine Form der Routine und des Alltags vorzuherrschen. Ein fremdes Gesicht hatte man hier scheinbar schon lange nicht mehr gesehen. Und der Kunde, der seinen Kopf unter seiner hellgrünen Kapuze verbarg, schien nicht sehr vertrauenswürdig auszusehen.

Die Kirche war schon in Sichtweite. Schuh war recht klein, kleiner als der Kunde es erwartet hatte. Er wunderte sich nun gar, wie das Kaff die Form eines Schuhes in der Ferne annehmen konnte. Von hier aus gesehen machte Schuh eher einen Eindruck als würde es von weitem ungefähr wie eine Brezel aussehen. Naja, dachte der Kunde. ... . Er betrat die recht schräge Treppe vor der Kirche und klopfte an die grosse Eingangstüre. Keine Reaktion. Er klopfte fester dagegen. Ein buckliger, alter, verrunzelter Mann öffnete die Tür langsam und gemächig. Seine grauen Haare standen zu Berge. Er hatte eine graue, verfusselte Decke auf seinen Schultern hängen. Irgendwie sah er aus wie ein Penner. Wortlos sah er den Kunden an. \"Ich möchte Pater Peter sprechen\". \"Pater Peter befindet sich in seinem Büro im oberen Stockwerk\". \"Danke\".

Der Kunde betrat die Kirche und ging die Treppe zu seiner rechten hinauf. Oben angekommen, stand er in einem langen Gang, der von Kerzen ausgeleuchtet wurde. Rechts schien es in Richtung Glockenturm zu gehen und links sah er am Ende des Ganges eine Holztüre. Das musste wohl das Büro des Paters sein. Er begab sich durch den etwas unheimlich anmutenden Gang und klopfte an die Türe. \"Herein\"! Der Kunde öffnete die Tür.
\"Der Kunde! Endlich trefft ihr ein, nehmt doch Platz\".
Der Kunde setzte sich neben den Pater, welcher auf einem gediegenen Sessel am Kamin sass und Zeitung laß. Das Feuer im offenen Kamin war die einzige Lichtquelle ausser zwei Kerzen auf dem Flügel in der Ecke, so dass dieser Raum nur direkt vor dem Kamin und auf dem Flügel gut ausgeleuchtet war. In dem Raum wimmelte es nur so vor Aktenstapeln, Büchern, Zeichnungen, Kerzenständern und anderem antiquirtem Zeug. An den Wänden hingen Gemälde, teilweise Landschaftsbilder des Schuhtals, teilweise Portaits von Geistlichen. Der Raum war vollgestopft mit Dingen, die eine seltsame und düstere, zugleich aber auch faszinierende und ruhig anmutende Aura hatten. Eine verzierte Wanduhr tickte vor sich hin. Beide Sessel waren dunkelrot und wirkten gespenstisch im flackernden Licht des Feuers. Der Kunde saß in dem Sessel neben dem Pater.
\"Ihr seid im Auftrag von Bischoff Schweiß unterwegs, richtig\"?
Der Kunde nickte
\"Durch das Tal der Schuhe sollst du gehen und im Ort Schuh den Pater Peter nach dem Schuh der Macht fragen! So wurde es euch aufgetragen, richtig\"?
Der Kunde nickte.
\"Der Schuh der Macht! Ein Relikt aus vergangenen Tagen. Viele Jahre aufbewahrt in der Obhut von Schuh. Heute ist der Tag, an dem jener Schuh einen neuen Träger finden wird. Ihr, der Kunde, seid auserwählt, jener zu sein, der das Privileg inne hat, den Schuh der Macht als rechtmässiger Erbe zu tragen\".
Er stand erfreut und hektisch auf und verschwand in der dunkelsten Ecke des Raumes. Er kramte sabbernd und vor sich her lallend in einer grossen hölzernen Truhe herum, bis er einen schweren goldenen Schuhkarton in den Händen hielt.
\"Das .. ist .. er! Der Schuhkarton, in dem er seit je her aufbewahrt wird. Der Schuh der Macht. Öffnet den Karton. Nur ihr habt das Recht\"!
Er überreichte den Karton an den Kunden. Dieser öffnete ihn langsam und vorsichtig. Dem Pater Peter quollen fast die Augen aus dem Kopf, er geiferte Sabberfäden bis zum geht nicht mehr und zitterte. Ein helles Licht trat aus dem Karton hervor, der Kunde legte den Deckel beiseite. Er griff in das unglaublich helle, blendende, weiß-orange schimmernde Licht und hob einen goldenen Turnschuh hervor. Das Licht verschwand und der Karton fiel zu Boden. Pater Peter fiel auf die Knie und hyperventilierte. Er verdrehte die Augen und zeigte verzweifelt auf eine Holzschatulle, die auf dem kleinen Tisch vor dem Kamin stand. Der Kunde nahm die Schatulle und öffnete sie. Darin befand sich eine Spritze und ein kleines gläsernes Gefäss mit einer kleinen Öffnung. In dem Gefäss befand sich eine seltsame, blau leuchtende Flüssigkeit. Der Kunde blickte hinüber zum Pater. Dieser fing schon an um sich zu schlagen und zu stöhnen, es schien nicht gut bestellt um ihn. Also steckte der Kunde die Nadel in die kleine Öffnung des Gefässes und zog den ganzen Inhalt in die Spritze. Er überreichte die Spritze an den Pater. Dieser starrte kurz auf die blau leuchtende Flüssigkeit und nahm dann die Spritze zwischen die Zähne, um ein Stück seines Gewands abzureissen und sich damit den Arm abzubinden. Dann setzte er die Spritze an und injizierte sich die blaue Flüssigkeit. Er gab ein seltsames, quietschendes Geräusch von sich und fiel mit dem Gesicht voraus zu Boden, was ihm vom Geräusch her die Nase brach. Naja, der wird wohl wissen, was er tut, dachet der Kunde. ... . Dann ersetzte er seinen rechten Schuh gegen den Schuh der Macht, band die Schnürsenkel zu und verließ den Raum.

Als der Kunde die Kirche verließ, hatte es seltsamerweise angefangen zu regnen, obwohl vorhin noch keine Wolke am Himmel zu sehen war. Dünne Regenwolken waren aufgezogen, es sah nach einem kurzen Nieselschauer aus. Ein kühler Wind kam aus nordöstlicher Richtung angefegt. Zwar war er relativ schwach, dennoch fuhr er dem Kunden durch Mark und Bein. Er überquerte den Weg, um auf der anderen Seite unter dem Vordach eines alten, kleinen Holzhauses Schutz vor dem Regen zu suchen, als ihm plötzlich auffiel, dass dort schon jemand stand. Ein älterer Herr, bekleidet mit einer traditionellen Käptns-Tracht stand in der Ecke im Halbdunkeln und rauchte Pfeife. Er hatte ein Holzbein anstelle des linken Beines und lief an Krücken. Sein weisser Bart war gepflegt, sein rechtes Auge mit einer schwarzen Augenklappe verdeckt. Auf der Augenklappe war ein neongelber Totenkopf zu erkennen.

\"Gestatten, Käptn Raubein. Ich habe alle Meere durchquert und alle Gefahren überlebt und nebenbei noch grossartige Schätze gehoben\".
Der Kunde blickte verwundert in die Landschaft während der Regen stärker wurde. Eine Kutsche mit zwei Pferden im Gespann rollte vorbei, der Kutscher trieb die Pferde an, schneller zu laufen, denn der Sandweg wurde schon glitschig und nass und der Wind wurde kälter.
\"Dieser Wind kommt aus der Wüste. Aus der Wüste, die einst ein Meer war\", knurrte der Käptn vor sich hin. \"Aber heutzutage glaubt einem niemand mehr, dass einst grosse Gewässer trieben, wo heute heute nur noch Sand ist\".
Die Kutsche war mittlerweile im Ort irgendwo abgebogen. Im Haus links neben der Kirche hatte ein Baby angefangen zu schreien. Die Mutter hatte es in die Arme genommen und stand auf dem Balkon. Dadurch war der Kunde kurz abgelenkt und als er sich dem Käptn endlich zuwenden wollte, um auf ihn einzugehen, war er auf einmal verschwunden. Der Kunde sah sich um, doch er fand keine Spur mehr von ihm. Der Käptn schien sich in Luft aufgelöst zu haben.


Kapitel 2: Die Wüste, die einst ein Meer war

\"Durch die Wüste, die einst ein Meer war, sollst du gehen. Denn was bringt dir EIN Schuh der Macht. Schuhe haben es an sich, dass sie paarweise auftreten. So auch die Schuhe der Macht. Der Igler wird dich führen\". So hatte Bischoff Schweiß weiter gesprochen. Also machte sich der Kunde am nächsten Morgen, nachdem er sein Zelt unter dem Vordach aufgeschlagen und dort übernachtet hatte, gleich auf den Weg in Richtung Nordosten. In Richtung Wüste.

Nur noch ein paar vereinzelte Wolkenreste hingen den Vormittag über am Himmel, es wurde wieder wärmer und die Sonne schien strahlend. Je näher er der Wüste kam, um so heisser wurde es. Schuh lag schon etliche Kilometer hinter ihm, da es konstant bergauf ging, konnte er es aber noch ganz weit weg am Horizont ausmachen. Sieht aus wie eine kleine Brezel, dachte der Kunde. ... . Der Kunde bekam so langsam Hunger. Vor zwei Kilometern hatte er ein IMBISS-Schild gesehen, mit einem Richtungspfeil nach Nordosten, aber bisher war von einer Bude keine Spur. Der Wald des Schuhtals hatte vor Schuh schon geendet, nach Schuh ging es konstant in Richtung Wüste, hier gab es nur noch vereinzelte Grünflächen und Sträucher, höchstens mal ein paar kleine Baumgruppen. Aber zunehmend blanker Stein und Sand.

Endlich kam der Kunde bei der Imbissbude an, sie stand auf einer kleinen Erhöhung, nach der es endlich wieder einmal ein Stück bergab zu gehen schien. Die Bude war klein und es roch schon von weitem nach Bratwurst und Pommes und, naja, nach Fritösenfett. Der Kunde stand nun vor der Bude. In der relativ kleinen Bude stand eine unglaublich dicke Frau. Sie konnte darin kaum laufen, sie konnte sich höchstens um die eigene Achse drehen, um ihre Arbeit zu verrichten. Der Kunde schätzte sie auf Mitte Dreissig und auf ungefähr 200 Kilo. Ihre versiffte weiße Schürtze platzte beinahe. Ihre fettigen Haare hingen ihr ins Gesicht, auf ihren Armen war sie tätowiert. Da war zum Beispiel ein rotes Herz unter dem der Name Karl stand.
\"Was darfs sein\", grölte die Dicke mit einer lauten, tiefen Stimme.
\"Einmal Bratwurst mit Pommes\".
Während die Dicke sich um die eigene Achse drehte und mit ihren langen, fetten Armen die angeforderte Betsellung ausführte, dachte der Kunde, dass nun etwas Smalltalk angebracht wäre.
\"Wie gehts Karl\"?
Die Dicke zögerte zuerst und grollte dann:\"Karl ist tot\" und zeigte auf ein Grab ungefähr 20 Meter von der Bude entfernt. Das Grab hatte vom Umfang her enorme Ausmasse, auch wenn es nicht mehr war, als eine kleine Erhöhung im Sandboden und ein verdorrter Blumenstrauß, der hinein gesteckt wurde. Dahinter stand ein Holzkreuz mit der Aufschrift KARL in gekrakelten Druckbuchstaben. \"So, einmal Bratwurst mit Pommes, bitteschön\".
\"Dankeschön\". Der Kunde legte die Bratwurst in die Pappschachtel zu den Pommes und griff die Ketchupflasche zu seiner linken um eine ordentliche Portion Ketchup über Wurst und Pommes zu geben. Dann das selbe Spiel mit Senf und Majo, bis der Siff nur so von der Schachtel tropfte. Die Dicke sah interessiert zu. Dann fraß der Kunde sein Pappsandwitch in drei Bissen und sagte mit vollem Mund:\"Ahoi\"! Dann verließ er den Imbiss.

Am Mittag hatte der Kunde endlich die Wüste erreicht. Nun war er umgeben von Sanddünen und vereinzelten, schroffen Sandsteinen. In der Ferne sah er sogar ein paar riesige Klötze aus Sandstein, die man fast schon als Berge bezeichnen musste. Je weiter er in die Wüste vordrang, um so stechender wurde die Sonne, die Umgebung flackerte vor Hitze, der Kunde schwitzte unglaublich. Auf einer besonders hohen Sanddüne glaubte er plötzlich etwas interessantes zu erkennen. Er lief schneller, denn es sah von weitem so aus, als ob jemand dort sitzen und in die andere Richtung Ausschau halten würde. War dies vielleicht der Igler? Als der Kunde näher kam, wurde klar, dass es sich bei der Person, die dort sitzt, um eine Frau handelt. Eine hübsche, junge Frau in einem alten, braunen Gewand. Mit ihren tiefen, braunen Augen starrte sie in die Wüste. In der rechten Hand hielt sie eine Art Wanderstab. Dann zeigte sie plötzlich in die Ferne. \"Da. Es kommt zurück. Siehst du es\"?

Der Kunde blickte verdutzt in die flackernd heiße Wüste. Er konnte nichts erkennen außer Sand und Stein. Aber plötzlich nahm ein Teil dieser flackernden Umgebung eine seltsame Form an. Es schien sich um eine Struktur zu handeln, die näher kam. Die Frau war mittlerweile aufgestanden und rannte los. Sie rannte die Düne hinunter auf die Struktur zu und schrie:\"Nimm mich mit. Bitte nimm mich mit\". Ihren Stab hatte sie liegen lassen. Langsam wurde die Struktur deutlicher. Es war ein fliegendes Objekt, ungefähr 500 Meter über dem Boden. Ja, es war ein Schiff. Es sah aus, wie ein altes, riesiges Piratenschiff. Aber immer noch war es nur teilweise sichtbar, es schien sich um eine Art Geisterschiff zu handeln. Das Näherkommen des Schiffes wurde begleitet von einem seltsamen Geräusch. Ja, es waren Trommeln und Stimmen, die in einem Stampfenden Rhytmus ertönten. Der Kunde dachte an ein Schiff, auf dem Sklaven im Rhytmus einer Trommel rudern müssen. Aber er konnte von hier aus keine Details erkennen. Die Frau hatte das Gefälle der Düne mittlerweile überwunden und rannte weiter unten auf einer ebenen Fläche in Richtung des Schiffes. Als das Schiff genau über ihr war und nicht zum Stehen kam, blieb sie stehen und streckte ihre Arme nach oben. \"Nein, nicht weiterfliegen, bitte. Nein. Ich warte schon seit Jahren. Bitteee\".

Aber das Schiff flog kontinuirlich weiter in Richtung der Düne, auf der der Kunde stand. Die Frau rannte und stolperte nun auch wieder in diese Richtung. Doch sie fing an, langsam im Boden zu versinken. Es sah aus, als würde sich der trockene Wüstensand um sie herum in Treibsand verwandeln. Sie flehte um Gnade und schrie verzweifelte Gebete in einer fremden Sprache, doch der Treibsand verschluckte sie gnadenlos. Sie wird für immer Teil der Wüste sein, dachte der Kunde. ... .

Das Schiff flog nun direkt auf die Düne zu. Es hatte die Flughöhe etwas gesenkt, so dass der Kunde mehr Details erkennen konnte. Es war jetzt nur noch etwa 50 Meter über ihm. Ganz vorne stand Käptn Raubein, ebenfalls in geisterhafter Transparenz und winkte dem Kunden zu. Er war deutlich jünger und hatte kein Holzbein und keine Krücken. Aber der Kunde erkannte ihn an seiner unverwechselbaren Augenklappe mit dem neongelben Totenkopf. Das Schiff flog kollosal über die Düne hinweg, das Trommeln war jetzt sehr laut zu hören. Ganz hinten auf dem Schiff stand eine seltsame Gestalt. Sie rief dem Kunden zu:\"Folge mir, ich bin der Igler\". Diese Gestalt war eindeutig kein Mensch. Es schien sich vielmehr um eine Symbiose aus Mensch und Igel zu handeln. Menschlicher Körperbau, aber ein Igelstachelfell auf dem Rücken und die Gesichtsform eines Igels. Der Kunde lief sofort los und folgte der Flugrichtung des Schiffes.

Was nun folgte, war eine seltsame Sequenz, die den Kunden verwirrte. Während sein Körper zielgerichtet dem Weg des Schiffes über die Sanddünen folgte, schien sich sein Geist plötzlich auf dem Schiff zu befinden. Er konnte durch das geisterhaft transparente Schiff nach unten blicken und seinen eigenen Körper betrachten, der sich fortbewegte. Langsam nahm die Transparenz des Schiffes ab und es wurde massiver und realer und bevor dem Kunden klar war, was hier geschah, befand er sich auch schon auf einem riesigen, offenen Ozean. Wasser, soweit das Auge reichte. Nur ganz am Horizont war eine Insel zu erkennen, auf die das Schiff zusteurte. Der Kunde konnte seltsamerweise niemanden mehr an Deck sehen, der Igler und der Käptn waren verschwunden. Da er nun auch seine körperliche Gestalt wieder angenommen hatte, beschloss er, auf den Ausgucksmast zu klettern, wo jemand stand und mit dem Fernrohr die Insel erspähte. Auf dem Weg nach oben fragte er sich, ob sein realer Körper wohl immer noch durch die Wüste marschierte, die einst ein Meer war.

Als er oben ankam, erkannte er den jungen Käptn Raubein mit einem schmucken Fernglas in der Hand, durch das er hindurch sah und etwas vor sich her murmelte. \"Sieh es dir an, mein Freund, dort ist sie. Die Insel Uljamot, die Insel der tausend Möglichkeiten. Aber nur eine Möglichkeit führt zum Ziel\".
\"Welche Möglichkeit\"? fragte der Kunde.
\"Die eine Möglichkeit\", schnurrte der Käptn nach kurzem Zögern.
Immernoch hatte der Käptn dem Kunden den Rücken zugedreht, so dass dieser sein Gesicht nicht erkennen konnte. Dies sollte sich allerdings ändern, als sich der Kopf des Käptns plötzlich zu drehen anfing, während sein restlicher Körper genau so stehen blieb wie bisher. Der Kunde blickte verdutzt drein, als der Kopf des Käptns sich um 180 Grad gedreht hatte und verkehrt herum auf dem Körper saß. Als der Käptn wieder anfing zu sprechen war seine Stimme plötzlich ziemlich verzerrt und unheimlich. Zudem hatte er ein diabolisches Grinsen aufgelegt. \"Entscheide dich weise, mein Freund. Sonst wird es dir so ergehen, wie mir. Gefangen in der Zwischenwelt. Auf ewig im Zeitenstrom zwischen Vergangenheit und Gegenwart auf der Reise. Ohne Ziel. Ohne Anfang. Ohne Ende\".

Dann wurden das Schiff und die Umgebung inklusive der Körper des Kunden und des Käptns wieder transparent und verschwanden schliesslich. Der Kunde stand auf einer schwebenden Insel, die der am Horizont glich, die er vom Schiff aus gesehen hatte. Die Insel Uljamot. Sie war recht klein, und er befand sich in einer Bucht mit einem kurzen Sandstrand und einer steilen Klippe. Oberhalb der Klippe standen ein paar Palmen und Sträucher, es windete ein bischen. Weit unterhalb der schwebenden Insel befand sich die kollosal weite Wüste, die einst ein Meer war. Er war also wieder im normalen Zeitrahmen, wie es schien. Vor ihm, in einer Einbuchtung in der Klippe, befand sich eine Treppe aus Stein, die in den Fels hinein führte. Links und rechts von dem Eingang standen Statuen aus Sandstein. Groteske Figuren und Fratzen. Wesen, die aus einer anderen Welt zu kommen schienen. Der Kunde fühlte sich von ihnen beobachtet, als er den Eingang betrat.

Hier drinne war es düster und kühl, nur ein paar Fackeln und Kerzen erleuchteten den riesigen Raum. Die Wände waren geschmückt mit weiteren, in Stein gehauenen Figuren und Fratzen der groteskesten Sorte. Auf den Raum verteilt waren 1000 verrostete Hebel, unter denen sich stählerne, rohrartige Öffnungen befanden. Als der Kunde sich in dem riesigen Raum umsah, wurde ihm klar, dass vor 998 Hebeln verkohlte Skellette lagen. Dies ließ den Schluss zu, dass bereits 998 Personen hier ihr Glück versucht hatten, die stählernen, rohrartigen Öffnungen dann aber nicht den erwünschten Schatz, sondern einen tödlichen Feuerstrahl von sich gaben. Er hatte also noch die Wahl zwischen zwei Hebeln. Die Entscheidung fiel relativ einfach, als ihm auffiel, dass unter einem der verbliebenen zwei Hebel keine Rohröffnung zu sehen war. Er wollte schon zupacken, als er plötzlich dachte: Moment, das wäre zu simpel. ... . Er lief zum anderen verbliebenen Hebel, doch als er davor stand kamen ihm wieder Zweifel. Moment, vielleicht ist genau das der Fehler. Vielleicht ist es so simpel. Und bisher sind alle daran gescheitert. ... . Also lief er zurück zum anderen Hebel. Aber ganz sicher war er sich immer noch nicht.

Plötzlich kam vom Eingang her ein Pfeil angerast und traf den Kunden im rechten Oberschenkel. Er schrie und sackte zu Boden. Ein grausamer Schmerz durchbohrte ihn und ihm wurde schwindelig. War der Pfeil vielleicht vergiftet? Aber da fiel ihm auf, dass der Pfeil keine Spitze hatte, sondern lediglich einen Saugnapf, der sich an seiner Hose angesaugt hatte. Es war ein Kinderspielzeug. Überreagiert, dachte der Kunde. ... . An dem Pfeil war ein Zettel befestigt, auf dem in krakeliger Schrift stand: NIMM DEN SCHALTER OHNE ROHR; SONST KOMMST DU DIR GERÖSTET VOR. Daraufhin griff er nach dem Hebel ohne Rohr und drückte ihn durch. Eine stählerne Schublade krachte durch die Wand unter dem Hebel. Darin befand sich ein schwerer, goldener Schuhkarton. Der Kunde nahm den Karton, öffnete ihn und zog sich den zweiten Schuh der Macht an. Nun war er ausgerüstet.

Doch als der Kunde gerade diesen Raum verlassen wollte, fing die Erde an zu beben und Steine krachten von der Decke. Er rannte in Richtung Ausgang, doch von dort aus blendete ihn ein unglaublich helles Licht. Er rannte in das Licht hinein. Auf einmal fühlte er sich schwerelos und das Getöse der einstürzenden Höhle wurde leiser und entfernte sich. Wo war er denn jetzt schon wieder gelandet? Das Getöse entfernte sich immer weiter und der Kunde hatte das Gefühl, immer höher zu fliegen. Er konnte rein gar nichts, ausser einer hellen Lichtwand, die ihn umschloss. Er sagte leise:\"Hallo\"?! Durch dieses Wort wurde ein enorm lautes, sich mehrfach wiederhallendes Echo hörbar. Plötzlich ertönte ein seltsamer, durchgehender Ton. Es war eine seltsame Art von Musik. Ein durchgängiger, sich in einem bestimmten Rhytmus durch die Tonleiter arbeitender Ton eines Blasinstruments. Dazu ein teils geflüsterter, teils gesungener Text in einer scheinbar nicht menschlichen Sprache.

Begleitet von diesem abstrakten Konzert wurde ein paar Meter vor dem Kunden langsam eine Gestalt sichtbar. Da das Licht immer noch enorm hell war und scheinbar aus allen Richtungen kam, konnte der Kunde nicht sicher erkennen, ob es sich dabei um einen Menschen handelte. Die Körperform entsprach jedenfalls ungefähr der eines Menschen, der im Schneidersitz sitzend meditiert. Und dann blickte die meditierende Gestalt den Kunden an und sprach:

Die Dinge haben eine Oberfläche, die aus Materie besteht,
jedoch gibt es dahinter noch eine andere Realität,
wenn du die Sterne am Nachthimmel erblickst,
kannst du nur erahnen, wohin du deine Blicke schickst.

Diese Blicke, sie reisen in andere Welten,
in denen ganz andere Gesetze gelten,
fernab von dem, was ihr Ordnung nennt,
ist das natürliche Chaos das einzig wahre Element.

Doch wendest du dann deinen Blick wieder ab,
blickst du hinab in das menschliche Grab,
wie weit könnt ihr Menschen die Dinge noch treiben,
bis euer Planet untergeht durch das Leiden.

Doch die Hoffnung ist viel mehr als nur Illusion,
viele von euch haben noch die Vision,
die Vison dass es immer noch weiter geht,
und dass der Verdorbenheit der Menschheit die Reinheit des Kosmos entgegensteht.

\"Du, der Kunde, hast eine Mission von kosmischer Bedeutung auferlegt bekommen. Nur wenn du reinen Geistes den letzten Akt dieser Mission durchführst, ist deine Aufgabe erfüllt\".


Die Zeit ist nicht greifbar, du kannst sie nicht sehen,
kannst nur ihre Auswirkungen auf deinen Geist verstehen,
wenn du den Geist für Sekunden vergißt,
spürst du schon, dass die Zeit ein Ozean ist.

Ein Ozean ohne Küste und Boden,
den unendlichen Raum hat die Materie verbogen,
versuche nicht, diese Dimensionen zu verstehen,
akzeptiere was ich sage, eines Tages wirst du es sehen.

Dein Weg durch die Zeit ist ein langer Weg,
der nach dem Tod deines Körpers beständig weiter geht,
glaube daran und du wirst mir begegnen,
im Ozean der Zeit kreuzen sich alle Wege,

Was ihr seht ist der Schatten der Realität,
der sich auf euere Wahrnehmung zu bewegt,
erst dann wenn dein Geist ohne Hülle existiert,
hast du dein Bewusstsein in die Realität des Kosmos eingraviert.

\"Du, der Kunde, hast noch einen langen Weg vor dir. Nach Beendigng dieser Mission bist du bereit für den nächsten Schritt\".


Wie kommt es also, dass in eurer Welt,
nur noch der materielle Wert der Dinge zählt,
die wahre Existenz eurer Träume von Morgen,
bleibt selbst denen, die sie träumen verborgen,

Nur wenige sind noch übriggeblieben,
die sich der Erkennung der Wahrheit verschrieben.
Nur wenige, die noch offen sind,
für die Stimmen, die flüstern im eisigen Wind,

Doch selbst unter denen, die wissen und hören,
gibt es zu viele, die sich auf dunkle Wege beschwören,
das Ziel dieser scheinbar verlorenen Seelen,
ist der Rückzug auf eigenen, verlorenen Wegen.

Was bleibt, ist die Reinheit des Kosmos und der Natur,
die euch zeigen kann woher ihr kommt, jedoch nur,
wenn ihr all eure Fesseln und Ängste vergesst,
und den Weg beschreitet, der eure Seelen fliegen lässt.

\"Wir werden uns wieder sehen\".


Dann verschwand die Gestalt wieder und der Kunde wurde von einer unbekannten Macht zurück gezogen. Er schwebte weg, die Musik entfernte sich immer weiter und dann wurde dem Kunden schwarz vor den Augen.


Kapitel 3: Der Berg K´Schah

\"Am Berg K´Schah wird deine Reise enden. Dort wird sich zeigen, ob du der Aufgabe, die du empfangen hast, würdig bist\". Der Kunde öffnete seine Augen. Er lag am Boden. Es fing gerade an leicht zu regnen. Irgendwo war ein entferntes Donnern zu hören. Er stand auf und wischte sich den Dreck von den Klamotten. Er befand sich am Fuße eines gewaltigen Berges. Da er sich bereits auf einer leicht erhöhten Plattform befand, konnte er in der anderen Richtung die Wüste erkennen. Die gewaltigen Sandmassen reichten bis wenige Kilometer unterhalb seiner Position. Wie war er hier her gekommen? Er konnte sich nicht mehr erinnern. Aber er wußte, dass dies der Berg K´Schah sein musste. Hier sollte er seine Mission zu Ende bringen.

Also machte er sich auf, den Berg zu erklimmen. Leichter gedacht als getan, dachte der Kunde. ... . Hier am Fuße des Berges herrschte eine eigenartige, stille Atmosphäre. Ein paar Sträucher wehten hier und da im Wind, es war bewölkt und nur ab und zu strahlte die Sonne ein paar wärmende Strahlen durch den Nieselregen. Der Kunde betrat einen kleinen Pfad, der sich auf den gewaltigen Berg K´Schah zuschlängelte und schon ein ziemliches Gefälle zu bieten hatte.

Nach einiger Zeit fiel ihm eine faszinierende Sache auf. Je näher er dem Gipfel des Berges kam, umso heller leuchteten die Schuhe der Macht. Sie leuchteten neon-gold.

Er machte sich Gedanken über die Gestalt, die ihm diese Weisheiten anvertraut hatte. Woher kam sie, wohin ging sie? War sie überhaupt real? Dennoch hatte er die Worte angenehm und lehrreich in Erinnerung. Aber er ahnte schon, was auf ihn zu kommen würde, wenn die Prophezeihung der Gestalt wahr werden würde. Aber er schritt konsequent weiter voran in Richtung Gipfel. Denn wenn er tatsächlich Teil einer kosmischen Mission sein sollte, mußte diese eine höhere Bedeutung haben. Man kann diese Bedeutung sicher nicht rational abschätzen.

Aber irgendwann auf dem weiten Weg nach oben kamen auch Zweifel ins Spiel. Warum er? Warum mußte er für diese Mission auserwählt werden? Es hätte auch genügend andere Leute gegeben, die sich dafür eignen. Oder etwa nicht? Schwer zu sagen. Er erinnerte sich zurück an den Tag, als er auf einer Bank sass. Die Sonne ging unter und färbte den Himmel blutrot, der kleine See wenige Hundert Meter unterhalb der Bank refklektierte dieses Schauspiel. Die weite Wiese mit ein paar Bäumen verschwand langsam in der eintretenden Dämmerung und weiter unten verlief ein Waldstück, in dem es schon sehr düster war. Der Kunde zündete sich gerade eine Zigarre an, da sah er jemanden aus dem Waldstück kommen. Er steurte den weiten Weg in Richtung Bank an. Als die Person etwas näher war konnte der Kunde erkennen, dass es sich dabei scheinbar um einen Bischoff handelte. Er trug eine Bischoffsrobe und einen Stab in der rechten Hand. Es war ein älterer, autoritärer Mann mit einem kalten, stechenden Blick. Vor dem Kunden blieb er stehen.
\"Guten Abend\", sagte der Kunde.
\"Durch das Tal der Schuhe sollst du gehen und im Ort Schuh den Pater Peter nach dem Schuh der Macht fragen. Durch die Wüste, die einst ein Meer war, sollst du gehen. Denn was bringt dir EIN Schuh der Macht. Schuhe haben es an sich, dass sie paarweise auftreten. So auch die Schuhe der Macht. Der Igler wird dich führen. Am Berg K´Schah wird deine Reise enden. Dort wird sich zeigen, ob du der Aufgabe, die du empfangen hast, würdig bist\".
Dann kniete der Bischoff sich auf den Boden und stieß einen Schrei aus, der nicht menschlicher Natur war. Ein mehrstimmiger, unglaublich lauter Schrei in unterschiedlichen Tonlagen. Der Kunde hielt sich die Hände vor die Ohren. Der Bischoff schrie solange bis eine seltsame blau leuchtende Flüssigkeit aus seinem Mund quoll. Dann wurde er plötzlich von einem Scheinwerfer angestrahlt, der sich scheinbar irgendwo über den Wolken befand. Aber nein, es war kein Scheinwerfer sondern eine Art Transporterstrahl, denn der Bischoff fing an sich zu dematerialisieren. Als er ganz von dem Strahl nach oben gebeamt worden war, verschwand der Strahl und ein Licht blitzte am Himmel auf. Dann Stille. Der Kunde nahm die Hände wieder von den Ohren. Seine Zigarre war ihm runtergefallen. So ne Scheisse, dachte der Kunde. ... .

Je mehr er darüber nachdachte, umso stärker wurden die Zweifel an der Richtigkeit der Mission. Wer waren diese Leute, die scheinbar fremde Wesen in Menschengestalt waren? Und warum geben sie sich als religiöse Diener Gottes aus? Was ist das für eine seltsame Droge, von der sie scheinbar abnängig sind? So dubiose Auftraggeber hatte der Kunde bisher noch nie in seiner Laufbahn. Sind die Schuhe der Macht vielleicht ein Relikt der Götter oder einer ausserirdischen Spezies? Und was hatten Käptn Raubein und der Igler mit der Sache zu tun? Gehören sie auch zu denen dazu oder wurden auch sie nur als Marionetten dieser Auftraggeber benutzt? Oder handelte es sich vielleicht doch um eine kosmische Mission, die der Kunde einfach nicht im Ganzen nachvollziehen konnte? Fragen über Fragen, keine Antworten.


Dem Kunden waren noch viele weitere Fragen auf dem Weg nach oben eingefallen, aber irgendwann war es so weit. Er stand auf dem Gipfel des Berges K´Schah. Etwa 300 Meter entfernt befand sich der Gipfel des Nachbarberges. Als er genau hinsah, konnte er dort ein Gebäude aus reinem Gold erkennen. Es hatte eine herrliche, mit Mustern und Figuren verzierte Kuppe und vier Säulen vor dem offenen Eingang. Es hatte eine quadratische Form und leuchtete förmlich. Genau so wie auch die Schuhe der Macht leuchteten. Nur leuchteten diese noch heller. Nun wurde ihm bewußt, was die entscheidende Prüfung war. Er musste diesen gähnenden Abgrund zwischen den beiden Gipfeln mit Hilfe der Schuhe der Macht überqueren. Es gab nun also zwei Möglichkeiten. Entweder der Kunde stürzt in den Tod; weil die Schuhe der Macht gar keine Macht haben oder er selbst nicht reinen Geistes ist. Oder er überquert den Abgrund und kann das Geheimnis des Gebäudes lüften und seine Mission erfüllen. Er hatte bisher noch nie versagt. Warum also sollte heute das erste Mal sein?

Er tat einen Schritt nach vorne und stürzte in den Tod.

Die Leiche des Kunden lag zerfetzt und blutüberströmt am Rande eines Gebirgsbaches auf einem kantigen Stein. Die Schuhe der Macht leuchteten jetzt nicht mehr. Der Bach verlief realtiv flach und ruhig auf fast ebener Fläche und war umgeben von unzähligen Steinen, teils kleine, teils grosse. Wie eben jener, der dem Kunden als unsanfte Landefläche diente. Links und rechts ragten der Berg K´Schah und der andere Berg empor. Auf einmal kam der Igler um die Ecke geschlurft und war ziemlich erschöpft. Er schien einen weiten Weg hinter sich zu haben. Doch als er endlich die beiden Objekte seiner Begierde sah, motivierte ihn dies, schneller zu laufen. Er entnahm den Füssen des Kunden die Schuhe der Macht und wollte sie anziehen. Doch es gab ein entscheindes Problem. Die Füsse des Iglers waren viel zu groß. Die Schuhe würden ihm niemals passen. Er regte sich darüber dermassen auf, dass er einen Schuh packte und brüllend gegen die Felswand schleuderte. Den anderen riss er wütend auseinander und verschlang die Einzelteile. Kauend und sabbernd rannte er zum anderen Schuh und frass diesen gleich in einem Stück. Mmmh, lecker, dachte der Igler. ... . Er grinste zufrieden, rieb sich triumphierend die Hände und machte sich wieder auf den Rückweg.
 



 
Oben Unten