Der Laufstall
Von meinem Laufstall aus habe ich einen hervorragenden
Blick auf den Fernseher.
Unglücklicherweise ist die Auswahl der Sendungen, die meine
Eltern zu ihrer Unterhaltung auswählen, arg eingegrenzt.
Den ganzen Tag reden, bis zur Grenze des erträglichen, mitteilsame Menschen, über ihre hochnotpeinlichen Lebensumstände. Zeigen dabei
ihre ungepflegten Zähne, bohren in der Nase und kratzen sich die Ohren.
All dies ist schrecklich.
Es beleidigt meine angeborene Intelligenz.
Später folgen dann Sportsendungen.
Mein Vater liebt Sport. Er selbst hasst Bewegung.
Aber zum Sport scheint ihm sein Bier besser zu schmecken.
So gerate ich gelegentlich aus der Fassung und plärre vor mich hin.
Mein Vater grunzt dann und schaut böse zu mir herüber.
Abends habe ich manchmal Glück:
Meine Eltern schlafen auf dem Sofa ein.
Das viele Herumsitzen macht die beiden müde.
So komme ich hin und wieder dazu die Nachrichten zu schauen und
erhalte einen Eindruck von der Welt außerhalb dieser vier Wände.
Wenn die beiden in der Nacht aufwachen, übermannt sie des öfteren ein diffuses Gefühl der Fürsorge.
Dann kommen sie zu mir an den Laufstall und beäugen mich ganz aus der Nähe.
Vater bläst mir seine Bierfahne entgegen, und Mutter zeigt mir schlaftrunken die blauen Flecken unter ihren Augen.
Meist kommt es zu einem Anflug von Kommunikation .
Die Art und Weise beängstigt mich und hat dafür gesorgt,
dass ich selbst meinen Sprechapparat noch nicht benutze.
In mir keimt der Verdacht auf, sie selbst können den ihren
nicht richtig benutzen.
Da raunt mein Vater ein "hutschi, gutschi", Mutter öffnet
weit den Mund und ruft: "ei wo is'er denn".
Besorgniserregend nenn ich das.
Also schweige ich, setze mein allerliebstes Lächeln auf und werde
wieder in Ruhe gelassen.
Endlich ist es still, und ich kann mich meinen Plänen
widmen. Das Gitter des Laufstalls ist wirklich hoch.
Aber, wenn ich mein Wachstum richtig beobachtet habe, dürfte ich in einem halben Jahr in der Lage sein herauszuklettern.
Wird Zeit hier abzuhauen.