Der letzte Tag

Natalkamajka

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Es war schon Winter, doch die ersten Schneeflocken, haben noch nicht die Erde berührt. Die Straßen waren leer und die Sonne war längst untergegangen. Es war dunkel. Keine Straßenlaternen. Es wurde nur kurz hell, wenn ein Auto vorbeischaute. Es regnete und die Luft war kühl. Regentropfen prasselten hörbar gegen das Holzdach. In der Luft hing eine seltsame Leere. Eine Leere, die nicht zu füllen war. Es hing ein böser Fluch in der Luft. Ein schwarzer dicker Nebel, der vom Himmel auf uns herabfiel und sich durch die Schlüssellöcher und unter der Tür durchzwängte. An diesem Tag gab es keinen Schutz. Es gab keinen Gegenfluch. Es war uns kein Trost, dass wir zusammen waren. Oder vielleicht doch, bloß wussten wir es nicht zu schätzen. Das unvermeidbare geschah dennoch. Es legte sich auf uns und umhüllte uns wie eine große dunkle Decke. Eine Decke, die so schwer war, dass wir sie kaum tragen konnten.

Der Kleine spielte in der Ecke. Er war schlecht gelaunt und quengelig, denn scheinbar spürte auch er, das erdrückende Gewicht der Decke.
So dunkel wie der Himmel und so düster wie die Donner, waren auch meine Gefühle. Etwas war da, doch ich konnte es nicht zuordnen.

In der Ferne an der Landstraße blinkten bunte Lichter. Ich zupfte nervös an meinen Haarspitzen. Der Kleine lies einen vorwurfsvollen Laut raus. Ich hob ihn hoch. Er war warm. Viel zu warm für diese kalte Welt. Ich summte leise vor mich hin. Es war ein trauriges Lied, doch ganz unbewusst verlies es meine Lippen. Ich schaukelte ihn hin und her und versuchte ihn zu beruhigen, obwohl ich selbst nicht ruhig war.
Meine Gedanken klopften an und ich wollte sie nicht reinlassen. Ich hielt die Hand auf der Klinke, während sie, wie verrückt, versuchten hineinzugelangen.
Mein Blick wanderte zur Uhr, doch die Uhrzeit nahm ich nicht wahr. Was machte das für einen Unterschied? Es war sowieso schon viel zu spät. Viel zu spät für sie, um pünktlich da zu sein. Ich biss mir auf die Unterlippe und voller irrer Gedanken wanderten meine Augen hin und her. Der kleine meckerte immer noch und rieb sich seine nassen Augen. Ich hielt Ausschau nach seinem Fläschchen.
Ich hörte Schritte. Mehrere Menschen. Die Türklingel schrie. Der Kleine zuckte. Ich drückte ihn an mich. Es stand fünfzig zu fünfzig. Weiß gegen Schwarz. Gut gegen Böse. Erlösung gegen Leid. Gerechtigkeit gegen Elend. Leben gegen Tod. „Sch...“ gab ich von mir, obwohl der Kleine still war. Beruhigen wollte ich eigentlich mich selbst.
Ich schaukelte ihn in meinem Armen und taste mich nervös vor zur Tür. Als ich die Klinke ergriff, wusste ich, dass ich mich meiner Vorahnung stellen musste. Früher oder später. Ich drückte die Klinke runter und die schwere Holztür knirschte unter ihrem Gewicht. Mit zittrigem Atem blickten meine Augen schneller hinaus, als es mir lieb war. Es waren ein Mann und eine Frau, beide dunkelblau gekleidet. Sie hielten mir ihre Marke vors Gesicht und redeten mit mir, doch mein Kopf war zu sehr damit beschäftigt dunkle Bilder zu malen.
„Wohnen diese Kinder hier? Sind sie da?“ fragte er und hielt mir den Ausweis des Kleinen und des Großen vor die Augen. Ich nickte und drückte den Kleinen an mich. Er schniefte und griff nach meinen Haaren. „Dürfen wir hereinkommen?“ Ich nickte. Sie begleiteten mich ins Wohnzimmer. Sie deuteten auf den Stuhl am Tisch, doch ich setzte mich auf die Armlehne des Sessels. Er hielt mir einen weiteren Ausweis hin. „Kennen sie diese Person? Ist das ihre...“ ich stand nervös auf. Ich schaukelte den kleinen in meinen Armen. Ich wollte ihn beruhigen. Ich wollte uns beruhigen.
„Das ist meine Schwester, seine Mama.“ sagte ich, blickte auf den Kleinen und lächelte kaum bemerkbar. „Sie sollte gleich da sein, es ist schon spät. Sie kommt öfter mal später.“
Der Mann in Uniform deutete Richtung Sessel, doch ich blieb stehen. „Sie können gerne hier warten.“ Ich hielt meine Hand immer noch auf der Kline, um meine Gedanken rauszuhalten.
„Hören Sie, es fällt mir nicht leicht es zu sagen, aber es gab einen Autounfall. Ihre Schwester hat es leider nicht überlebt.“
Meine Luft blieb weg. Mein Herz setzte einige Schläge aus. „Ich... Ich...“
Mein Kleiner fing an zu weinen, als würde er sie verstehen, als spürte er meinen unruhigen Herzschlag. Ich drückte ihn an mich. Meine Ohren fingen an zu piepen. Ein ewig andauernder Tinnitus. Ein nie endender Alptraum. Ein stummer Ruf nach Hilfe, ein Stich mitten ins Herz. „Sch, mein Kleiner.“
 

GerRey

Mitglied
Hallo Natalkamajka!

Wie ich sehe, ist das der erste Text, den Du hier veröffentlicht hast. Sicher erwartest Du Dir die eine oder andere positive Besprechung. Damit kann ich Dir nicht schmeicheln. Aber ich versuche fair zu bleiben.

Ein Schriftsteller, der zu gefallen versucht, ist ein schlechter Schriftsteller. Davon sind wir alle nicht gefeit, weshalb man es nicht oft genug erwähnen kann. Rudimentär betrachtet (ansteigender Handlungsaufbau, Höhepunkt und Ende), ist Deine Geschichte eine Geschichte. Aber sie ist wie ein Kleiderschrank, in dem lauter Dinge hängen, die nicht zueinander passen. Eine Oma in einem Minirock wird nicht unbedingt anturnen. Und genauso wenig schauen Autos vorbei, schreit die Türklingel oder fangen Ohren zu piepen an. Wo klopfen die Gedanken an und wo sollen sie nicht reingelassen werden? Wenn es "meine Gedanken" sind, dann sind sie schon drin.

Ich glaube, Du versuchst dem ganzen einen poetisch-dramatischen Ausdruck zu geben. Das finde ich persönlich nicht schlecht. Aber bei einer einfachen Auflistung verliert man die Pointe. "Es stand fünfzig zu fünfzig. Weiß gegen Schwarz. Gut gegen Böse. Erlösung gegen Leid. Gerechtigkeit gegen Elend. Leben gegen Tod." Das zuvor gesagte, soll in "Leben gegen Tod" münden, also solltest Du das besser herausarbeiten, damit man SPÜRT, jetzt wird es scharf.

Erbsen zählen mag ich nicht - das können andere besser!

Ansonst wünsche ich Dir noch Viel Freude beim Schreiben!

freundlichst

GerRey
 

Natalkamajka

Mitglied
Vielen Dank für deine Antwort.
Einige Anmerkungen zu deinem Kommentar habe ich dennoch.

Wie ich sehe, ist das der erste Text, den Du hier veröffentlicht hast. Sicher erwartest Du Dir die eine oder andere positive Besprechung.
Ich frage mich, ob es einen Unterschied macht, ob es mein erster oder fünfter Text ist, den ich hier veröffentliche? Zumindest war es nicht der erste Text, den ich jemals geschrieben habe, eher ganz im Gegenteil. Selbstverständlich würde ich mich über eine positive Bewertung freuen, habe diese jedoch keinesfalls erwartet. Würde ich wollen, dass mir Honig ums Maul geschmiert wird, würde ich es dabei belassen, den Text meiner Familie vorzulesen. Ich habe tatsächlich auf konstruktive Kritik gehofft, die mir dabei hilft mich zu verbessern, denn diese ist kostbarer als „Honig“. :)


Ein Schriftsteller, der zu gefallen versucht, ist ein schlechter Schriftsteller. Davon sind wir alle nicht gefeit, weshalb man es nicht oft genug erwähnen kann.
Glücklicherweise bin ich anscheinend schon davon gefeit. Ich versuche nicht zu gefallen, sondern schreibe das, was mir am Herzen liegt.

Und genauso wenig schauen Autos vorbei, schreit die Türklingel oder fangen Ohren zu piepen an. Wo klopfen die Gedanken an und wo sollen sie nicht reingelassen werden? Wenn es "meine Gedanken" sind, dann sind sie schon drin.
Ich glaube, das nennt man Personifikation? :) (Ohren piepen / pfeifen = Tinnitus)
Und ich finde, es gibt oft Gedanken, die man versucht zu verdrängen, weil man Angst vor ihnen hat, so habe ich es zumindest manchmal. Die Gedanken klopfen an ist also sowas wie eine Metapher. Die Gedanken klopfen an, wollen sich also bemerkbar machen, wobei die Protagonistin versucht, sie zu verdrängen / nicht reinzulassen.


Aber bei einer einfachen Auflistung verliert man die Pointe. "Es stand fünfzig zu fünfzig. Weiß gegen Schwarz. Gut gegen Böse. Erlösung gegen Leid. Gerechtigkeit gegen Elend. Leben gegen Tod." Das zuvor gesagte, soll in "Leben gegen Tod" münden, also solltest Du das besser herausarbeiten, damit man SPÜRT, jetzt wird es scharf.
Ich finde, dass die kurzen direkt aufeinanderfolgenden Sätze Spannung reinbringen und die Spannung auch steigt, da „Schwarz gegen weiß.“ weniger „scharf“ als „Leben gegen Tod.“ ist. Wobei man sich natürlich bei „Erlösung gegen Leid.“ und „Gerechtigkeit gegen Elend.“ streiten könnte.

Vielen Dank nochmal für die Zeit, die du dir genommen hast.

Alles Liebe!
 
Zuletzt bearbeitet:

GerRey

Mitglied
Beim Schreiben gibt es einen Grundsatz: Weniger ist mehr. Natürlich wirken die kurzen Sätze wie ein Motor, aber wenn sie zu häufig fallen, werden sie eintönig. Um alles, was Dir wichtig erscheint, unterzubringen, kannst Du vielleicht einen zweiten Anlauf machen? Also eine Pause mitten drin, eine Irritation, vielleicht ... um dann erneut anzufahren und zuzuspitzen.

Verstehe mich nicht falsch, ich schreibe Dir nicht vor, wie Du schreiben sollst, sondern vermittle nur meine Ideen zu möglichen Lösungen, die aber keineswegs als wichtig anzusehen sind. Es stimmt wohl, dass es keine neurologischen Aktivitätsmuster für Gedanken im Gehirn gibt. Aber um einen Gedanken zu haben, muss man zuerst eine Erkenntnis oder eine Erfahrung haben. So lernen wir von Kind-auf die Welt entdecken. Da dies spezifisch ist, greift in Deinem Fall die Metapher nicht.

Auch habe ich nichts dagegen, wenn ein Auto vorbeischaut, sofern das im direkten psychologischen Zusammenhang passiert und nicht von sich aus. Die Dinge von sich aus schauen nicht vorbei - wir haben nur einen Eindruck davon.

Ich erwähnte das mit dem ersten Text, um mögliche Erwartungen zu dämpfen.

Verzeih mir, aber ein Schriftsteller, der nur das zu schreiben versucht, was ihm am Herzen liegt, ist schon ein Schriftsteller, der zu gefallen sucht. Hierbei geht es um Grundsätze, wie man an Dinge herangeht. Schreibe ich über eine Situation nur das, was mir am Herzen liegt, und vergesse die Komponenten, die außerhalb dessen stehen, hat der Leser nicht die Chance, sich eine eigene Sicht zu bilden, sondern muss meine übernehmen.

Aber das führt zu weit, und ich möchte Dir nicht den Spaß am Schreiben verderben, sondern Dich - vielleicht? - ein wenig nachdenklich machen. Mehr will ich gar nicht.

freundlichst

GerRey
 
Hallo Natalkamajka,

nach der Meta-Diskussion über das Schriftsteller-Dasein komme ich nun mit Textarbeit um die Ecke :)

Es war schon Winter, doch die ersten Schneeflocken, haben noch nicht die Erde berührt. Die Straßen waren leer und die Sonne war längst untergegangen. Es war dunkel. Keine Straßenlaternen. Es wurde nur kurz hell, wenn ein Auto vorbeischaute. Es regnete und die Luft war kühl.
Ich habe mal alle "war" markiert. 5 mal in 6 Sätzen ist definitiv zu viel.
Und: Schneeflocken, die auf dem Weg zum Boden sind, dann Regen. Was denn nun?

Außerdem ist das ein reines Durcheinander. Erst das Wetter, dann Straße, Laternen, Auto. Dann wieder das Wetter.
Stelle dir diesen Absatz mal als Filmszene vor, bei der die Kamera das Geschehen einfängt. Wo würde sie hier verweilen, wo und wann wie herein- oder herauszoomen?

Das unvermeidbare geschah
Das Unvermeidbare (substantiviertes Verb)

Der Kleine lies einen vorwurfsvollen Laut raus.
ließ

Er war warm. Viel zu warm für diese kalte Welt. Ich summte leise vor mich hin. Es war ein trauriges Lied, doch ganz unbewusst verlies es meine Lippen.
Du könntest den Text an machen Stellen knackiger, prägnanter, kürzer und somit lesbarer machen, wenn du die Wiederholungen weglässt.
Z.B.:
Er war viel zu warm für diese kalte Welt. Ich summte leise ein trauriges Lied vor mich hin, doch ganz unbewusst verließ es meine Lippen.

„Wohnen diese Kinder hier? Sind sie da?“ (KOMMA) fragte er und hielt mir den Ausweis des Kleinen und des Großen vor die Augen.
Und: Woher hat er die Ausweise?

„Kennen sie diese Person? Ist das ihre...“ ich stand nervös auf.
Kennen Sie
ihre ... (Leerzeichen)
Ich stand (ich groß, da neuer Satz.

„Das ist meine Schwester, seine Mama.“ sagte ich,
Mama", sagte ich

Ich hielt meine Hand immer noch auf der Kline,
Klinke

„Ich... Ich...“
Ich ... ich ... (Leerzeichen)

Schönen Tag noch und
liebe Grüße, Franklyn Francis
 



 
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